Zum 2. Sicherheitspaket des Innenministers

Die Otto-Kataloge in Fortsetzungslieferung

von Fredrik Roggan
Schwerpunkt
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I. Was trennt die BRD von einem Polizeistaat?
Die rechtspolitischen Analysen zum 2. Sicherheitspaket von Innenminister Otto Schily lassen es in punkto Eindeutigkeit an nichts mangeln. In der bürgerlich-liberalen "Zeit" vom 11. Oktober 2001 beispielsweise ist auf Seite 1 zu lesen: "Schily will einen Verbund zwischen Dateien der Geheimdienste und der Polizei, Strafmilderung für Kronzeugen, Fingerabdrücke im Pass, Raster- und Schleierfahndungen, eine Aufweichung des Bankgeheimnisses, strengere Visaregelungen und die leichtere Abschiebung von (nicht vorbestraften) Ausländern, die schwerster Verbrechen verdächtig sind - all das macht Deutschland nicht zum Polizeistaat, wie mancher argwöhnt. Allerdings benötigte ein Polizeistaat kaum zusätzliche Gesetze, er brauchte nur die derzeit geplanten massiv anzuwenden".

In der Tat: Die äußerste Grenze dessen, was die Gesetze eines Staates erlauben, sind ein Maßstab für seine Verfasstheit. Nun werden allerdings gerade Begriffe wie "Polizeistaat" oder auch "Überwachungsstaat" in der öffentlichen Debatte mitunter allzu inflationär verwendet. Es lohnt deshalb ein genauerer Blick auf die erste Fortsetzungslieferung von Schilys "Anti-Terror-Gesetzen" (sog. zweites Sicherheitspaket).

II. Die geplanten Regelungen
Das zweite Sicherheitspaket besteht aus einer Vielzahl von Verschärfungen in verschiedensten Gesetzen. Dabei ist zunächst zu sagen, dass es sich bei den derzeit diskutierten Gesetzen um Entwürfe aus den Ministerien handelt, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens durchaus noch Änderungen erfahren können. Insofern stellt die folgende Skizzierung von einigen Eckpunkten eine Momentaufnahme dar. Aus dem Bundesrat war auch bereits zu vernehmen, dass einigen Ländern die geplanten Verschärfungen nicht weit genug gingen. Überdies hat bislang kaum ein Gesetz den Bundestag ebenso verlassen, wie es hineingekommen ist. Die im folgenden vorgestellten Regelungsentwürfe dürften aber keine grundsätzlichen Änderungen mehr erfahren.
 

Das zweite Sicherheitspaket sieht unter anderem erweiterte Befugnisse für das Bundeskriminalamt in Zusammenhang mit dem genannten § 129 b StGB (1. Sicherheitspaket) und die neue Zuständigkeit für die Strafverfolgung von schwerer Datennetzkriminalität vor. Damit ist zum Beispiel das unerlaubte Hacken von AKW-Rechnern gemeint. Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll das Recht erhalten, auch solche Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Um Geldströme internationaler Terrororganisationen zu erforschen, soll der Verfassungsschutz bei Banken Informat ionen abfragen und Auskünfte bei Postdienstleistern, Telekommunikationsunternehmen und Luftverkehrsunternehmen etc. einholen dürfen. Darüber hinaus sollen die Geheimdienste die polizeiliche INPOL-Datei uneingeschränkt nutzen dürfen. Allgemein soll die Polizei einen wesentlich erleichterten Zugriff auf das Ausländerzentralregister erhalten und Fingerabdrücke von Asylbewerbern mit dem sog. Tatortspurenbestand des BKA abgleichen. Und wer als Ausländer per Visum in die Bundesrepublik einreisen möchte, soll sogleich - zusammen mit den deutschen Einladenden - von den Geheimdiensten auf seine "Zuverlässigkeit" hin überprüft werden.Außerdem - und dabei dürfte es sich um eine Gesetzesänderung handeln, die für alle Bürg erInnen mit unmittelbar spürbaren Maßnahmen verbunden ist - sollen Personalausweise und Reisepässe mit biometrischen Merkmalen versehen werden dürfen. Gemeint sind damit die Aufnahme von Fingerabdrücken und individuellen Gesichtserkennungsmerkmalen in die Personaldokumente, die dort auf einem Chip gespeichert werden. Gerade auf diese Regelung des Personalausweis- und Passrechts soll im folgenden eingegangen werden, denn er symbolisiert das staatliche Verständnis der BürgerInnen in exemplarischer Weise.

