Meisterin des Todes

Die Schreckensbilanz der Rüstungsexportpolitik Angela Merkels von 2005 bis 2021

von Jürgen Grässlin
Hintergrund
Hintergrund

Die vier Regierungskoalitionen unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel offenbaren in der Ära ihrer sechzehnjährigen Kanzlerschaft (von 2005 bis 2021) eine Bilanz des Schreckens. Merkel ist als Vorsitzende des Bundessicherheitsrats (BSR) mit Exportgenehmigungen bei Einzel- und Sammelausfuhren in Höhe von 123 Mrd. € alleinige Rekordhalterin bei Rüstungsexporten – die Meisterin des Todes, wohlgemerkt in der deutschen Wirtschaftsgeschichte insgesamt.

Auch qualitativ wurden in der Ära Merkel kaum Fortschritte erzielt – Ausnahme einzig der befristete Rüstungsexportstopp gegen Saudi-Arabien, der allerdings durch politischen Druck aus der Zivilgesellschaft unerlässlich ? wurde. Nahezu ungebremst genehmigte die Bundesregierung Großwaffenexporte an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten der Jemen-Kriegskoalition und weiterer Kriegsparteien.

Im Bereich der Kleinwaffen konnte, dank des Drucks der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ sowie der Oppositionsparteien Linke und Grüne, zuletzt eine Reduzierung erreicht werden.

Immerhin ist es zivilgesellschaftlichen Organisationen gelungen, den Druck auf SPD, Grüne und FDP derart zu erhöhen, dass diese im Koalitionsvertrag vom November 2021 festgeschrieben haben, ein neues Rüstungsexportkontrollgesetz zu verabschieden. Von dessen Inhalten wird abhängen, ob es gelingt, Rüstungsexporte in die sogenannten „Drittländer“ weitgehend zu unterbinden.

Genehmigungen für Waffenexporte an kriegführende und menschenrechtsverletzende Regime
Besonders brisante Rüstungsexporte werden in geheimer Sitzung im BSR entschieden – einem weltweit einmaligen Rüstungsexport“kontroll“gremium. Hinter verschlossenen Türen - und damit bar jeglicher Transparenz - wurden von Bundeskanzlerin Angela Merkel als BSR-Vorsitzende und acht wechselnden Minister*innen von CDU, CSU und SPD (2005 bis 2009, 2013 bis 2017 und 2017 bis 2021) bzw. der FDP (2009 bis 2013) Waffenlieferungen an menschenrechtsverletzende und/oder kriegführende Staaten zumeist bewilligt.

Mit Exportgenehmigungen in Höhe von 123,0 Mrd Euro ist Merkel unangefochten Rekordhalterin in der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte vor allen anderen Kanzlern der Republik.

Unter Merkels Ägide durfte die deutsche Rüstungsindustrie mit Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Ägypten und weitere Staaten der Jemen-Kriegskoalition hochrüsten. Allein für die Länder der Jemenkriegskoalition genehmigte die Bundesregierung von 2015 bis 2020 (mit Katar und Marokko) den Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern im Volumen von 7,2 Mrd. Euro. Das ergeben die Berechnungen von Susanne Weipert, Koordinatorin der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“.

Dank Merkels Zustimmung konnten deutsche Waffen zudem im Afghanistankrieg, im Libyenkrieg, im Irakkrieg und im Syrienkrieg zum Einsatz gebracht werden. Die Bundeskanzlerin verantwortet mit ihren Kolleg*innen im BSR die erzwungene Flucht, Unterdrückung, Verstümmelung und Tötung Abertausender unschuldiger Menschen mit deutschen Waffen in Krisen- und Kriegsgebieten. Somit machten sich die beteiligten Politiker*innen schuldig der Beihilfe zu schweren Menschenrechtsverletzungen und, im schlimmsten Fall, der Beihilfe zu Mord.

