Mali

Die Stabilisierung der Zentren durch den Krieg in der Peripherie

von Christoph Marischka

Es ist nicht leicht, den Beginn der malischen Krise und der internationalen Intervention zu datieren. Bei dem Versuch stellt sich unweigerlich die Frage, was eigentlich zuerst da war, der Terrorismus oder der Krieg gegen den Terror. Die USA hatten bereits 2002 angefangen, häufig als "Stämme" bezeichnete Gruppen im Norden in der Terrorbekämpfung auszubilden, die sich jedoch später überwiegend denjenigen angeschlossen haben, die nun von der französischen, der malischen und der tschadischen Armee bekämpft werden. Seit 2005 haben sich auch Angehörige der Bundeswehr und spätestens seit 2008 auch Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) als "Ausbilder" an diesen "Übungen" beteiligt und in den Worten der Bundesregierung "Ausbildungsunterstützung für einzelne militärische Gruppen aus westafrikanischen Staaten" geleistet.

Wie es dabei zuging, offenbart ein Artikel aus dem Schwarzwälder Boten über einen Gerichtsprozess gegen einen ehemaligen Angehörigen des KSK, der 100.000 Euro "Handgeld" erhalten hatte, um "ein Trainingslager [zu] organisieren" und davon knapp 40.000 anderweitig ausgab, "um seinen aufwändigen Lebensstil zu finanzieren".

Frankreich hatte bereits Jahre zuvor Soldaten in Mali ausgebildet und sowohl in Mali, als auch innerhalb der EU Druck gemacht, diese "Hilfe" zu intensivieren und zu europäisieren. Gleichzeitig stand Frankreich mit verschiedenen politischen und bewaffneten Gruppen im Norden Malis in Kontakt, die über französische Verbündete, wie den Präsidenten Burkina Fasos, unterstützt wurden.

Diejenige Gruppe im Norden, der allein schon aufgrund des Namens "Al- Qaeda in the Islamic Maghreb (AQIM)" die unmittelbarsten Beziehungen zum "Internationalen Terrorismus" nachgesagt werden, stand zumindest historisch in enger Verbindung mit dem algerischen Geheimdienst, und es wird davon ausgegangen, dass diese Verbindungen bis heute bestehen. Außerdem gibt es enge Kontakte zwischen den nun als terroristisch eingestuften Gruppen und den Regierungs- und Militärapparaten in Mauretanien, Niger und Burkina Faso. Mit Ausnahme Algeriens sind jedoch in allen Nachbarstaaten Malis Regime von Frankreichs Gnaden an der Macht. Frankreich hat bei sämtlichen Regierungsbildungen in der Region nach Putschen oder umstrittenen Wahlen eingegriffen und dabei die EU und die ECOWAS als Hebel verwendet. Wie hausgemacht die Probleme sind, die nun von der französischen Armee und ihren Verbündeten bekämpft werden, wird jedoch am besten durch die erstaunlich wenig thematisierte Tatsache verdeutlicht, dass die Waffen der "Islamisten", über deren Umfang und Qualität sich die französische Regierung nach außen überrascht zeigte, zu einem wesentlichen Anteil aus den Beständen stammen, die das französische Militär während des Libyenkrieges 2011 buchstäblich (mit Fallschirmen) vom Himmel fallen ließ.

Ressourcensicherung?
Warum das alles? Einerseits ist davon auszugehen, dass die Fokussierung westlicher Sicherheitsstrategien auf den Krieg gegen den Terror und sog. gescheiterte Staaten sowie die beständige Anrufung eines "Wettlaufs um Afrika" insbesondere mit China eine gewisse Eigendynamik entfalten, die nicht immer rational sein muss und die genannten Phänomene befördert.

Seit Beginn der offenen Intervention wird andererseits v.a. von linken KritikerInnen und bis in die bürgerliche Presse hinein darüber spekuliert, der französische Militäreinsatz ziele vor allem auf den privilegierten Zugang der Franzosen auf Ressourcen in der Region, insbesondere Uran, das für die französische Atomwirtschaft und Energieversorgung ja tatsächlich von herausragender Bedeutung ist. Für diese Sichtweise sprechen unter anderem Berichte, dass Frankreich im Zuge der Luftschläge auch Soldaten zu den Uranminen in Niger schickte und zugleich den Einsatz privater Sicherheitskräfte dort intensivierte. Gegen einen solch unmittelbaren Zusammenhang spricht jedoch, dass gerade im Norden Malis zwar Uran- und Ölvorkommen vermutet werden, bislang jedoch wenig Anstalten westlicher Firmen erkennbar sind, diese auszubeuten, und das auch unter gegebenen Bedingungen kaum wirtschaftlich wäre.

Zudem sollte sich gerade die Linke nicht die Vorstellung zu eigen machen, dass es dem Abbau von Rohstoffen generell förderlich wäre, die betreffenden Regionen in ein Kriegsgebiet zu verwandeln, weil sich damit - und wenn auch nur mittelfristig und für bestimmte Akteure - die Sicherheitslage in der Region verbessern würde. Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch der Effekt, dass alleine die Aussicht auf die Erschließung ausbeutbarer Ressourcen häufig zu einer geopolitischen Aufwertung der betreffenden Region führt und damit sowohl sicherheitspolitische Maßnahmen westlicher Staaten (und seien sie noch so kontraproduktiv) als auch die Entstehung bewaffneter Gruppen fördert. Die deutsche Linkspartei brachte etwa im April 2010 die damals bereits angelaufenen Planungen für EU-Militärausbildungsmissionen in Mauretanien, Mali und Niger mit den Plänen des DESERTEC-Konsortiums zur zukünftigen Ausbeutung von Sonnen- und Windenergie in der Sahara in Verbindung.

