Warum der Blues sich nicht für Soldatenbegräbnisse eignet, Folk kein Kriegsgeheul und Rock'n Roll keine Marschmusik ist

Direkter und indirekter Antimilitarismus in der Popkultur

von Albert Scherr
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Wer Soldat*innen rekrutieren will, muss in jungen Männern und Frauen die Bereitschaft erzeugen, sich militärischer Disziplin zu unterwerfen und Uniformen zu tragen sowie Interesse an Waffen und sonstiger militärischer Technik wecken. Wenn es ernst wird, wird darüber hinaus die Überzeugung benötigt, dass es ehrenvoll ist, das eigene Leben für eine höhere Sache zu opfern. All dies gelingt zunehmend weniger, jedenfalls in Deutschland. Und das ist nicht zuletzt der Popkultur zu verdenken, ihrer subversiven, den Geist des Militärischen zersetzenden Kraft.

Worin besteht diese subversive Kraft? Auf den ersten Blick in den zahlreichen Texten, in denen offene Kritik an Armeen, Waffenproduktion und Kriegsführung geübt wird. Dafür werde ich im Folgenden noch einige Beispiele skizzieren. Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass es darüber hinaus auch eine indirekte Subversion in Texten gibt, in denen über die pure Lust am Leben und die Schicksale der einfachen Leute gesungen wird, und eben nicht die vermeintlichen Heldentaten von Kriegsministern und Offizieren. Drittens, und das ist aus meiner Sicht der spannendste Aspekt des Themas, zeigt sich, dass wichtige Strömungen der Popkultur durch eine antimilitaristische Ästhetik gekennzeichnet sind. Denn dass sich der Blues sich nicht für Soldatenbegräbnisse eignet, Folk nicht als Kriegsgeheul und Rock'n Roll nicht als Marschmusik, ist kein Zufall, sondern in ihre musikalische Form eingeschrieben. Im Weiteren werde ich versuchen, das in einer Weise deutlich zu machen, die auch für Nicht-Musiker*innen verständlich ist. (1)

Klassiker: antimilitaristische Texte in der Popkultur
1963, also noch bevor sich in den USA eine Opposition gegen den Vietnamkrieg entwickelt hatte, veröffentlichte Bob Dylan den Song „Masters of War“. (2) Eine scharfe und klare Kritik an den „Herren des Krieges“, die in dieser Deutlichkeit in der populären Musik bis zu diesem Zeitpunkt wohl ohne Vorbild ist. Angeklagt wird die Verlogenheit derjenigen, die produzieren um zu zerstören, die vom Blutvergießen junger Männer profitieren, während sie bequem in ihren Sesseln sitzen und die Angst verbreiten, in einer solchen Welt Kinder zu gebären. Und die Herren des Krieges werden verflucht: ‚Mit all eurem Geld könnt ihr euch eure Seelen nicht zurückkaufen; ich hoffe, dass ihr bald sterben werdet und werde dann solange am Grab stehen, bis ich ganz sicher bin, dass ihr wirklich tot seid.‘ Musikalisch gefasst ist dies als ein Klagelied, begleitet nur von einer akustischen Gitarre, also nicht als Hassgesang. Wie auch andere klassische Stücke der Popkultur ist „Masters of War“ auf Wanderschaft gegangen, d.h. von vielen anderen Künstler*innen aufgegriffen worden – zuletzt von Ed Sheeran, einem aktuellen Popstar, dessen Version auf Youtube über drei Millionen Aufrufe erreicht hat.

Ein anderer Klassiker des popkulturellen Antimilitarismus ist Country Joe McDonalds „I-Feel-Like-I'm-Fixing-To-Die-Rag“, eine radikale Ironisierung jeder Kriegsbegeisterung, die mit folgender Strophe endet: „Kommt, Mütter im ganzen Land, bringt eure Jungs nach Vietnam, kommt schon Väter, zögert nicht, schickt eure Söhne weg, bevor es zu spät ist. Ihr könnt die Ersten in eurer Nachbarschaft sein, deren Junge in einer Kiste nach Hause kommt.“ (3)

Die Türen, die mit diesen und anderen Songs Ende der 1960er geöffnet wurden, wurden nie mehr geschlossen. Vieles davon kann man im Repertoire von Joan Baez finden, neueres z.B. bei Ani DiFranco. Wer einen Text sucht, mit dem man seine Wut über die Waffenlobby zur Sprache bringen kann, findet den in ihrem „To the Teeth“: „Look at where the profits are/ that's how you'll find the source / of the big lie that you and i both know so well / (…) open fire on the NRA / and all the lies they told us along the way / open fire on each weapons manufacturer / while he's giving head to some republican senator”.

Auf weitere ältere und neuere Texte des textlich-expliziten popkulturellen Antimilitarismus kann hier nicht eingegangen werden. Wer danach sucht, wird vieles finden. Nur noch ein kurzer Hinweis: „War, was is it good for? Absolutly nothing“, singt Eric Burden, den die meisten, wenn überhaupt, nur als Sänger der Popversion des alten Blues „House of the rising sun“ kennen.  