III. Die Konsequenzen im Einzelnen
1. Biometrische Merkmale in Personaldokumenten

Die Bedeutung der Aufnahme von biometrischen Merkmalen in die Personaldokumente lässt sich nur unvollständig mit einem Verstoß gegen die Redlichkeitsvermutung kritisieren. Diese besagt, dass es dem Staat grundsätzlich verboten ist, den Menschen kriminelles oder gefährliches lediglich zuzutrauen und sie deshalb Eingriffen auszusetzen. Sicherlich dokumentiert etwa die Aufnahme von Fingerabdrücken in den Personalausweis die staatliche Vermutung, dass jedermann irgendwann zum Straftäter werden kann und er deshalb - präventiv - erkennungsdienstlich behandelt werden muss. Bislang bedurfte es dagegen für eine solche Erfassung von höchstpersönlichen Kennzeichen einer Person eines Straftatverdachts. Diese Begrenzungsfunktion der bisherigen Befugnis soll demnach (ersatzlos) wegfallen. Die tatsächliche Relevanz der geplanten Änderungen wird aber nur dann deutlich, wenn berücksichtigt wird, welche technischen Möglichkeiten gerade mit den biometrischen Merkmalen eröffnet werden. Erinnert sei insoweit an das aus Tampa/USA bekannt gewordene Beispiel, bei dem die BesucherInnen eines Stadions mittels Videotechnik "gescannt" wurden und auf diese Weise auch einige gesuchte StraftäterInnen gefunden wurden. Der unter bürgerrechtlichen Gesichtspunkten fatale Kreis schließt sich mit den (an anderer Stelle ausführlicher behandelten) polizeilichen Videoüberwachungen im öffentlichen Raum. Datenschützer stellen richtigerweise fest, dass die "aufgerüstete" Ausweise nur dann Sinn machen, wenn es eine zentrale Vergleichsdatei gibt. Die Forderung danach, die biometrisch vermessenen Menschen planmäßig mit moderner Videotechnik auf Schritt und Tritt zu kontrollieren, ist dann nur noch eine Frage der Zeit. Eine solche Möglichkeit wäre in der Tat ein Quantensprung bei der Kontrolle der Individuen. Und es bede utete die Abkehr von demjenigen Menschenbild, vor dem das Bundesverfassungsgericht schon 1983 im Volkszählungsurteil warnte: "Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß".

2. Neue Befugnisse für die Geheimdienste

Mit der Befugnis zur Kontrolle von Geldströmen auf Konten erhält der Verfassungsschutz de facto den Charakter einer quasi-polizeilichen Ermittlungsbehörde, freilich ohne irgendeiner justiziellen Kontrolle zu unterliegen. Der deutsche Richterbund hat deshalb in der Anhörung des Innenausschusses vor dieser Befugnis eindringlich gewarnt. Aber nicht nur die fehlende Kontrollmöglichkeit der geheimdienstlichen Ausforschungen ist von grundsätzlicher Bedeutung: Gerade was die angesprochene Vernetzung von Geheimdiensten und Polizeibehörden in Form der Datennutzungsbefugnisse angeht, so wird ein rechtspolitisch noch bedeutsamerer Weg weiter beschritten: Die de-facto-Abschaffung des Trennungsgebots zwischen Polizei und Geheimdiensten, das nach dem NS-Faschismus die Entstehung übermächtiger (weil unkontrollierbarer) Sicherheitsapparate verhindern sollte. Die BRD "befreit" sich damit von denjenigen Restriktionen, die die Alliierten dem deutschen Rechtssystem nach den Erfahrungen mit GeStaPo usw. auferlegten.

3. Ausländerrechtliche Regelungen

Wer als Flüchtling oder anderer Ausländer zukünftig in die BRD einreist, wird in vielerlei Hinsicht als potentiell Tatverdächtiger behandelt. Anders macht etwa der automatische Abgleich mit Tatortspuren (also zum Beispiel Fingerabdrücken) schlicht keinen Sinn. Auch die Befugnis der deutschen Auslandsvertretungen, im Visumverfahren die erhobenen Daten an die Geheimdienste übermitteln zu dürfen, impliziert den Generalverdacht, dass es sich bei den Betroffenen um potentielle Verfassungsfeinde handelt. Betroffen sind hierbei aber nicht nur die ausländischen Menschen, sondern auch die deutschen EinladerInnen. Damit kann zukünftig jedermann in das Fadenkreuz geheimdienstlicher Ausforschungen geraten, der Besuch aus dem Ausland erhält.

