Die Welt redet über Atomwaffen - und niemand merkt`s?

von Regina Hagen

"Hat irgendjemand gemerkt, dass in Genf Verhandlungen über die Nichtverbreitung und Abrüstung von Atomwaffen stattfanden?", überschrieb ein britischer Kollege seinen Bericht über die sogenannte NPT PrepCom 2003.

In der Tat: Die 189 Mitgliedstaaten des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV, engl. NPT) trafen sich vom 28. April bis zum 9. Mai 2003 im Genfer Palast der Nationen zum zweiten Treffen des Vorbereitungskomitees (PrepCom) für die 2005 fällige Überprüfungskonferenz des Vertragsregimes - und niemand interessierte sich dafür. Niemand? Fast niemand. Ein kleines Häuflein von 37 unverdrossenen Nichtregierungsorganisationen bot den Diplomaten und ihrem "business as usual" tapfer die Stirn.

Am Thema kann das Desinteresse nicht liegen: Der Nichtverbreitungsvertrag, auch als Atomwaffensperrvertrag bekannt, ist der einzige multilaterale Vertrag, in dem sich die Beitrittsstaaten auf nukleare Abrüstung verpflichtet haben. Und die Lage während der Verhandlungen war wahrlich gespannt.

Der Irak-Krieg - bei dem es vorgeblich um das Aufspüren von Massenvernichtungswaffen ging - ging gerade zu Ende. Indien und Pakistan setzten ihre Raketentests fort und bewiesen damit die Einsatzbereitschaft ihres nuklearen Arsenals. Iran wurde vor allem von den USA unterstellt, sein ziviles Atomenergieprogramm zur Entwicklung der Bombe zu missbrauchen, und konterte die Vorwürfe mit dem Hinweis auf die Atomwaffen Israels. Die USA verwiesen auf die eigene Abrüstungsvereinbarung mit Russland, führten aber mit der Stärkung der Rolle von Atomwaffen in ihrer neuen Sicherheitsdoktrin und dem Ruf nach "Bunkerknackern" und "Mini-Atomwaffen" (selbstverständlich nur für ihre eigenen Arsenale) den Unmut der meisten Delegierten hervor. Eine kritische Premiere gab es auch: Mit Nord-Korea ist zum ersten Mal in der 35-jährigen Geschichte des Vertrags ein Land aus dem Vertragswerk ausgetreten.

Der Vertrag, 1968 abgeschlossen und seit 1970 in Kraft, ist zwar kurz, hat es aber in sich: Artikel II verbietet den Nicht-Atomwaffenstaaten, Atomwaffen herzustellen oder zu erwerben. Als Kompensation sichert Artikel IV das Recht auf die friedliche Nutzung von Kernenergie (wodurch sie fast zwangsläufig das Potential für die militärische Nutzung erhalten). Im Gegenzug versprachen die Vertragsmitglieder, die Atomwaffen besitzen (USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich), gemäß Artikel VI "in gutem Glauben" zügige Verhandlungen über die vollständige nukleare Abrüstung aufzunehmen.

Da liegt aber ein Knackpunkt: Ohne "roadmap", also zeitliche und inhaltliche Vorgaben für den Weg zur atomwaffenfreien Welt, bleibt die Geschwindigkeit, mit der sie ihre Atomwaffen außer Dienst stellen oder sogar verschrotten, den einzelnen Ländern überlassen. So wird die Abrüstung auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Um gerade mal 42 nukleare Sprengköpfe pro Jahr, so der stellvertretende UN-Generalsekretär für Abrüstungsfragen, Jayantha Dhanapala, in einem Referat, seien die Arsenale seit 1968 geschrumpft, rund 30.000 gebe es noch heute. Und die Zahl der Atomwaffenländer ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Höchste Zeit, fanden die wenigen Nichtregierungsvertreter in Genf, frischen Wind in das Vertragswerk zu bringen.

Versprechungen gab es genug. So wurde bei der Überprüfungskonferenz 1995 die unbeschränkte Verlängerung des Vertrags - und damit der anhaltende Verzicht auf Atomwaffen durch fast alle Staaten der Welt - dadurch erkauft, dass die Atomwaffenstaaten ihre Verpflichtung zu nuklearer Abrüstung erneut bestätigten. Außerdem wurde das Atomwaffenarsenal Israels - wie Indien und Pakistan nicht dem NVV beigetreten - durch eine Resolution zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone Naher Osten adressiert. Im Jahr 2000 legten sich die Länder auf "13 praktische Schritte" für den Weg in die atomwaffenfreie Welt fest, von etlichen dieser Schritte distanzierte sich allerdings die neue US-Regierung schon bei der PrepCom 2002.

Weder diese Missachtung der Vertragsverpflichtungen noch der Rücktritt von Nord-Korea führte bei der PrepCom allerdings zu Konsequenzen. Der NVV ist in großer Gefahr, zum belanglosen Vertragswerk mit regelmäßigem Konferenzzirkus zu werden, und die Weltgemeinschaft kann sich nicht zu einem dem Ernst der Lage angemessenen Umgang mit dem Problem durchringen. Keine Sondersitzungen und Versuche, die Nordkoreaner im Vertragsregime zu halten. Bloße Luftblasen als Reaktion auf die mangelnde Abrüstungsbereitschaft der Atomwaffenstaaten. Keine wirkliche Debatte, sondern fast ausschließlich Verlesen vorformulierter, mit dem jeweiligen Außenministerium abgeklärter und schriftlich vorliegender Erklärungen - und das auch noch überwiegend unter Ausschluss der Nichtregierungsvertreter, die nur zu fünf der zwanzig Sitzungen zugelassen waren (allerdings eine offizielle Sitzung mit ihren eigenen Beiträgen selbst bestritten). Der kanadische Senator Douglas Roche fand dafür die Bezeichnung "ritualisierte Fassade".

"Die Zukunft des Vertrages", wandte Dhanapala sich direkt an uns, "hängt nicht zuletzt von der Unterstützung ab, die er durch die Zivilgesellschaft erfährt". Das sehen viele Aktive auch so. Das weltweite Netzwerk Abolition 2000 will auf die Regierungen verstärkt Druck machen. Gemeinsam mit den Mayors for Peace, einem vom Bürgermeister von Hiroshima geleiteten Bündnis von Bürgermeistern aus aller Welt (darunter auch vielen deutschen), ruft das Netzwerk alle Friedensgruppen auf, zur letzten Vorbereitungskonferenz (April/Mai 2004) und zur Überprüfungskonferenz (April/Mai 2005) nach New York zu reisen. Der Plan ist, an einem Wochenende der Vertragsverhandlungen eine große parallele Nichtregierungskonferenz abzuhalten. Und die zwei Jahre bis dahin sollten wir alle nutzen, um unsere eigene Regierung zum Handeln zu drängen. So könnte sie beispielsweise für den Abzug der US-Atomwaffen von deutschem Boden sorgen, auf eine Änderung der Nukleardoktrin der NATO drängen - oder 2004 und 2005 eine/n Nichtregierungsvertreter/in in ihre NVV-Delegation aufnehmen.
 

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Sprecherin der Kampagne "Büchel ist überall – atomwaffenfrei.jetzt“ und ehemals verantwortliche Redakteurin der Quartalszeitschrift "Wissenschaft & Frieden".