Die neue Bundeswehr und die neue NATO-Strategie

von Tobias Pflüger
Hintergrund
Hintergrund

1. Der erste Schritt: Von der alten zur neuen Bundeswehr 1991 bis 1999
1991 in Rom hatte die NATO letztmalig ihr strategisches Konzept geändert. In den Jahren darauf wurden alle strategischen Grundlagen der Bundeswehr dieser NATO-Strategie angepasst. (Stichworte: 1992: Verteidigungspolitische Richtlinien (VPR), 1995: Ressortkonzept, 1997 und 1999: Bundeswehrplan) Bezogen auf die NATO-Armeen gab es damals die grundlegende Veränderung, dass verschiedene Typen von Armeen geschaffen wurden. Alle NATO-Armeen wurden aufgeteilt in Rapid Reaction Forces und Main Defense Forces. Bei der Bundeswehr wurden Krisenreaktionskräfte (KRK) und Hauptverteidigungskräfte (HVK) gebildet. Der größere Anteil aller NATO-Armeen und damit auch der Bundeswehr sind dabei die Hauptverteidigungskräfte, die einen hohen Anteil von Wehrpflichtigen haben, der kleinere Anteil die Krisenreaktionskräfte (KRK), die zu 80 % aus Zeit- und Berufssoldaten zusammengesetzt sind. Von den 340.000 Bundeswehrsoldaten sind 53.600 in Einheiten der Krisenreaktionskräfte, also gerade mal ca. 16 %. Die Aufgabe der KRK besteht im wesentlichen darin, für Einsätze "out-of-area", also außerhalb des NATO-Gebietes ausgebildet und eingesetzt zu werden. (Genauer dazu siehe Pflüger, Tobias: Die neue Bundeswehr, Neuer ISP-Verlag, Köln 1997 und 2. Auflage 1998)

2. Die Bedeutung der neuen NATO-Strategie für die Kommission "Zukunft der Bundeswehr"
Ähnlich wie bei der NATO-Strategie von 1991 ist bei der neuen NATO-Strategie von 1999 damit zu rechnen, dass ihre Grundaussagen bzgl. Strategie, Struktur und Bewaffnung wohl alsbald auf die Bundeswehr angewandt werden. Mit der Verabschiedung des neuen strategischen Konzeptes der NATO am 24.04.1999 ist wieder eine neue Grundlage für die spätere Anpassung aller strategischen Grundlagen der Bundeswehr vorhanden. Es wird also bald ein neues Dokument geben, das den Charakter der "Verteidigungspolitischen Richtlinien" haben wird, danach wird es auch wieder ein Weißbuch und dann ein neues Ressortkonzept zur neuen Struktur der Bundeswehr geben. Bald danach werden neue Bundeswehrpläne aufgelegt werden. Dazwischen liegt - zumindest in Deutschland - die inzwischen von Richard von Weizsäcker geleitete Kommission "Zukunft der Bundeswehr." Nach Angaben von Kriegsminister Rudolf Scharping soll "die Neuausrichtung der NATO und die Neuausrichtung der Bundeswehr in Einklang stehen". Ziel der Kommission "Zukunft der Bundeswehr" ist deshalb eindeutig eine Effektivierung der Bundeswehrstrukturen im Sinne der neuen NATO-Strategie. Ein Abrüstung wird allenfalls quantitativer Natur sein, qualitativ wird die Bundeswehr weiter aufgerüstet werden.
 

3. Die neue NATO-Strategie vom 24.04.1999 und ihre Auswirkungen auf die NATO-Armeen
Als neue Bedrohungsszenarien findet sich in der NATO-Strategie nun folgende Formulierung: "Das Bündnis muss jedoch auch den globalen Kontext in Betracht ziehen. Die Sicherheitsinteressen des Bündnisses können auch durch andere weitgefächerte Risiken betroffen sein, einschließlich Terrorismus, Sabotage und organisierter Kriminalität sowie der Unterbrechung des Warenflusses der wichtigen Ressourcen. Die unkontrollierte Bewegung einer größeren Anzahl von Menschen, besonders in der Folge bewaffneter Konflikte, kann ein Problem für die Sicherheit und Stabilität des Bündnisses darstellen." In den Papieren des Weißen Hauses der USA hießen die "Bedrohungen" noch: "Terrorismus", "unerlaubter (!) Drogenhandel", "unerlaubter Waffenhandel", "organisiertes Verbrechen", "zügellose Flüchtlingsbewegungen" (!) und "Umweltschäden". Zentral ist die Aussage in der neuen NATO-Strategie, dass nicht mehr nur Militäreinsätze nach Artikel 5 des NATO-Statuts möglich sein sollen. In Artikel 5 ist festgeschrieben, dass die NATO nur bei einem Angriff auf einen NATO-Staat militärisch reagiert. Diese Formulierung war der Grund dafür, dass die NATO als Verteidigungsbündnis verstanden eingestuft wurde. Inzwischen ist die Faktenlage eine andere. Spätestens seit dem 24. März 1999 ist offensichtlich, dass der Mythos des Verteidigungsbündnisses dahin ist. Karl-Heinz Kamp, der Leiter des Bereichs Außenpolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung meinte denn auch in einer der Militärzeitschriften: "In diesem Sinn bedeutet das neue Konzept eher eine `Anpassung der Aktenlage` an die Realität und weniger ein visionärer Strategieentwurf." Die diversen NATO-Staaten hatten durchaus verschiedene Interessen, was in der neuen NATO-Strategie festgeschrieben werden sollte. Die US-Regierung wollte die NATO zu einem weltweiten Interventionsbündnis und zu einem Bündnis zur "Verteidigung gemeinsamer Interessen" machen. Die französische Regierung wollte Interessenssphären der einzelnen Staaten innerhalb der NATO definiert haben und die deutsche Regierung sah sich zuständig für die Sicherheit in und um Europa. Entsprechend interpretierfähig ist die nun verabschiedete Formulierung in der neuen NATO-Strategie. In einem zentralen Punkt waren sich aber alle "Kernstaaten" der NATO einig: Die Armeen sollten noch mehr als bisher Richtung Interventionsfähigkeit ausgebaut werden.
 

