Die Zentralstelle KDV hat ihre Auflösung beschlossen

von Peter Tobiassen

Meistens reagieren die GesprächspartnerInnen überrascht. „Warum denn auflösen? Da gibt es doch bestimmt noch andere Aufgaben.“ Dass eine aktive und ziemlich effiziente Organisation sich freiwillig auflöst, scheint ungewöhnlich zu sein. Einen solchen Schritt vermuten viele nur bei einer Insolvenz oder dann, wenn auch die letzten Mitglieder ausgetreten oder verstorben sind.

Der Vorstand hatte der Mitgliederversammlung der Zentralstelle KDV im November 2010 die Auflösung des Vereins vorgeschlagen. Am 14. Mai 2011 haben 23 der 26 Mitgliedsorganisationen für die Auflösung gestimmt, ein erstaunlich eindeutiges Ergebnis angesichts der leidenschaftlich geführten und zunächst sehr kontroversen Diskussion. Dem Auflösungsbeschluss vorausgegangen war eine gründliche Analyse der Situation.

Die Situation in der Gründungsphase
1957, als die Zentralstelle KDV gegründet wurde, herrschte der Kalte Krieg, eine Massenarmee wurde aufgebaut und Kriegsdienstverweigerer als „Ohnemichl“, Drückeberger oder Kommunisten beschimpft und von staatlichen Stellen massiv eingeschüchtert. In dieser Situation schufen dem Frieden verpflichtete Organisationen eine gemeinsame Einrichtung, die dreierlei leisten sollte: Sie sollte die Plattform bilden, auf der die Mitgliedsorganisationen ihre Positionen zur Kriegsdienstverweigerung abstimmen und verstärken konnten, sie sollte gemeinsame Lobbyeinrichtung für Gespräche mit Politik und Behörden sein und sie sollte als Backoffice den örtlichen Beraterinnen und Beratern der Mitgliedsverbände zur Verfügung stehen. Diese drei Aufgaben hat die Zentralstelle KDV bis Mitte letzten Jahres unverändert wahrgenommen.

Der Aufgabenzuschnitt nach der Satzung
Die Zentralstelle KDV ist nicht als „Kriegsdienstverweigererverein“, sondern als „Gewissensfreiheitsverein“ konzipiert worden. Nach der Satzung ist die Werbung für Kriegsdienstverweigerung verboten und kann auch durch Satzungsänderung nicht in den Aufgabenbereich übernommen werden. Es ist also nicht Aufgabe der Zentralstelle KDV, die Kriegsdienstverweigerung als das deutlichere Zeichen für Friedensengagement zu bewerben. Sie kann erst tätig werden, wenn Einzelne oder Gruppen durch den Zwang zum Töten von Menschen in Gewissensnot geraten. Durch die Wehrpflicht kamen Zehntausende in diese Situation, ohne Wehrzwang sind es nur noch wenige, die sich (zunächst jedenfalls) freiwillig in solche Situationen begeben. Um diesen Wenigen zu helfen, ist keine Einrichtung nötig, die die Politik von 26 Organisationen koordiniert, die gemeinsame Lobbyarbeit organisiert und als Backoffice für einige Tausend örtliche KDV-Beraterinnen und -Berater zur Verfügung steht. Ein solches Hilfeangebot für Kriegsdienstverweigerer kann jetzt eine einzelne Mitgliedsorganisation der Zentralstelle KDV allein stemmen.

Ziele erreicht
Ging es zunächst nur um die Abwehr von Schlechterstellungen von Kriegsdienstverweigerern innerhalb des Wehrpflichtsystems, so haben sich die Mitgliedsorganisationen ab Anfang der 1990er Jahre für den Wegfall der Wehrpflicht eingesetzt. Vor und nach 1990 hat die Zentralstelle KDV durchgesetzt, dass die mündlichen Gewissensprüfungen abgeschafft wurden, der Zivildienst nicht mehr länger dauerte als der Wehrdienst, Zivildienstleistende genauso viel (oder wenig) verdienten wie die Wehrdienstleistenden. Sie hatte verhindert, dass zwischen dem Bachelor- und Masterstudium Wehr- oder Zivildienst geleistet werden musste, und dafür gesorgt, dass der Zurückstellunganspruch für ein Studium berechenbar wurde. Der Durchbruch gelang aber, als nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Politik den Argumenten für den Wegfall der Wehrpflicht folgte. Wo es keinen Zwangsdienst mehr gibt, muss nicht mehr um die Zurückstellung von diesem Zwangsdienst gekämpft werden, wo es keine (schriftliche) Gewissensprüfung mehr gibt, muss auch nicht mehr um die verfassungsgemäße Anwendung dieses Rechts gestritten werden. Die Gewissensfreiheit für Kriegsdienstverweigerer ist eben weitestgehend gewährleistet, wenn niemand mehr über die Wehrpflicht zum Kriegsdienst gezwungen wird.

Heutiges KDV-Recht
Wer nicht will, dass die Militärverwaltung von seiner Existenz erfährt, kann dem Einwohnermeldeamt einfach untersagen, seine Meldedaten weiterzugeben. Wer sich zu spät meldet und merkt, dass die Daten schon weitergegeben sind, kann die sofortige Löschung der Daten bei der Wehrverwaltung verlangen. Dabei werden die Daten zudem nur weitergegeben, um Werbematerial für den Soldatenberuf zu versenden. Wer auf diese Werbung nicht reagiert, wird nie wieder etwas von der Bundeswehr hören. Die Daten werden nach einem Jahr automatisch gelöscht.

