Die Militarisierung der Europäischen Union

von Martin Singe
Schwerpunkt
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Die jüngste Versammlung der NATO-Verteidigungsminister hat deutlich gemacht, dass die EU weiterhin bestrebt ist, ihre eigene Schnelle Einsatztruppe bis 2007 stehen zu haben, mit zugehörigem Brüsseler Hauptquartier, was den USA Sorgen bereitet. Entsprechend abweisend reagierte Rumsfeld in Brüssel auf die EU-Planungen. Die Hintergründe des Konflikts und die Entwicklung hin zu einer eigenen EU-Militärstrategie, die vor allem in den letzten Jahren heftig forciert worden ist, sollen im folgenden aufgezeigt werden.

"Wenn es stimmt, dass die Welt ein Dschungel ist, dann sollten wir sicherstellen, dass Europa zu den Tigern gehört - und nicht zu den Affen." - so räsonierte gemäß Süddeutscher Zeitung vom 21. Mai 2003 ein hochrangiger Beamter von Javier Solana. Solana ist seit der erste amtierende sogenannte Mr. GASP, also der sichtbare Repräsentant einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik.

Die heute angepeilte gemeinsame Verteidigungspolitik der EU ist Ergebnis eines langen Weges. Bereits 1948 unterzeichneten Frankreich, GB und die Benelux-Staaten ein gegen die Sowjetunion gerichtetes Abkommen zur gemeinsamen Verteidigung. 1950 präsentierte die frz. Regierung ein Projekt zu einer Europ. Verteidigungsgemeinschaft (EVG), das bis 1954 zur Ratifizierungsreife vorangetrieben worden war. Die Ratifizierung unterblieb dann jedoch nach Intervention von de Gaulle 1954. Wesentlicher Grund war der 1949 unterzeichnete NATO-Vertrag und die Entwicklung der NATO zu einem funktionierenden westlichen Verteidigungsbündnis.

Die europäische Zusammenarbeit entwickelte sich bis zum Ende des Ost-West-Konfliktes wesentlich unbehelligt und im Schatten des Dauer-Konfliktes zwischen NATO und WVO. Die Priorität der europäischen Zusammenarbeit war der Verwirklichung einer intensiveren wirtschaftlichen Zusammenarbeit bzw. der Herstellung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes gewidmet. Angesichts der Einbindung der meisten EU-Staaten in die NATO stellten sich bis dahin keine eigenständigen sicherheitspolitischen Fragen, die nicht über die NATO beantwortet hätten werden können.

Diese Situation änderte sich 1990 durch den Zusammenbruch des östlichen Machtblocks. Mit dem 2. Golfkrieg von 1991 und der Verkündung der neuen Weltordnung durch George Bush d.Ä. waren schnell alle Hoffnungen auf Friedensdividenden oder ähnliches verflogen. Die NATO beschloss bereits ein halbes Jahr nach dem 2. Golfkrieg eine neue Interventions-Strategie, die auf weltweite Interessendurchsetzung gerichtet war. Mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 wurde die neue NATO-Strategie bundesrepublikanisch umgesetzt. Die europäischen Staaten begannen, über eine eigenständige militärische Rolle in Bezogenheit aber auch in Abgrenzung zur NATO nachzudenken.

Eine erste Markierung eigenständiger europäischer Verteidigungspolitik wurde 1992 mit dem Maastrichter Vertrag gesetzt. Erste Maßnahmen sicherheitspolitischer Integration und Kooperation wurden hier mit der Forderung und Formulierung einer "GASP" durch die Unionsstaaten eingeleitet. Bereits in Maastricht wurde darauf verwiesen, dass diese beginnende militärische Zusammenarbeit schließlich in einer auch formal gemeinsamen Verteidigungsgemeinschaft münden könne. Ebenfalls 1992 wurden von der WEU die in der sogenannten Petersberger Erklärung zusammengefassten neuen sicherheitspolitischen Aufgaben definiert. Die WEU wurde als verteidigungspolitisches Instrument zum integralen Bestandteil der EU erklärt und sollte schließlich in diese hinein aufgelöst werden.

1997 definiert der Amsterdamer Vertrage die verteidigungspolitischen Aufgaben der Union unter dem Titel "Petersberger Aufgaben". Zu diesen gehören neben Evakuierungs- und friedenserhaltenden Maßnahmen auch der Kriseneinsatz von Kampftruppen zur so genannten Friedenswiederherstellung bzw. Friedenserzwingung. Damit hatte sich die EU erstmals als global militärisch engagierter Akteur auf der Weltbühne gemeldet.

1998 forderten Frankreich und Großbritannien gemeinsam auf dem Gipfel in Saint Malo die Unionsmitglieder auf, Mittel für eine gemeinsame Streitmacht bereitzustellen und auf die Etablierung einer eigenständigen und glaubwürdigen europäischen Krisenreaktions-Streitkräfte hinzuwirken. Diese Forderungen mündeten dann im Beschluss des Europäischen Rates 1999 (Helsinki), eine gemeinsame europäische Streitmacht von rund 60.000 Soldaten bis 2003 zur Wahrnehmung der sogenannten Petersberg-Aufgaben aufzustellen. Diese Truppe sollte noch keine neu aufzustellende gemeinsame EU-Truppe werden, sondern sich aus festzulegenden nationalen Kontingenten zusammensetzen. Durch die Anforderungen und Zielsetzungen dieser Truppe, zum Kriseneinsatz in aller Welt jederzeit einsatzfähig zu sein, stellen sich an die Kontingente hohe Anforderungen. Binnen 60 Tagen soll die Truppe jederzeit an jeden Ort der Welt verlegbar sein. Die jeweilige Einsatzzeit soll bis zu einem halben Jahr betragen, was bei einem halbjährlichen Wechsel von Vorbereitung, Einsatz, Verschnaufpause das dreifache Potential an Truppenbereitstellung erfordert, also rund 180.000-200.000 Mann. Die Planung und Aufstellung dieser europäischen Elite-Einheit bildet das Kernelement der europäischen Militarisierung.

Dass die EU-Militarisierung vor allem in den USA auf Befremden stößt, ist nicht verwunderlich. Einerseits mahnen die USA ständig im Kontext der Debatten um burden-sharing höhere Beiträge der Europäer für die NATO-Militärausgaben an. Andererseits fürchten die USA den Aufbau eigenständiger europäischer Militärstrukturen, die gegebenenfalls nicht den US-Interessen gemäß zum Einsatz gebracht werden könnten oder auch konkurrierende wirtschaftspolitische Interessen der EU einseitig absichern helfen könnten. Deshalb gibt es ein ständiges Gerangel um die Möglichkeiten der Nutzung von NATO-Kapazitäten - vor allem auch logistischer Art - für EU-eigene Militäraktionen. Einen Affront besonderer Art starteten die USA mit der auf dem Prager NATO-Gipfel im November 2002 erhobenen Forderung nach dem Aufbau einer "NATO Response Force (NRF)", die 21.000 Mann umfassen soll und vor allem für entry-Einsätze ab Ende 2004 zur Verfügung stehen soll. Es geht also bei dieser Truppe, die vorwiegend europäische Staaten stellen sollen - deshalb nicht nur scherzhaft "Fremdenlegion des Pentagon" genannt - genau wie bei der geplanten Rapid Response Force (RRF) der EU um hochqualifizierte Soldaten und entsprechende Ausrüstungen. Die EU versichert formelhaft, dass ihre geplante Eingreiftruppe der NRF nicht entgegenstehe. Trotzdem bleibt die Frage, wie denn die Aufstellung beider Truppen gleichzeitig gewährleistet werden soll, wo die EU schon mit ihren eigenen selbst gesetzten Anforderungen nicht zurechtzukommen scheint.

Neben geeigneten und schnell verlegbaren Eingreiftruppen ermangelt es den Europäern vor allem an satellitengestützten logistischen Aufklärungsmöglichkeiten und an Transportkapazitäten für militärische Großgeräte und Truppen. Mit dem Beschluss zur Aufstellung der 60.000-Mann Truppe und entsprechenden Ausrüstungen soll diesen Mängeln abgeholfen werden. Vor allem zwei weitere Projekte sind inzwischen auf den Weg gebracht: der Aufbau des europäischen Satellitensystems Galileo soll - trotz vielfach geäußerter technischer Zweifel - eine eigenständige europäische Aufklärungslogistik ermöglichen und die Truppenführung im Feld erleichtern helfen. Bis zur geplanten Inbetriebnahme von Galileo im Jahr 2008 bleibt Europa jedoch auf die USA bzw. die NATO-Fähigkeiten in diesem Bereich angewiesen. Außerdem werden Großraumflugzeuge vom Typ Airbus 400 M (A400M) gebaut, die die Verlegbarkeit der Euro-Truppe samt Gerätschaften gewährleisten sollen. Allerdings stehen diese erst Ende dieses Jahrzehnts zur Verfügung. Bis dahin sind die Europäer auf die Anmietung russischer oder amerikanischer Transporter angewiesen

Nicht zuletzt der Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien zwischen März und Juni 1999 hatte den europäischen Beteiligten drastisch vor Augen geführt, dass sie unabhängig von den USA militärisch und damit machtpolitisch keine große Karte spielen können. Auch der Irak-Krieg von 2003 musste zur Legitimierung der EU-Aufrüstung herhalten. Wer machtstrategisch Gewicht in die Waagschale globalpolitischer Entscheidungsfindung werfen will, muss eigenständige militärische Optionen bereithalten können - so die Schrödersche Nach-Irakkriegs-Philosophie. Es war also kein Zufall, dass gerade die Irak-Kriegsgegner aus der EU zu Vorreitern der forcierten Militarisierung der EU wurden und mit dem sogenannten Pralinengipfel in Brüssel am 29./30.4.2003 neue Maßstäbe setzten. Dieser umstrittene Vierer-Gipfel - besetzt mit den sich als EU-Vorreitern sehenden Staaten Frankreich, Belgien, Großherzogtum Luxemburg und der Bundesrepublik Deutschland - hat wegweisende Beschlüsse in Sachen Militarisierung gefasst:
 

  •  Eine eigenständige europäische schnelle Reaktionsfähigkeit soll geschaffen werden. Den Kern dieser so genannten "Initial-Entry-Fähigkeit" soll die dt.-frz. Brigade, in die belgische und luxemburgische Kräfte integriert werden sollen, bilden.
     
  •  Ein europäisches Lufttransportkommando soll bis Juni 2004 errichtet werden, das künftig die europäischen Transportkapazitäten koordinieren soll.
     
  •  Eine Kernstelle für kollektive Fähigkeiten zur Planung und Führung von EU-Militäreinsätzen unabhängig von NATO-Strukturen soll eingerichtet werden, allerdings in enger Verbindung zum NATO-Hauptquartier und zu den entsprechenden nationalen Stellen.
     
  •  Ein multinationales verlegbares Kommando zur Führung von teilstreitekräfte-gemeinsamen Operationen soll bis 2004 geschaffen werden.
     

 

EU-Verfassungsentwurf
Im Juli 2003 wurde der Entwurf eines Vertrages für eine Verfassung für Europa veröffentlicht, in dem weitergehendere Aussagen zur geplanten gemeinsamen Verteidigungs- bzw. Militärpolitik gemacht werden. Die "Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik" (GSVP) wird als integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen und Sicherheitspolitik (GASP) definiert. Mögliche Militäraktionen werden an die UN-Charta gebunden - was jedoch auf dem Hintergrund der Militäreinsätze der letzten Jahre relativ belanglos wirkt. Der Jugoslawienkrieg der NATO fand ohne UN-Mandat statt. Der Irak-Krieg wurde ohne jegliches Mandat völkerrechtswidrig von einer Koalition der Willigen geführt. Die angeblichen Kriegsgegner haben bis heute in keiner Weise die Völkerrechtswidrigkeit dieses Krieges im UN-Kontext angemahnt, was dringend notwendig wäre, soll sich nicht neues "Gewohnheitsvölkerrecht" herausbilden, mit dem Kriege dieser Art legitimiert wären. Im Verfassungsentwurf ist die Rede von einer schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union: "Diese führt zu einer gemeinsamen Verteidigung, sobald der Europäische Rat einstimmig darüber beschlossen hat." Mehrfach wird die Kompatibilität dieser europäischen Verteidigungspolitik mit der NATO-Politik beschworen.

Beschlüsse für EU-Militäreinsätze sollen vom Ministerrat einstimmig auf Vorschlag des Außenministers der Union oder eines Mitgliedstaates erlassen werden. Der Ministerrat kann auch eine ausgewählte Gruppe von (willigen) EU-Staaten mit der Durchführung einer Kriegsmaßnahme beauftragen. Des weiteren können Mitgliedstaaten, "die anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen" eine eigenständige strukturierte Zusammenarbeit innerhalb des Bündnisses begründen. Hier zeichnet sich sozusagen das militärische Kerneuropa ab. Die EU-Staaten, die eine solche gemeinsame strukturierte Zusammenarbeit und im Hinblick auf "Missionen mit höchsten Anforderungen" untereinander festere Verpflichtungen eingehen, entscheiden auch darüber, ob eine Beteiligung von Staaten, die zu einem späteren Zeitpunkt wünschen, sich in diesen Kern-Club integrieren zu wollen, zugelassen werden. Der Ministerrat der EU kann diese EU-Kern-Militärmacht mit der Durchführung militärischer Aufgaben betrauen.

Im Vertragskapitel über die "verstärkte Zusammenarbeit" wird geregelt, dass ein Teil der EU-Staaten, der eine engere militärische Zusammenarbeit anstrebt, alle Organe der Union benutzen darf. Voraussetzung für diese verstärkte Zusammenarbeit ist, dass die Union als ganze die angestrebten Ziele nicht in angemessenem Zeitraum erreichen kann und dass sich mindestens ein Drittel der Mitgliedsstaaten an dieser engeren Kooperation beteiligen wollen. Im Ministerrat haben nur die sich gegenseitig zu dieser verstärkten Zusammenarbeit verpflichteten Staaten Stimmrecht, das nach dem Modus der qualifizierten Mehrheit wahrgenommen wird. Als qualifizierte Mehrheit gilt die Mehrheit der Stimmen der beteiligten Staaten, sofern diese mindestens 3/5 der Bevölkerung der EU-Staaten repräsentieren. Dieses Abstimmungsprinzip gilt generell für sicherheitspolitische Entscheidungen in der Union gemäß des neuen Vertragsentwurfes, während in früheren Verträgen pro Staat eine Stimme zählte. Dieses ältere Nizza-Prinzip (Vertrag von 2000) kommt natürlich eher den kleineren Staaten entgegen, die sich seit dem Gipfel von Rom (Oktober 2003) gegen die neu eingeführte 3/5-Klausel zur Wehr setzten.

Insgesamt also ist ein sehr abgestuftes System der militärischen Integration vorgesehen, sozusagen vom militärischen Kerneuropa ("strukturierte Zusammenarbeit") über Möglichkeiten engerer Kooperationen ("verstärkte Zusammenarbeit") der militärisch Stärkeren bis hin zu Aufgaben, die der Gesamtunion zugeschrieben werden. Militärische Vorreiter in der EU können nach diesen Bestimmungen ungehemmt voranreiten, wenn es ihre Interessen gebietet.

Der Verfassungsentwurf schreibt auch eine engere Zusammenarbeit für den Bereich der gegenseitigen Verteidigung vor. Die EU wird damit auch zu einem neuen Verteidigungsbündnis, indem gegenseitige militärische Hilfestellung im Falle eines Angriffs vertraglich festgelegt wird. Über die gemeinsame Verteidigung hinaus wird in einer Solidaritätsklausel festgehalten, gegenseitige militärische Unterstützung im Falle von Terrorangriffen oder terroristischer Bedrohungen zu gewährleisten. Sämtliche der Union zur Verfügung stehende militärische Mittel können in diesem Fall zum Einsatz kommen.

Im gesamten Bereich der GSVP der EU spielt das Europäische Parlament übrigens keine Rolle. Die Aufgabenzuschreibung erschöpft sich in dieser Hinsicht dahingehend, dass das EP "regelmäßig gehört" und über die Entwicklung der wichtigsten Aspekte und Weichenstellungen "auf dem laufenden gehalten wird". Das ist symptomatisch für das Demokratieverständnis in der Union, das ja von Anfang an ausgehebelt war. Wie man so sagte: Exekutiv-Organe setzen sich in den europäischen Hauptstädten in Flugzeuge und mutieren in Brüssel beim Ausstieg zu Legislativ-Organen. So kommt auch im sicherheitspolitischen Bereich die Geringschätzung des EP deutlich zum Ausdruck. Man lasse sich nur mal einen Satz aus der Verfassung zum Thema "Grundsatz der repräsentativen Demokratie" (Art. 45) auf der Zunge zergehen: "Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen. Die Entscheidungen werden so offen und so bürgernah wie möglich getroffen." Ein Kommentar erübrigt sich wohl.

Weiterhin wird im Verfassungsvertrag festgeschrieben, dass sich alle Mitgliedstaaten verpflichten, "ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern." Für diesen Zweck wird ein "Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten" eingerichtet, das dem Ministerrat unterstellt ist und dessen Aufgabe es ist, den operativen Bedarf zu ermitteln und Maßnahmen zur Bedarfsdeckung zu fördern, zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Grundlage des Verteidigungssektors beizutragen". Ein vertragsfähiger Zwischenschritt wurde im Juli 2000 in Farnborough (GB) getätigt. Hier wurden die Weichen in Richtung Umstrukturierung der nationalen Rüstungsindustrien hin zu einer gemeinsamen europäischen Rüstungsindustrie gestellt. Das Vertragswerk sieht in der Zielperspektive zugleich die Erleichterung von Rüstungsexporten vor.

Während der Vertragsentwurf über eine europäische Verfassung im Konsensverfahren in Sitzungen am 13.6 und 10.7.2003 angenommen wurde, tagte der Europäische Rat in Thessaloniki am 20.6.2003, wo erstmals in der EU-Geschichte eine eigene europäische Sicherheitsstrategie - von Javier Solana - vorgelegt wurde. In gewisser Weise bildet diese Strategie eine Antwort auf die von den USA im Herbst 2002 vorgelegte Nationale Sicherheitsstrategie, in der dem Präventivkrieg pauschal das Wort geredet wird. Kernthema der Europäischen Sicherheitsstrategie sind in Parallelität zur US-Strategie die Themen bzw. Bedrohungsfaktoren Terrorismus, Proliferation, "gescheiterte Staaten" und organisierte Kriminalität. Europa definiert auch seinen sicherheitspolitischen Auftrag von vornherein in Richtung "out-of-area", d.h., dass die "erste Verteidigungslinie oftmals im (europäischen) Ausland liegen" werde. Obwohl eine Bindung an die UN-Charta formuliert wird, fordert die Strategie auch für Europa die Bereitschaft, "vor dem Ausbrechen einer Krise zu handeln".

Diesem neuen Strategiepapier entspricht der Beschluss der EU-Außenminister vom 16.6.03 (Luxemburg), notfalls mit militärischen Mitteln gegen Proliferations-Staaten vorzugehen. Die Verbreitung von ABC-Waffen soll mit allen, notfalls eben militärischen Mitteln unterbunden werden. "Die 15 EU-Nationen" - schreibt die SZ am 17.6.03 - "sind künftig gegenüber Staaten, die sich entgegen internationaler Verträge an der Verbreitung von ABC-Waffen beteiligen, zum Einsatz militärischer Gewalt bereit. Diese Drohung mit Krieg ´als letztem Mittel` ist Teil einer neuen Strategie, die Europas Außenminister am Montag in Luxemburg verabschiedeten."

Im Kern geht es bei der EU-Militarisierung um eine mit den USA konkurrierende Einrichtung von kriegerischen Möglichkeiten zur Absicherung eigener wirtschaftspolitischer oder globalstrategischer Interessen. Es bleibt festzuhalten, dass die forciert betriebene Aufrüstung der EU friedenspolitisch kontraproduktiv ist. Sie bildet keine Alternative in Richtung des notwendigen Ausbaus von Potentialen ziviler Konfliktlösungsmechanismen. Es ist der Weg in eine aus friedenspolitischer Sicht verheerende Richtung. Zu der "übriggebliebenen" Supermacht USA soll sich künftig eine neue Militär-Supermacht EU gesellen.

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".