4. Die zukünftigen NATO-Armeen: Armeen neuen Typs
Der Armeetypus der NATO 2000 ist ein anderer als der der NATO 1992. Kamp beschreibt die Umwandlung so: "Ungeachtet dessen (auch er beschreibt die divergierenden Interessen einzelner NATO-Staaten) strukturierten aber bereits jetzt europäische NATO-Partner wie Großbritannien, Holland und selbst Frankreich ihre Streitkräfte in einer Weise um, die einen Schwerpunkt auf das Krisenmanagment außerhalb des NATO-Gebietes legt. Kleinere, mobile Einheiten sowie ausreichende Transportkapazitäten und Kommunikationsmittel sollen die Projektion militärischer Macht über weitere Distanzen ermöglichen. Damit wird de facto das vorangetrieben, was im Strategischen Konzept noch umstritten ist: nämlich die Fähigkeit zum raschen militärischen Handeln außerhalb Europas." Der neuen NATO-Strategie lagen im wesentlichen die Militärstrategien des Weißen Hauses und der US-Militärs zugrunde (vgl. Friedens-Forum 02/99). Ziel der US-Militärstrategie "Joint Vision 2010" ist eine Effektivierung und Modernisierung der US-Streitkräfte, insbesondere im Informations- und Kommunikationsbereich. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Teilstreitkräfte, der Kampf der "verbundenen Kräfte" soll Synergieeffekte bringen. Managmentmethoden wie Effizienzsteigerung, Kosteneinsparungen, Rationalisierungen, Optimierung, Vernetzung und die "Konzentration auf Kernbereiche" sollen auf die Armeen angewandt werden. "Kleinere Einheiten sollen mehr Verantwortung übernehmen". Das Massenheer soll der Vergangenheit angehören. Die Armee neuen Typus sind "warfighting"-Profis mit Waffen, die eine größere Zielgenauigkeit, größere Trefferquoten, potenzierte Zerstörungsmacht und größere Tödlichkeit ("lethalitity") haben. Ein "Full Spectrum Dominance" im gesamten Schlachtraum (battlespace: Boden, Luft, See und Weltraum!) insbesondere durch die Fähigkeit im Informationsbereich (technisch und über die Medien) dem Gegner überlegen zu sein, wird angestrebt. Die Armeen der Niederlande haben sich von US-Militärs im Sinne dieser neuen Strategie schulen lassen. Die Bundeswehr wird dem bald folgen. Zuvor müssen allerdings für die "Altlasten" Wehrpflicht und Traditionsverständnis der Bundeswehr durch die Wehrstrukturkommission vermittelbare Kompromisse gefunden werden: Vermutlich sind dies eine weitere Herabsetzung der Wehrpflichtzeit und ein Kappen der schlimmsten Rücksichtnahmen auf Traditionalisten innerhalb und außerhalb der Bundeswehr. Einen Vorboten der NATO-Armeen der Zukunft gibt es auch schon innerhalb der Bundeswehr: Das Kommando Spezialkräfte (KSK), es ist schnell verfügbar, es ist die Elitekampfeinheit der Bundeswehr und besteht aus Kampfprofis. Wenn der Bodenkrieg gegen Jugoslawien kommen sollte (alle Anzeichen deuten daraufhin, die Auswirkungen wären für die Menschen der Region verheerend und zugleich ein Vietnam für die NATO), wenn also dieser Bodenkrieg kommen sollte, wäre das Kommando Spezialkräfte wie die warfighting-Profis der USA, Großbritanniens und Frankreichs bei den ersten dabei, quasi die neue NATO-Strategie konkret.
 

Kontaktadresse: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., Burgholzweg 116/2, 72070 Tübingen, Telefon und Fax: 07071-49154 und 49159, e-mail: IMI [at] gaia [dot] de, Internet: http://www.umb.de/ph/imi/index.htm

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Tobias Pflüger ist stellvertretender Vorsitzender der Partei Die Linke. 1996 war er einer der Initiatoren für die Gründung der Informationsstelle Militarisierung (IMI).