Die libysche Revolte

von Joachim Guillard
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege
( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Seit dem 19.März bombardiert eine neue „Koalition der Willigen“ Tag für Tag libysche Städte und Armeeeinheiten. Alle Vermittlungsvorschläge werden ignoriert. Der neue Krieg der NATO wird von einer großen Mehrheit der Staaten in der Welt abgelehnt. Die meisten glauben, dass er nicht zum Schutz der Zivilbevölkerung geführt werde, sondern für den unmittelbaren Zugriff auf die libyschen Öl- und Gasvorräte. Die gleichzeitige französische Intervention in der Elfenbeinküste und die forcierte Ausweitung der militärischen Präsenz der USA in Afrika deuten zudem auf Ziele hin, die darüber hinausgehen: die Sicherung und Ausweitung westlicher Dominanz auf dem gesamten afrikanischen Kontinent, um dessen Rohstoff-Ressourcen ein erbitterter Wettkampf stattfindet.

Die auslösenden Proteste in Libyen unterschieden sich in vieler Hinsicht von denen in den anderen arabischen Ländern. In Tunesien und Ägypten war es eine überwiegend gewaltfreie  Oppositionsbewegung, die von Woche zu Woche wuchs und es war allein die beeindruckend große Zahl von Menschen, die in Massendemonstrationen der Brutalität der Regierungskräfte trotzten, die die Machthaber in Bedrängnis brachten. Im Vordergrund standen soziale Forderungen. In Libyen hingegen mit seinem relativen hohen Lebensstandard, leidet kaum einer materielle Not. Im Wesentlichen geht es hier um die Machtverteilung, um Rivalitäten zwischen Stämmen und zwischen dem Osten, der Kyrenaika und dem Westen. Demokratie und Menschenrechte sind bei den meisten Kräften höchstens Rhetorik – Gabriele Riedle, Redakteurin beim Magazin Geo, die zu Beginn der Proteste in Libyen war, berichtete, dabei niemand gesehen zu haben, dem es um Demokratie ging.(1,2)

Die libyschen Verbündeten der Westallianz

Vorbild Irak: die Nationale Front für die Rettung Libyens
Eine zentrale Rolle bei der Organisation des Aufstands spielt die Nationale Front für die Rettung Libyens (NFSL). Diese wurde bereits 1982 mit israelischer und US-amerikanischer Unterstützung gegründet, um Gaddafi zu stürzen. Unter Führung des zur CIA übergelaufenen Kampfgefährten Gaddafis, Khalifa Haftar, legte sie sich 1988 mit der Libyschen Nationalarmee (LNA) auch einen militärischen Arm zu. Die von den USA ausgerüstete kleine Untergrundarmee unterhielt in Virginia ein Trainings-Camp und führt seit den 1990er Jahren Aufstandsversuche und Terroraktionen in Libyen durch. 2005 gründete sie mit 6 kleineren Gruppen die Dachorganisation „Nationale Konferenz der Libyschen Opposition“ – Vorbild war hier offensichtlich die Irakische Nationalkonferenz von Ahmad Tschalabis „Irakischer National Kongress“ während die NFSL analog Iyad Allawis „Irakischer Nationaler Eintracht“ gestrickt wurde. Beide spielten eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung des Irakkrieges.

Die NFSL war eine treibende Kraft hinter den Demonstrationen vom 17. Februar, zu der sie über Facebook und ähnliche Netzwerke mobilisierte. Haftar reiste unmittelbar nach Beginn des Aufstands nach Bengasi, um die militärische Führung zu übernehmen.

Die NFSL nutzte sofort ihre guten Kontakte zu den Medien und prägte so maßgeblich die Berichterstattung im Westen über die Auseinandersetzung. Ihr Generalsekretär Ibrahim Sahad zieht seither weiterhin von Washington aus die Fäden, während andere führende Mitglieder eine maßgebliche Rolle im sogenannten „Nationalen Übergangsrats“ spielen. Dieser Rat wird, ohne dass nach seiner Legitimation gefragt wird, vom Westen als Repräsentant der gesamten Opposition im Land angesehen und von Frankreich sogar als neue libysche Regierung anerkannt.(3)

