Peter Dudek bespricht:

"Die strategische (Ohn)Macht der Frie­densbewegung"

von Peter Dudek

Seit dem NATO-Doppelbeschluss ist in der Bundesrepublik die Frie­densbewegung zu einem politischen Faktor geworden. Sie hatte einen Anlass, sie konnte Massen auf der Straße mobilisieren, und in ihr bündelten sich sehr unterschiedliche Protestmotive. Trotz ihrer enormen Mobilisierungserfolge hatte sie aber eine begrenzte Funktion und Reichweite. Die Friedensbewegung war schließlich ein Stachel gegen die etablierte Sicherheits- und Verteidigungspolitik, und sie stand poli­tisch für ein neues Demokratieverständnis, das der Basisdemokratie.

Angesichts der rapiden deutschlandpo­litischen Veränderungen und im Kon­text der weltweiten Abrüstungsbemühungen ist die bundesdeutsche Frie­densbewegung fast schon wieder eine Reminiszenz geworden. Die Teilneh­merzahlen an den Ostermärschen 1990, erstmals gesamtdeutsch, sind spürbar rückläufig gewesen. Ist die Friedensbe­wegung überholt oder ist sie vielleicht trotz der weltweiten Abrüstungsbemühungen noch immer ein wichtiger in­nenpolitischer Faktor, Symbol für die Bedeutung der neuen sozialen Bewegungen im politischen Getriebe der Bundesrepublik?

Thomas Leif, der seit längerem die Entwicklung der neuen sozialen Bewe­gungen beobachtet, untersucht in seiner Frankfurter Dissertation mikroanaly­tisch die Binnenstrukturen der westdeut­schen Friedensbewegung und fragt nach den Gründen, die ihren politischen Niedergang beschleunigten. Der Autor ver­sucht dabei die partizipatorischen Lei­stungen und ôffentlichkeitserfolge der größten sozialen Bewegung der Bundes­republik zu bilanzieren und in Verbin­dung mit möglichen Perspektiven und anderen sozialen Bewegungen zu brin­gen. Sein Hauptaugenmerk gilt dem Or­ganisationszentrum der Friedensbewe­gung, dem sogenannten Koordinations­ausschuß, der sich am 29. September 1989 aufgelîst hat. Dieser von etwa 30 sehr heterogenen Gruppen getragene Ausschuss· prägte entscheidend die Ent­wicklung der Friedensbewegung. Er ak­zentuierte die Themen und er war für die Strategiebildung verantwortlich. Leif konzentriert seine Analyse u.a. deshalb auf den Koordinationsausschuß, weil er an seinem Beispiel die in den neuen sozialen Bewegungen viel be­schworene Basisdemokratie als politi­schen Mythos beschreiben kann. Auf dem Hintergrund moderner soziologi­scher Erklärungsmodelle zur Deutung sozialer Bewegungen diskutiert Leif die Organisationsstruktur, die Entwick­lungsgeschichte und die konkrete Politik des Koordinationsausschusses und des­sen Entscheidungsstrukturen akribisch genau. Diesen Ausschuss beschreibt der Autor als einen konkurrenzlos wirken­den, abgeschotteten, effektiven Kom­munikations- und Arbeitszusammen­hang, der die Kreativität und Mobilisierungsfähigkeit der Friedensbewegung mit der professionellen Arbeitsweise traditioneller politischer Organisationen verband. Trotz aller Erfolge der Frie­densbewegung sieht Leif auch ihre strukturellen Schwächen. Sie liegen für ihn u.a. im reaktiven Charakter der Be­wegung. Will die Friedensbewegung in der Bundesrepublik ein politischer Zukunftsfaktor bleiben, so muss sie ihren Charakter als Verhinderungsmacht in den einer Gestaltungsmacht verändern.
Auch wenn man sich eine stärkere Strukturierung und Systematisierung des Buches gewünscht hätte, überzeugt es doch durch das empirisch dichte Mate­rial und die offensichtlich intime Kennt­nis des Autors. Den Ertrag seiner Ana­lyse trägt Leif in 30 Thesen am Ende des Buches zusammen. Ein fast 50-sei­tiger kommentierter Anhang dokumen­tiert die Geschichte der Aktionskonfe­renzen der Friedensbewegung zwischen 1982 und 1986. Obwohl als Dissertation verfaßt, bietet das Buch auch dem poli­tisch interessierten Laien eine Reihe von Anregungen und Einsichten in das In­nenleben der Friedensbewegung. Schließlich lehrt es, da· zwischen dem An­spruch einer egalitär strukturierten Ba­sisdemokratie und der Organisati­onslogik von Massenbewegungen struk­turelle Diskrepanzen bestehen, die allein durch gut gemeintes Engagement und friedenspolitische Emphase nicht zu lösen sind. 

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Peter Dudek ist Journalist und lebt in Frankfurt.