Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht

Die Vereinten Nationen für Kriegsdienstverweigerung einspannen

von Hannah Brock

Dieser Artikel ist aus der Sicht einer pazifistischen Gruppe geschrieben, die sich mit der UN befasst. Es geht darum, wie sich das UN-System auf Kriegsdienstverweigerung (KDV) bezieht und beschreibt eine neue Ressource, die KDVern (und anderen) dabei helfen soll, die Menschenrechtsmechanismen der UN zu nutzen. (1) Viele unserer Erfahrungen können ohne Zweifel auf Gruppen übertragen werden, die sich mit anderen menschenrechtsbezogenen Fragen des Schutzes befassen.

Die War Resisters’ International (WRI) sind ein antimilitaristisches und pazifistisches Netzwerk mit über 80 Gruppen in mehr als vierzig Ländern. Seit unserer Gründung 1921 haben wir KDVer unterstützt.

Unvermeidlicherweise und zum Glück sind unsere ca. 80 Gruppen sehr unterschiedlich. Während einige einen Wert darin sehen, sich mit der UN und regionalen Menschenrechtsmechanismen zu befassen, tun andere das nicht. Diese betrachten eventuellen Wandel nur als kleine Schritte vorwärts und sehen ein sich Einlassen auf die UN als kontraproduktiv: eine Aufwertung bürokratischer und mächtiger Institutionen. Als Campaignerin kämpfe ich mit diesen sich widersprechenden Sichtweisen, aber fühle mich letztlich dazu hingezogen, jeden verfügbaren Weg zu nutzen, Aufmerksamkeit auf KDVerInnen zu lenken, die sich (wiederholter) Einkerkerung, Folter und auch Bestrafung ihrer Angehörigen ausgesetzt sehen. (2)

Das WRI Programm “Das Recht, das Töten zu verweigern”, das vom Büro der WRI koordiniert wird, nutzt Menschenrechtsmechanismen der UN und anderer regionaler Organisationen, wenn es nützlich ist. Wir erkennen die Begrenzungen der existierenden Menschenrechtssysteme an und werden immer über sie hinaus gehen: Für uns ist KDV nicht die Frage des Rechtes auf Schutz eines Individuums – der Schutz von Menschenrechten ist nicht gleichbedeutend mit dem Aufbau einer entmilitarisierten Gesellschaft. Wir sind nicht damit zufrieden damit, dass jemand, dessen Gewissen es verbietet, zu töten, das Recht hat, dies nicht zu tun - wir wollen auch nicht, dass irgendjemand anders irgendjemanden tötet! Doch die Menschenrechtsmechanismen haben das Potential, Aufmerksamkeit auf die Wichtigkeit von KDV zu richten, individuelle KDVerInnen zu schützen und zur rechtlichen Anerkennung von KDV beizutragen.

Es ist möglich, sich mit der UN einzulassen und doch eine gesunde Distanz zu völligem Eintauchen in das System zu halten. Zum Beispiel kann eine Organisation die Probleme darlegen aber darauf verzichten, Vorschläge zu unterbreiten, die nur teilweise zureichend sind und nur innerhalb einer militarisierten Gesellschaft Sinn machen.

Arbeit mit der UN hat einige Vorteile gegenüber der Arbeit mit anderen regionalen Systemen. Zum Beispiel: Wenn man einen Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen will, muss man beträchtliche Anwaltsgebühren bezahlen, was sowohl Menschen abschreckt wie auch dazu führen kann, dass Ressourcen (sowohl Energie wie Geld) von anderer Kampagnenarbeit abgezogen werden. Die Nutzung des individuellen Beschwerdemechanismus des Menschenrechtskomitees ist eine (kostenfreie) Alternative – vorausgesetzt, dass alle Beschwerdemöglichkeiten im eigenen Land ausgeschöpft wurden.

