Interview

Die Taliban sind zu Gesprächen auch mit den USA bereit

von Redaktion FriedensForumOtmar Steinbicker

In den letzten Wochen und Monaten gab es in der internationalen Presse sehr widersprüchliche Meldungen über die Frage: Wie verhandlungsbereit sind die Taliban? Mit wem wollen sie reden, mit wem nicht?
Für das Friedensforum sprach Otmar Steinbicker sprach über die zentralen Fragen einer Friedenslösung für Afghanistan mit Naqibullah Shorish, dem wichtigsten Stammesführer Afghanistans.

Red.: Gibt es noch Chancen für eine Friedenslösung? Offensichtlich sind Gespräche zwischen Taliban und USA im vergangenen Jahr gescheitert.

Shorish: Es gab im vergangenen Jahr Gespräche zwischen Taliban und USA unter deutscher Vermittlung in Katar. Dabei ging es ausschließlich um einen Gefangenenaustausch. Die Taliban halten seit Jahren den US-Soldaten Bowe Bergdahl gefangen und sie wollten ihn austauschen gegen ehemalige Taliban-Führer, die in Guantanamo gefangen gehalten werden. Die US-Unterhändler hatten in den Katar-Gesprächen deren Freilassung zugesichert, doch der US-Senat hat die Freilassung nicht genehmigt. Darüber sind die Taliban verärgert. Das Scheitern dieser Gespräche ist insofern besonders problematisch, weil es sich hier um einen Test für eine Aufnahme von Friedensgesprächen handelte. Ein erfolgreicher gegenseitiger Gefangenenaustausch wäre ein Startsignal für ernsthafte Gespräche über eine Friedenslösung gewesen. Solche Gespräche wären dann auf einer anderen Ebene geführt worden.

Red.: Die Aussagen der Taliban zu Friedensgesprächen sind in letzter Zeit sehr widersprüchlich. Einerseits erklärten sie, sie hätten Gespräche mit den USA definitiv abgebrochen, andererseits signalisieren sie Bereitschaft zu Gesprächen. Was ist davon zu halten?

Shorish: Ja, es gab in letzter Zeit widersprüchliche Meldungen in der internationalen Presse. Dennoch: Die Taliban wollen den Konflikt grundsätzlich lösen und sind sind zu Gesprächen auch mit den USA bereit. Sie haben das im Sommer 2010 unter Beweis gestellt in Gesprächen mit ISAF-Offizieren aus USA, Großbritannien und Deutschland. Ich hatte diese Gespräche vermittelt und ich habe auch an ihnen als Vermittler teilgenommen. Diese Gespräche im Juli und August 2010 waren lösungsorientiert und erstaunlich erfolgreich. Sie wurden im Oktober 2010 jäh vom Oberkommandierenden General Petraeus abgebrochen. Wenn im Westen Interesse besteht, können sie jederzeit wieder aufgenommen werden – selbstverständlich ohne Vorbedingungen von beiden Seiten.

Red.: Die USA und auch die Bundesregierung bestehen auf Gesprächen der Taliban mit der Regierung Karzai. Einer Pressemeldung zufolge hat jetzt Präsident Karzai die Bundesregierung um Vermittlung von Gesprächen mit den Taliban gebeten. Gibt es dafür Chancen?

Shorish: Die Taliban haben immer wieder gesagt, sie wollen mit Karzai nicht reden, weil sie ihn für eine Marionette der USA halten und die Legitimität seiner Regierung bestreiten. Daher sehe ich bis auf Weiteres keine Chance für direkte Gespräche zwischen Präsident Karzai und den Taliban. Aber vielleicht sollte die Bundesregierung versuchen, in getrennten Gesprächen mit beiden Seiten zu sondieren, wo es Ansätze und vielleicht sogar Wege zu einer Friedenslösung geben kann. Eine solche diplomatische Vermittlung indirekter Gespräche hat es auch schon erfolgreich in anderen schwierigen internationalen Konflikten gegeben. Man sollte da nichts unversucht lassen!

Red.: Sie könnten solche Gespräche zwischen der Bundesregierung und den Taliban als Bestandteil indirekter Gespräche mit der Karzai-Regierung vermitteln?

Shorish: Wenn das von der Bundesregierung gewünscht wird, jederzeit. Ich bin sicher, dass, wenn dieser Wunsch geäußert wird, es recht schnell zu ersten Gesprächen kommen kann.

Red.: Eine Friedenslösung zwischen der Karzai-Regierung und den Taliban wäre denkbar?

Shorish: Das wage ich so nicht zu prophezeien, denn eine wichtigere Konfliktpartei als die Karzai-Regierung ist die NATO! Aber Gespräche sind immer nützlich, wenn man zu einer Konfliktlösung kommen will.

Wichtig ist: wenn Karzai Friedensgespräche will, dann muss es eine neutrale Provinz geben, wo die Taliban weder von US-amerikanischen Drohnen noch vom pakistanischen Geheimdienst ISI bedroht werden. Das sollte es keine Grenzprovinz zu Pakistan sein und die ISAF muss die Sicherheit dieser Provinz garantieren.

Red.: Warum sollte Karzai den Taliban Sicherheit bieten?

Shorish: Es gibt einen massiven Druck von Pakistan auf die Taliban, keine Gespräche weder mit den USA noch mit Karzai zu führen. Pakistan, nicht die USA, die Taliban oder Karzai sind das Haupthindernis für eine Friedenslösung in Afghanistan. Solange die Talibanführer in Pakistan unter den Augen des Geheimdienstes ISI leben, sind sie und ihre Familien massiven Pressionen ausgesetzt. Westliche Diplomaten wissen zumindest von einem Bombenanschlag des ISI auf das Haus eines gesprächsbereiten Talibanführers.

