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Ausbruch aus den Denkgefängnissen
Die mühsame Neuorientierung der Friedensforschung
vonEine volle Breitseite gegen die Hoffnungen des jüngsten Epochenbruchs auf das Ende alles Militärischen hat Bundesverteidigungsminister Stoltenberg mit dem Ende Januar im Parlament vorgelegten Grundlagenpapier der Bundesregierung zur "Neugestaltung der Bundeswehr" abgefeuert. Unter dem Tarnbegriff "Stabilitätssicherung" hat Stoltenberg dort eine umstrittene, weltweit brodelnde Risikosuppe aus ökologischen, ökonomischen und militärischen Bedrohungen zusammenrühren lassen, die die "starke Truppe" zum jetzt noch verfassungswidrigen globalen Einsatz außerhalb der NATO abkommandieren und sie im Falle innerer Unruhen zur potentiellen Staatsstreichstruppe umwandeln soll. "Die Bundeswehr wird zum Sicherheitsrisiko" warnte die katholische Friedensbewegung Pax Christi umgehend.
Die wissenschaftlichen Gegenexperten der Mobilmachung, das kleine Häufchen der Friedens- und Konfliktforscher dagegen ist nicht gut zu Fuß. Tief sitzt die Orientierungskrise der jungen interdisziplinären Forschungsrichtung zwischen Antimilitarismus und angepaßter Politikberatung. Die Geschichte der Friedensforschung ist ein Paradebeispiel dafür, wie Sozialwissenschaften durch staatliche Implementierung der gesellschaftskritische Stachel gezogen wird.
Die Kritik an der "organisierten Friedlosigkeit" von Militär- und Abschreckung hatte eigentlich Pate bei ihrer Gründung gestanden. Doch große Teile der von den Sozialdemokraten 1969 bereitwillig zur wissenschaftlichen Abstützung ihrer Entspannungspolitik etablierten Friedensforschungsinstitute integrierten das Ziel staatsfixierter Rüstungskontrolle und Krisenmanagement unter parteipolitischem Druck allzu bereitwillig im eigenen Kopf.
Die ursprünglichen Ziele friedensforscherlicher Abschreckungs- und Herrschaftskritik schafften sich angesichts dieses Anpassungsprozesses mehr und mehr in solchen aus der Friedensbewegung entstandenen Wissenschaftlervereinigungen wie den Ärzten gegen den Atomkrieg, bei Informatikern, Naturwissenschaftlern, Psychologen Luft. Kein Wunder auch, daß die in den Instituten in Hamburg und Frankfurt leidlich "etablierte" Friedensforschung auch nicht gerade zum antimilitaristischen Bodensatz der Friedensbewegung gehörte. Die dort initiierte Kampagne "Bundesrepublik ohne Armee" (BoA) wollte die "Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung" (AFK), das Sammelbecken der sozialwissenschaftlichen Friedensforschung, nicht unterstützen. Sie bangte um ihr mühsam gegen konservative Angriffe durchgesetztes wissenschaftliches Renommee. Auch zu Protesten gegen den Golf-Krieg rang sich der Verband erst spät durch. "Tendenzwächter, während draußen die Welt brennt" kritisierte der streitlustige Berliner Friedensforscher Ekkehart Krippendorff, einer der wenigen '68er, die angesichts der Golfkrise nicht zum Bellizisten mutierten, die AFK und warnte, "die Diskurse der Herrschenden" zu führen.
Mit seinem Buch "Staat und Krieg", einem fulminanten Generalangriff auf die, so Krippendorff, "Zwillingsinstitutionen Staat und Militär die synonym für Herrschaft und organisierte Gewalttätigkeit stehen" hatte er Anfang der 80er Jahre den alternativen Außenministern in der Friedensforschung den Fehdehandschuh hingeworfen und die lange ausgeblendeten Zusammenhänge zwischen Militär und innergesellschaftlicher Herrschaft wieder beleuchtet.
Doch nicht der mühsame intellektuelle Ausbruch aus den Denkgefängnissen bloßer Kriegs- und Gewaltkontrolle unter der Käseglocke des Ost-West-Konfliktes brachte die Friedensforschung zurück zur Herrschaftskritik, sondern die eigenen Binnenstrukturen. Das vergessene Reizwort der "strukturellen Gewalt" traf auf sie selbst zu, als ein 1991 gegründetes "Netzwerk Friedensforscherinnen" feststellte, daß deren Arbeit an patriachaler Gewalt in den in Personal und Fragestellung männlich dominierten Instituten scheitere.
