Die Rolle der Medien bei der Konstruktion von Krieg und Frieden

von Wilhelm Kempf

In seiner berühmten Untersuchung der Propagandatechniken im Ersten Weltkrieg kam Lasswell (1927) zu dem Schluss, dass die psychologischen Widerstände gegen den Krieg in modernen Gesellschaften so groß sind, dass jedem Krieg der Anschein gegeben werden muss, ein Verteidigungskrieg gegen einen bedrohlichen, mörderischen Aggressor zu sein. Um dies zu erreichen, sei ein massiver Aufwand an Propaganda erforderlich, deren Ziel es ist, den Kriegswillen der eigenen Soldaten und der eigenen Zivilbevölkerung zu stärken und ihre Identifikation mit den Kriegszielen herzustellen.

In diesem Überzeugungsprozess kommen sowohl einschränkende als auch unterstützende Maßnahmen der Informationskontrolle zur Anwendung: Einschränkende Maßnahmen zielen darauf ab, all jene Informationen zu minimieren, welche die Kriegsbereitschaft negativ beeinflussen könnten. Unterstützende Maßnahmen zielen darauf ab, all jene Informationen zu maximieren, welche einen positiven Effekt haben.

Die Produktion positiver Informationen bedient sich dabei der Methoden der Fabrikation, Selektion und Übertreibung von Informationen. Ziel der Propaganda ist es, die Wertehierarchie der Öffentlichkeit so umzustrukturieren, dass der Sieg über den Feind zum obersten Ziel wird, dem alle anderen Werte - wie Wahrheit, ethische Erwägungen und individuelle Rechte - untergeordnet sind. Die Wahrheit stellt für die Propaganda nur Rohmaterial dar. Wenn es nötig ist zu lügen, so ist dies für die Propaganda nur eine technische, aber keine moralische Frage. Wenn es nicht nötig ist zu lügen, umso besser (Luostarinen, 2002).

Die Funktionsweise moderner Massenmedien kommt dieser Möglichkeit entgegen. Dabei lässt sich feststellen, dass es nicht so sehr die berichteten Fakten sind, die dafür eine Rolle spielen, als die Bedeutung, welche ihnen verliehen wird. Die Bedeutung einer Nachricht wiederum hängt von ihrer Kontextualisierung ab, welche durch die Art ihrer Präsentation in den Medien – durch ihr Framing – gesteuert wird.

“Framing” bedeutet nach Entman (1993) “einige Aspekte der wahrgenommenen Realität auszuwählen und sie in einer Weise hervorzuheben, die eine bestimmte Problemdefinition, kausale Erklärung, moralische Bewertung und/oder Reaktion darauf fördert“. Worum es dabei geht, ist die Art und Weise, wie Informationen präsentiert werden, welche Aspekte betont, welche nicht behandelt werden, aber auch, unter welcher Überschrift sie dargestellt, welche Worte, Begrifflichkeiten, Metaphern verwendet, welche rhetorischen und stilistischen Mittel angewandt werden und welche Erzählform gewählt wird, etc.

Die Parzellierung der Realität, ihre Zergliederung in scheinbar zusammenhanglose Ereignisse und Episoden ist der Grundzug der mediengesteuerten Manipulation. Dabei besteht die Manipulation nicht in der unmittelbaren Verfälschung der Tatsachen nach den Maßgaben eines ideologischen Systems, sondern in der Auswahl und Präsentation der Themen und Bilder. Strukturen und Verbindungslinien werden ausgeblendet und Ereignisse zusammenhanglos aneinandergereiht (Seppmann, 1993). Aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen, fügen sich die Ereignisse in der Wahrnehmung der Rezipienten wieder zu einem sinnvollen Ganzen zusammen, indem sie auf Bekanntes und Vertrautes reduziert werden.

