Die "Stoppt Cassini"-Kampagne nach dem Cassini-Start

von Regina Hagen
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Die kombinierte Weltraummission Cassini (USA) und Huygens (Europa) mit ihrer gefährlichen Plutoniumfracht ist nach einigen Tagen Verzögerung am 15. Oktober zu ihrem langen Forschungsflug zum Saturn gestartet. Bis zuletzt versuchte die inzwischen weltweite und deutlich angewachsene Protestbewegung, den Start des Satellitendoppels auf politischem Wege zu verhindern. Auch die Gerichte wurden angerufen. Aber sowohl das Bundesgericht in Hawaii/USA als auch der deutsche Bundesgerichtshof in Karlsruhe lehnten die Klage ab. Ziel der Proteste waren die drei an Bord befindlichen Plutoniumgeneratoren mit insgesamt 32,8 kg Plutoniumdioxid, die die Stromversorgung der Bordinstrumente sicherstellen sollen (siehe FriedensForum 3/97).

Wir wurden gehört!

Auch wenn der Start nicht verhindert werden konnte, waren die Proteste dennoch erfolgreich. Die vielen tausend Unterschriften und Postkarten gegen die Plutoniummission waren unter anderem Türöffner für Gespräche beim ESOC (dem Weltraumkontrollzentrum der ESA mit Sitz in Darmstadt), dem Bundesforschungsministerium und der US-amerikanischen Botschaft in Bonn. Dank der guten Zusammenarbeit unterschiedlicher Gruppen und Einzelpersonen konnten wir uns dort als kompetente Gesprächspartner/innen einer ernstzunehmenden Initiative präsentieren. Als Höhepunkt der deutschen "Stoppt Cassini"-Kampagne fand am 4. Oktober vor dem ESOC eine bundesweite Demonstration gegen die Nutzung der Plutoniumgeneratoren statt.

Wichtig war auch das Echo, das die Proteste in den Medien fanden. Je näher der Starttermin rückte, desto größer wurde das Interesse der Journalist/innen an der - auch wissenschaftlich präzisierten - Kritik an der Plutoniummission. Gegen Ende der Kampagne, als aufgrund des näherrückenden Starttermins die Medien zwar spät aber äußerst intensiv über Cassini berichteten, wurde in fast allen Presseartikeln und Rundfunkberichten auf die Plutoniumfracht, die damit verbundenen Gefahren und die Proteste dagegen eingegangen.

Und wir machen weiter!

Im Anschluß an die Darmstädter Demonstration trafen sich Aktive der Kampagne, um über die weitere Arbeit zu diskutieren. Die Frage, ob wir weiterarbeiten, hat sich auf dem Darmstädter Treffen gar nicht erst gestellt. Dafür drängten sich zu viele Themen auf, wurden zu viele Ideen mitgebracht.

Zum einen wird uns in den nächsten zwei Jahren, bis zum technisch erforderlichen Vorbeiflug der Mission an der Erde im August 1999, Cassini weiterbegleiten. Abgesehen von der Frage, ob die weltweite Kampagne Versuche unternimmt, den Vorbeiflug zu verhindern, wird es sicherlich nicht ganz einfach sein, das Interesse am Thema bei den Medien aufrechtzuerhalten.

Zum anderen beschäftigte sich die Kampagne schon bisher mit weiteren Problemen, die durch die Weltraumfahrt entstehen. Unter Koordination des in den USA ansässigen "Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space" werden Schwerpunkte bearbeitet wie Einsatz (neuartiger) Weltraumwaffen, Nutzung von Spähsatelliten, Vorherrschaft der USA im Weltraum, Beanspruchung des Weltraums für kommerzielle Zwecke und für die Rohstoffausbeute. Und auch bei der Nutzung von Kernenergie für Weltraummissionen ist kein Ende abzusehen. Es deutet manches darauf hin, daß die NASA in den nächsten zwölf Jahren weitere elf Plutoniummissionen plant, bei denen insgesamt die gigantische Menge von mehr als 110 kg Plutonium in den Weltraum mitgenommen werden soll.

