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Die unkontrollierbare Berufsarmee - eine Folge der abgeschafften Wehrpflicht?
vonWird heutzutage die Forderung nach Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht erhoben, erschallt sofort die Warnung: Wir wollen keine unkontrollierbare Berufsarmee ů la Weimarer Republik. Diese Behauptung stützt die Wehrpflicht, weil gemeinhin verinnerlicht wurde, das Dritte Reich wäre ohne die Wehrmacht nicht entstanden. Selbst manche Gegner der Wehrpflicht betrachten die Wehrpflicht als das kleinere Übel und fordern die Wehrpflicht nur dann abzuschaffen, wenn die ganze Armee entlassen wird.
Folge: Jahr für Jahr müssen sich Hunderttausende der Wehrpflicht beugen. Auch Zivildienstleistende erfüllen die Wehrpflicht und stabilisieren damit das Wehrpflichtsystem. Trotzdem steht die Wehrpflicht zur Disposition. Ungeklärt ist jedoch, ob sie von oben abgeschafft wird und keine Kontrollmechanismen für den Rest der Armee eingeführt werden oder ob von unten genügend Druck entsteht, um die Wehrpflichtabschaffung mit weiteren Abrüstungsschritten zu koppeln.
Zunächst einmal gilt es, festzuhalten, daß es keine reine Wehrpflichtarmee gibt. Wenn Wehrpflichtige eingesetzt werden, dann unterstehen sie entweder einem Berufsarmeeteil (manchmal ergänzt um Zeitsoldaten wie z.B. in der BRD) oder es handelt sich um ein Milizsystem (wie z.B. in der Schweiz) für das ebenfalls Wehrpflichtige herangezogen werden.
Sodann gilt: Wehrpflichtige haben noch keinen einzigen Krieg verhindert, aber sehr viele ermöglicht. (Die Wehrpflichtigen der BRD haben auch nichts gegen die ersten Out-of-Area-Einsätze geleistet!).
Schließlich: Die 100.000 Berufssoldaten der Weimarer Republik hätten allein keine demokratievernichtende Wirkung entfalten können. Vielmehr ermöglichte die antidemokratische Grundeinstellung der Bevölkerung, der besiegten Soldaten und der Freikorps das Keimen des Nationalsozialismus. Statt die Freikorps zu bekämpfen, nutzten die Regierungen sie zur inneren Aufstandsbekämpfung.
Weitgehend unbehelligt blieben ebenfalls die Nazis, die systematisch die Staatsübernahme vorbereiteten. Daß Hitler später die Berufsarmee benutzte und nicht die SA, hatte machtinterne Gründe und lag nicht primär im Wesen der Berufsarmee, die anschließend zur nationalsozialistischen Wehrmacht umgebaut wurde.
Hätte Hitler "nur" dieses 100.000 Mann Berufsarmeeheer gehabt, wäre er für die Welt ungefährlicher gewesen. Die allgemeine Wehrpflicht war strategischer Bestandteil von Hitlers Plänen für sein Millionenheer.
Bei der Beurteilung einer Berufsarmee muß stets der Zusammenhang zur gesellschaftlichen Umgebung hergestellt werden. In der Weimarer Republik organisierten sich die radikalsten Demokratiefeinde außerhalb der Berufsarmee. Soldatenverbände, Freikorps, die Nazis, reaktionäre Gesellschaftsschichten sowie ein großer Teil der Industriellen bildeten den Staat im Staate. Es trägt daher zur Legendenbildung bei, zu behaupten, das 100.000-Mann-Heer sei der Staat im Staate gewesen. Dennoch darf die undemokratische Eigendynamik einer Berufsarmee (selbst wenn sie nur als Übergangslösung geplant ist) nicht unterschätzt werden.)
Dies ist übrigens auch der aktuelle Stand unter den kritischen Friedensforschern zur Wehrpflicht.
Die Abschaffung der Wehrpflicht als ein erster Abrüstungsschritt muß daher einhergehen mit der Forderung nach Kontrollmechanismen. Dazu gehören u.a.:
a) Innere Kontrollmechanismen:
- Demokratischere Auswahlverfahren der Führungskräfte durch z.B. Bundestag, Bundesrat, Landtage, Gewerkschaften, Kirchen, Menschenrechtsorgansiationen, Umweltschutzverbände und Kriegsdienstverweigererorganisationen usw..
- Berufssoldatenanzahl drastisch kürzen. Zeitsoldatenanteil klein halten.
- Institutionelle Stärkung von kritischen Soldaten z.B. des Darmstädter Signals.
- Schaffung einer soldatischen Gewerkschaftsvertretung.
- Kompetenz- und Kapazitätserweiterung des Wehrbeauftragten des Bundestages.
- Schaffung von Wehrbeauftragten der Gewerkschaften, Kirchen, Menschenrechtsorganisationen, Kriegsdienstverweigererverbänden und des Auslandes usw..
- ZivilistInnenkontrolle: Gewährung von zivilen Kontrollbesuchen in der Kaserne und bei Manövern, um z.B. die politischen und strategischen Lehrinhalte der Bundeswehr zu kontrollieren usw..
- Fragerechte für die Zivilbevölkerung.
- Politische Schulung der Kommandeure und Mannschaften durch ziviles Personal.
- Weitestgehende Aufhebung der Grundrechtseinschränkungen für Soldaten:
- Gewährung von Gewerkschaftsrechten/Soldatenräte u.ä.m.
- Jede größere Einheit erhält zivile Vertrauensleute.
- Auflösung der strengen Kasernierung.
- Defensive Eidesformel - kein Angriffs-, kein Präventivkrieg, kein innenpolitischer Einsatz.
- Befehls- und Gehorsamssyndrom entschärfen, kritisches Bewußtsein gegenüber Befehlen lehren.
b) Äußere Kontrollmechanismen:
- Internationale politische Verhandlungen zur Rüstungsbegrenzung/-kontrolle.
- Politische Vereinbarungen zur gegenseitigen Kontrolle, z.B. internationale Kasernen- und Manöverbeobachtungen.
- Internationaler Soldatenaustausch.
- Zulassung internationaler Kontrolle durch Wehrbeauftragte des Auslands.
- Keine militärische Kooperation mit ausländischen undemokratischen Systemen. Ein zu bildender ausländischer Kontrollrat entscheidet in Zweifelsfällen.
Darüberhinaus ist die Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht durch eine Auseinandersetzung mit dem deutschen Militarismus zu begleiten. Relevante Themen wären u.a.:
- Völlige Rehabilitierung aller NS-Opfer (Schmerzensgeld- und Rentenansprüche auszahlen).
- Deserteure aller Kriege rehabilitieren.
- Beseitigung aller Kriegsdenkmäler.
- Aufhebung sämtlicher Wehrkundeerlässe.
- Abschaffung soldatischer Privilegien.
Fazit: Der Verzicht auf die allgemeine Wehrpflicht ist nicht gleichbedeutend mit der unkontrollierbaren Berufsarmee. Dennoch sollte die Abschaffung der Wehrpflicht stets im Zusammenhang mit demokratisierenden Forderungen an eine Berufsarmee erhoben werden, auch dann, wenn es sich "nur" um eine Übergangsberufsarmee handelt.
Die Kontrollierbarkeit einer Armee hängt nicht nur von der Art der Armee, sondern auch von ihrem gesellschaftlichen Umfeld ab.