Für die daraus resultierende Ununterscheidbarkeit von Kriegsberichterstattung und Propaganda haben Sozialwissenschaftler eine Vielzahl an Ursachen ausgemacht: u.a. die politische Ökonomie der Massenmedien (Herman & Chomsky, 1988), Maßnahmen des Militär-Medien Managements (Luostarinen & Ottosen, 2002), den Einfluss von Public-Relations Agenturen (Beham, 1996) und das für den Journalismus typische Verständnis von „Objektivität“ (McGoldrick, 2006), welches ebenfalls dazu führt, dass die Medien ‑ auch in demokratischen Gesellschaften ‑ über weite Strecken hinweg zum Sprachrohr der kriegführenden Eliten werden. Nicht, weil die Medien ‑ wie in totalitären Regimen vielfach zu beobachten – durch Zensur und gezielte Falschinformationen von oben her zum Propagandainstrument degradiert werden oder weil sie sich mit Absicht in den Dienst der Kriegspropaganda stellen, sondern weil diese Faktoren eine Struktur darstellen, welche die Berichterstattung zu deren Gunsten verzerrt.

Ein weiterer Faktor, welcher zur Ununterscheidbarkeit von Kriegsberichterstattung und Propaganda beiträgt, sind die Mechanismen der Nachrichtenselektion. Unter den vielen Merkmalen, welche den Nachrichtenwert einer Meldung erhöhen (vgl. Eilders, 1997), sind es vor allem die Simplifizierung (Östgaard, 1965), sowie Negativismus, Eliteorientierung, Personalisierung (Galtung & Ruge, 1965), welche dafür verantwortlich sind.

Die Bevorzugung negativer Nachrichten (Positives ist weniger interessant), die Personalisierung der Nachrichten (Strukturen oder Institutionen sind zu abstrakt, um Interesse zu wecken) und die Orientierung der Medien an Eliten (sowohl Elite-Personen als auch Elite-Länder) lassen regelmäßig ein Bild der Wirklichkeit entstehen, welches die Welt in Elite-Länder und Peripherie-Länder – und damit zugleich in Gut und Böse einteilt. Um in die Medien zu kommen, muss an der Peripherie Furchtbares geschehen: Katastrophen, Gewalt und Krieg. Positives wie Frieden wird über sie am ehesten dann berichtet, wenn es durch die geduldige und kostspielige Intervention von Angehörigen der Eliten in den reichen Ländern gebracht wird (Galtung, 1998). Nimmt man dann noch den Faktor der Simplifizierung hinzu, so ist die Schwarz-Weiß-Malerei der Kriegsberichterstattung geradezu vorprogrammiert. Die berichteten Ereignisse werden ihrer Komplexität beraubt und auf ein einfaches Freund-Feind Schema reduziert.

Auch die Arbeitsbedingungen der Journalisten tragen dazu bei, dass die Medien Ihre Funktion als Fünfte Gewalt – die öffentliche Kontrolle der Politik – im Kriegs- und Krisenfall kaum je erfüllen. Nach Bläsi (2006) sind es insbesondere sechs Faktoren, welche die Qualität der Kriegsberichterstattung beeinflussen:

  1. Merkmale des individuellen Journalisten: journalistische und konflikttheoretische Kompetenz, Erfahrung, professionelles Selbstverständnis, Werte, Überzeugungen und Motive.
  2. Die Situation vor Ort: Infrastruktur, Logistik, Geographie, Sicherheitssituation, Zugänglichkeit zu Orten, Zugang, Glaubwürdigkeit und Überprüfbarkeit von Quellen, Restriktionen seitens der Konfliktparteien und die Komplexität des Konfliktes.
  3. Strukturelle Bedingungen: Gesetzliche Vorgaben, bestehende Nachrichtenformate und Sendeplätze, redaktionelle Strategien und Abläufe, Erwartungen und Einfluss der Herausgeber, Nachrichtenfaktoren und Medienökonomie.
  4. Merkmale des Zielpublikums: Interessen, Vorwissen, Gewohnheiten und Erwartungen, Kauf- und Konsumverhalten.
  5. Lobbyismus: Politik, Militär, Wirtschaft, NGOs (z.B. Friedens- und Hilfsorganisationen), Kirchen und Gewerkschaften.
  6. Das öffentliche Klima: Prominenz des Themas, Vielfalt der Meinungen, Grad der Polarisierung und potentielle Sanktionen für Abweichungen vom Mainstream der öffentlichen Meinung.

