Die Privatisierung des Krieges - von oben und von unten

von Herbert Wulf
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Mehr als 30.000· Kindersoldaten wurden von der Lord's Resistance Army in Uganda in dem 20-jährigen Krieg gekidnapped. Die Rebellen verschleppten sie aus ihren Elternhäusern und zwangen sie zu töten und zu foltern. Viele Jahre lang kämpften sie in der Miliz in einem der blutigsten Kriege in Afrika. Matt. Mann bewarb sich mit früheren Kameraden aus der Spezialeinheit Delta Forces der US-Armee, als 2003 ein Auftrag im Irak ausgeschrieben wurde. Es galt, den Leiter der damaligen Koalitions-Übergangsverwaltung, Paul Bremer, zu schützen. Die ehemaligen Soldaten gründeten aus dem Nichts die Firma Triple Canopy, die innerhalb von zwei Jahren ihr Auftragsvolumen im Irak auf 250 Millionen US-Dollar steigern konnte.

Die erste der beiden Geschichten ist nachzulesen auf der Website des Internationalen Roten Kreuz, die zweite in der New York Times vom 14. August 2005. Beide be¬schreiben einen immer stärker werdenden. Trend zur Privatisierung des Krieges und der Sicherheit. Die erste Form - die Rekru¬tierung von Kindersoldaten, das Morden der Milizen, der Kampf der Warlords um Zugriff auf Rohstoffe, der Waffen-, Drogen- und Menschenhandel des organisierten Verbrechens - lässt sich als Privatisierung der Gewalt von unten beschreiben, an der sich zahlreiche nicht-staatliche Akteure beteiligen, weil sie eine Regierung stürzen, sich gegen Übergriffe wehren oder sich schlicht bereichern wollen. Diese Gruppen sorgen für Unsicherheit und Staatszerfall. Viele Regierungen sind mit ihren Polizei- und Militärstreitkräften nicht mehr in der Lage, Ruhe, Ordnung und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten. Der schwache oder in vielen Ländern kaum noch existierende oder zusammengebrochene Staat kann das staatliche Gewaltmonopol nicht durchzusetzen. Die Folge ist eine weitere Destabilisierung der Gesellschaft und zunehmende Unsicherheit.

Die Beauftragung privater Militärfirmen, das „outsourcen'' traditionell militärischer Funktionen, wie es zur Zeit vor allem in den USA und Großbritannien, aber auch in anderen Ländern, praktiziert wird, ist eine geplante Privatisierung von oben. Der neoliberale Trend zur Privatisierung hat auch das Militär erfasst, das bislang eine der staatlichen Kernaufgaben schlechthin ausführte. In den letzten Jah¬ren mischen immer mehr private Akteure in gewalttätigen Auseinandersetzungen und Kriegen mit.

Der deregulierte Krieg
Die US-Streitkräfte schrumpften seit Ende des Kalten Krieges von 2,3 Millionen Soldaten auf unter 1,5 Millionen. Jetzt haben sie vermehrt Schwierigkeiten, in ihren Kriegs- und Postkonflikteinsätzen auf dem Balkan, in Afghanistan oder im Irak für Nachschub zu sorgen. Zunehmend verlassen sie sich bei der Ausbildung der Soldaten, der Reparatur von Waffen, beim Sammeln von krieqsrelevanten Informationen, beim Verhör von Kriegsgefangenen oder bei der Versorgung der Soldaten in den Kampfgebieten mit Essen und sauberer Wäsche auf die Dienste privater Firmen. Wie Pilze sind Hunderte dieser privaten Militär- und Sicherheitsfirmen aus dem Boden geschossen - nicht nur in den USA.

Ihr Geschäft ist der Krieg und die Nachkriegsphase; sie rekrutieren kampferprobte ehemalige Soldaten weltweit. Waffen und anderes Gerät werden von ihnen gekauft oder geliehen - zumeist mit ordentlicher Lizenz der Regierung. Immer mehr übernehmen private Militärfirmen die Aufgaben von Soldaten. Beobachter schätzen, dass rund 25.000 Mitarbeiter privater Militär- und Sicherheitsfirmen· im Irak eingesetzt sind. Auf jeden fünften oder sechsten Armeeangehörigen kommt ein Firmenmitarbeiter.

Der Irak ist kein Einzelfall. Ob in der Drogenbekämpfung in Kolumbien, in den früheren oder aktuellen Bürgerkriegen im westafrikanischen Sierra Leone oder dem südafrikanischen Angola; im Kriegsgebiet an den Großen .Seen in Zentralafrika, in Sri Lanka oder auf dem Balkan - immer sind die Spezialisten dabei. Die Produktpalette der beteiligten Firmen reicht von Sicherheitsdiensten für Privatpersonen und Gebäude bis zur Militärhilfe für ausländische Streitkräfte, von der Logistik bis zur Verwaltung militärischer Liegenschaften, von Transportdiensten für UNO-Organisationen bis zu Kampfeinsätzen, von technisch komplexen bis zu eher schmutzigen Aufgaben wie der Verteidigung der Privilegien korrupter Eliten. Für diesen Geschäftserfolg war nicht nur maßgebend, dass sich manche Streitkräfte aufgrund zusätzlicher internationaler Aufgaben überfordert fühlten, vielmehr beruhte diese Entwicklung auf dem weit verbreiteten politischen Streben nach dem „schlanken Staat". Das ökonomische, neoliberale Konzept, den Staat zu verschlanken und seine Aufgaben zu be¬schneiden und zu privatisieren, macht nicht vor den Kasernentoren Halt. In den USA passt die Privatisierung in das Konzept, die Streitkräfte auf die so genannten Kernkompetenzen, auf Kampfeinsätze, auszurichten. Verteidigungsminister Rumsfeld schrieb: ,,Jede Funktion, die vom privaten Sektor übernommen werden kann, ist keine Kernfunktion der Regierung."

