Die Zivilgesellschaft und die Vereinten Nationen

Die Vereinten Nationen nutzen

von Zaira Zafarana
Schwerpunkt
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Veränderung erfordert Handeln. Handeln ist wichtig und kann Auswirkungen auf das tägliche Leben der Menschen haben.

Allzu oft wird angenommen, dass internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen wenig Einfluss auf unser tägliches Leben haben, weil ihre Arbeit und ihr Aktionsradius nicht im Zusammenhang mit den lokalen Belangen der Menschen gesehen werden. Manchmal besteht der Eindruck, dass beispielsweise die UN auf einer weit entfernten Ebene agiert, die keinen Bezug zum Leben der Menschen hat. Sie wird zu oft als geschlossener Raum angesehen, in dem nur Staaten das Wort haben. Die Realität ist, dass die UNO eine zwischenstaatliche Organisation ist, deren Handeln von der Entscheidung ihrer Mitglieder abhängt. Die Mitgliedstaaten sind diejenigen, die bei Entscheidungsprozessen dafür sorgen können, dass etwas geschieht. Wenn Staaten einer Resolution nicht zustimmen, werden sie keine entsprechenden Maßnahmen zum Schutz von Leben und Menschenrechten und letztendlich zur Förderung des Friedens ergreifen. Dennoch sind die Vereinten Nationen ein wichtiger Ort, um alle Staaten (zumindest alle offiziell anerkannten Staaten), die die San-Francisco-Charta ratifiziert und sich daher zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit verpflichtet haben, an einen Tisch zu bringen.

Das UN-System erfordert einen Verbesserungs- und Demokratisierungsprozess, insbesondere innerhalb des Sicherheitsrats, aber es ist ein wertvoller Raum des Multilateralismus, der erhalten und unterstützt werden muss.

Einflussmöglichkeiten der Zivilgesellschaft
Die Zivilgesellschaft kann eine wichtige Rolle im UN-System spielen und ihre Stimme in diesem internationalen Forum erheben. Die Vereinten Nationen verfügen über spezielle Verfahren, die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Instrumente und Möglichkeiten bieten, sich an den Vereinten Nationen zu beteiligen und dort zu agieren.

Beispielsweise bietet die Beantragung des Beraterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) NGOs die Möglichkeit, sich in mehreren Nebengremien und Menschenrechtsmechanismen der Vereinten Nationen zu engagieren. Derzeit (Stand 31. Dezember 2022) befinden sich 6.494 NGOs im aktiven Beraterstatus beim ECOSOC.

Täglich gibt es auf der ganzen Welt viele Initiativen, um eine Veränderung zum Wohle der Menschen herbeizuführen. Viele dieser Aktionen finden auf lokaler Ebene statt, manchmal mit geringer Berichterstattung in den Medien, manchmal ohne Aufmerksamkeit der politischen Entscheidungsträger*innen, oft mit geringen Ressourcen, da Friedensarbeit allzu oft nicht als „echte Arbeit“ betrachtet wird. Es kann mehrere Gründe dafür geben, warum es für solche lokalen Initiativen schwierig ist, konsistent und effektiv zu sein. Ein Grund, der in diesem Artikel angesprochen wird, ist, dass es eine Lücke zwischen Einzel- und Gruppenaktionen vor Ort und der möglichen damit verbundenen Arbeit auf institutioneller Ebene gibt.

Politische Interessenvertretung ist ein Schlüsselelement, um Veränderungen herbeizuführen, und sie sollte von Aktivismus vor Ort begleitet werden. Keiner kann ohne den anderen erfolgreich sein. Es ist möglich und sollte gefördert werden, solche Initiativen auf lokaler Ebene mit unterstützenden Initiativen auf internationaler Ebene und insbesondere bei den Vereinten Nationen oder anderen regionalen Institutionen wie beispielsweise der Europäischen Union und dem Europarat zu kombinieren. In einer vernetzten Welt, in der es sich bei vielen Problemen um globale Probleme handelt, ist kein Erfolg möglich, wenn es keine Zusammenarbeit zwischen lokalem Aktivismus und internationalen Aktivitäten gibt: Sie ergänzen sich.

