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Zur Nationalen Sicherheitsstrategie
Die Sehnsucht nach einer neuen deutschen Führungsrolle
von
„Die Regierungsparteien haben im Koalitionsvertrag die Vorlage einer für Deutschland erstmaligen und umfassenden Nationalen Sicherheitsstrategie verabredet. Im Auswärtigen Amt wurde der Startschuss für den etwa einjährigen Entwicklungsprozess gegeben. Die Bundesregierung sucht bei der Erstellung den Austausch mit dem Bundestag, mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Think-Tanks, Verbänden, Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen sowie mit Verbündeten und Partnern. Die erste Nationale Sicherheitsstrategie ist ‚umfassend‘ geplant. Es wird dabei ein breiter Sicherheitsbegriff zugrunde gelegt.“ So wird es auf der Website des Bundesministeriums für Verteidigung (BmVg) formuliert. (1)
Der folgende Kernsatz verdeutlicht die Stoßrichtung: „Die Sicherheit Deutschlands beruht auf einer starken Nordatlantischen Allianz sowie einer geeinten Europäischen Union. Mit dem strategischen Kompass der EU und dem strategischen Konzept der NATO haben sowohl die EU als auch die NATO in diesem Jahr neue Grundlagendokumente beschlossen.“
Zentral wird zur Begründung einer Nationalen Sicherheitsstrategie auf den Begriff einer „Zeitenwende“ zurückgegriffen, den Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung in der Sondersitzung zum Krieg gegen die Ukraine vor dem Deutschen Bundestag am 27. Februar 2022 in Berlin prägte und den wichtigen Medien, wie die Tagesschau und die FAZ daraufhin als „sicherheitspolitische Zeitenwende“ (3) präzisierten.
Der Begriff der „sicherheitspolitischen Zeitenwende“ ist für das FriedensForum insofern bemerkenswert, als es bereits 2016 das damals neu erschienene „Weißbuch“ der Bundeswehr als „Ankündigung einer sicherheitspolitischen Zeitenwende“ wertete. (4)
Deutlich wird in diesem Zusammenhang, dass hier mehrere Faktoren zusammenwirken. Da gibt es also eine längere Diskussionslinie, die sich bereits im Weißbuch von 2016 manifestierte und die dann mit dem russischen Angriff auf die Ukraine völlig neue Nahrung, einen völlig neuen Drive und selbstverständlich (? missverständlich) neue und verständlichere Argumentations- und Rechtfertigungsmuster bekam. Auf den Zusammenhang mit dem Weißbuch von 2016 wird inzwischen eher nicht hingewiesen. Dabei ähneln sich die beiden Diskussionslinien frappierend.
In der aktuellen Bewertung des Bundesministeriums für Verteidigung (BmVg) dient der russische Überfall auf die Ukraine nachträglich der Rechtfertigung der früheren mit der Orientierung des Weißbuches einhergehenden sicherheitspolitischen Umorientierung: „Das gegenwärtige sicherheitspolitische Umfeld zeigt, dass es richtig war, die Bundeswehr bereits in den letzten Jahren auf die Landes- und Bündnisverteidigung zu refokussieren. Die Fähigkeiten und Strukturen der Bundeswehr werden durch die ‚Zeitenwende‘ nun noch stärker auf die Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichtet. Das zeigen jetzt schon unsere verstärkten Beiträge an der NATO-Ostflanke.“
Dass es jetzt im Rahmen einer neuen Nationalen Sicherheitsstrategie vor allem um erhöhte Rüstungsausgaben geht, wird inzwischen sehr viel deutlicher und offener formuliert als in den Weißbuch-Zeiten von 2016.
„Andere Projekte müssten zugunsten der Sicherheit zurückgestellt werden, sagt Lindner“ resümiert die „Süddeutsche Zeitung“ im Hinblick auf die neuen Nationale Sicherheitsstrategie. „Das im vergangenen Jahr beschlossene Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro sei dabei nur ‚der erste Schritt, dem viele weitere folgen werden‘, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).“ (5)
Angesichts dieser frühen und deutlichen Festlegungen dürfte es nicht mehr viele Spielräume für die nötige Definition von „Sicherheit“ geben, die einer „Nationalen Sicherheitsstrategie“ vorausgehen sollte.
Was gefährdet unsere Sicherheit?
