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Wissenschaften protestieren gegen geplante Atomtests
Die Welt darf nicht länger auf Bomben leben
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Am 16. Juli 1945 veränderte sich die Welt: Die erste Testexplosion einer Atombombe in der Wüste Neu-Mexikos katapultierte die Menschheit in das atomare Zeitalter. Keine vier Wochen später wurde aus dem Test- ein Kriegsfall - Hiroshima und Nagasaki leiden noch heute unten den Folgen des atomaren Holocausts. 50 Jahre später kündigt der französische Präsident Jacques Chirac die Wiederaufnahme von Atomtests in Mururoa an. 500 deutsche Wissenschaftler, die sich anläßlich des 50. Jahrestages des ersten Atomtests, in Göttingen mit der Grundsatzfrage "Dürfen Forscher alles, was sie könne?" auseinandersetzten, erweiterten diese Frage auch auf die Politiker. In einem offenen Brief an Chirac riefen sie zum Verzicht auf die Kernwaffenversuche auf.
Die Wissenschaftler sind von den vorgebrachten wissenschaftlichen und militärischen Argumente nicht überzeugt: "Für eine Kontrolle der Funktionsfähigkeit und Zuverlässigkeit von Atomwaffen sollte die Erfahrungen von über 200 französischen Atomtest und Laborversuchen ausreichen sein." Die geplante Testreihe konterkariere vielmehr den Geist des erst kürzlich verlängerten Atomwaffensperrvertrages und spiegele eine Haltung aus der Zeit des Kalten Krieges wieder. Die Wissenschaftler warnten davor, den qualitativen Rüstungswettlauf weiterzutreiben und wünschten Chirac "den Mut Entscheidung rückgängig zu machen".
Dem offenen Brief waren zwei Tage intensiver Auseinandersetzungen vorausgegangen. Unter dem Titel "Die sichere Eingrenzung der zivilen Nutzung der Kerntechnologie gegen militärische Anwendungen - Möglichkeiten und Grenzen" waren rund 40 Experten aus Forschung, Politik und Industrie zusammengekommen, um ein erstes Konsensgespräch zwischen Atomenergiebefürwortern und -gegnern zu führen. Erstmals traten die Deutsche Physikalische Gesellschaft, die Naturwissenschaftler-Initiative "Verantwortung für den Frieden" und die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler als gemeinsamer Veranstalter auf.
Jeder Themenblock wurde mit einem Eingangsreferat eingeführt und durch einen komplementären Kommentar ergänzt. Pro- und Contra verfügten somit über ein gemeinsames Grundwissen, was für die folgende Diskussionen unabdingbar war. Hauptgegenstand war die Frage, wie man den militärischen Missbrauch von Atomenergie, Kerntechnik und -physik vermeiden kann. Zwei Fragen wurden besonders ausführlich diskutiert: Zur Frage, ob Plutonium waffenfähig ist und in welcher Form besonders, gab es eine klare Antwort: Plutonium ist in jeder Isotopenzusammensetzung für Kernwaffen verwendbar. Auch wenn 'ungünstige' Zusammensetzungen die Nutzung für Kernwaffen erschweren, so ist diese Anwendung nicht unmöglich Ungleich komplexer war die Frage, ob und wie man technisch-physikalisch beurteilen kann, ob latente Proliferation vorliegt und inwiefern man mit diesem Wissen ableiten kann, ob ein Land Atomwaffen herstellt? Die technische Beurteilung war allgemeiner Konsens - Prof. Dr. Werner Buckel, einer der Initiatoren des Gesprächs: "wenn ein Staat, der eine ausgebaute Kerntechnologie hat, Atomwaffen bauen will (...), so wird er dazu auch in der Lage sein." Die länderspezifische Beurteilung ist ungleich schwieriger; hier besteht die Gefahr, die politische Situation in einem Staat falsch einzuschätzen - mit weitreichenden Konsequenzen bis hin zum Lieferboykott.