Die Vereinten Nationen bieten einen einzigartigen Raum für eine solche Interessenvertretung, da sie das ultimative internationale Forum sind, in dem alle Staaten zusammensitzen. Aus praktischer Sicht bedeutet dies, dass es sich um einen Weltplatz handelt, auf dem es möglich ist, mit Diplomat*innen aus der ganzen Welt zu interagieren, zu hören, welche Themen für verschiedene Länder von Belang sind, und die unterschiedlichen Standpunkte zu verstehen, indem man den Sitzungs-Debatten zuhört. Darüber hinaus bietet das UN-System verschiedene Verfahren zur Umsetzung von Verträgen und Grundrechten sowie zur Überprüfung der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Einhaltung internationaler Standards.

Diese Arbeit bringt nicht nur einen Nutzen für ein bestimmtes Thema oder in einem bestimmten Kontext; angesichts des einzigartigen Forums und der Natur der Menschenrechte, die universell sind, kann jede Errungenschaft bei der Umsetzung eines Rechts oder beim Schutz von Opfern in einem bestimmten Kontext möglicherweise auch anderswo angewendet werden, wird zur bewährten Praxis und konsolidiert internationale Standards.

Beispiel Genf
Wenn wir beispielsweise einen genauen Blick auf das UN-Hauptquartier für Menschenrechte in Genf werfen, erkennen wir mehrere Möglichkeiten, wie sich die Zivilgesellschaft effektiv engagieren kann:

Der UN-Menschenrechtsrat hält drei Sitzungen pro Jahr ab, die jeweils etwa einen Monat dauern. NGOs mit Beraterstatus können an den Sitzungen teilnehmen und während der Zeit, die der Zivilgesellschaft für die Behandlung der verschiedenen Themen zur Verfügung steht, im Plenum das Wort ergreifen. Diese eine Minute und 30 Sekunden dauernde mündliche Intervention ist eine einzigartige und wichtige Möglichkeit, eine wichtige Stimme auf dem Weltplatz zu erheben und den Stimmlosen eine Stimme zu geben. NGOs mit beratendem Status können an Verhandlungen und Parallelveranstaltungen teilnehmen und einige dieser letzten Veranstaltungen organisieren. Sie können schriftliche Stellungnahmen einreichen, in denen sie detailliert auf Fälle von Menschenrechtsverletzungen eingehen und so die internationale Gemeinschaft für das sensibilisieren, was manchmal nur im lokalen Kontext bekannt wäre.

Bei der Advocacy-Arbeit spielt politischer Gruppenzwang eine wichtige Rolle. Beispielsweise können NGOs alternative Berichte über die Menschenrechte in einem bestimmten Land einreichen, wenn dieses Land beim Menschenrechtsrat geprüft wird. Alle Mitgliedstaaten müssen an den Sitzungen der Universal Periodic Review (UPR) teilnehmen, bei denen das überprüfte Land seinen Bericht vorlegt und die anderen Mitgliedstaaten Fragen stellen und Empfehlungen abgeben können, sie können lediglich zur Kenntnis genommen – d.h. vom überprüften Land nicht akzeptiert werden - oder können angenommen werden. Im letzteren Fall verpflichtet sich das betroffene Land, ihnen zu folgen und im nächsten neuen Zyklus des UPR Bericht zu erstatten.

Die Zivilgesellschaft auf lokaler und internationaler Ebene kann zusammenarbeiten, um Berichte über die tatsächliche Situation im Land vorzulegen, und sie kann auch informelle Treffen mit den verschiedenen Missionen der Vereinten Nationen abhalten, um spezifische Empfehlungen zu unterstützen. Diese Arbeit ist auch auf lokaler Ebene von entscheidender Bedeutung, da sich die Hauptstädte stets bei ihren örtlichen Botschaften über das zu prüfende Land erkundigen. Der effektivste Weg, dies zu tun, besteht darin, realistisch zu sein und zu verstehen, was die einzelnen Mitgliedstaaten empfehlen können. Die Arbeit mit den Mitgliedstaaten sollte möglichst kein antithetischer Dialog sein, sondern auf Zusammenarbeit ausgerichtet sein, um die Umsetzung der Menschenrechte bestmöglich zu unterstützen. Dies bedeutet, dass es auch länger dauern kann, bis Ergebnisse erzielt werden, aber auch, dass ein Weg offen gehalten wird, dies zu erreichen.