In den Gesprächen zwischen ISAF und Taliban im Sommer 2010 spielte daher diese Frage eine zentrale Rolle. Damals gingen die Überlegungen beider Seiten in die Richtung, in einer afghanischen Provinz eine neutrale Übergangsregierung einzurichten, die das Vertrauen der Karzai-Regierung und der Taliban genießt, um eine Übersiedlung der Taliban nach Afghanistan zu ermöglichen und sie dem Zugriff des ISI zu entziehen.

Red.: Die Überlegungen, die die ISAF-Offiziere und die Talibanführer bei ihren Gesprächen im Sommer 2010, anstellten, liegen auch Ihrem Friedensplan, dem „Shorish-Plan“ zugrunde?

Shorish: Ja, es erscheint mir sehr wichtig, dort anzusetzen, wo es bereits gemeinsame Überlegungen gab oder wo Überlegungen zumindest in eine gemeinsame oder ähnliche Richtung gingen. Deshalb habe ich auch drei erste Schritte benannt, die die Konfliktparteien möglichst unmittelbar nach der Aufnahme von Friedensgesprächen realisieren sollten: 1.Einstellung feindseliger Propaganda, 2. Freilassung von Gefangenen, 3. Waffenstillstand.

Das entscheidende Ziel meines Friedensplans besteht in einer neutralen Übergangsregierung, die nach dem Abzug der NATO-Truppen 2014 einen Bürgerkrieg verhindert und den afghanischen Konfliktparteien den Weg zu einer dauerhaften Friedenslösung erleichtert. Dabei ist auch daran gedacht, dass sich die Taliban als politische Partei formieren und ebenso wie andere an freien und unverfälschten Wahlen teilnehmen.

Red.: Die NATO und auch die Karzai-Regierung bestehen darauf, dass die Taliban die gegenwärtige Verfassung Afghanistans anerkennen.

Shorish: Das wird und das kann nicht funktionieren. Eine Verfassung muss die von allen relevanten Kräften im Konsens akzeptierte Grundlage des staatlichen und politischen Wirkens sein. So etwas kann nicht von außen einem Land aufgezwungen werden und es kann nicht von einer zweifelhaften Mehrheit den anderen Kräften im Land aufgezwungen werden. Afghanistan hat seit seiner Gründung die Einrichtung der Loya Jirga als Verfassunggebender Versammlung. Diese Loya Jirga wird über die Verfassung Afghanistans neu beraten und beschließen müssen, damit ein Konsens gefunden wird, an den sich alle halten können und müssen.

Red.: Heißt das, dass die nach 2001 festgeschriebenen Frauenrechte wieder abgeschafft werden?

Shorish: Nein. Afghanistan hat längere Traditionen akzeptierter Frauenrechte. Richtig ist, dass die Taliban in ihrer Regierungszeit diese Rechte mit Füßen getreten haben. Aber sie haben gelernt, dass das ein Fehler war. Mittlerweile erkennen sie das wichtige Recht von Frauen und Mädchen auf Ausbildung und Berufsausübung an. So hat auch der afghanische Bildungsminister zugegeben, dass die Taliban ihre Position gegenüber Mädchenschulen korrigiert haben.

Red.: Wie stehen die Taliban zu ihrem Friedensplan?

Shorish: Mir wurde signalisiert, dass sie zu etwa 95 Prozent diesem Plan zustimmen.

Red.: Und die anderen Seiten?

Shorish: In den afghanischen Stämmen und auch bei den nichtpaschtunischen Ethnien stoße ich auf sehr viel Zustimmung. Europäische Diplomaten stoßen sich am Vorschlag einer Übergangsregierung. Sie sagen, dass die Karzai-Regierung demokratisch gewählt sei, obwohl sie von den Wahlfälschungen wissen.

Red.: In den vergangenen Monaten gab es verschiedentlich Meldungen über größere Streitigkeiten unter den Taliban.

Shorish: Es gibt derzeit Spannungen unter verschiedenen Gruppen der Taliban. Es gab sogar die Festnahme eines hohen Talibanführers, Kare Mohammad Ismail, durch die Talibanführung. So etwas hat es früher nicht gegeben. Im Wesentlichen gibt es eine Fraktion der Taliban, die auf den pakistanischen Geheimdienst hört und eine andere, die eine afghanische Politik verfolgen und nicht auf den ISI hören will. Aber: Eine Spaltung der Taliban würde das Problem nicht verringern, sondern vergrößern!

Red.: Welche Perspektive bleibt Afghanistan, wenn keine Friedensgespräche zustande kommen oder diese scheitern?

Shorish: Wenn es bis 2014 keine Gespräche gibt, dann droht ein Bürgerkrieg. Die USA bezahlen schon jetzt Warlords, die ihre Milizen aufbauen und verstärken. Diese Tendenz wird zunehmen, wenn - wie geplant - die Armee um 100.000 Mann verkleinert wird. Schon jetzt sind diese Milizen der Warlords täglich in Plünderungen verwickelt. In den Dörfern werden schon Dorfmilizen aufgestellt, um sich gegen die Milizen der Warlords zu schützen.

Wenn es aber zu einem Bürgerkrieg kommt, dann ist der Ausgang vorhersehbar: Dann wird es eine Übergangsregierung im Sinne der Taliban geben, nicht im Sinne der USA und nicht im Sinne der Afghanen.

Naqibullah Shorish repräsentiert als nationaler Stammesführer der Kharoti mehr als 3 Millionen Afghanen. Er unterhält Kontakte zu allen Seiten, auch zur Taliban-Führung. Diese hat ihn als neutralen Vermittler akzeptiert.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de