Die deutsche "Stoppt Cassini"-Kampagne formierte sich im Verlauf des Symposiums "Ambivalenz der Weltraumtechnik" an der Technischen Universität Darmstadt im März 1997, auf dem Wissenschaftler, Weltraumtechniker, Solartechniker, Friedensforscher und Aktive aus der Friedensbewegung gemeinsam ins Gespräch kamen. Daran will die Kampagne anknüpfen. Wir planen daher für den Sommer 1999 ein zweites Symposium. Neben einer stärkeren Teilnahme aus dem Kreis der Weltraumagenturen ist angestrebt, auch Kontakte zu anderen Ländern wie Rußland zu knüpfen. (Bei der Sonde Mars 96, die mit 200 g Plutonium im November 1996 über dem Grenzgebiet von Chile und Bolivien abstürzte, handelte es sich um eine russische Mission.)

Kriterienkatalog und Visionen

Die Zeit bis zu diesem Symposium will die Kampagne u.a. nutzen, um einen "Kriterienkatalog für Weltraummissionen" (Arbeitstitel) auszuarbeiten, der im Idealfall auf diesem Symposium verabschiedet wird. Der Katalog soll Kriterien aufführen, anhand derer sich die Nützlichkeit von Weltraummissionen beurteilen läßt. Auf der Basis eines Arbeitspapiers von Jürgen Scheffran, Physiker an der TU Darmstadt und seit 15 Jahren mit der friedlichen Nutzung des Weltraums befaßt, wurden bislang die folgenden Kriterien formuliert:

* Weltraummissionen sollen soziale Bedürfnisse der Menschen abdecken (Beispiele: Wettervorhersage, Umweltüberwachung, Telekommunikation).

* Weltraummissionen sollen zur Lösung von Problemen auf der Erde beitragen anstatt neue Probleme zu schaffen.

* Weltraummissionen sollen nur dann durchgeführt werden, wenn das Problem auf der Erde nicht gelöst werden kann; der Zeitrahmen soll für die Problemlösung angemessen sein.

* Weltraummissionen sollen kostengünstig sein; Ausnahmen sind nur zu erwägen, wenn eine Mission zur Lösung eines wirklich dringenden Problems beiträgt und keine Alternative besteht.

* Weltraummissionen dürfen keine katastrophalen Risiken für die Menschheit bergen.

* Weltraummissionen sollen zur nachhaltigen Entwicklung beitragen, d.h., sie sollen die natürlichen Grenzen des Planeten Erde berücksichtigen und möglichst wg Ressourcen verbrauchen.

* Weltraummissionen dürfen keine (internationalen) Konflikte schüren und Konfrontationen oder Ungleichgewichte fördern. Vielmehr sollen sie die internationale Zusammenarbeit stärken.

* Der Weltraum soll nicht für machtpolitische Zwecke mißbraucht werden.

* Die Stationierung von Waffen im Weltraum soll völkerrechtlich geächtet werden.

* Der Weltraum soll nicht für militärische Zwecke (Abschreckung und Raketenabwehr) mißbraucht werden.

Die Autorin dieses Artikels verknüpft mit diesem Kriterienkatalog eine Reihe von Visionen, die für die langfristige Arbeit der Kampagne als Leitfaden dienen könnten, nämlich:

* daß sämtliche Länder der Erde diesen Katalog verabschieden,

* daß Weltraummissionen in Zukunft nicht mehr von nationalen Agenturen sondern in internationaler Kooperation stattfinden,

* daß jedes Land der Erde von jeder einzelnen Weltraummission profitieren darf,

* daß am 4. Oktober 2007 (dem 50. Jahrestag der ersten Weltraummission überhaupt, dem Start des sowjetischen Sputnik) eine völkerrechtliche Konvention verabschiedet wird, in der alle Länder der Erde sich verpflichten, im Weltraum friedlich zusammenzuarbeiten und die Kriterien des Katalogs einzuhalten und

* daß der Weltraum in Zukunft ausschließlich friedlich und nachhaltig genutzt wird.

Bei Interesse an der Ausarbeitung des Kriterienkatalogs, der Definition konkreter Kampagnenziele, der aktiven Mitarbeit an der Kampagne, der finanziellen Unterstützung oder auch einfach an weiteren Informationen bitte wenden an:

Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen, Forststr. 3, 7355 Mutlangen. Dort kann auch der Informationsrundbrief "Weltraum aktuell" angefordert werden. Infos per e-mail gibt es von der Autorin.

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Sprecherin der Kampagne "Büchel ist überall – atomwaffenfrei.jetzt“ und ehemals verantwortliche Redakteurin der Quartalszeitschrift "Wissenschaft & Frieden".