Das Netzwerk, dessen Gründung auch eine Art Generationswechsel in der Friedensforschung darstellt, plädiert für einen "Frieden mit weiblichem Gesicht", will die "Nachkriegspolitik nicht der männlichen Politik" überlassen. Inhaltlich geht es dem Netzwerk und auch darin wird eine herrschaftskritische Belebung der Friedensforschung sichtbar, um eine feministisch inspirierte "Machttransformation" anstelle der bislang in der Friedensforschung üblichen, von Männern formulierten und selten von den Annahmen der konservativen, neorealistischen Schule unterscheidbaren "Machteinhegung". Ziel ist ein neuer nicht-militärischer Macht- und Konfliktbegriff der integrativen Konfliktlösung, der die "Fähigkeit bezeichnet, im Einvernehmen mit anderen Subjekten Probleme zu lösen...Gewaltfreiheit und die Verantwortung gegenüber jeder Form menschlicher Existenz, also auch gegenüber den Menschen, die sich außerhalb der Machtsphäre befinden" (Hanne Margret Birckenbach) sollen ins Zentrum einer neuen Friedenspolitik in Europa rücken.
Die erst vor einem Jahr im Zuge der Neuorientierung gewählte erste Verbandsvorsitzende, die Berliner Professorin für Sozialisationsforschung Astrid Albrecht-Heide war sich als feministisches Feigenblatt der Friedensforschung zu schade und trat zurück, nachdem eine Männerriege des Stiftungsrates der Berghof-Friedensforschungsstiftung unter Vorsitz des Bremer Professors für internationale Politik und Nestors der deutschen Friedensforschung Dieter Senghaas das einzige Frauenfriedensforschungsprojekt "Frauen in der Bundeswehr" strich.
Wie tief sich die staatsfixierte und militärnahe Forschung in die männlichen Institutsköpfe gefressen hat, zeigt der Fall der renommierten Hamburger Sozialpsychologin Hanne Margret Birckenbach vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg. Sie hatte mit Untersuchungen zur psychosozialen Lage von Wehrpflichtigen das unvereinbare Konfliktmuster von zivilen und militärischen Lebensentwürfen bei Heranwachsenden bloßgelegt.
Der Leiter des sozialdemokratischen Tendenzinstitutes, der vom Hamburger SPD-Senat mit einem Professorentitel belohnte Egon Bahr offenbarte sein besonderes Gespür feministischer Sensibilität, als er auf einer Veranstaltung der FU Berlin die WEU eine "Dame ohne Unterleib" nannte, bei der "auch die obere Hälfte nicht zu verachten" sei, da die WEU "keine Strukturen" habe und deshalb nicht zu gebrauchen sei. Seit Jahren versuchen Bahr und sein Stellvertreter, der in der Friedensforscherzunft wenig beliebte Vielschreiber und SPD-Intimus Dieter S. Lutz, der mit Plagiatsvorwürfen zu kämpfen hat, die unbequeme Friedensforscherin Birckenbach mit einer Kündigungswelle aus dem Hause zu ekeln. Forschungsprojekte wurden ihr von der Institutsleitung mit der Begründung verweigert, sie habe ein "antimilitärisches Problemverständnis".
Vor allem dieser Angriff traf das Herzstück friedensforscherlichen Selbstverständnisses. Erst die Drohung Krippendorffs aus dem Verband auszutreten, zwang der verunsicherten und merkwürdig harmoniesüchtigen Konfliktforscherriege auf ihrer Jahrestagung Mitte Februar in Gummersbach zumindest eine Solidaritätsadresse mit der Angegriffenen und damit ein Bekenntnis zu den militär- und herrschaftskritischen Essentials ab, zu denen sich die Friedensforscher trotz quälender und umständlich inszenierter Selbstverständnisdebatten auf verschiedenen Kongressen der letzten Zeit theoretisch nicht hatten durchringen können.
Die durch den Vorsitzendenrücktritt eigentlich überfällige, selbst- und patriarchatskritische Grundsatzdebatte über die eigenen Strukturen wurde allerdings mit dieser Entlastungsaktion auf der Gummersbacher AFK-Tagung unter den Teppich gekehrt. Konfliktforscher Senghaas kniff vor der Auseinandersetzung mit der Zunft wegen seiner Frauenprojektsstreichung. Er glänzte durch Abwesenheit. Im Fall Birckenbach will inzwischen eine aufständische Gruppe von SPD-Parlamentarierinnen unter der Anführung der Hannoveraner Bundestagsabgeordneten und Forschungspolitikerin Edelgard Bulmahn Licht in das sexistische Dunkel am Bahr-Institut bringen.
Doch kaum sucht die Friedensforschung aus dem selbstgezimmerten sozialen und wissenschaftlichen Elfenbeinturm herauszutreten, werden vorsorglich die Fallbeile über den Ausgängen montiert. Der Haushaltsauschuß des Bundestages kürzte die ohnehin lächerlichen Fördermittel des Bundes für 1992 von 3,3 Millionen, für die man gerade einen halben Panzer kaufen könnte, um eine Million Mark. Bis 1994/95 droht sogar die völlige Streichung. Derweil wächst das neue High-Tech-Militär wie Phönix aus der Asche des Ost-West-Konfliktes. Ihm stehen jährlich 3,6 Milliarden Mark für militärische Forschung zur Verfügung.