Die südkaukasische Region im Fokus wirtschaftlich-strategischer Interessen

von Christian Knust
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Mit der Auflösung der UdSSR gelangten die neugegründeten Staaten des Südkaukasus - Georgien, Armenien und Aserbaidschan - in den Fokus sowohl der unmittelbaren Nachbarstaaten Russland, Türkei und Iran, als auch der führenden Industriestaaten der Welt, allen voran den USA, den westeuropäischen Staaten sowie Japan. Innerhalb kürzester Zeit entstand auf regionaler Ebene ein Geflecht aus Interessen und Beziehungen mit historischen, kulturellen, ethnischen, sprachlichen und religiösen Anknüpfungspunkten zwischen den in einem plötzlichen Machtvakuum um Einfluss ringenden Nachbarstaaten, von denen sich jeder in die Position einer Regionalmacht zu manövrieren trachtete, und den südkaukasischen Staaten, die sich zu etablieren hatten und ihre Unabhängigkeit zu wahren suchten.

Überlagert wird dieses Geflecht jedoch von wirtschaftlich-strategischen Interessen, durch die die Region zum Aktionsfeld vor allem staatlicher wie privater Akteure der Industrieländer des Westens und Asiens einerseits und Russlands auf der anderen Seite wurde. Kristallisationskern dieser Interessen ist zum einen die Lage am Rand eines der weltweit größten, zum Teil unerschlossenen Reservoirs an Öl und Gas der kaspischen Region. Auf Aserbaidschan und Kasachstan konzentrieren sich die Hoffnungen der weltweit führenden Ölkonzerne, während Turkmenistan zum Aktionsraum der auf dem Gassektor operierenden Unternehmen werden soll. Einen weiteren Kristallisationskern bildet die strategische Lage der südkaukasischen Staaten an einem Transportkorridor, der von den Beteiligten euphorisch mit der Bedeutung der früheren Seidenstraße als Transport- und Kommunikationsweg zwischen dem europäischen und asiatischen Kontinent verglichen wird und dem eine zentrale Bedeutung vor allem für den Export von Öl und Gas aus der kaspischen Region zukommen soll.

 

Russland und USA konkurrieren
Zentrale Akteure im Ringen um Einfluss in der Region sind Russland und die USA. Während Moskau auf regionaler Ebene bestrebt ist, den mit der Auflösung der UdSSR verloren gegangenen Einfluss im Südkaukasus wiederzuerlangen, geht es ihm in seinem Verständnis als Weltmacht darum, sich gegen das Vordringen der USA, die sich als einzig verbliebene Weltmacht ansieht, in die nach wie vor als originär betrachtete Einflusszone zu wehren. Demgegenüber trachten die USA ganz massiv danach, die südkaukasischen Staaten aus dem russischen Einflussbereich zu entwinden und dem eigenen anzuschließen.

Dreh- und Angelpunkt dieser Konkurrenz sind vor allem wirtschaftlich-strategische Interessen. Auf der einen Seite steht der ungehinderte Zugang zu den kaspischen Öl- und Gasvorkommen. Während Russland sich - zusammen mit dem Iran - lange gegen die ungehinderten Erkundungs- und Erschließungsarbeiten durch die westlich dominierten Konsortien vor allem im sog. aserbaidschanischen Sektor gewehrt hatte und auf einem Regime gemeinsamen Eigentums der Anrainer an den Öl- und Gasvorkommen bestanden hatte, haben die Unternehmen durch ihre Aktivitäten Fakten geschaffen, die zu einer tatsächlichen Aufteilung der Vorkommen unter den Anrainern geführt hat; eine Aufteilung, die Russland im übrigen im Gegensatz zum Iran inzwischen auch weitgehend anerkannt zu haben scheint.

Das Pipeline-Netz als Schlüsselfaktor
Noch wichtiger ist jedoch die Kontrolle der Exportwege für Öl und Gas aus einer Region, die keinen eigenen Zugang zu den Weltmeeren besitzt. Russland strebt danach, die Exportströme über sein Territorium laufen zu lassen. Dadurch besitzt Moskau die Möglichkeit, über die Kontrolle der für die Öl und Gas fördernden Staaten so wichtigen Exporte, seinen Einfluss im nachsowjetischen Raum zu verstärken. Gleichzeitig wird eine Kontrolle der Konkurrenten auf dem Energiemarkt des eurasischen Kontinents möglich. Auf dem europäischen Markt fossiler Energieträger - vor allem auf dem Gassektor - besitzt Russland schon jetzt eine starke Stellung. In Vorderasien versucht der Gasmonopolist Gazprom seine Position durch ambitionierte Projekte auf dem stark wachsenden türkischen Markt weiter auszubauen. Rückgrat des Zugangs zum türkischen Markt soll das sog. "Blue Stream" Projekt einer Pipeline durch das Schwarze Meer werden, die eventuell durch Pipelines entlang dessen West- und Ostufer flankiert werden soll.