Exemplarisch für folgenschwere Rüstungsexportgenehmigungen in den letzten vier Legislaturperioden seien folgende Kriegswaffenexporte genannt. Genehmigt wurden Waffentransfers  

  • an das salafistische Herrscherhaus in Saudi-Arabien: Teilzulieferungen für Tornado- und Eurofighterkampfflugzeuge von Airbus, Lizenzvergabe für die Sturmgewehrproduktion des G36 von Heckler & Koch u.v.a.m., trotz der Tatsache, dass Saudi-Arabien das Kriegsbündnis mehrerer Staaten im Jemenkrieg anführt. Fataler Weise schließt das im Oktober 2018 nach dem Mord an dem Journalisten Kashoggi verhängte Waffenembargo gegen Saudi-Arabien die Teilelieferungen für die besagten Kampfflugzeuge nicht aus;
  • an Staaten, die in den Jemenkrieg involviert sind: neben Ägypten (U-Boot der Klasse 209, Küstenwachboote und Patrouillenboote) auch an Kuwait, Jordanien, Bahrain und die VAE;
  • an Staaten, wie die Türkei und Katar, trotz deren Verwicklungen in den Libyenkrieg;
  • an die Türkei: Leopard-II-Kampfpanzer von Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall, eingesetzt im Syrienkrieg, U-Boote, Teilezulieferungen für Kampfdrohnen, eingesetzt in türkischen Drohnenkriegen;
  • an Israel: Teile für Kampfpanzer, Militärfahrzeuge, Fregatte MEKO, Korvetten, U-Boote der Dolphin-Klasse von ThyssenKrupp Marine Systems/TKMS; letztere dienen auch zur Seestationierung israelischer Atomwaffen;  
  • an Mexiko: G36-Gewehre von H&K, davon wurden  Abertausende widerrechtlich in belieferungsverbotene Unruheprovinzen transferiert;
  • u.v.a.m.

Auch in der letzten Legislaturperiode keine Wende zum Guten
Als die christlich-soziale Bundesregierung nach der Bundestagswahl vom 24. September 2017 erneut ihr Amt antrat, schenkten viele Bürger*innen den hehren Versprechungen Glauben, die neue Regierung werde in zentralen Politikbereichen eine Wende zum Besseren, gar Guten, einleiten.
Im Winter 2021/2022 zeichnet sich (bei noch ausstehendem Rüstungsexportbericht für 2021) bereits eine eindeutige Tendenz zur 19. Legislaturperiode ab. Auf eine parlamentarische Frage der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen musste die Bundesregierung eingestehen, dass sie für den Zeitraum von 2017 bis 2021 Rüstungstransfers im Umfang von mehr als 22,5 Mrd. € genehmigt habe.

All diejenigen, die – bei gleichbleibender Parteienkonstellation, fortgesetzter CDU-Kanzlerschaft von Angela Merkel und bei SPD-Vizekanzlerschaft von Olaf Scholz – auf die versprochene Wende der Regierungspolitik der Großen Koalition gehofft hatten, mussten bzw. müssen sich im Rüstungsexportbereich massiv getäuscht sehen. Auch die 19. Legislaturperiode war gekennzeichnet von einer Stabilisierung der Waffentransfers auf immens hohem Niveau.

Allein für das Jahr 2019 müssen sich die Regierenden in Berlin den bitterbösen Vorwurf gefallen lassen, die Einzelgenehmigungen für Kriegswaffenexporte auf den Negativwert von 8.014 Mrd. € hochgeschraubt zu haben. Von einer funktionierenden Exportkontrolle oder gar einer „restriktiven Exportpolitik“ konnte – wie in all den Jahren der Merkel-Regierungen – in Deutschland keine Rede sein.