Übergangsrat: wirtschaftsliberale Ex-Minister und Exil-Politker
Auch in den Medien wird häufig beklagt, dass unklar sei, wer die Leute sind, an deren Seite die NATO nun Krieg führe und welche politischen Ziele sie verfolgen. Für die breite Masse der Rebellen stimmt das sicherlich. Die Personen jedoch, die die Führung des Aufstandes übernommen haben und nach dem Willen der westlichen Kriegsallianz die Macht im Land übernehmen sollen, sind sehr gut bekannt. Es sind Exilpolitiker und ehemalige Regierungsmitglieder, die alle seit langem in engen Kontakt mit Washington, London und Paris stehen. (4)

An der Spitze steht, als Chef des „Exekutivrats“, Mahmoud Dschibril, der sich bis dahin in der libyschen Regierung als Leiter des Ausschusses für wirtschaftliche Entwicklung um einen radikalen Privatisierungskurs bemüht hatte. Zuvor hatte er lange Zeit an US-amerikanischen Universitäten wirtschaftspolitische Planung gelehrt und war erst 2005 nach Libyen zurückgekehrt. Den von WikiLeaks veröffentlichten Botschaftsdepeschen zufolge stand er auch als Regierungsmitglied in vertrautem Kontakt zur US-Regierung und drängte sie zu einem stärkeren wirtschaftlichem Engagement und kritisierte die Weltmacht dafür, dass sie im Nahen Osten ihre „Softpower“, d.h. ihre von McDonald's bis Hollywood reichenden wirtschaftlichen und kulturellen Trümpfe nicht stärker ausgespielt habe. (5)

Dschibril ist zusammen mit dem früheren libyschen Wirtschaftsminister Ali Al-Issawi vor allem für die enge Zusammenarbeit mit der Kriegsallianz zuständig. Al-Issawi verlor das für die Privatisierung zuständige Ressort im Streit um das Tempo der Reformen, die er, wie Dschibril, gerne radikaler gestaltet hätte. Ebenso eng verbunden mit Washington und ausgewiesen neoliberal ist der „Finanzminister“ in der Gegenregierung, Ali Tarhouni. Auch er lebte den größten Teil seines Lebens in den USA und lehrte noch bis März des Jahres an der University of Washington Wirtschaft und Finanzwesen. Er ist verheiratet mit einer Anwältin, die im US-Justizministerium arbeitet.

Eine wichtige Rolle spielt als Chef, des unter der alten Flagge der Monarchie agierenden Übergangsrates, auch der ehemalige Justizminister Mustafa Mohammed Abdul Dschalil (auch al-Dschelail oder Jalil geschrieben). Er hat sein Amt am 21. Februar 2011 niedergelegt, stand vermutlich aber schon länger mit den Kreisen in Verbindung, die den Aufstand planten. (6)

Zum Militärchef avancierte, in Abstimmung mit der Westallianz, Abdulfattah Junis, bis dahin Innenminister und Kommandeur der libyschen Sondereinheiten. Er soll vor allem enge Verbindungen zur britischen Regierung haben. Als „Generalstabschef“ ist er nun zuständig für die Kontakte mit der Militärführung der westlichen Allianz.

Zum Kreis der Abtrünnigen gehört auch Generalstaatsanwalt Abdul-Rahman al-Abbar, der kurz nach Junis zu den Rebellen überlief. Somit stehen nun die drei wichtigsten bisherigen Verantwortlichen für die staatliche Repression an der Spitze dessen, was im Westen als demokratische Opposition angesehen wird.

Die drei, die schon beruflich eng verbunden waren, traf die Entwicklung offenbar nicht unvorbereitet. Junis hat den Ausbruch der Unruhen vermutlich in seiner Funktion als Innenminister noch gefördert. Nach Angaben eines hochrangigen Polizisten hatten die Sicherheitskräfte bereits am 17. Februar den Befehl vom Hauptquartier in Tripolis erhalten, die Polizeistationen zu verlassen. „Wir wurden aufgefordert, unsere Uniformen auszuziehen und nach Hause zu gehen.“(7)