All diese Faktoren tragen mit dazu bei, dass Kriegsberichterstattung in der Regel ein Zerrbild der Wirklichkeit produziert, welches die Schuldfrage zugunsten der je eigenen Seite entscheidet und die gerechtfertigte Empörung über den Krieg in eine selbstgerechte Empörung über den Feind verwandelt. Da diese Wahrnehmungsverzerrungen in sozialpsychologischen Prozessen verankert sind, die in interpersonalen Konflikten genau so zum Tragen kommen wie in Konflikten zwischen Gruppen, Gesellschaften oder Staaten (Deutsch, 1976), ist es nicht weiter verwunderlich, wenn Journalisten diese verzerrte Realitätswahrnehmung mit ihrem professionellen Ethos vereinbaren und auch der Großteil der Öffentlichkeit die medialen Wirklichkeitskonstruktionen für bare Münze nimmt.

 

Literatur
Beham, M. (1996). Kriegstrommeln. Medien, Krieg und Politik. München: Deutscher Taschenbuch Verlag

Bläsi, B. (2006). Keine Zeit, kein Geld, kein Interesse ...? Konstruktive Konfliktberichterstattung zwischen Anspruch und medialer Wirklichkeit. Berlin: regener.

Deutsch, M. (1976). Konfliktregelung. München: Reinhard.

Eilders, C. (1997). Nachrichtenfaktoren und Rezeption. Eine empirische Analyse zur Auswahl und Verarbeitung politischer Information. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Entmann, R.M. (1993). Framing: Toward clarification of a fractured paradigm. Journal of Communication, Vol. 43, No. 4, 51-58.

Galtung, J. (1998). Friedensjournalismus: Warum, was, wer, wo, wann? In Kempf, W. & Schmidt-Regener, I. (eds.). Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien. Münster: Lit, 3-20.

Galtung, J. & Ruge, M.H. (1965). The structure of foreign news. Journal of Peace Research, 2, 64-91.

Herman, E. S., Chomsky, N. (1988). Manufacturing consent: The political economy of the mass media. New York: Pantheon Books.

Lasswell, H.D. (1927). Propaganda technique in the World War. London: Kegan Paul.

Luostarinen, H. (2002). Propaganda Analysis. In: Kempf, W. & Luostarinen, H. (eds.). Journalism and the New World Order. Vol. II. Studying war and the media. Göteborg: Nordicom, 17-38.

Luostarinen, H., Ottosen, R. (2002). The changing role of the media in conflicts. From the Cold War to the Net Age. In: Kempf, W. & Luostarinen, H. (ed.), Journalism and the New World Order, Vol. II: Studying war and the media. Göteborg: Nordicom, 39-57.

McGoldrick, A. War journalism and "objectivity". Conflict & communication online, Vol. 5, No. 2.

Seppmann, E. (1993). Medien-Bewußtsein. Marxistische Blätter, 1/93, 21-29.

Östgaard, E. (1965). Factors influencing the flow of news. Journal of Peace Research, Vol. 2, No. 1, 39-63.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Wilhelm Kempf ist seit 1977 Professor für Psychologische Methodenlehre und Leiter der Projektgruppe Friedensforschung an der Universität Konstanz. Seit 2002 ist er Herausgeber von conflict & communication online. Arbeitsschwerpunkte: Gewaltfreie Konfliktlösungen, Konstruktion sozialer Wirklichkeit durch die Massenmedien.