Wer sich in die Bundeswehr hat locken lassen, kann innerhalb des ersten halben Jahres jederzeit und mit sofortiger Wirkung kündigen. Die ersten sechs Monate gelten beim freiwilligen Wehrdienst als Probezeit, bei Zeitsoldaten unterliegen sie dem Widerrufsrecht.

Erst ab dem siebten Dienstmonat ist eine Kündigung nur mit Zustimmung des Dienstherrn möglich. Wer ab diesem Zeitpunkt Gewissensbedenken gegen den Waffendienst hat, kann nach dem bekannten schriftlichen KDV-Anerkennungsverfahren verweigern. In einer kleineren Bundeswehr und mit der neu eingeführten Probezeit dürften zukünftig nicht mehr als 300 Soldatinnen und Soldaten pro Jahr verweigern. Deren Begleitung kann eine der bisherigen Mitgliedsorganisationen übernehmen.

Keine Konkurrenz zu anderen gemeinsamen Einrichtungen
Die Zentralstelle KDV ist eine Dachorganisation mit einem Spezialauftrag: Gewissensfreiheit der Kriegsdienstverweigerer. Für andere Friedensfragen hatte sie kein Mandat, bei dem breiten Spektrum ihrer Mitgliedsverbände ließe sich ein solches auch kaum entwickeln. Die Mitgliedsorganisationen der Zentralstelle KDV sind aber – in unterschiedlichen Konstellationen (!) – fast alle ebenfalls Mitglied bei anderen Dachorganisationen, die in sehr unterschiedlicher Weise zu Friedensfragen arbeiten, im Bund für Soziale Verteidigung, im Forum Ziviler Friedensdienst, in der Kooperation für den Frieden oder in der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung. Bei einem neu entwickelten Aufgabenzuschnitt für die Zentralstelle KDV würde diese unweigerlich zu diesen Organisationen in Konkurrenz treten. Der Vorstand der Zentralstelle KDV hat deshalb die Mitgliedsorganisationen dazu aufgerufen, die bisher bei der Zentralstelle KDV eingesetzten finanziellen und personellen Ressourcen zukünftig bei einer der genannten Organisationen zu investieren und deren Arbeit zu stärken.

Neue Zeiten – neue Fragen – neue Organisationsformen
Die Zentralstelle KDV wurde Mitte des letzten Jahrhunderts gegründet und in Strukturen gegossen, die in die damalige Zeit passten. Gemessen an der Effektivität, der Schlagkraft und dem Erfolg der Arbeit der Zentralstelle KDV wissen wir heute, dass es genau das richtige Werkzeug war, das sich die beteiligten Organisationen bei Einführung der Wehrpflicht geschaffen haben. Inzwischen werden aber Absprachen nicht mehr in einen über Monate dauernden Briefwechsel getroffen und eilige Informationen nicht mehr per Telegramm übermittelt. Mitgliedsorganisationen, die zu Beginn die Arbeit der Zentralstelle KDV komplett finanzierten, kamen am Ende nur noch für deutlich unter zehn Prozent der Kosten auf. Die Finanziers der Arbeit – über 90 % des Geldes kam von Fördermitgliedern und von den Ratsuchenden – hatten aber kein Stimmrecht in den Versammlungen.

Sollte das Parlament die Bundeswehr wieder zu einer Massenarmee ausbauen wollen und sich dafür der Zwangsrekrutierung von Frauen und Männern bedienen, wird die Rekrutierungsmaschinerie mit Sicherheit anders aussehen als die Wehrpflicht des letzten Jahrhunderts. In dieser Situation werden sich Menschen finden, die sich dann ein neues Werkzeug schaffen, um für die Gewissensfreiheit der Kriegsdienstverweigerer einzutreten, vermutlich aber auch für deutlich mehr, nämlich für die Ächtung von Zwangsrekrutierung und Krieg.

Mit dem Beschluss der noch aktiven Zentralstelle KDV sind eine geordnete Vereinsabwicklung und vor allem eine geordnete Rückübertragung der Restaufgaben an die Mitgliedsorganisationen möglich. Die Internetseite www.Zentralstelle-KDV.de wird es als aktives Archiv bis Ende 2014 geben. Dort finden sich dann auch die Informationen, wer für welche Fragen weiterhin zuständig ist.

In ihrer Schlussveranstaltung (siehe www.Zentralstelle-KDV.de/z.php?ID=371) am 15. Mai, dem internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung, hat die Zentralstelle KDV sich über den Rand ihrer Satzung hinaus gewagt und die Frage gestellt: Geht es auch ohne Militär? Der Untertitel der Veranstaltung lautete: Noch ist nicht alles gut in einem Deutschland ohne Wehrpflicht. In der Tat, das ist es. Aber für die Arbeit an diesen Aufgaben ist das Werkzeug „Zentralstelle KDV“ ausdrücklich nicht geschaffen worden.

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund
Peter Tobiassen, Sozialarbeiter, arbeitet seit 1978 und noch bis Ende August 2011 als Geschäftsführer in der Zentralstelle KDV.