Völkischer Antiimperialismus

Die „Querfront“ gegen den Krieg und die Strategien der Neuen Rechten

von Richard Gebhardt

Die Aktionen der sogenannten „Montagsmahnwachen“ sowie die nachfolgenden Kampagnen „Friedenswinter“ und „Stopp Ramstein“ sorgten in den letzten Jahren für heftige Diskussionen innerhalb der Friedensbewegung. Ein Beispiel: Nachdem Monty Schädel von der DFG-VK im März 2015 in einem Interview mit der „jungen Welt“ scharfe Kritik am „Friedenswinter“ übte, verließ jw-Stammautor Rainer Rupp – als Spion „Topas“ ein prominenter „Kundschafter des Friedens“ der DDR in der NATO – das Blatt und warf in einem Offenen Brief jenen Linken, die auf eine dezidierte Rechtsabgrenzung bestehen, eine „sektiererische Position“ vor. Rupp plädierte vehement für die politische Vielfalt in der Friedensbewegung und bilanzierte: „Wenn sich Anfang der 1980er Jahre die Organisatoren der damaligen Friedensbewegung gegen die nukleare Aufrüstung der NATO so verhalten hätten wie heute DFG-VK-Chef Schädel, dann wäre es nie zu Massendemonstrationen wie im Bonner Hofgarten mit fast einer halben Million Menschen gekommen.“

Viel wurde seit 2014 geschrieben über Aktivisten wie Ken Jebsen („Ken FM“) oder Jürgen Elsässer („Compact“), über das in den Reihen der „Mahnwachen“ anzutreffende Geraune über die Macht der „Federal Reserve“ oder den historischen Einfluss der „Rothschilds“ auf die Weltpolitik. Mitunter wurde dabei übersehen, dass es auch in den Reihen der „Mahnwachen“ und ihrer Folgebündnisse zu Zerwürfnissen und Umgruppierungen kam. Jebsen und Elsässer beispielsweise treten nicht mehr zusammen auf, da der ehemalige Antideutsche Elsässer für die Pegida-Bewegung und die AfD mobilisierte. Für KritikerInnen war dies keine Überraschung, hatte Elsässer mit diesem Schritt doch letztlich alle Warnungen bestätigt.

Ein wichtiges Detail wird jedoch oftmals verkannt: Aufmerksam beobachtet wird die Kontroverse über die richtige Strategie gegen die Neuen Kriege der NATO auch im Lager der Neuen Rechten. Die sich in der Tradition der „Konservativen Revolution“ wähnende „Neue“ Rechte galt bislang als elitärer intellektueller Zirkel, der ein „metapolitisches“ Konzept verfolgt – die Einflussnahme auf Debatten sowie die Setzung und Umdeutung politischer Begriffe stehen hier im Zentrum. Anvisiert wurden vor allem die „Köpfe von Macht- und Mandatsträgern“, nicht die Mobilisierung der „Massen“ auf den Straßen. Seit den „Abendspaziergängen“ der Pegida oder der Gründung der AfD hat dieses Milieu jedoch politische Foren gefunden, die neben der parlamentarischen Arbeit der Mandatsträger eine auch aktionistische Einflussnahme etwa in Form von Straßenprotesten erlauben.

Neue Rechte
Im Zentralorgan der Neuen Rechten, der vom Institut für Staatspolitik herausgegebenen Zweimonatszeitschrift Sezession (Ausgabe 71, April 2016), veröffentlichte Benedikt Kaiser einen Grundsatzartikel über die „offenen Flanken des Antiimperialismus“. Dort plädierte Kaiser für einen „zeitgemäßen Antiimperialismus“, der „Kapitalismuskritik, Interventionskriege und Migrationsbewegungen“ kritisch untersuchen müsse. Ein solcher „Antiimperialismus“ müsse „zwangsläufig ins Rechte übergehen, wenn er konsequent zu Ende gedacht wird“. Kaisers Artikel ist deshalb bemerkenswert, weil der Autor ein informierter Beobachter der Linken ist. Sein Beitrag wird durch zahlreiche Zitate von Werner Pirker oder Sahra Wagenknecht flankiert.

Kaiser betont eine gemeinsame Gegnerschaft zu NATO, USA und transnationalen Konzernen und beklagt, ähnlich wie der verstorbene jw-Autor Pirker, die Abkehr breiter Teile der Linken vom Antiimperialismus. An dessen Stelle sei eine Bejahung des „Westens“ und seiner „Menschenrechtskriege“ getreten. Kaiser knüpft hier an eine Kritik des „rot-grünen Projekts“ an, die Zustimmung auch außerhalb seines politischen Zirkels finden kann. Ausdrücklich wendet er sich gegen den „Angriffskrieg gegen Serbien“, den er als „Imperialismus Marke Bundesrepublik“ geißelt. Die Syrienpolitik der USA wird geostrategisch als Kampf um Öl, Gas, Wasser und Transportwege eingeordnet.