Die USA favorisieren demgegenüber ein System sog. "Multiple Pipelines", d.h. ein Netz von Öl- und Gaspipelines, um die kaspischen Energieträger auf einer Vielzahl von Wegen aus der Region zu transportieren. Strategisches Ziel ist es, keinem der an den Pipelines liegenden Staaten die Möglichkeit zu geben, den Export der vornehmlich durch westliche Unternehmen geförderten fossilen Energieträger zu behindern und die Versorgung der Industrieländer zu gefährden bzw. Einfluss auf die Weltmarktpreise zu nehmen. In diesem Netz besitzt auch Russland seinen Platz, allerdings sollen die Hauptströme an Russland vorbeiführen.
In diesem Spiel um die Transportwege konkurrieren eine Vielzahl bestehender wie geplanter Routen miteinander.

Für die Öl- und Gasproduzenten am Ostufer des kaspischen Meeres ist Russland bislang das Haupttransitterritorium. Für die kasachischen Ölproduzenten nutzbare Pipelines laufen bislang ausschließlich über Russland, auch wenn Kasachstan bzw. die dort tätigen Unternehmen Teilmengen auf dem Seeweg über Aserbaidschan bzw. im Rahmen sog. Swapgeschäfte über den Iran - Kasachstan liefert Öl in den Nordiran für den dortigen Eigenbedarf, während der Iran die gleiche Menge aus eigenen Quellen über den Persischen Golf an die kasachischen Kunden auf den Weltmärkten liefert - sowie per Bahn über China exportieren. Seit Jahren bestehen auch Pläne, eine knapp 3.000 km lange Pipeline quer durch Kasachstan nach Westchina zu bauen. Allerdings will Russland seine Position als Transitland durch den Bau einer Pipeline zum Schwarzmeerhafen Novorossijsk durch das Caspian Pipeline Consortium, in dem mit Chevron einer der großen amerikanischen Ölgesellschaften vertreten ist, weiter ausbauen. Turkmenistan mit seinen Gasvorkommen und den damit verbundenen spezifischen Transportproblematiken ist hauptsächlich auf die über Russland verlaufenden Pipelines angewiesen, auch wenn Teilmengen in den Iran exportiert werden.

Aserbaidschan und die dort tätigen Unternehmen sind demgegenüber in einer besseren Position. Zwar wird ein Teil des geförderten Öls über russisches Territorium durch die Pipeline Baku-Novorossijsk geführt. Mit der auf amerikanischen Druck errichteten Pipeline zum georgischen Hafen Supsa bzw. der Bahnlinie nach Batumi existieren jedoch Transportwege, die nicht der unmittelbaren russischen Kontrolle unterstehen. Von ihrer Inbetriebnahme im Frühjahr 1999 an zeigte sich die besondere Bedeutung der Pipeline nach Supsa als bislang zuverlässigster Route für den Export aserbaidschanischen Öls. Hatten 1998 schon Konflikte zwischen Moskau und Grosny wiederholt zu langanhaltenden Betriebsunterbrechungen der Pipeline nach Novorossijsk geführt, so wurde die Linie mit dem neuerlichen Krieg um Tschetschenien nun vollends unterbrochen. Die weitere Bedeutung der Route über Russland ist vor diesem Hintergrund schwer einzuschätzen, obwohl sich Russland bemüht, die Transporte auf dem Schienenweg über Dagestan aufrecht zu erhalten und der Bau einer tschetschenisches Territorium umgehenden Bypass-Linie eingeleitet wurde.
 

Ziel: Umgehung Russlands
Das in Washington favorisierte Schema der sog. "Multiple Pipelines" sieht gleichsam als Rückgrat eine von Kasachstan bzw. Turkmenistan durch das kaspische Meer laufende Öl- und Gaspipeline vor, die über Aserbaidschan und Georgien weiter in die Türkei geführt werden soll. Während der Strang für den Gastransport an das türkische Netz angeschlossen werden soll und auf diesem Weg auch ein Export in andere europäische Staaten geplant ist - hier würde somit eine ernsthafte Konkurrenz für das "Blue Stream" Projekt bestehen - soll das Öl über eine zu bauende Pipeline zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan, über den bislang Exporte aus dem Irak abgewickelt wurden, geführt werden. Die bestehenden Routen über Russland bzw. nach Supsa an die georgische Schwarzmeerküste wären in diesem Falle Nebenadern.

Die Zielrichtung dieses Schemas ist jedoch nicht nur, Russland die vollkommene Kontrolle über die Öl- und Gasexporte zu entziehen, sondern gleichzeitig den Iran von den wirtschaftlichen Entwicklungen in der Region auszuschließen und die regionale Stellung der Türkei zu stärken. Wirtschaftlich würde eine Führung von Öl- und Gasexporten über den Iran nach Ansicht führender Öl- und Gasproduzenten die größten Vorteile mit sich bringen, da aufgrund einer vorhandenen Infrastruktur die Investitionen in eine Ergänzung des Netzes zum Export von Öl über den persischen Golf im Rahmen von Swaps bzw. von Gas in die Türkei relativ gering wären. Aufgrund der im Kongress vorherrschenden antiiranischen Haltung ist die US-Regierung trotz Kritik der in der Region tätigen US-Unternehmen gezwungen, eine Politik zu fahren, mit der der Iran aus den regionalen Entwicklungen ausgeschlossen werden soll. Vor diesem Hintergrund zeigte sich sogar die Bereitschaft, mit dem Regime der Taliban in Afghanistan zusammenzuarbeiten, um eine Gaspipeline unter Umgehung des Iran nach Pakistan zu bauen. Allerdings wird die Isolationspolitik der USA durch europäische Gaskonzerne aufgeweicht, die sich von Sanktionsdrohungen aus Washington wenig beeindrucken lassen und eine Gaspipeline aus Turkmenistan über den Iran in die Türkei bauen wollen, die damit zur transkaspischen Pipeline in Konkurrenz treten würde.

