Rettung im Mittelmeer

Don´t Forget Them At Sea - Wie Sea-Watch Seenotrettung für Flüchtende leistet

von Frank Dörner

Der Bürgerkrieg in Syrien, das politisch instabile Afghanistan, das arme Eritrea: Menschen fliehen aus lebensunwürdigen und widrigen Lebensbedingungen, um in Europa ein Leben in Frieden und mit Perspektiven für ihre Kinder führen zu können. Sea-Watch vertritt die Auffassung, dass diese Menschen ein Recht auf sichere Flucht- und Zugangswege haben.

 

Die Realität sieht leider anders aus: Nachdem es auch in 2014 zu medienwirksamen Tragödien zwischen Nordafrika und Europa gekommen war, bei denen hunderte Menschen starben, wurde Sea-Watch kurzerhand Anfang 2015 gegründet, um ein Zeichen zu setzen und den Menschen konkrete Hilfe anzubieten. Ein Tropfen auf den heißen Stein -  jedoch letztendlich so erfolgreich, dass für 2016 kein Ende des Projekts in Sicht ist.

Eine Idee wurde mit privatem Geld umgesetzt: Ein alter Fischkutter wurde zu einem Einsatzschiff  der Sea Watch umgebaut, und schon im Juli 2015 fand die erste Rettungsmission vor Libyen statt. Allein auf dieser ersten 10-tägigen Ausfahrt mit freiwilligen unbezahlten Crewmitgliedern wurden sechs überfüllte Flüchtlingsboote gesichtet und die Menschen in Sicherheit gebracht. Dies geschah durch direkte Hilfe vor dem Untergehen und Ertrinken, der Versorgung mit Wasser und medizinischer Hilfe, wenn nötig. Im Anschluss wurde ein sicherer Weitertransport nach Europa in Kooperation mit anderen Akteuren im Einsatzgebiet organisiert. Wegen schlechten Wetters musste die Sea Watch mit ihren gerade einmal 21 Metern Länge den Einsatz dann im Oktober unterbrechen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren bereits über 2.000 Menschen von Sea-Watch aus Seenot gerettet worden.

Im November folgte eine Ausweitung des Einsatzes auf ein zweites Teilprojekt zwischen der Türkei und der griechischen Insel Lesbos. Auch dieses Gebiet zählt zu den tödlichsten Grenzabschnitten Europas und musste in 2015 über 4.000 Opfer verzeichnen, die bei dem Versuch scheiterten, die Ägäis zu überqueren. Und das, obwohl die jeweiligen Küsten in Sichtweite sind und die Entfernung teilweise gerade 7 km beträgt. Unser Einsatz auf Lesbos ist zu einem komplexen Unterfangen geworden. Der Versuch, die Menschen daran zu hindern, die Türkei zu verlassen, der Beschluss, die NATO zur Überwachung der Wassergrenze einzusetzen, und der allgemeine politische Diskurs zwingen Menschen, unter immer prekäreren Situationen die Überfahrt zu wagen. Sie kommen bei schlechtem Wetter, bei Nacht und in immer volleren Booten. Das bedeutet deutlich größere Gefahr für Leib und (Über-)Leben. Seit Beginn unseres Einsatzes haben wir mehr als 3.500 Menschen geholfen, wenn sie in Not waren. Wir stocken nun auch unsere Möglichkeiten auf und werden in Partnerschaft mit einer anderen NGO (CADUS) ein zweites Schnellboot und zusätzliche Einsatzteams vor Ort haben. 

Im Dezember 2015 haben wir zudem ein größeres und besser taugliches Schiff für unseren Mittelmeereinsatz, durch Spenden finanziert, kaufen können. Die Sea Watch 2 wird ab April im Mittelmeer auch bei schlechterem Wetter einsatzfähig sein und deutlich besser auf die Bedürfnisse der Menschen in Seenot reagieren können. Vor allem werden wir in der Lage sein, in Einzelfällen deutlich besser medizinisch helfen zu können. Allerdings bleibt es noch immer Konzept, nicht zum Erfüllungsgehilfen des europäischen Seenotrettungssystems zu werden, sondern dort zu sein, wo es am nötigsten ist. Daher transportieren wir die Flüchtlinge nicht von der libyschen Wassergrenze auf das Festland, sondern bleiben vor Ort, während andere, größere Schiffe und Organisationen, den Transport übernehmen.

Wir planen zudem, eine Aufklärung der aktuellen Situation aus der Luft zu ermöglichen, was bis jetzt immer gefehlt hat und es erlauben wird, die Hilfe auch mit den anderen Akteuren viel besser zu koordinieren. Damit werden weitere Menschenleben gerettet.

Ein weiteres Anliegen unserer Arbeit ist die Témoignage, die Berichtserstattung über unsere Beobachtungen in den Einsatzgebieten. Durch journalistische Arbeit und die Verbreitung von Foto- und Videomaterial wollen wir die Öffentlichkeit für die Thematik sensibilisieren und ihr unabhängige Informationen zugänglich machen. Wir hoffen, so Druck auf Verantwortliche aus der Politik ausüben zu können, um eine schnellstmögliche Verbesserung der aktuellen Bedingungen zu erreichen. Es ist ein Hohn, dass wir mit den bescheidenen Mitteln, die zur Verfügung stehen, so viel erreichen können, während das Mittelmeer von Technologie nur so wimmelt und doch so wenig Hilfe geleistet wird.

Die Prognose für das Einsatzjahr 2016 zeigt klar, wie sehr Sea-Watch vor Libyen und in der Ägäis weiterhin benötigt wird. Jedoch kann auch ein notdürftiges ziviles Seenotrettungs-System keine grundlegende Veränderung der politischen Bedingungen ersetzen - es kann lediglich eine vorübergehende zeitliche Überbrückung darstellen. Wir handeln aus der Not heraus und verlangen, dass die Verantwortlichen sich dieser Situation stellen. Es müssen dringend legale und sichere Fluchtwege geschaffen werden, um noch mehr Tote zu vermeiden. Es ist nicht mit unseren Vorstellungen vereinbar, dass Menschen vor Gewalt fliehen und dann mit Gewalt daran gehindert werden, in Sicherheit zu gelangen.

Da sich keine absehbaren Veränderungen der Fluchtursachen ausmachen lassen, geht Sea-Watch von einem zeitlich nicht limitierten Projekt aus, das jedoch durch finanzielle Faktoren maßgeblich bestimmt wird. Die Arbeit wird aus privaten Spenden finanziert und Sea-Watch handelt politisch, wirtschaftlich und religiös unabhängig.

 

Mehr Informationen und Spendenmöglichkeit: sea-watch.org/spenden.

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