Dschalil und Junis sind zudem beide Mitglieder des mächtigen Haribi-Stammesverbandes in Ostlibyen, der immer wieder im Clinch mit Gaddafi, der Zentralregierung und den Stämmen im Westen stand. Auch ein großer Teil der übrigen Mitglieder des Übergangsrates sind Angehörige eines der Haribi-Stämme.(8) Mit Ahmed al-Senussi ist zudem auch ein Angehöriger des einstigen Königshauses im Führungszirkel der Aufständischen vertreten. (9)

Schließlich spielt im Hintergrund noch der frühere Chef der Zentralbank Farhat Omar Bengdara eine entscheidende Rolle. Auch er kommt aus Bengasi und war vermutlich in die Umsturzpläne eingeweiht. Der wirtschaftsliberale Banker, der wegen seines „Nebenjobs“ als Vizepräsident der italienischen Großbank UniCredit sehr oft in Mailand weilte, hatte sich zu Beginn des Aufstands ins Ausland abgesetzt. Wochenlang war unklar, wo er sich aufhält und auf welcher Seite er steht,(10) bis er sich am 8. März aus Istanbul bei der Financial Times meldete. Wie er dem Blatt später in einem Interview mitteilte, hatte er in dieser Zeit seine Position genutzt, um die Versuche seiner Regierung, libysche Kapitalanlagen aus Europa und den USA abzuziehen, solange zu blockieren, bis UN-Sanktionen deren Einfrieren ermöglichten. Dadurch, und weil er genaue Hinweise geben konnte, wo überall libysches Kapital steckt, sind die Sanktionen so erfolgreich. 95 Prozent des gesamten libyschen Auslandsvermögen, insgesamt 130 Milliarden Dollar, konnten, so Bengdara, auf diese Weise festgesetzt werden. Diese Sanktionen würden Tripolis mehr treffen als alles andere. (11)

Als Vizepräsident von UniCredit, der zweitgrößten Bank Europas, hatte Bengdara sicherlich nicht nur zur italienischen Geschäftswelt enge Kontakte, sondern auch zu Berlusconis Regierung. Die Zusammenarbeit mit einer solchen Person, dürfte erheblich dazu beigetragen haben, die italienische Regierung zu überzeugen, trotz der engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit Libyen an der Seite der Aufständischen in den Krieg zu ziehen.

Auch nach seinem Abgang von der Zentralbank behielt es seinen Posten bei UniCredt. Nun arbeitet er für die Bank an den Plänen zum Aufbau eines neuen Banksystems in der Rebellenhauptstadt Bengasi und nutzte seine Position für seine Bemühungen, das eingefrorene libysche Vermögen dem Rat der Aufständischen zukommen zu lassen.(12)

„Nationaler Übergangsrat“ ohne Legitimation
Der nach Beginn des Aufstands ins Leben gerufene Nationalen Übergangsrat wurde, so heißt es von Ad-hoc-Räten der „befreiten Städte“ im Osten im Schnellverfahren bestimmt. Die namentlich bekannten Mitglieder des 31-köpfigen Rates kommen, so sie überhaupt in Libyen wohnen, aus vier Städten bzw. Regionen im Osten – Bengasi, Derna, al-Butnan und al-Quba. Die anderen, deren Namen sie zu ihrem Schutz geheim halten, sollen nach eigenen Angaben sieben weitere Städte repräsentieren –  drei im Osten und vier im äußersten Westen, nahe der tunesischen Grenze. Tripolis, Zentral und Südlibyen werden nicht mal genannt. (13)

Fraglich ist auch ob der Übergangsrat und die militärische Führung in Bengasi überhaupt Einfluss auf das Geschehen in den anderen, von Aufständischen kontrollierten Städten haben. Hier haben die lokalen Räte das Heft in der Hand. Die libysche Gesellschaft ist stark stammesbezogen und schon daher sehr widerspenstig gegen entfernte, zentrale Autoritäten. Auch das politische System der „Jamahiriya“, der „Herrschaft der Massen“ durch eine direkte Demokratie über die lokalen „Basisvolkskongress“ hat eher eine dezentrale Selbstverwaltung als eine echte nationale Administration gefördert, so der private texanische Informationsdienst Stratfor. „Ironischer weise war es dieses Erbe von Gaddafis Regime, das den einzelnen östlichen Städten half, rasch lokale Komitees zu bilden und die Verwaltung ihres jeweiligen Gebietes zu übernahmen. Aber es wird Schwierigkeiten schaffen, sollten sie versuchen, wirklich zusammenzukommen. Die Rhetorik ist weit entfernt von einer handfesten Demonstration der Einheit.“ (14)