Somit steht der Bau der Pipeline von Baku nach Ceyhan an erster Stelle auf der Agenda der amerikanischen Pipeline-Träume. Vor dem jüngsten OSZE-Gipfeltreffen in Istanbul verstärkte sich die Reisetätigkeit amerikanischer Diplomaten in der Region, um zu einer Entscheidung für den Bau der seit Jahren im Gespräch stehenden Pipeline in Verbindung mit der transkaspischen Pipeline zu kommen. Auf politischer Ebene ist die Entscheidung zwischen den Beteiligten schon lange gefallen. Wiederholt bekannte man sich in Baku, Tiflis, Ankara und Washington zum Bau der Pipeline, an der auch Astana und Aschchabat Interesse haben. Der Knackpunkt ist allerdings bislang die Finanzierung. An dieser Stelle zeigt sich die Macht der privaten Akteure in Gestalt der in verschiedenen Konsortien in Aserbaidschan zusammengeschlossenen Ölgesellschaften, allen voran der AIOC als bislang einzigem produzierenden Konsortiums. Dort besteht keine Eile über eine Entscheidung zum Bau einer politisch gewollten, aber privat zu finanzierenden Pipeline, solange nicht klar ist, mit welchen zu transportierenden Mengen im Endeffekt zu rechnen ist; so wurde vor der aserbaidschanischen Küste von einem der Konsortien statt des erwarteten Öls Gas gefunden, wodurch auch das amerikanische System einer Arbeitsteilung bei der Öl- und Gasproduktion aus den Angeln gehoben zu werden droht. Auch wenn die AIOC in jüngster Zeit eine mögliche Entscheidung zum Bau der Pipeline in Aussicht stellte, so ist trotz des wiederholten Bekenntnisses der interessierten Regierungen noch keine Entscheidung über die Verwirklichung dieses 2.4 mrd. $-Planes seitens der Investoren gefallen. Momentan hat es auch nicht den Anschein, als sollte sich an dieser Situation fundamental etwas ändern.
 

Hoffnungen täuschen
Die euphorischen Hoffnungen, die in die Erschließung der kaspischen Öl- und Gasvorkommen mit ihren Folgen für die Entwicklung der Region als auch der an den Transportwegen gelegenen Staaten geknüpft wurden, sind inzwischen einer nüchternen Einschätzung gewichen. Nicht nur, dass ein für breite Bevölkerungsteile spürbarer wirtschaftlicher Aufschwung in naher Zukunft nicht zu erwarten ist, da über den Reichtum der Vorkommen keine Klarheit besteht und dementsprechend auch die Verdienstaussichten der Transitländer nicht vorherzusagen sind.

Auch eine Abnahme von Konflikten nach Entscheidungen für eines der Pipelineschemata ist nicht zu erwarten. Vielmehr werden sich aus wirtschaftlichen Interessen neue Konflikte ergeben. Absehbar ist bereits der Konflikt zwischen Turkmenistan und Aserbaidschan über die Transportquoten für Gas in der Pipeline von Turkmenistan über Aserbaidschan in die Türkei und weiter nach Westeuropa. Ähnliches kann auch für eine Ölpipeline vom Ostufer des kaspischen Meeres über Aserbaidschan nach Westen gelten, wenn derzeit diese transkaspische Pipeline als Voraussetzung für den Bau der Baku-Ceyhan-Pipeline betrachtet wird.

Schwer vorhersehbar ist auch, wie sich das Ringen Russlands und der USA um Einfluss auf den Südkaukasus weiter entwickeln wird. Einerseits lässt sich anhand des Krieges in Tschetschenien befürchten, dass Russland sich in dieser Region womöglich aggressiver gegenüber den auf Distanz bedachten und die Nähe zum Westen suchenden Staaten Georgien und Aserbaidschan gebärden wird. Gleichzeitig ist momentan generell eine Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Russland und den USA zu beobachten. Und es ist schwer vorstellbar, dass die USA aus Furcht vor einer weiteren Verhärtung des Verhältnisses zu Russland ihre von wirtschaftlich-strategischen Interessen geleitete Regionalpolitik aufgeben werden.

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Christian Knust ist Politologe und hat seine Magisterarbeit über das Thema "Aserbaidschan - im Geflecht internationaler Beziehungen" geschrieben.