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Polizeigewalt entlegitimieren
Die Polizei als Teil des staatlichen Gewaltmonopols
von
Die Polizei wird hier aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte als Teil der staatlichen Bürokratie betrachtet, die sich für die Durchsetzung ihrer Befehle und Anordnungen, nach Max Webers Definition, ‚ohne Ansehen der Person’, also für alle geltend, zwei Gewaltinstitutionen geschaffen hat: die Polizei – im bürgerlichen Rechtsstaat nach innen; das Militär – im bürgerlichen Rechtsstaat nach außen. Die neuzeitliche Polizei entstand wie die neuzeitliche Bürokratie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vorher war das Militär meist zugleich innere wie äußere Ordnungsmacht (wie heute noch in Militärdiktaturen). Im demokratischen Rechtsstaat, vorausgesetzt er funktioniert noch halbwegs (und ist keine verkappte Diktatur wie in der Türkei), hat sich das Militär durch den steigenden Einfluss der Bürokratie ausdifferenziert und die funktionale Aufteilung in Polizei als innerem Teil des vom Staat beanspruchten Gewaltmonopols und Militär als äußerem Teil institutionalisiert. Diesen Zusammenhang möchte ich in einer ersten These formulieren:
„Polizei und Militär sind die Gewaltinstitutionen des staatlichen Gewaltmonopols. Die Bürokratie ist die Herrschaftsinstitution des Gewaltmonopols, die sich historisch durchgesetzt hat. Ihre spezifische Zwangsgewalt ist die Polizei. Die Bürokratie hat daher die institutionelle Tendenz, die Polizei als innere Ordnungsmacht auf die gesellschaftliche Normalität zu etablieren und aufrechtzuerhalten. Das Militär soll auf seine Rolle als äußere Gewaltmacht beschränkt werden. Der Zeitpunkt, an dem das Militär durch die Erklärung des Kriegs- oder Ausnahmezustands oder des Notstands als letzte Instanz des Staates im Innern eingreift, soll im Interesse der Bürokratie möglichst weit hinausgeschoben werden.“ (1)
Polizei und Militär sind also die zwei Gewaltpfeiler des staatlichen Gewaltmonopols. Das bedeutet aber nicht, dass nicht gleichzeitig mit dem staatlichen Gewaltmonopol in vielen Ländern viele weitere Gewalten existieren könnten und es auch tun: z.B. die patriarchale Gewalt, viele Formen von Milizen und Bürgerwehren. Diese Zusatzgewalten verhielten sich in der Geschichte teils funktional, teils dysfunktional zu den Erfordernissen des Staates und wurden von ihm teils bekämpft, teils gefördert.
Ich möchte das historische Auftreten dieser Zusatzgewalten als „Privatisierung von Gewalt“ (oder negative Vergesellschaftlichung) bezeichnen; im Gegensatz dazu stünde die „Vergesellschaftung von Gewalt“ als positive Vergesellschaftung, und zwar nicht in dem Sinne einer Bewaffnung jedes Bürgers/Bürgerin wie in den USA, sondern im Sinne einer tendenziellen Auflösung der Gewalt, weil die gesellschaftliche Macht von unten auf sie zunehmend weniger angewiesen ist (weit entwickelte gewaltfreie Gesellschaft als Utopie). Nach dieser Definition wäre also etwa im Libanon heute das staatliche Gewaltmonopol nicht abgeschafft, sondern weitgehend privatisiert. Mensch stellt sich da wirklich die Frage, was denn da besser ist, funktonierendes staatliches Gewaltmonpol oder Privatisierung wie im Libanon. Dies führt mich hier zur zweiten These:
„Formen privater und privatisierter Gewalt und das staatliche Gewaltmonopol sind keineswegs Gegensätze, sondern sie sind hauptsächlich funktional gleichgerichtet auf die Etablierung oder Stabilisierung des Gewaltmonopols. Nicht die Abschaffung des Monopols, sondern der Gewalt selbst steht somit als Aufgabe für emanzipative soziale Bewegungen im Vordergrund. Mit der Abschaffung der Gewalt wird auch das staatliche Gewaltmonopol entlegitimiert.“ (2)
Das Beispiel „Männer gegen Männergewalt“ als Entlegitimation der Staatsgewalt
Es geht hier also um legitimatorische Zusammenhänge. Eine Gewalt muss weitgehend gesellschaftlich entlegitimiert sein, um durch eine breit praktizierte Alternative ersetzt werden zu können. Dazu ein Beispiel aus den diffizilen Kämpfen und Diskussionen gewaltfreier Aktionsgruppen der 1980er-Jahre: So garantiert beispielsweise der Knast aus der Sicht libertärer Männer mit dem Ziel der Abschaffung von Knästen (Gefangenen- und Strafsystem als Ausdifferenzierung bürokratischer Herrschaft) natürlich weniger den Schutz von Frauen vor Vergewaltigung als die Reproduktion von Vergewaltigern. Aber Frauen werden selbstverständlich kaum die Wahl haben, im Zweifel nicht die Polizei zu rufen (das Handy gilt hierbei ja geradezu als Lebensrettung; die Staatsgewalt bekämpft in dieser Sicht die privat-patriarchale Gewalt) oder Gefängnisstrafen für Vergewaltiger nicht zu fordern, solange es keine gesellschaftliche Kultur von – damals in Ansätzen bestehenden – „Männergruppen gegen Männergewalt“ gibt, keine von Männern durchgeführten Therapien von Vergewaltigern und keine Wirkung garantierenden Formen sozialer Ächtung von Männern gegenüber nicht änderungswilligen Vergewaltigern, um die Knäste auch wirklich grundlegend angreifen und abschaffen zu können. Es gäbe also innerhalb der antisexistischen Bewegung heute viel zu tun, aber schon einmal Erreichtes konnte bis heute nicht erhalten werden.
