Militärseelsorge

Die Militärseelsorge und andere Formen der kirchlich-militärischen Zusammenarbeit

von Rainer Schmid
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Kirche hat mit Frieden zu tun, könnte man meinen. Aber wer genauer hinschaut, erkennt, dass die großen Kirchen zweigleisig fahren: Frieden schaffen ohne Waffen, aber notfalls auch mit Waffen.

Im Jahr 2019 erschienen zwei Bücher von hochrangigen Militärgeistlichen: das Buch „Schwerter und Pflugscharen“ von Militärdekan Hartwig von Schubert und das Buch von Militärbischof Sigurd Rink: „Können Kriege gerecht sein?“ Beide Geistlichen kommen zu demselben Ergebnis. Militärische Mittel seien zwar grundsätzlich schlecht, und wer militärische Gewalt anwende, werde schuldig, aber manchmal müsse man diese Schuld dennoch auf sich nehmen und zur Waffe greifen, zum Beispiel um einen Genozid zu verhindern.

Diese grundsätzliche Entscheidung „im Notfall“ doch Militär einzusetzen, hat weitreichende Folgen. Man muss dann grundsätzlich auch das Militär, die Rüstungsindustrie und auch die kirchlich-militärische Zusammenarbeit befürworten.

Ein wichtiger Bereich der kirchlich-militärischen Zusammenarbeit ist die Militärseelsorge. Die etwa 200 Militärgeistlichen sind Bundesbeamte auf Zeit, viele auch auf Lebenszeit. Sie werden von der Bundeswehr bezahlt und organisiert. Sie nutzen Fahrzeuge der Bundeswehr, ihre Büros sind in Gebäuden der Bundeswehr und sie tragen im Auslandseinsatz militärische Kleidung. Militärpfarrer halten Gottesdienste in Feldlagern in Mali und Afghanistan. Sie führen Soldaten-Wallfahrten und Freizeiten für Soldatenfamilien durch. Auf diese Weise sind Militärpfarrer funktionierende Rädchen der Militärmaschine, Teil der „Inneren Führung“ und so etwas wie der „institutionalisierte Segen“ für die Truppe.

In Verträgen zwischen den Kirchen und der Bundeswehr wurde vereinbart, dass der Staat den organisatorischen und finanziellen Rahmen liefert, aber die Kirchen den Inhalt bestimmen. Aber die Erfahrung zeigt: Der Rahmen färbt erheblich auf den Inhalt ab, entsprechend der Volksweisheit „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“ Oder auch: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“

Das Gegenmodell gab es in der DDR. Die Kirchen organisierten die Soldatenseelsorge selbst, auf eigene Rechnung und eigene Verantwortung – und mit guten Ergebnissen. Dennoch entschied sich die Kirche nach der Wende für das bequemere West-Modell. Deshalb besteht nun ein Reformbedarf.

Neben der Militärseelsorge gibt es weitere Bereiche der kirchlich-militärischen Zusammenarbeit: die etwa 100 Militärkonzerte in Kirchen pro Jahr sowie die Militärgottesdienste auf Kirchen- und Katholikentagen. Außerdem fehlt weiterhin eine offizielle Empfehlung der großen Kirchen an ihre Mitglieder, nicht beim Militär und nicht in der Rüstungsindustrie zu arbeiten. Und warum protestieren die Kirchen nicht gegen das Kreuz auf Panzern, Kriegsschiffen und Militärflugzeugen?

In den vergangenen 1.707 Jahren entwickelte die Kirche viel Übung darin, alle Bibelstellen so zu relativieren, dass sie mit dem Militär zusammenpassen. Das reicht bis zur „Friedensdenkschrift“ der EKD 2007. Dort sind sieben Prüfkriterien aufgelistet, die erfüllt sein müssen, bevor militärische Mittel angewendet werden dürfen. Diese Kriterien entsprechen fast wörtlich der antiken Lehre vom gerechten Krieg.

Derzeit gehen die Mitgliederzahlen der Kirchen zurück. Darin könnte auch eine Chance liegen. Die Kirche könnte sich in dieser Situation auf ihre Wurzeln und ihre Quelle besinnen. Die Kirche könnte sich wieder mehr an Jesus Christus orientieren. Er hat das nahe Reich Gottes gepredigt und gelebt.

Das Reich Gottes beginnt überall, wo Menschen miteinander teilen und einander helfen. Das Reich Gottes beginnt, wo Menschen empathisch handeln und sich für den gewaltfreien Weg entscheiden. Deshalb hat Jesus Christus nie zur Waffe gegriffen. Er hat seinen NachfolgerInnen davon abgeraten, zur Waffe zu greifen: Selig sind, die Frieden stiften, die Barmherzigen, die Sanftmütigen, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Die ersten Christen – 10 bis 15 Generationen – verstanden diese Botschaft. Ein Mensch muss sich entscheiden: Entweder er folgt dem gewaltfreien Lamm Gottes oder dem gewalttätigen Raubtier in Rom.

Ausgerechnet Christen trauen Christus oft wenig Intelligenz zu. Der gewaltfreie Weg, den er gelehrt hat, ist intelligenter, vernünftiger und nachhaltiger als der militärische Weg. Mit der Bergpredigt lässt sich gute Politik machen!

Mein Wunsch an die kirchliche Friedensbewegung: Unsere Kritik sollte sich nicht nur nach außen richten, nicht gegen die Politik und Wirtschaft, sondern wir sollten auch unsere eigene Organisation in den Blick nehmen: In welcher Weise unterstützt unsere Kirche noch immer das Militär, die Rüstung und den Krieg?

Literatur:
„Die Seelen rüsten“ und „Im Sold der Schlächter“ Beide Bücher hg. von Rainer Schmid, Thomas Nauerth, Peter Bürger und Matthias-W. Engelke, edition pace 2019
Victoria Kropp „Mit kirchlichem Segen in den Krieg? Die Militärseelsorge in der Bundeswehr“ IMI-Studie 2018
www.militaerseelsorge-abschaffen.de
www.oekum-institut-friedenstheologie.de

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