Antimilitaristische Antihelden
Blues und  Rock‘n Roll als Startpunkte der modernen Popkultur stehen für die Sehnsucht  nach eigenem lustvollen Leben; sie feiern den tanzbaren Rhythmus, nicht den Marschrythmus, die sexuelle Erregung, nicht die Erregung im Kampf Mann-gegen-Mann, den Drogenrausch, nicht den Blutrausch. All dies ist in musikalischen Formen, den Rhythmen, den Tempi, den Harmonien angelegt, durch die bestimmte Gefühle und Stimmungen angesprochen werden. Rock- und Jazztrommler bringen jede marschierende Gruppe aus dem Takt, zu den sanften Melodien von Folksongs kann man keine Hassgesänge singen, ohne sich musikalisch lächerlich zu machen, und der Sound des Blues singt vom Leiden, nicht von Siegen. Erzählt wird von Außenseitern, von Scheitern und Wiederaufstehen, mit Sympathie für diejenigen, die sich vom Schicksal nicht unterkriegen lassen, oder auch die Trauer über diejenigen, die zu früh gestorben sind, oder denen Unrecht durch Justiz und Polizei zugefügt wurde. Weit überwiegend geht es nicht um explizit politische Themen. Wenn die Botschaften aber lauten, wir haben Lust, unser eigenes Leben zu leben, wir lassen uns nicht vorschreiben, wie wir leben sollen, wir verweigern es, uns auf fleißige Arbeitskräfte reduzieren zu lassen, wir lieben Gitarren (also: nicht Gewehre), unsere Körper wollen tanzen (also: nicht marschieren), dann bricht das aus einer Kultur aus, die Anpassung, Pflichtbewusstsein, Selbstdisziplin und Opferbereitschaft für höhere Ziele predigt.

Ohne Zweifel hat das sehr fließende Übergänge zu einem apolitischen, hedonistischen, konsumfixierten, sexistischen Individualismus. Aber den Verführungen des Militarismus kann man sich nicht nur aus Gewissensgründen oder politischer Überzeugung verweigern, sondern auch aus der einfachen Lust, das eigene Leben zu leben. Ob diejenigen, die für einen politischen und moralischen Antimilitarismus stehen, das gut oder schlecht finden, ist denjenigen egal, deren Helden sich dadurch auszeichnen, dass sie den richtigen Rhythmus und den passenden Sound finden, um die Körper und Seelen in Schwingung zu versetzen.    

Der Gitarrengott zerstört die Nationalhymne
Es war ein singuläres, aber hoch bedeutsames Ereignis in der Geschichte der Popkultur, als Jimi Hendrix die amerikanische Nationalhymne zerspielte, ihr jeden Pathos nahm und nur mit den Tönen seiner Gitarre die Schrecken des Krieges aufzeigte. Die Video-Aufzeichnungen seiner De-Konstruktion von „Star Spangled Banner“ sind Dokumente, die jede*r kennen sollte, der sich für die Kulturgeschichte des Antimilitarismus interessiert und diese an jüngere Generationen weitervermitteln möchte.

Zugleich handelt es sich um eine ästhetische Befreiung aus den traditionellen Vorgaben dazu, welche Töne die richtigen und welcher Gebrauch eines Instruments der zulässige ist. Hendrix setzt in radikaler Weise etwas fort, was begann, als Jazzmusiker sich das für Militärkapellen konstruierte Instrument Saxophon auf ihre Weise aneigneten, für eine Musik verwendeten, die bei niemandem die Lust weckt, in Reih und Glied zu marschieren.   

Eine theoretische Zusatzbemerkung
Die antimilitarisch-subversive Kraft der Popkultur besteht im Kern erstens darin, Lust am eigenen Leben zu wecken, zweitens in ihrer Aufforderung, sich der Rekrutierung für vermeintlich höhere Zwecke zu verweigern und drittens in ihrer Fähigkeit, traurige Geschichten zu erzählen, die Mitgefühl für das Schicksal von Menschen wecken, die zum Opfer von Krieg, Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung geworden sind. (4) Die explizit politischen Texte fügen dem nur ein Zusatzelement hinzu, wobei die Musik in manchen Fällen dabei nur ein Transportmedium ist, das der Botschaft wenig hinzufügt, in schlechten Varianten handelt es sich nur um so etwas wie vertonte Flugblätter. Der amerikanische Philosoph Richard Rorty (5) hat recht überzeugende Argumente dazu entwickelt, warum sich von expliziten Botschaften gewöhnlich nur diejenigen überzeugen lassen, die schon überzeugt sind. Für die Stärkung einer Kultur der Menschenrechte hält er es dagegen für aussichtsreicher, Geschichten zu erzählen, die Mitgefühl wecken und die Empfindsamkeit stärken.  Er weist auch darauf hin, dass das nur gelingen kann, wenn Bedingungen geschaffen werden, unter denen Menschen in der Lage und dazu bereit sind, sich solche Geschichten anzuhören. Damit ist die Perspektive angedeutet, die auszuarbeiten wäre, wenn danach gefragt wird, wie antimilitaristische Kraft der Popkultur für die Bildungsarbeit genutzt werden kann.  

Anmerkungen
1 Und auch für Anhänger der kritischen Theorie, die nicht verstanden haben, dass Adorno dies, der Ästhetik der bürgerlichen Hochkultur verhaftet, nicht verstanden hat.
2 Alle Musikbeispiele, die hier genannt werden, lassen sich im Internet finden, etwa auf Youtube, und auch die Texte, zu einem Teil auch in deutscher Übersetzung.
3 Nebenbei: Bestens für den Musikunterricht geeignet, weil hier sehr schön deutlich wird, wie man mit einer Kontrastierung von Text und Musik spannende Songs machen kann, ganz anders als beim musikalisch öden Stück „Unserer Marsch ist eine gute Sache“.
4 Grandiose Beispiele für Letzteres sind z.B. John Prines Lied „Sam Stone“ oder Joan Baez „Prison Triologie“.
5 R. Rorty, Menschenrechte, Vernunft und Empfindsamkeit, in: Ders.: Wahrheit und Fortschritt, Frankfurt 2003

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