Kriegsallianz – fest an der Seite von Despoten
Die NATO-Mächte, die mit ihren Bomben auf Libyens Städte angeblich die Zivilbevölkerung schützen wollen, unterstützten 2006 den Krieg Israels gegen den Libanon und verhinderten Anfang 2009 ein Einschreiten der UNO gegen die mörderischen Angriffe Israels auf den Gazastreifen. SPD und Grüne fordern vehement ein militärisches Eingreifen zum Schutz der libyschen Bevölkerung, lassen aber zu, dass NATO-Truppen am Hindukusch Woche für Woche Dutzende Menschen töten. Zur selben Zeit, als die UN-Resolution 1973 verabschiedet wurde, brachte ein US-amerikanischer Drohnenangriff auf eine Stammesversammlung in Pakistan über 40 Menschen den Tod.

Eine solche Allianz führt mit Sicherheit keinen Krieg zur Unterstützung einer demokratischen Revolution. Es handelt sich viel eher um eine Konterrevolution – durch Rückendeckung für die arabischen Verbündeten bei der Niederschlagung der Proteste zu Hause und den Versuch, in Libyen jenen Kräften zur Macht zu verhelfen, mit denen eine ähnliche gedeihliche Zusammenarbeit möglich wird.

 

Anmerkungen
1) "Den Demonstranten geht es nicht um Demokratie", Interview mit Gabriele Riedle, Redakteurin des Magazin Geo, Berliner Zeitung, 21.02.2011

2) Gunnar Heinsohn, Da schweigt Gaddafi – Wer sind die Aufständischen, F.A.Z. 22.3.2011. Siehe auch African migrants targeted in Libya, Al Jazeera, 28.02.2011 und Wolfgang Weber, Libysche Rebellen massakrieren Schwarzafrikaner, WSWS, 31.3.2011

3) Rainer Rupp, Gut vernetzt - Der Mann Washingtons für Libyen, jW 09.03.2011

4) Tomas Avenarius, Rebellen ohne Regierung, SZ, 28.03.2011

5) Andreas Buro und Clemens Ronnefeldt a.a.O.

6) Knut Mellenthin, Offen und kooperativ – Die »Revolutionäre«, denen der Westen vertraut, jW, 01.04.2011, Prof. Peter Dale Scott, Who are the Libyan Freedom Fighters and Their Patrons? The Asia-Pacific Journal Vol 9, Issue 13 No 3, 28.3.2011.

7) Amira El Ahl, Sie feiern schon ihr neues Libyen, Welt am Sonntag, 27.2.2011

8) [19] Webster G. Tarpley, The CIA’s Libya Rebels: The Same Terrorists who Killed US, NATO Troops in Iraq, 24.3.2011

9) [20] Key figures in Libya's rebel council, BBC News, 28.3.2011

10) Libyens undurchschaubarer Schatzmeister, Basler Zeitung, 9.3.2011

11) Libyan cash may be hidden in desert, Financial Times,

12) S. Joachim Guilliard, Farhat Bengdara – ein Kollaborateur im Hintergrund betreibt die Umleitung libyschen Vermögens, Nachgetragen, 28.5.2011

13) Siehe Homepage des Transitional National Council: http://ntclibya.org/english/council-members/

14) Libya's Opposition Leadership Comes into Focus, Stratfor, 20.3.2011

Dieser Beitrag wurde von der Redaktion gekürzt. Eine erste, kürzere Version des ganzen Textes erschien in Heft 2/2011 der Zeitschrift „Hintergrund“ – www.hintergrund.de. Eine aktualisierte und schon etwas längere Fassung ist im Libyen-Reader des Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg enthalten.

Bei dem Artikel handelt sich um Auszüge aus einem längeren Artikel, der auf  http://jghd.twoday.net/STORIES/krieg-gegen-libyen-und-rekolonialisierung... zu finden ist. Publiziert mit Erlaubnis des Autors.

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Joachim Guillard ist im Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg aktiv. Er ist Verfasser zahlreicher Fachartikel zum Thema Irak und Mitherausgeber bzw. Koautor mehrerer Bücher.