Noch grundsätzlicher wird dieser Zusammenhang von der Redaktion der Materialien für einen neuen Antiimperialismus und der Forschungsstelle Flucht und Migration (FFM) formuliert, wonach die Voraussetzung für die kapitalistische Wertschöpfung und Ausbeutung die Zerschlagung der existierenden sozialen Gefüge und dafür eben Militarisierung und Krieg die Mittel der Wahl seien. Demnach "soll der neue Krieg in der Sahara jene Gewalt- und Ermöglichungsräume herstellen, die für eine kapitalistische Durchdringung dieser Räume Voraussetzung sind", so etwa die FFM.

Bewaffnete Moderation
Ohne dem auf dieser Ebene der Abstraktion widersprechen zu wollen (allenfalls insofern es sich dabei um eine bewusste und formulierte Strategie der maßgeblichen Akteure handeln soll), wird im Folgenden eine andere, aber verwandte Erklärung vorgeschlagen, wonach der Krieg in der Peripherie der Stabilisierung politischer Machtzentren dient. Denn ein erstes Ergebnis der offenen Militärintervention Frankreichs und seiner Verbündeter steht bereits jetzt fest: die vorübergehende Stabilisierung der demokratisch in keiner Weise legitimierten "Übergangsregierung" Malis.

Diese wurde unter "Vermittlung" der ECOWAS und hier besonders der Präsidenten der C“te d`Ivoire (Elfenbeinküste) und Burkina Fasos mit tatkräftiger Einmischung Frankreichs und der EU eingesetzt und war innerhalb Malis umstritten und relativ machtlos. Das änderte sich mit der Bitte um eine französische Intervention, die ihr international und mit dem Schreckgespenst einer Eroberung Bamakos durch die Islamisten einen massiven Anerkennungsschub auch durch die Bevölkerung im Süden Malis brachte. Bereits zuvor war seit dem Putsch in Mali ein heftiger Kampf darum entbrannt, wer die künftige Regierung stellen sollte und zugleich international wie innerhalb Malis anerkannt werden würde. Das transnationale Netzwerk Afrique-Europe-Interact etwa kritisierte, "dass die Intervention nicht zuletzt darauf abzielt, Partei im innermalischen Konflikt zu ergreifen, um eine basisdemokratische Selbstermächtigung in ganz Westafrika zu verhindern".

Eine Analyse der Situation durch die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik stützt diese Einschätzung. Unter dem Titel "Jenseits von Terrorismusbekämpfung" heißt es darin: "Der von den Medien und Malis Regierung verbreitete Eindruck trügt, es gehe in dem Land vor allem um die Bekämpfung extremistischer Gruppen." Mit der Intervention habe der von der ECOWAS eingesetzte Übergangspräsident Traoré - zuvor als Vertreter der politischen Klasse der Touré-Ära äußerst unpopulär "durch seinen Hilferuf nach Paris an Unterstützung" gewonnen. Dies hätte einen Prozess ermöglicht, "in dem einzelne Akteure durch Anreize und Druck dazu gebracht werden [können], auf die Seite der Regierung zu wechseln", wobei jedoch die Gefahr bestehe, dass sich die Intervention als "zu erfolgreich" erweisen könnte - "in dem Sinne, dass die Regierung in Bamako aus einer Position der Stärke heraus Verhandlungen ablehnt".

Stabilisierung der Zentren durch den Krieg in der Peripherie
Doch diese bewaffnete Moderation bleibt nicht auf Mali beschränkt. Vielsagend sind beispielsweise die ersten Truppenkontingente vom afrikanischen Kontinent, die gemeinsam mit den französischen und malischen Soldaten in Mali zum Einsatz kamen und aus dem Tschad und Niger stammten. Die autoritäre tschadische Regierung Déby etwa musste selbst in den letzten Jahren wiederholt durch französische Militäreinsätze vor Rebellenangriffen verteidigt werden. Im Niger begann bereits Mitte 2012 eine EU-Mission zur Vergrößerung und Verbesserung der Streitkräfte, die bereits 2011 unter dem Verweis auf die mangelnden militärischen Fähigkeiten Nigers vorbereitet wurde, während nigrische Soldaten als UN-Blauhelme an der Seite französischer Soldaten nach einer umstrittenen Wahl den heutigen Präsidenten der C“te d`Ivoire an die Macht schossen. Es steht außer Frage, dass mit der Unterstützung der französischen Armee in Mali eine Art Bestandsgarantie für die jeweiligen Regime einhergeht. Und tatsächlich hat Frankreich in beiden Ländern Truppen stationiert, die im Falle einer Eskalation kurzfristig das Regierungsviertel sichern können. Ähnliches gilt für Burkina Faso und die C“te d`Ivoire. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass diese Länder ihre innenpolitischen Auseinandersetzungen nun mit dem Verweis auf Mali als Terrorismusbekämpfung kontextualisieren können, und sich Frankreich und seine Verbündeten mit Kritik an deren Vorgehen und Menschenrechtsverletzungen zurückhalten müssen. Wer in diesem Krieg auf Seiten der NATO-Staaten steht (oder auch nur so tut) ist über Kritik erhaben und militärisch abgesichert. So werden über den "Krieg gegen den Terror" völlig illegitime Regierungen installiert und stabilisiert. Zunehmend scheint es, als sei das sein Zweck - oder zumindest seine Konsequenz.

Der Artikel erschien erstmalig in der Graswurzelrevolution Nr. 377 und im AUSDRUCK Nr. 59 (April 2013) und wurde vom Autor für das FriedensForum aktualisiert.

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Christoph Marischka ist Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen.