Die Tradition der tschechisch-deutschen Dialoge in Marienbad

von Jan Sumavsky
Schwerpunkt
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Obwohl das etwas unverständlich klingt, fast paradox, die Grundlagen dieser mehrjährigen Bemühungen und die Schaffung guter nachbarschaftlicher Beziehungen zwischen beiden Ländern und deren Einwohnern wurde eigentlich in der ehemaligen tschechoslowakischen totalitären Gesellschaft gelegt.

Nach dem Weltfriedenskongreß 1983 in Prag entstand im Rahmen der Tätigkeit des tschechoslowakischen Friedensausschusses, zu der es auch viele berechtigte Einwände gab, unter anderem auch der Gedanke, Kontakte zu knüpfen mit der breiten Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Vertreter nach Marienbad zu einem Dialog einzuladen. Dies war nicht einfach, eigentlich für beide Seiten nicht einfach. Letztendlich ist es aber gelungen, und es kamen Vertreter der deutschen Seite, ein breites Spektrum der Organisationen der Friedensbewegung und der politischen Parteien, die untereinander sicher sehr verschiedene Positionen im Hinblick auf Friedenspolitik einrahmen. In Marienbad aber fanden sie sich zusammen. Im Hotel Krazonos trafen also deutsche Pazifisten, die Gegner des Militärdienstes, die Grünen, die Mitglieder der christlichen, sozialdemokratischen und kommunistischen Organisationen und sogar Parlamentarier zusammen. Dies war im Jahre 1985.

Der damals geführte Dialog war für die damalige Zeit eigentlich ungewöhnlich, sehr offen und für die meisten Teilnehmer, vor allem der tschechischen, sogar schockierend. Im nächsten Jahr hat sich dieses Treffen wiederholt, und nach und nach entstand eine Art Tradition der Treffen, bei denen auch nicht die ökumenischen Messen gefehlt haben. Aus den scharfen, manchmal auch leidenschaftlichen Dialogen, die verschiedentlich ideologisch gefärbt waren, aber auch einen guten Willen zeigten, wurden neue Gedanken geboren und sehr wertvolle Taten. Zu diesen gehörte z.B. der  Gedanke der Organisation sogenannte Olof-Palme-Märsche und sogar der Gedanke, Kontakte zu knüpfen zwischen den Mitgliedern des Militärs beider Länder. Dieser Gedanke mündete dann in dem ersten Besuch von Vertretern der deutschen Bundeswehr in tschechischen Kasernen. Der tschechische Friedensausschuß wurde nach dem November 1989 aufgelöst, und die damalige Friedensbewegung hat sich in eine Reihe von Organisationen und Gesellschaften gespalten. Eine von ihnen, die Tschechoslowakische Friedensgesellschaft, jetzt Tschechische Friedensgesellschaft, entschied sich im Jahr 1990, diese Tradition wiederzubeleben, allerdings auf neuen Grundlagen. Es wurden Verzeichnisse der Mitglieder aus der Vergangenheit wiedergefunden, und es fanden sich Organisationen, die bereit waren mitzuarbeiten und zu kooperieren. Es wurden ehemalige und auch neue Organisationen in Deutschland angesprochen. Die Tradition ist wiederbelebt worden, die Diskussionen wurden noch offener, denn die Probleme zwischen der Tschechischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland blieben nach wie vor und wurden nicht weniger. Manche von ihnen wurden schon unzählige Male durchdiskutiert, aber es bleiben ständig Ressentiments übrig. Auf der anderen Seite kommen mehr Probleme dazu. Auch ist die Zusammensetzung der Teilnehmer in Marienbad ein Grund für Probleme: Es fehlen z.B. nicht die Mitglieder der Sudetendeutschen Landsmannschaft, es fehlen auch nicht Radikale. auch nicht auf der tschechischen Seite. Aber es ist die schönste Tradition nach den scharfen Diskussionen im Hotel Kratzonos in Marienbad, wenn sich die Menschen in Frieden verabschieden und daß sie eigentlich Freunde geworden sind. Die Treffen in Marienbad sind keine wissenschaftlichen Konferenzen, obwohl ihr Niveau sehr hoch ist. Mit den Hauptreferaten, bei denen sich beide Seiten abwechseln, und mit den Koreferaten der anderen Seite treten Spitzenvertreter der Hochschulen, der Publizistik etc. auf. Leute, die teilnehmen, sind Intellektuelle und Mitglieder einzelner Organisationen, die zwar theoretisch nicht so gut vorbereitet sind, aber sie bringen auf der anderen Seite sehr wertvolle Erfahrungen aus dem reellen Leben mit. Die Themen zu benennen, die in den ganzen Jahren auf dem Programm waren, wäre zu lang und zu langweilig. Aber eine Sache müßte man dringend erwähnen: Im Jahre 1993 schlugen einige deutsche Teilnehmer vor, daß wir ausnahmsweise nach dem Treffen eine gemeinsame Erklärung aufstellen, die wir dann zum 50. Jahrestag zur Beendigung des 2. Weltkriegs in Europa herausgegeben wollten. Es war nicht einfach, aber über das Ergebnis sind alle stolz, weil diese gemeinsame Erklärung mit ihrem Inhalt und ihrem Geist höhergestellt ist als die Deklaration der beiden Regierungen und Parlamente. Die Jahre vergehen. Im Hotel Krahonos treffen sich die Stammgäste weiter, aber jedes Jahr kommen auch neue. Die Tradition und die freundschaftliche Atmosphäre bleiben. Der Freundeskreis wird immer größer, wie nach einem Stein, der in ein ruhiges Wasser geworfen wurde.

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Dr. Jan Sumavsky ist Geschäftsführer der Tschechischen Friedensgesellschaft.