Buchbesprechung

„Die nächsten hundert Jahre – 2020 Zusammenbruch Chinas“ (G. Friedman)

von Andreas Buro

Das Buch des Geopolitikers George Friedman, Direktor des weltweit bedeutenden privaten Informationsdienstes Stratfor in denUSA – nicht zu verwechseln mit dem neoliberalen Ökonomen gleichen Nachnamens – mag zunächst als abstruse Spinnerei bewertet werden, so ungewöhnliche Ereignisse und Verschiebungen werden prognostiziert. Eine solche Beurteilung wäre jedoch voreilig. Das Buch spiegelt in seinem Grundansatz weitgehend das Denken US-amerikanischer Eliten wider. Es unternimmt den kühnen Versuch, die Großereignisse und Tendenzen des 21. Jahrhunderts zu „erahnen“.

In seinem Epilog schreibt Friedman: „Ich habe mit dem Unveränderlichen angefangen: dem Fortbestehen der Menschheit zwischen Himmel und Hölle. Dann habe ich den langfristigen Trend gesucht und ihn im Niedergang Europas als Mittelpunkt der westlichen Zivilisation sowie im Aufstieg Nordamerikas (...) gefunden. Vor dem Hintergrund dieser profunden Verschiebung innerhalb des internationalen Gefüges war es einfach, den Charakter  der Vereinigten Staaten – stur, unreif und genial – sowie die Reaktionen der Welt auf dieses Land – Angst, Neid und Widerstand – vorauszusehen.“

Im November 2008 legte der US-National Intelligence Council unter Mitarbeit von 16 US-Geheimdiensten eine Studie über die zukünftige weltpolitische Entwicklung bis 2025 vor. Den USA wird ein relativer Machtverlust vorausgesagt. Sie spielten zwar weiterhin eine prominente, nicht aber mehr eine dominante Rolle. Ihre Handlungsfreiheit werde zunehmend eingeschränkt. Internationale Allianzen, die die Welt seit dem Zweiten Weltkrieg dominiert haben, wären 2025 kaum wiederzuerkennen. Die unipolare Welt werde von einer multipolaren abgelöst. Bei den Machtverschiebungen geht es meist um den Zugriff auf Rohstoffe und ihre Transportwege, um Märkte, um die Kontrolle der Leitwährung und um militär-strategische Interessen, um solche Zugriffe abzusichern.

Anders als die amerikanischen Geheimdienste versteht Friedman das 21. Jahrhundert als das amerikanische. Die USA würden es dominieren. Für seine Prognosen verwendet er umfangreiche militärische, ökonomische, kulturelle, demographische, geographische und soziale Informationen. Er geht allerdings nicht davon aus, die USA würden zur Zivilen Konfliktbearbeitung übergehen, also in dieser Hinsicht lernen. Sie würden vielmehr - wie bisher - Machtpolitik betreiben. Ihr wichtigstes Ziel sei es, keine Koalitionen im globalen Maßstab aufkommen zu lassen, die stärker als sie werden und sie bedrohen könnten. Sie müssten dazu nicht einmal Kriege gewinnen, sie müssten nur die andere Seite oder Koalition aus dem Gleichgewicht bringen und sie daran hindern, bedrohlich stark zu werden. Das wahrscheinlichste Ergebnis der Kriege im Irak und in Afghanistan sei eine militärische Niederlage der USA und ihrer Willigen. Aus strategischer Sicht spiele dies keine Rolle. Solange die Muslime sich gegenseitig bekämpften, sei das vorrangige Ziel der USA erreicht. Ihre wichtige Stärke bestehe in der Beherrschung sowohl des Atlantiks wie auch des Pazifiks.

Friedman kommt zu erstaunlichen Voraussagen: Für 2020 prognostiziert er den Zusammenbruch Chinas, gefolgt von Russland. Ganz Eurasien werde von Auflösungstendenzen ergriffen. Die NATO würde immer weniger Bedeutung haben und schließlich zerfallen; 2050 würde Polen Deutschland wirtschaftlich und politisch überflügeln; 2080 soll Solarstrom, im Weltraum erzeugt, die globale Energieversorgung sichern, und 2100 fordere Mexiko die USA heraus. EU-Europa falle in seiner Bedeutung erheblich zurück ebenso wie Russland, das mit seinen Expansionsbestrebungen scheitern würde. Die Türkei steige zu einer bedeutenden Weltmacht auf.

Die Zulässigkeit seiner Vorhersagen begründet Friedman in einem historischen Rückblick. Wer hätte sich um 1900 die enormen Veränderungen des 20. Jahrhunderts vorstellen können! Man glaube nur allzu oft, die Verhältnisse würden in ihren Grundkomponenten im wesentlichen unverändert bleiben.

Für die Mitte des 21. Jahrhunderts erwartet Friedman einen neuen Weltkrieg. Er wäre nicht mehr ein totaler Krieg wie die Weltkriege des 20. Jahrhunderts. Er beruhe auf Präzisionswaffen, die totale Mobilisierung der Bevölkerung sei nicht mehr erforderlich. Japan und die Türkei versuchten die Vormacht der USA zu brechen. Ein erstaunliches Kriegsszenarium wird entworfen. Kämpfe im Weltraum spielen eine zentrale Rolle. Doch die USA können trotz schwerster Verluste noch einmal obsiegen. Die Folge ist ein „goldenes Nachkriegsjahrzehnt“. Bedarf für Wieder- oder Neuaufbau beflügelt die Ökonomien.

Dann entwickele sich eine neue Bedrohung. Die Stärke der USA beruhte auf der Beherrschung Nord-Amerikas. Doch nun steige Mexiko demographisch und wirtschaftlich auf und stelle die Vormachtstellung der USA in Frage. Es begänne der Kampf um das Zentrum der Welt.

In Friedmans Buch haben friedenspolitische Strategien keinen wesentlichen Raum. Macht und alle Faktoren, die machtbildend wirken, organisieren die Entwicklung des Zukunftsbildes. Das ist keineswegs Science fiction und muss ernst genommen werden, denn bislang sind die Faktoren für einen pazifistischen ‚Tourn around‘ kaum sichtbar.

Das spannend geschriebene Buch ist noch unter einem anderen Gesichtspunkt für die Friedensbewegung von großem Interesse. Es zeigt, wie die Mächtigen heute denken und nach welchen Gesichtspunkten sie ihre Politik organisieren. Gut, das zu wissen!

George Friedman: Die nächsten hundert Jahre, Campus Verlag, Frankfurt/New York  2009, 291 S., ISBN 978-3-593-38930-1, 22,90 €

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