Kaisers Schrift ist keine direkte Aufforderung zur „Querfront“ – er will mit der –ideologisch mehrheitlich unzuverlässigen – Linken nicht kooperieren, sondern diese beerben. Er will eigene Inhalte setzen, keine klassische Querfront propagieren. Zu diesem Thema hat er jüngst in der Edition Antaios – dem Hausverlag des Instituts für Staatspolitik, in dem er selbst als Lektor arbeitet – auch ein kleines Buch veröffentlicht, in dem er sein Plädoyer für einen „Antiimperialismus von rechts“ weiterentwickelt.

Geschichte der Querfront-Idee
Die publizistische Intervention von Kaiser macht – trotz aller Differenzen zur heutigen Strategie – nochmals deutlich, dass es lange vor der Auseinandersetzung mit den sogenannten „Montagsmahnmachen“ eine neurechte „Querfront“-Strategie gab, die später auch in die Antikriegsbewegung wirken wollte. Historisch stammt diese Strategie aus dem Umfeld der „Konservativen Revolution“, für die Autoren wie Oswald Spengler („Der Untergang des Abendlandes“) stehen. Querfront-Angebote gingen dabei meist von rechts, nicht von links aus. Kurt von Schleicher, der letzte Reichskanzler der Weimarer Republik, wollte in deren Endphase eine quer zu den traditionellen politischen Fronten liegende Massenbasis schaffen, die neben der Reichswehr und den Gewerkschaften auch die sogenannte „nationalsozialistische Linke“ („Strasser-Flügel“) umfassen sollte. Der Offizier von Schleicher setzte dabei auch auf eine Politik der staatlichen Interventionen zur Minderung der Wirtschafts- und Sozialkrise. Das Ziel dieser Art von Krisenbefriedung war die Revision von Versailles. Für den Krieg nach außen sollte ein „Burgfrieden“ nach innen geschaffen werden, der den dominanten Kapitalfraktionen die nötige Zustimmung in der Bevölkerung sichern sollte. Der autoritäre, ständestaatlich gegliederte „Sozialstaat“ sollte Streiks vermeiden helfen und die klassenkämpferische Linke paralysieren.

Der Schleicher-Kurs scheiterte, er selbst wurde im Zuge des Röhm-Putsches hingerichtet. Aber Aufforderungen zur Querfront wurden auch in der Bundesrepublik formuliert. Die vermeintlichen „linken Leute von rechts“ – so der Titel eines 1960 erschienenen Buches von Otto-Ernst Schüttekopf – setzten auf einen „linken“ Patriotismus, der die deutsche Nation gegen die „raumfremden Mächte“ (Carl Schmitt) verteidigen sollte. Der identitäre Bezug auf die Nation ist all diesen Versuchen gemeinsam. Seit den 1970er Jahren bot die nationalrevolutionäre Zeitschrift „Wir selbst – Zeitschrift für nationale Identität“ immer auch AutorInnen ein Forum, die in enger Verbindung zur damaligen Friedensbewegung standen. Zu ihnen zählten etwa Rudolf Bahro, Joseph Beuys oder Alfred Mechtersheimer. Hennig Eichberg, der Herausgeber von „Wir selbst“, kam aus der NPD und bot zugleich (neu-)rechten Vordenkern wie Bernard Wilms oder Hellmut Diwald ein Forum. Beide galten als Stichwortgeber der Republikaner (REP) und konnten in „Wir selbst“ zusammen mit VertreterInnen des rechten Flügels der Grünen – zum Beispiel Herbert Gruhl oder Rolf Stolz von der „Linken Deutschland Diskussion“ – veröffentlichen. Alfred Mechtersheimer gründete später die „Deutschland-Bewegung“, die einen Nationalpazifismus propagierte. Mechtersheimer, der gemeinsam mit der Neuen Rechten eine „selbstbewusste Nation“ forderte, steht exemplarisch für jene, die – bildlich gesprochen – den rechten Flügel der Friedenstaube stärken wollte.