Abgesehen von der problematischen Entwicklung, die Kontrolle über die Gewaltinstrumente an Privatakteure zu verlieren, ist der. Privatsektor bislang den Nachweis schuldig geblieben, dass die Streitkräfte durch die Effizienz des Privatsektors tatsächlich entlastet werden. Und dies aus verschiedenen Gründen: Erstens gibt es keine wirkliche Konkurrenz; die Firmen erhalten oft vage formulierte Pauschalaufträge und nutzen jede Möglichkeit, ihre Kosten plus Gewinnaufschlag auf den Staat abzuwälzen. zweitens fehlt der Regierung die Kompetenz zur Überwachung der Firmen, wie zahlreiche Berichte des amerikanischen Rechnungshofs belegen. Diese Kontrollfunktion ist deshalb wiederum an private Firmen übertragen worden. So beauftragte das amerikanische Verteidigungsministerium beispielsweise MPRI, eine der größten US-Militärfirmen, die Richtlinien zur Vergabe von Aufträgen an Privatfirmen zu erarbeiten. Damit wird der sensible Bereich der Sicherheit zum Selbstbedienungsladen privater Akteure.

Auch in der UNO wird über die Nutzung der Dienste privater Sicherheitsfirmen nachgedacht. Man hat das Dilemma, ständig mit neuen Aufgaben zur Verteidigung von Menschenrechten, zum Stopp von Kriegen und zur Bändigung von Milizen in Bürgerkriegen beauftragt zu werden, ohne die erforderlichen Mittel von den Mitgliedsländern zu erhalten. Bieten die privaten Militärfirmen hier tatsächlich einen Ausweg? Bislang haben die Privaten noch keine Friedensmission verantwortlich übernommen, weil einer Mehrheit der UNO-Mitgliedsländer die Konsequenzen dieser Entwicklung als problematisch erscheinen.

Der ständige Ruf nach dem Einsatz von Streitkräften führt nicht nur zu einer Überforderung des Militärs. Er verstellt auch den Blick für mögliche zivile Alternativen: Prävention von Konflikten oder Stopp von Gewalt mit zivilen Mitteln bleibt dabei oft auf der Strecke.

Rent-a-Soldier
,,Rent-a-Soldier" ist keine Utopie mehr. Ausschlaggebend ist nicht so sehr, wie Sicherheitsaufgaben durchführt werden - durch staatliche Kräfte oder private Akteure. Entscheidend ist, ob der Staat die demokratisch legitimierte Kontrolle über die Gewaltakteure behält. Bislang ist die Aktivität der privaten Militärfirmen kaum geregelt. Viele Tätigkeiten dieser Firmen sind durchaus legal. Manche Akteure aber operieren in einer Grauzone und wiederum andere haben das Völkerrecht und die Menschenrechte verletzt. Müssen sich die privaten Militär- und Sicherheitsfirmen für ihre Handlungen überhaupt verantworten? Während eine Regierung gegenüber dem Parlament rechenschaftspflichtig ist, sind private Firmen dies nur gegenüber ihren Aktionären und Auftraggebern. Die Privatisierung von Militäreinsätzen birgt die Gefahr, dass eine wichtige Funktion des Staates unterhöhlt und in manchen Ländern ganz aufhoben wird, nämlich die alleinig autorisierte Institution zu sein, Gewalt anzuwenden um Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten.

Es besteht ein qualitativer Unterschied zwischen der Privatisierung von Post oder Bahn und Militär oder Polizei - und der ist im staatlichen Gewaltmonopol begründet. Da die Privatisierung der Sicherheit kein vorübergehender Modetrend ist, sind Regeln für den Einsatz dieser Firmen dringend geboten. Dies sollte eine Registrierung der Firmen beinhalten, um Transparenz über das Gewirr der Anbieter mit sehr unterschiedlichem Ruf zu schaffen und so die schwarzen Schafe der Branche zu brandmarken. vor allem aber müssen bestimmte Bereiche für Firmen zum Tabu erklärt werden, insbesondere der Einsatz in Kampfhandlungen.

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Herbert Wulf war 1991 und 2002 bis 2007 Berater des United Nations Development Programme für Abrüstungsfragen in Nordkorea. e-mail: wulf.herbert(@)web.de; web: www.wulf-herbert.de