Die riskante Anerkennung Indiens als legitime Atommacht

von Ina Uhlich

Die Gruppe der nuklearen Lieferländer (NSG) hat in der Sitzung am 4./5. September einer Ausnahmegenehmigung (waiver) für Indien für den Handel mit nuklearen Materialien zugestimmt. Indien ist damit auf dem Weg – trotz erheblicher und begründeter Bedenken – als legitime Atommacht  anerkannt zu werden.

Nachdem der Gouverneursrat am 1. September einem Abkommen über Sicherheitsmaßnahmen (safeguards agreement) mit Indien ohne Weiteres zugestimmt hatte, ruhten die Hoffnungen zahlreicher Kritiker auf das politische Verantwortungsbewusstsein der 45 Staaten umfassende Gruppe nuklearer Lieferländer, von denen bereits im Vorfeld zahlreiche Staaten Bedenken geäußert hatten. Das durchaus Widerstand bestand, zeigt sich an der Vertagung der Sitzung vom 22. August, bei der die USA aufgefordert wurden, eine überarbeitete Fassung des Abkommens einzureichen. Letztendlich konnten die USA und Indien jedoch einen Sieg für sich verbuchen, da keine der Regierungen den Mut hatte, sich dem Abkommen zu widersetzen. Es hätte – da auf dem Konsensprinzip beruhend – ein Veto genügt, um die fatale Entscheidung abzuwenden.

Die Rolle, die dabei der deutschen Regierung zukommt, ist mit Makeln behaftet.[1] Das Außenminister Steinmeier und die SPD nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung von Kernwaffen zu einer Leitlinie der deutschen Außenpolitik erklärt haben, spiegelte sich weder in der deutschen Position noch dem Verhalten wider. Deutschland wurde vorgeworfen, den USA zuviel Spielraum eingeräumt zu haben, den diese nutzte, um ihre Position während der häufigen Unterbrechungen durchzusetzen. Der ehemalige UN-Untersekretär (1998-2003) berichtete über „brutalen und unvorstellbaren Druck“[2], der auf dem Abkommen kritisch gegenüberstehenden Länder ausgeübt worden ist. Der deutschen Regierung wird vorgeworfen, der Bush-Regierung einen letzten „Treuedienst“ erwiesen zu haben.[3]

Das Netzwerk Abolition 2000[4] äußerte Befürchtungen, dass die internationale Gemeinschaft in naher Zukunft die Entscheidung zugunsten der ‚törichten Initiative’ des amerikanischen Präsidenten und indischen Ministerpräsidenten bereuen könnte. Unter einer Vielzahl von Kritikern forderten auch die „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.“ (IPPNW) die deutsche Regierung dazu auf, sich gegen diesen Vertrag auszusprechen. Indien als einen der vier Nicht-Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages (Nonproliferation Treaty, NPT), Privilegien zuzugestehen, ohne die entsprechenden Verpflichtungen bzw. die Mitwirkung am internationalen Nichtverbreitungsregime einzufordern, gleiche laut IPPNW dem Öffnen der sprichwörtlichen „Büchse der Pandora“.

Die Gefahren, die sich aus der Zustimmung der nuklearen Lieferländer zu dem US-Indien Abkommen ergeben, sind vielfältig. Gerade weil Indien sich weigert den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, war es notwendig, um eine Ausnahmegenehmigung zu ersuchen. Und deshalb ist es auch unverantwortlich, dass – trotz der weiterhin mangelnden Einsicht der indischen Regierung – das Abkommen sowohl den IAEO-Gouverneursrat sowie die Gruppe der Nuklearen Lieferländer ohne größere Schwierigkeiten durchlaufen hat. Warum weigert sich Indien standhaft dem NPT-Vertrag zuzustimmen, wenn es – wie immer wieder betont wird – lediglich an der zivilen Nutzung nuklearer Materialien und Technologien interessiert ist? Die genehmigte Ausnahmeregelung sendet eindeutig die falschen Signale an die Mitglieder der internationalen Gemeinschaft. Es gefährdet nicht nur die völkerrechtliche Absicherung des etablierten Nichtverbreitungssystems massiv, indem es die Glaubhaftigkeit und Wirksamkeit des NPTs in Frage stellt, es ist dazu noch eine gravierende Verletzung des Prinzips der Gleichberechtigung. Eine Trennung in „gute“ und „böse“ Lieferstaaten und damit das Anwenden von zweierlei Maß lässt sich nun nicht mehr leugnen. Während z.B. der Iran als Mitglied des NPTs sich aufgrund seines legalen zivilen Atomprogrammes gegenüber Verdächtigungen als „Schurkenstaat“ rechtfertigen muss, bekommt nun ein Nichtmitglied Privilegien zugesprochen, die durchaus zu einer nuklearen Aufrüstung führen könnten.[5] Des Weiteren werden andere Nichtmitglieder ähnliche Rechte, wie sie auch der indischen Regierung zugestanden worden sind, einfordern. Dies ist gerade in konfliktbehafteten Beziehungen (wie z.B. im angespannten Nachbarschaftverhältnis Pakistans und Indiens) ein Anstoß für neue Auseinandersetzungen. So wird in dieser Hinsicht von Experten auch vor einem erneuten Rüstungswettlauf zwischen den beiden gewarnt. Ebenfalls besorgniserregend sind die Zweifel hinsichtlich Indiens Absichten und der Ernsthaftigkeit der zugesicherten Verpflichtungen, insbesondere da diese in aller Öffentlichkeit bereits teilweise relativiert worden sind. Während also Befürworter das Abkommen würdigen und darauf verweisen, Indien wichtige Zugeständnisse abgerungen zu haben, und behaupten es damit näher an das Nichtverbreitungssystem heranführen zu können, bezweifeln Kritiker die Aussagen und mahnen weiterhin auf größere politische Weitsicht.