Die Frage Nummer 1: „Was und wer gefährdet unsere Sicherheit?“, ließe sich schließlich unter unterschiedlichen Aspekten betrachten.
Wer auf Hochrüstung als Lösung setzt, muss letztlich auf die Gewinnbarkeit eines Krieges setzen. Wer die Gewinnbarkeit eines Krieges bezweifelt oder gar negiert, dürfte sich auf international vereinbarte Rüstungsbegrenzung und Abrüstung orientieren, um die Gefahr eines Krieges wirkungsvoll zu reduzieren.
Wer die Problematik der immer deutlicher zu spürenden Folgen des Klimawandels als Gefahr für die Sicherheit unseres Landes sieht, dürfte auf deutlich erhöhte Ausgaben für den Klimaschutz drängen, die sich nur bei gleichzeitig reduzierten Rüstungsausgaben finanzieren ließen. Auch aus dieser Perspektive ist eine international vereinbarte Rüstungsbegrenzung und Abrüstung ebenso unabdingbar wie eine internationale Zusammenarbeit. Selbst mit Russland müsste eine Kooperation gesucht werden, um das Problem des auftauenden sibirischen Permafrostbodens anzugehen, dessen drohender Kohlendioxid-Ausstoß auch das Klima in Deutschland erheblich negativ beeinflussen dürfte. Unter diesem Aspekt wird es interessant werden, die irgendwann vorliegende Fassung der „Nationalen Sicherheitsstrategie“ kritisch zu hinterfragen. Dass der Klimawandel dort nicht benannt wird, erscheint schließlich undenkbar.
Wer die Problematik der steigenden Migration betrachtet, die schon das Weißbuch von 2016 als Sicherheitsrisiko benannte, wird neben der Problematik der regionalen Kriege und des Klimawandels auch die Problematik der ungerechten Weltwirtschaftsordnung betrachten müssen.
Diese Liste ließe sich noch weiter fortsetzen.
Deutschlands Rolle in der Welt
Die entscheidenden Schlüsselsätze zur Beurteilung des Weißbuches 2016 fanden sich in dessen Eingangskapitel „Deutschlands Rolle in der Welt und sicherheitspolitisches Selbstverständnis“. Dort hieß es unmissverständlich: „Deutschland wird zunehmend als zentraler Akteur in Europa wahrgenommen. Diese Wahrnehmung schafft ihre eigene Realität – im Sinne wachsender Handlungsmöglichkeiten, aber auch mit Blick auf die daraus resultierende Verantwortung.“ Als Konsequenz aus dieser Realitätsbeschreibung wurde formuliert: „Deutschland ist bereit, sich früh, entschieden und substanziell als Impulsgeber in die internationale Debatte einzubringen, Verantwortung zu leben und Führung zu übernehmen. Unsere gewachsene Rolle in der internationalen Sicherheitspolitik führt weder zu Automatismen noch zu Handlungszwängen, die unseren Werten und Interessen zuwiderlaufen oder unsere Möglichkeiten überdehnen.“
Die Sehnsucht nach einer neuen deutschen Führungsrolle vor allem in Europa, aber auch darüber hinaus in der Welt, ist ein zentraler Bestandteil der Politik der Bundesregierung, nicht erst seit der Ampel, aber auch jetzt. Auch unter diesem Aspekt dürfte das zu erarbeitende Dokument zur „Nationalen Sicherheitsstrategie“ kritisch zu hinterfragen sein.
Wer bei den jeweiligen Themen, die dort benannt werden, nach deren Gewichtung und womöglichen Beschwichtigungsformulierungen fragt, sollte darauf achten, welche konkreten finanziellen Ausgaben dafür jeweils anvisiert werden. Die Priorität Hochrüstung steht bei allen bisherigen Aussagen außer Frage.
Anmerkungen
1 https://www.bmvg.de/de/aktuelles/nationale-sicherheitsstrategie-die-wich...
2 https://www.bundesregierung.de/resource/blob/992814/2131062/78d39dda6647...
3 https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/zeitenwende-scholz-101.html
https://www.faz.net/aktuell/politik/scholz-sieht-sicherheitspolitische-z...
4 Das Weißbuch: https://www.bmvg.de/resource/blob/13708/015be272f8c0098f1537a491676bfc31...
https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/ankuendigung-ei...
5 https://www.sueddeutsche.de/politik/bundesregierung-nationale-sicherheit...