Werden die derzeit diskutierten Entwürfe zu Gesetzen - und davon ist auszugehen -, so werden ausländische MitbürgerInnen generell einer im Vergleich zur geltenden Rechtslage nochmals gesteigerten Kontrolle unterworfen. Sämtliche Nicht-Deutsche mutieren in den Augen des Gesetzes zu überwachungsbedürftigen Sicherheitsrisiken. SPD-Innenexperte Wiefelspütz gesteht demzufolge zu Recht ein, dass man mit den geplanten Änderungen den "gläsernen Ausländer" einführe.

IV. Zusammenfassende Bewertung des zweiten Sicherheitspakets
Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die neuen Gesetze in vielerlei Hinsicht Abschied nehmen von der generellen Vermutung der Redlichkeit der BürgerInnen. Das gilt für die erkennungsdienstliche Behandlung als Standardmaßnahme gegenüber jedermann ebenso wie für die in Zusammenhang mit Sexualverbrechen gelegentlich geforderte molekulargenetische Analyse aller Menschen oder auch die vorverlegten Befugnisse der Geheimdienste. Stets geht es um die verhaltensunabhängige Inanspruchnahme von jedermann zum Zwecke der staatlichen Sicherheitsproduktion. Insoweit kann kaum noch von der (wenigstens grundsätzlichen) Geltung der Redlichkeitsvermutung als Leitgedanke unserer Rechtsordnung ausgegangen werden. Das ist deshalb so bemerkenswert, weil unter JuristInnen weitgehend anerkannt ist, dass eben dieses Prinzip den Rechtsstaat vom Polizeistaat unterscheidet.

Die Reaktionen auf die derzeit diskutierten Entwürfe stellen denn auch zu Recht das grundlegende Verständnis, das mit solchen Befugnissen untrennbar verbunden ist, in den Mittelpunkt der (rechtspolitischen) Bewertung. Burkhard Hirsch (FDP) etwa erkennt in den Änderungen einen "totalitären Geist". Auch der Berliner Staats- und Verwaltungsrechtler Martin Kutscha beklagt, dass der Verfassungsschutz mit den Befugniserweiterungen eine Kompetenzfülle erhalten soll, die die Behörde "in die Nähe totalitärer Staaten rückt". In der Tat kommt man an einer solchen Bewertung kaum vorbei, wenn berücksichtigt wird, dass die Menschen immer flächendeckender ohne ihr Wissen in Dateisystemen erfasst werden - ohne konkrete Verdachts- oder Gefahrenlage.

Auf diese Weise wird ein Boden bereitet, in dem das Überwacht-Werden zur Normalität für die Menschen zu werden droht. Niemand kann noch wissen, in welchen Bereichen er dem omni-präsenten und omni-informierten Staat noch entgehen kann. Damit wird sukzessive ein gesellschaftlicher Zustand erreicht, den das Bundesverfassungsgericht 1983 als verfassungswidrig gebrandmarkt hat. Mit beachtlichen Gründen: Denn das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist von elementarer Bedeutung für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen. Zu Recht wies das Gericht damals darauf hin, dass eine Unsicherheit, dass bestimmte Verhaltensweisen jederzeit notiert und dauerhaft gespeichert werden könnten, zum Verzicht auf die Ausübung von (demokratischen) Grundrechten führen kann. Letztlich tritt mit den neuen Gesetzen also nicht nur ein totalitäres Staatsverständnis zutage. Vielmehr wird auch der Boden bereitet für ein undemokratisches Staatswesen, in der die BürgerInne n auf heute noch ausgeübte Freiheitsrechte schlicht verzichten, um nicht die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden zu erregen. Und um damit nun auf das eingangs genannte Zitat aus der "Zeit" zurückzukommen: In der Tat wäre im Fall einer Umsetzung der Schily-Pakete und einem massiven Gebrauchmachen von den neuen Befugnissen von der Entwicklung der BRD hin zu einem modernen Polizei- bzw. Überwachungsstaat auszugehen.

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Fredrik Roggan ist Autor des Buches "Auf legalem Weg in einen Polizeistaat" und Vorstandsmitglied der Humanistischen Union.