 

Herausforderungen und Risiken
Die “Nützlichkeit” des UN-Systems bezieht sich insbesondere auf seine Rolle bei der Überwachung der Praxis von Staaten in Bezug auf Menschenrechte, einschließlich des Rechtes auf KDV. Diese Rolle kann nützlich sein bei der Lobbyarbeit mit nationalen Regierungen und Behörden und bei der Argumentation in Gerichtsverfahren. Das bedeutet: Die Position von UN-Institutionen kann auf Andere Einfluss nehmen. Das Schlüsselwort hier ist „kann“, denn es ist natürlich auch möglich, dass bei der KDV – wie in vielen anderen Themen – die Position der UN oftmals nur als Ausdruck internationaler Meinung gesehen wird und keinerlei Einfluss hat. (So scheint es zumindest oftmals über Jahrzehnte.) Darüber hinaus kann sie manchmal auch den gegenteiligen Effekt haben, Unnachgiebigkeit zu fördern. Ein Beispiel ist Israel, das in jüngerer Zeit den KDVer Natan Blanc zehn Male hintereinander zu Haft verurteilt hat – was ihm zum Halter des seltsamen Rekords macht, der KDVer in Israel mit den meisten Haftstrafen zu sein. Dies geschah, nachdem die Arbeitsgruppe über “Willkürliche Haft“ in ihrer Stellungnahme 24/2003 zu Israel festgestellt hatte, dass wiederholte Haftstrafen für KDVerInnen in Israel willkürlich sind und deshalb eine Verletzung des Paragraphen 14/7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte darstellen, den Israel unterzeichnet hat.

Risiken für AktivistInnen können auch durch internationalen Druck und Aufmerksamkeit aufgrund von Repressalien der Regierung steigen. In diesem Jahr wurde in Turkmenistan die Familie eines KDVers, der einer der Beschwerdeführer in einem Fall war, der vor das UN-Menschenrechtskomitee gebracht worden war, festgenommen und gefoltert. (3) Die Beschwerdeführer selbst (alle Jehovas Zeugen) geben an, dass in dem Seydi Arbeitslager – wo die meisten KDVer festgehalten werden – KDVer regelmäßig in die Strafzelle eingesperrt werden und einige brutal zusammengeschlagen wurden.

Eine Herausforderung heute ist der wachsende Graben zwischen Standards, die von den UN-Mechanismen einerseits und regionalen Menschenrechtssystemen wie dem Europarat, der Inter-American Human Rights Commission und der African Commission on Human and Peoples' Rights anderserseits gesetzt werden. Einige von diesen, vor allem die Afrikanische Kommission, wurden noch nicht getestet, da ihnen bislang kein KDV-Fall vorgelegt wurde.

 

Eine Basis für die eigene Arbeit
Zwei Menschenrechtsverträge sind insbesondere relevant für die Verweigerung von Militärdienst:

  • Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR), der von dem Menschenrechtskomitee überwacht wird. Artikel 18 des IPbpR erkennt die Freiheit von Ideen, Gewissen und Religion an, und die Interpretationen und Entscheidungen des Menschenrechtskomitees haben etabliert, dass dies auch das Recht von Gewissensverweigerung des Militärdienstes einschließt.
  • Die Konvention über die Rechte des Kindes und das Fakultativprotokoll über Kinder in bewaffneten Konflikten befasst sich nicht direkt mit KDV, aber ist relevant in Bezug auf die Rekrutierung von unter 18-Jährigen.

Die WRI und andere KDV-Organisationen arbeiten oft mit der UN zusammen

  • über Menschenrechtsrat-Sonderverfahren, z. B.:
    • Sonderberichterstatter für Religions-und Glaubensfreiheit,
    • Arbeitsgruppe zu willkürlichen Inhaftierungen
    • Menschenrechtsrat: Beschwerdeverfahren
  • mit dem „Ausschuss für Menschenrechte: Staatliche Meldeverfahren“