Gemeinsamer Nenner dieser Publizisten war die dezidierte Gegnerschaft zu den USA. Die deutsche Wir-Identität wurde hier dem „Amerikanismus“ entgegengesetzt. Propagiert wurde ein Russland-Kult, der als Gegenentwurf zur „dekadenten“ Westenbindung galt. Und schon seit den Autoren der „Konservativen Revolution“ war die Umdeutung der Begriffe ein zentraler Bestandteil der politischen Strategie. Aus der „Volksgemeinschaft“ wurde so der „deutsche Sozialismus“, der als massenwirksamer Begriff auf den Anschluss an die Arbeiterbewegung zielte. Gerade die links-rechts-Unterscheidung sollte negiert und im völkischen Wir aufgehoben werden. Die alte – gerade in den Reihen der frühen Grünen populäre – Losung „Wir sind nicht rechts, nicht links, sondern vorn“, hallt bis heute nach.

Neue Querfrontideen
An diese Tradition knüpft Benedikt Kaiser an, wenn er in seinen Veröffentlichungen für einen rechten – ergo: völkischen – Antiimperialismus plädiert. Die Linke habe, so Kaiser, keinen Bezug zur Bedeutung der Nation im Rahmen der „kapitalistischen Globalisierung“, sie betrachte nationale Traditionen als bloße Erfindungen und denunziere Patriotismus nur als bloßes Ressentiment. Aufgrund ihrer elitär-linksliberalen Minderheitenpolitik habe sie auch den Kontakt zum „Kleinen Mann“ verloren. Die „eklatanten Widersprüche des liberaldemokratischen Kapitalismus“ blieben von der Linken unerkannt. Kaiser übersieht jedoch, dass die Analyse dieser Widersprüche zentral zur linken Theoriebildung gehört. Wenn Marx und Engels 1848 im Manifest der Kommunistischen Partei den Satz „Die Arbeiter haben kein Vaterland“ schreiben, ergänzen sie sogleich die entscheidende Pointe: „Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben“. Die Auflösung und die Widersprüche des Nationalen angesichts des Weltmarkts war schon für die frühen KommunistInnen ein Thema. Und bis heute wird den – von der Neuen Rechten negierten – Klassengegensätzen zentrale Bedeutung zugewiesen. Völkische AutorInnen kennen aber keine Klassen, sondern nationale Kollektive.

Kaiser diagnostiziert ein „politisches Vakuum“, in das die Rechte treten könne. Er postuliert: „Weil diese beiden Pole – Kapitalismus und Imperialismus – aber untrennbar sind, weil beide die bewahrenswerte Vielgestaltigkeit der Welt auslöschen, muss die Rechte heute antikapitalistisch und antiimperialistisch sein.“ Der Beitrag schließt mit der Forderung nach einem „neuen Blick auf die Flüchtlingskrise und ihre Auslöser“.

Dieser neue Blick wird auch andernorts gefordert, zum Beispiel so: „Die USA bombardieren seit Jahren im Vorderen Orient, aber die Flüchtlingsströme sollen die Europäer bewältigen. Und Merkel erweist sich wieder einmal als treue Vasallin des großen Bruders. Dabei wäre es in erster Linie die Pflicht der USA, die Menschen aufzunehmen, die vor ihren Ölkriegen fliehen.“ Ein bemerkenswertes Zitat. Denn gegen die katastrophale Kriegspolitik der USA gibt es zahllose treffende Einwände. Die Polemik gegen die Bundeskanzlerin als „treue Vasallin“ zeugt jedoch von einem Weltbild, in dem Deutschland – immerhin Exportvizeweltmeister – nur als Knecht der US-Politik vorkommt. Der Verfasser dieser Zeilen ist jedoch kein neuer Rechter, sondern ein alter Linker – das Zitat stammt aus dem Juni 2016 und ist ein Facebook-Kommentar von Oskar Lafontaine, dem rhetorische links-rechts-Rochaden keineswegs fremd sind.

Der seit 2014 andauernde Streit über den Kurs der Friedensbewegung bleibt ungebrochen aktuell. Zur „Querfront gegen Bilderberger in Dresden“ rief Jürgen Elsässers Compact im Mai 2016 auf. Die „Sezession“ liefert derweil eine eigenständige, mit „linken“ Versatzstücken angereicherte Strategie jenseits der phrasenhaften Appelle, für die Elsässers Blatt steht. Und 2017 stehen für eine solche Intervention politische Akteure zur Wahl, die über das bisherige politische Spektrum hinausgehen und – wie Pegida oder die AfD – die „Flüchtlingskrise“ als Kriegsfolge in anti-progressiver Absicht auf die Agenda setzen. Eine Friedensbewegung aber, der Massenzustimmung wichtiger ist als inhaltliche Mindeststandards, wird hier nur geringe Möglichkeiten zur Gegenwehr haben.

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Richard Gebhardt ist ist politischer Bildner und Publizist in Köln.