Ein weiteres Element, das zu einer wirksamen Interessenvertretung beiträgt, ist die Vernetzung mit anderen NGOs, um den spezifischen Aufruf an die Mitgliedstaaten zu stärken. Es ist wichtig, sich an die UN-Regeln zu halten und insbesondere „die UN-Standards vollständig einzuhalten und beleidigende Sprache zu vermeiden“, um die Lobbyarbeit nicht zu untergraben.

Die UPR ist ein Beispiel für konkrete Lobbyarbeit, die bei den Vereinten Nationen geleistet werden und die einen direkten Einfluss auf das tägliche Leben der Menschen haben kann. Im Laufe der Jahre gab es beispielsweise zahlreiche Arbeiten im Zusammenhang mit Verletzungen des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Viele betroffene Länder haben konkrete Empfehlungen erhalten und waren gezwungen, das Problem vor Ort anzugehen. Die Republik Korea ist ein gutes Beispiel dafür, wie internationale Interessenvertretung in Kombination mit lokalen Maßnahmen zu einer großen Veränderung im Land in Bezug auf dieses Recht geführt hat. Südkorea hat schließlich das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und damit die Möglichkeit eines alternativen Zivildienstes anerkannt, wodurch die schmerzhafte Praxis der Inhaftierung von Kriegsdienstverweigerern beendet wurde. Dies war auch durch die Arbeit der Zivilgesellschaft in den UN-Vertragsgremien möglich, wo die Überprüfung durch Rechtsexpert*innen die Mitgliedstaaten, die den betreffenden Vertrag ratifiziert haben, dazu aufrief, einen konkreten Verstoß gegen den Vertrag zu beenden.

Es ist wichtig zu beachten, dass die meisten Berichterstattungsverfahren nicht auf NGOs mit beratendem Status beschränkt sind, es sich also um einen Handlungsraum bei den Vereinten Nationen handelt, der der gesamten Zivilgesellschaft zugänglich ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es zwar nicht möglich war, alle möglichen Instrumente vorzustellen, die der Zivilgesellschaft zur Verfügung stehen, um beispielsweise im Rahmen des UN-Systems zu agieren. Es ist jedoch offensichtlich, dass es ein enormes Potenzial für die Arbeit der Interessenvertretung gibt, die das Leben der Menschen konkret beeinflussen kann im Sinne der Stärkung lokaler Kämpfe für Grundrechte und Frieden. Ein symbolträchtiges Beispiel für den Erfolg der zivilgesellschaftlichen Interessenvertretung auf UN-Ebene ist die Verabschiedung des UN-Vertrags zum Verbot von Atomwaffen am 7. Juli 2017.

Zivilgesellschaftliches Handeln ist wichtig und kann lauter und stärker sein, wenn es mit Lobbyarbeit bei internationalen Institutionen wie beispielsweise den Vereinten Nationen einhergeht.

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Zaira Zafarana ist eine italienische Menschenrechtsexpertin mit Erfahrung in der Interessenvertretung bei den Vereinten Nationen in Genf. Sie ist an der Arbeit im Zusammenhang mit dem Recht auf Kriegsdienstverweigerung beteiligt und koordinierte ein thematisches Projekt für die International Fellowship of Reconciliation und fungierte auch als deren Hauptvertreterin bei den Vereinten Nationen. Sie ist außerdem Friedens- und Gewaltfreiheitstrainerin mit einem akademischen Hintergrund in internationalen Beziehungen, Menschenrechten und interkultureller Kommunikation.