Neben zahlreichen Bedenken auf internationaler Ebene, regt sich zudem Protest auf nationaler Ebene. Indische Gegner des Abkommens wie der Rüstungsgegner J. Sri Raman oder Dr. Arun Mitra, Generalsekretär der „Indian Doctors for Peace and Development“ (die indische Sektion der IPPNW), befürchten, dass die durch das Abkommen legitimierten Uranlieferungen es Indien erlauben werden, eine schnellere Aufstockung des nuklearen Waffenarsenals unter dem Vorsatz der zivilen Nutzung zu erzielen. Dabei werde der falsche Eindruck erweckt, dass das Abkommen Energieprobleme lösen könne.[6] Hierbei würde nicht bedacht, dass Indien über zahlreiche alternative Energieressourcen verfüge, auf das es – sofern echtes Interesse bestünde – zurückgreifen könnte. Darüber hinaus würde bei der Atompolitik der indischen Regierung gesundheitliche Gefahren, die aus Atomtransporten, der atomaren Energiegewinnung sowie der Endlagerung resultieren, ignoriert.

Insgesamt kann festgestellt werden, dass mit der NSG-Entscheidung zugunsten einer Aufhebung der seit 34 Jahren bestehenden Sanktionen für den Handel mit nuklearer Materialen für Indien eine weitere Hürde auf dem Weg zum Aufstieg zu einer legalen Atommacht geebnet wurde und dem bestehenden Nichtverbreitungssystem ein schwerer Schlag versetzt. Trotz der Gefahren und vielen Aufrufen, die politischen Bedingungen und Konsequenzen zu bedenken, sind erneut politischen Interessen mittels massiven Drucks Vorrang vor einer atomwaffenfreien Zukunft eingeräumt worden.

Bevor das Abkommen in Kraft treten kann, muss es noch eine letzte Hürde nehmen. Diese besteht in der Zustimmung des US-amerikanischen Kongresses. Sollte eine Zustimmung nicht bis Ende September erfolgen, wo sich der Kongress aufgrund der Präsidentschaftswahlen auflöst, ist ungewiss, wie die Entscheidung unter der neuen Regierung ausfallen wird. Kritiker hoffen hierbei auf eine verantwortungsvollere Entscheidung als Zeichen des politischen Wandels. Nichtsdestotrotz besitzt Indien nun die Erlaubnis für den Handel mit nuklearen Materialien und Technologien. Selbst wenn das Abkommen zwischen der USA und Indien scheitern sollte, haben bereits andere Länder (z.B. Frankreich und Russland) Interesse an Handelsbeziehungen im Bereich der Atomindustrie geäußert.[7]

Deutschland hingegen, erhält sozusagen eine zweite Chance, letztendlich doch noch auf die zahlreichen Appelle der Abkommenskritiker einzugehen und politische Verantwortung zu zeigen. Im Zusammenhang mit der Erteilung der NSG-Ausnahmegenehmigung erhielt die deutsche Ministerin Schavan eine Anfrage Indiens nach technischer Unterstützung.[8] Seit sich Indien 1971 nuklear bewaffnet und Atomtests durchgeführt hat, ruht ein zuvor geschlossenes ziviles Kooperationsabkommen zwischen den beiden Regierungen. Zu hoffen bleibt, dass dies weiterhin Bestand hat und Deutschland endlich zu seinen Leitlinien hinsichtlich der Atomenergie steht.

 

Anmerkungen
[1] Vgl. Bernd Pickert: Ein fataler Beschluss: Indien steigt zur legalen Atommacht auf. Nuklearwaffen könnten sich verbreiten (taz, 8.9.2008) unter: www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/nuklearwaffen-koennten-sich-ver...

[2] J. Sri Raman: How India’s Nuclear ‚Waiver’ was Won. (truthout, 9. 9. 2008) unter: www.truthout.org/article/how-indias-nuclear-waiver-was-won

[3] Oliver Meier/Daryl Kimball: Nach dem Atomdeal droht ein neuer Rüstungswettlauf zwischen Indien und Pakistan. Freibrief zur atomaren Aufrüstung. (taz, 3.8.2008) unter: www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/freibrief-zur-atomaren-aufruest...

[4] Abolition 2000 ist ein Netzwerk, das sich aus über 2000 Organisationen aus 90 Ländern zusammensetzt.

[5] Während Indien zögerlich zugestimmt hat, die zur zivilen Nutzung gedachten Atomanlagen für internationale Kontrollen öffentlich zu machen, verweigert es den Kontrolleuren jedoch weiterhin den Zugang zu militärischen Einrichtungen.

[6] So unterstreicht z.B. der indische Minister für Technologie Sibal die positiven Effekte für sein Land dank nuklearer Technologien. So könne eine ausreichende Stromversorgung etabliert werden, ohne die globale Erwärmung weiterhin zu beschleunigen.

[7] Siehe dazu: J. Sri Raman: How India's Nuclear "Waiver" Was Won. Unter: http://www.scoop.co.nz/stories/HL0809/S00145.htm

[8] Vgl. Christian Schwägerl: Indien will deutsche Atomtechnik. (Der Spiegel, 8.9.2008) unter: www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,576956,00.html

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund

Themen

Ina Uhlich studiert in Magdeburg Friedens- und Konfliktforschung.