Erfolgreiche Strafanzeigen im Bereich illegaler Kleinwaffenwaffenexporte
In diesem Jahr konnten wir aufgrund meiner bzw. unserer Strafanzeigen gegen Heckler & Koch (H&K) sowie SIG Sauer gleich zwei immense Erfolge vor dem Bundesgerichtshof (BGH) erzielen. Erfolge, die wir auch unserem Rechtsanwalt Holger Rothbauer verdanken. Ende März 2021 verwarf der BGH die Revision der Angeklagten im Strafverfahren gegen H&K wg. illegaler Gewehrexporte nach Mexiko. Per BGH-Beschluss wurden mehr als 3 Mio. € vom Unternehmen eingezogen.

Auch Deutschlands zweitgrößten Hersteller und Exporteur von Kleinwaffen ereilte ein vergleichbares Schicksal: Im Fall illegaler SIG Sauer-Kleinwaffenexporte von Deutschland über die USA nach Kolumbien verurteilte der BGH Anfang Juli das Unternehmen zu einer Zahlung von mehr als 11 Millionen Euro und bestätigte damit das Urteil des Landgerichts Kiel. Die Verurteilung zur Zahlung dieser historisch hohen Summe ist ein riesiger Erfolg der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ – wir hatten den Prozess mit unserer Strafanzeige 2014 angestoßen.

Warum die neue Ampelkoalition aktiv gegen Rüstungsexporte eintreten muss
Was vor wenigen Jahren noch utopisch geklungen hätte, gewinnt inzwischen an Kontur. Als Konsequenz unserer erfolgreichen Strafanzeige gegen Heckler & Koch wies der Bundesgerichtshof im April 2021 auf die bestehenden Lücken bei der Kontrolle des Kriegswaffenexports hin. In klaren Worten verkündete der Vorsitzende Richter des dritten Strafsenats am BGH, Jürgen Schäfer, in seiner Urteilbegründung: „Die Rechtslage zu ändern wäre Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der Gerichte, auch nicht des Bundesgerichtshofs.“ Der Schwarze Peter liegt also bei der Ampelkoalition.
Was wir in der Ära nach Merkel brauchen, ist neues Denken und eine wirkliche Wende hin zu einer Politik der Abrüstung und Entmilitarisierung. Im Rahmen dieses Umsteuerungsprozesses bedarf es der Verabschiedung eines neuen strikten Rüstungsexportkontrollgesetzes, wie es von Greenpeace in Absprache mit „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ für Deutschland vorgelegt worden ist. (1) Siehe hierzu auch den Beitrag „Der Arms Trade Treaty. Gute Ziele, weitgehend fehlende Umsetzung“ in dieser Ausgabe des FriedensForums.

Die Zeiten sind günstig für die Rüstungsexportwende. Seit Jahren bereits dokumentieren repräsentative Meinungsumfragen den Mehrheitswillen der bundesdeutschen Bevölkerung – gegen Rüstungsexporte, für Menschenrechte.

Resümee: Nach der Ära Angela Merkel gilt es, dem Mehrheitswillen der Bevölkerung in Deutschland zur Umsetzung zu verhelfen. Dabei sind Bundestagswahlen ein relevanter Stellhebel, jedoch nicht der einzige. Mit unserer Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ ist es uns gelungen, die Wende hin zur drastischen Reduktion der Exportgenehmigungen bei Kleinwaffen herbeizuführen.

Für das erste Halbjahr 2021 kann bei den Rüstungsexportgenehmigungen für Kleinwaffen und Kleinwaffenteile bilanziert werden: Zu 99,9 Prozent (!) wurden Ausfuhrbewilligungen für Maschinenpistolen, Sturm- und Scharfschützengewehre ausschließlich für EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder erteilt – und damit nicht länger für besonders bedenkliche Drittländer, wie beispielsweise Saudi-Arabien, Ägypten, die VAE, die Türkei oder Mexiko. (2)

Anmerkung
1 https://www.greenpeace.de/presse/publikationen/ruestungsexportkontrollge...
2 siehe https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2021/07/20210701-rue...

Weitere Informationen: siehe www.aufschrei-waffenhandel.de, www.gn-stat.org, www.rib-ev.de, www.dfg-vk.de und www.juergengraesslin.com

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Hintergrund
Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).