Möglichkeiten zu nutzen, die innerhalb des UN-Systems entstehen, erfordern adäquates Verständnis und genügend Zeit. Deshalb ist es für die WRI wichtig, mit Organisationen zu arbeiten, die sich solcher Arbeit widmen, wie z.B. das Büro der Quäker bei den Vereinten Nationen in Genf. Organisationen wie das Centre for Civil and Political Rights (4) sind entscheidend in ihrer Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen (NROs), Zugang zu dem UN-System zu finden, insbesondere NROs zu ermöglichen, sich an den Staatlichen Meldeverfahren des Ausschusses für Menschenrechte zu beteiligen. Viele Möglichkeiten des Eingreifens würden verloren gehen, gäbe es nicht ihre sorgfältige Beobachtung von Zyklen und Entwicklungen. Die WRI hat in den letzten zehn Jahren mit diesen Organisationen für die Anerkennung von KDV in UN- und anderen Menschenrechtsmechanismen gearbeitet und beobachtet Fortschritt in dieser Beziehung.

So hat das Menschenrechtskomitee, wie oben erwähnt, das Recht auf KDV anerkannt. Dies wurde deutlich in vielen „Abschließenden Bemerkungen über Berichte über Staaten“ und in seinen Stellungnahmen zu individuellen Fällen. Diese schließen die Fälle von in Yoon und Choi sowie Eu-min Jung und andere gegen die Republik Korea 2007 und 2010 ein, in denen das Komitee die Verweigerung von Militärdienst als Ausdruck religiösen Glaubens sieht, der von Artikel 18 des IPbpR geschützt ist. 

Später hat das Komitee in dem Fall von Min-Kyu Jeong et al gegen die Republik Korea festgestallt: Die Verweigerung von Militärdienst „basiert auf dem Recht auf Gedanken-, Gewissens-und Religionsfreiheit. Es berechtigt jeden Einzelnen zu einer Befreiung von der Wehrpflicht, wenn dies nicht mit der Religion oder Weltanschauung des Einzelnen in Einklang gebracht werden kann. Das Recht darf nicht durch Zwang beeinträchtigt werden.

Diese Entwicklungen stellen eine solide Basis dar, an der das Verhalten von Staaten gemessen werden kann.

 

KDV: Was kommt als Nächstes?
Da immer mehr Staaten (insbesondere in Westeuropa, wenngleich mit bemerkenswerten Ausnahmen) die Wehrpflicht aussetzen oder abschaffen, ist Kriegsdienstverweigerung für viele kein Thema mehr.

Mehr Bedeutung erlangt KDV für BerufssoldatInnen, insbesondere SoldatInnen jener Armeen, die am aktivsten bei den Invasionen in den Irak und Afghanistan sind. Wir hoffen, dass das von uns erstellte Handbuch (A Conscientious Objector's Guide to the International Human Rights System, s. Anmerkung 1) auch für die Verteidigung der Rechte dieser VerweigerInnen nützlich sein wird, ebenso wie für die Verweigerung von Militärsteuern – letzteres wird oft als „Friedenssteuer-Kampagnen“ bezeichnet. Die Rechtsprechung zu diesem Thema hinkt beträchtlich hinter dem der KDV des Militärdienstes hinterher, obwohl sie versucht, die gleiche Basis zu nutzen.

 

Anmerkungen
1 A Conscientious Objector's Guide to the International Human Rights System: http://co-guide.org/ Die im Artikel erwähnten Institutionen, Mechanismen und Fälle sind alle in diesem Handbuch zu finden, sofern nicht anders vermerkt.

2 Siehe Information über den KDVer İnan Suver in der Türkei: http://wri-irg.org/node/10682 und über die Situation in Eritrea: http://www.wri-irg.org/news/2005/eritrea-en.htm .

3 Siehe http://www.wri-irg.org/node/21306 .

4 http://www.ccprcentre.org/

 

Das KDV-Handbuch kann am Besten in Form einer interaktiven Suche genutzt werden: http://co-guide.org/mechanism-search, aber es kann auch als PDF in Englisch heruntergeladen werden: http://co-guide.org/sites/default/files/CO-Guide-Update_2.pdf

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