Kein gesellschaftlicher Konflikt darf aber der Bürokratie und ihren Institutionen überlassen werden, wenn die Staatsmacht öffentlich entlegitimiert werden soll. Es gibt viel zu tun! Diese Überlegung endet in meiner dritten These, die in den 1980er-Jahren schon u.a. von Frieder O. Wolf formuliert wurde:
„Dem staatlichen Gewaltmonopol muss entgegengesetzt werden die klare und deutliche Ausarbeitung des Gedankens der ‚Basis-Demokratie’ als einer durchbrechenden Radikalisierung des zunächst auf den Rahmen der verselbständigten Staatsgewalt beschränkten Konzepts der ‚Demokratie’ im Sinne eines aktiven Prozesses des Abbaus der Staats-Gewalt zugunsten konsensueller, gewaltfreier gesellschaftlicher Selbstregulierung. Es wird zur zentralen Aufgabe, das Anliegen der gesellschaftlichen Selbstbestimmung gegenüber allen politisch vermittelnden und gegenüber der wirklichen gesellschaftlichen Praxis verselbständigten Herrschaftsapparaten – ganz gleich, ob sie formell staatlich, parastaatlich oder ‚privat’ sind – zur Geltung zu bringen.“ (3)
Frieder Otto Wolf gehörte damals zu dem sogenannten „Fundi“-Flügel der Grünen. Damals gab es eine öffentliche Diskussion zwischen sog. „grünen Staatsmonopolist*innen“ (etwa Otto Schily oder Joschka Fischer, um nur die Problematischten zu nennen) und grünen Fundamentalist*innen um die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols. Auf Bewegungsebene haben wir in gewaltfreien Aktionsgruppen damals versucht, die Organisierung von Bezugsgruppen mit Sprecher*innenräten und Konsensentscheid anstatt Mehrheitsentscheid (wie im Parlament) bei Aktionscamps einzubringen und zu praktizieren, auch als gesellschaftliches Modell, um die Gewaltinstitutionen des Gewaltmonopols perspektivisch zu entlegitimieren.
Heute sind hier enorme Erfahrungshintergründe verloren gegangen, heute ist ein grüner „Fundi“ wie Anton Hofreiter schlimmerer Gewaltmonopolist wie alle Realos zusammen. Damals war die entscheidende Frage: „Wie hältst du’s mit der Polizei?“ „Die Polizei ist nicht mein Gegner“ – haben wir als Antwort der Staatsmonopolist*innen nie akzeptiert und dann Auflagen der Polizei bei direkten Aktionen oder Camps auch übertreten, wo es nur sinnvoll erschien. Heute akzeptiert etwa „Extinction Rebellion“ oder „Die letzte Generation“ bei ihren Aktionen Auflagen und bürokratische Anordnungen der Polizei: Sie wollen mit ihrer direkten Aktion nicht das staatliche Gewaltmonopol entlegitimieren. Das aber sei „ziviler Ungehorsam als aktiver Verfassungsschutz“, also legitimatorische Befürwortung des Gewaltmonopols, hatten wir damals kritisiert...
Anmerkungen
1 Sqonk: „Polizei und Bürokratie. Thesen über den inneren Zusammenhang des staatlichen Gewaltmonopols“, in: Graswurzelrevolution, Nr. 129, Dezember 1988, S. 1f. Vgl. dazu auch: Busch/Funk/Krauß/Narr/Werkentin: „Die Polizei in der Bundesrepublik“, Frankfurt/New York 1985.
2 Sponk, ebenda, S. 2.
3 Frieder Otto Wolf: Staats-Gewalt und Basis-Demokratie, in: Kommune, Nr. 7/1987, S. 55f.