Über die zivile Forschung mit spaltbarem Material gingen die Meinungen auseinander. Konsens konnte in folgenden Punkten erreicht werden: Es liegt in der Verantwortung der Wissenschaftler, zur Aufklärung obiger und anderer zentraler Fragen beizutragen. Weiterhin müssen sich Wissenschaftler müssen verstärkt dafür einsetzen, transparente Forschung und keine Geheimforschung zu betreiben. Offen bleiben allerdings die Frage, wer genau für diese Transparenz zu sorgen habe und mit welchen Mitteln sie erreicht werden könne, offen blieb auch, wie mit den berechtigten Interessen der Industrie umgegangen werden könne. Auf der praktischen resp. sicherheitstechnischer Ebene herrschte Übereinstimmung, daß bei der Einführung neuer technischer Systeme, z.B. neuer Reaktortypen, die Sicherheit gegenüber einer Weiterverbreitung von den Atomwaffen ein wesentliches Kriterium sein müsse. Große Einigkeit bestand in der Forderung nach eindeutigen politischen Bewertungen.
Jeder Staat solle für öffentliche Klarheit und Transparenz sorgen, etwa, ob, nukleare Optionen offen (gehalten) sind oder nicht. So geht es in Deutschland z.B. um die konkrete Forderung der IPPNW u.a., den Kernwaffenverzicht grundgesetzlich zu verankern.
DFas Zustandekommen eines solchen Fachgesprächs ist laut Buckel ein "wichtiger Schritt zu einer Diskussionskultur, wie wir sie in Deutschland für die Auslotung von Problemfeldern dringend brauchen."
Dringend nötig ist auch ein Aufbau von Grundlagenwissen. Vor allem in Proliferationsfragen manifestierte sich frappierende Wissensdefizite bei denen, die es wissen sollten. Ebenso unverantwortlich waren auch auftauchende sprachliche Unschärfen. Mehrmals wurden komplexe Zusammenhänge oberflächlich und mit 'schwammigen' Begrifflichkeiten dargestellt. Konsequenz: sinnverfremdende und damit unzutreffende Einschätzung. So behauptete etwa ein Vertreter der Industrieseite (Siemens), das Plutonium nach Nutzung in Mischoxidbrennelementen nicht mehr waffenfähig sei. Diese Aussage stimmt so nicht. Gemeint bzw. wahr ist, daß Plutonium in dieser Form nicht direkt zugreifbar ist, weil es in strahlende Matrix eingeschlossen ist. Mit entsprechender Wiederaufbereitungstechnik kann es durchaus wieder herausgeholt werden und seine Waffenfähigkeit zurückerhalten.
Garching, der weltweit modernste Forschungsreaktor mit hochangereichertem (Bomben-)unran ist wenig konsensfähig. Die Naturwissenschaftler-Initiative "Verantwortung für den Frieden" und der Verein Deutscher Wissenschaftler lehnen dieses Projekt aus friedenspolitischen Erwägungen ab. Auch wenn diese und andere spezifisch bundesdeutsches Atomstreifragen nicht Gegenstand der Diskussion und des Protest waren - so kann das Fachgespräch durchaus als Erfolg bewertet werden. Die Kooperation unter den Veranstaltern hat eine konstruktive Synthese von Wissen und Meinungen aus drei unterschiedlichen Interessengruppen möglich gemacht. Fazit: ausbaufähig.
Die offizielle Gedenkfeier "50 Jahre Atombombe" in der Aula der Göttinger Universität sowie die Veranstaltung "Dürfen Wissenschaftler alles, was sie können?" auf dem Göttinger Markt sorgten für die nötige Öffentlichkeit der wissenschaftlichen Diskussion um Frieden und Verantwortung.
Der in den USA lebende Physiker Victor Weißkopf warnte in einer Videoansprache: "Die Welt darf nicht länger auf Bomben leben". Der heute 86jährige hatte im "Manhatten Projekt" an der Entwicklung der amerikanischen Atombombe mitgearbeitet. Der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsächer mahnte in der mit 500 TeilnehmerInnen besuchten Gedenkfeier: Die Institution des Krieges muß überwunden werden, oder die Menschheit wird sich selbst zugrunde richten.