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Droht ein zweites Zypern im Nord-Irak?
vonAls 1990 irakische Truppen sich anschickten, in Kuwait einzudringen, hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossen, alle "geeigneten Mittel" anzuwenden, um diese Militärinvasion abzuwenden und die Souveränität Kuwaits zu schützen. Dies war eine eindeutige Reaktion, wenngleich sie auch zu dem unseligen Golf-Krieg führte, der die unipolare, globale, militärische Machtstruktur, die nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes sich ausbildete, blitzartig erkennbar werden ließ.
Am 14. Mai 1997 sind türkische Truppen nach offiziellen Angaben mit 50.000 Soldaten und 250 Panzern bis zu 200 km tief in den Irak eingedrungen, um dort kurdische Guerilla zu bekämpfen. Das Invasionsgebiet ist eine UN-Schutzzone für im Irak lebende Kurden, die im Gefolge des Golf-Krieges gebildet worden war. Die Tiefe des Vorstoßes und die Masse der eingesetzten Verbände - es ist die größte Militärinvasion in der türkischen Geschichte - läßtbefürchten, daß es sich um eine lang andauernde Besetzung mit möglicherweise erheblichen weiteren Auswirkungen auf die Stabilität der Region handeln wird. Es geht also nicht um eine unbedeutende Grenzverletzung. Nach vorliegenden Berichten wurden Dörfer vernichtet und Menschen vertrieben. Weit über tausend KurdInnen sollen getötet worden sein. Dabei sind viele zivile Opfer zu beklagen.
Die USA, die wichtigste Macht in dieser Region, war spätestens Anfang April über die bevorstehende Invasion unterrichtet. Sie tat nichts, um diese völkerrechtswidrige Aktion zu unterbinden, vielmehr versorgte sie anscheinend sogar die türkische Armee mit Daten für den Angriff durch ihre AWACS-Aufklärungsflugzeuge. Die Türkei ist ein NATO-Staat. Sie hat bisher bereits einen Teil Zyperns besetzt und de facto dauerhaft in Besitz genommen. Die NATO hat dies hingenommen und führende NATO-Staaten, so auch die USA und Deutschland, haben trotz dieses internationalen Unrechts weiterhin die Türkei mit Waffen versorgt und durch finanzielle Militärhilfen unterstützt. Im Nord-Irak findet nun wiederum eine vergleichbare Besetzung statt, die von der NATO hingenommen wird. Weder die NATO noch einzelne Mitgliedsstaaten waren bislang zu einer Verurteilung der Invasion bereit. Durch diese Haltung wird die NATO zu einer Vereinigung, die offensichtlich internationales Unrecht deckt und langfristig fördert, obwohl Artikel 1 des NATO-Vertrages die Organisation auf die Satzung der Vereinten Nationen verpflichtet, Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen. Statt auf die Einhaltung dieser Verpflichtung zu drängen, gelten hier offensichtlich die bisher hochgehaltenen Werte nicht.
Im Gegensatz zu früheren grenzbezogenen Militäraktionen der Türkei wurde diesmal kein klarer Zeithorizont für die Beendigung und den Rückzug des Militärs angegeben. Angesichts der seit den frühen Zeiten der türkischen Republik vorhandenen Begehrlichkeit gegenüber dem irakisch-kurdischen Gebiet und der offensichtlichen Schwäche der irakischen Regierung ist zu befürchten, daß die Invasion diesmal nicht nur einer Bekämpfung der PKK dient, sondern auf ein "zweites Zypern" gerichtet ist.
Die Eskalation des Einsatzes militärischer Mittel ist in diesem Falle besonders verwerflich, da Ankara sich bisher hartnäckig weigert, sich um eine politische Lösung des eigentlich innenpolitischen Konfliktes mit "seinen" Kurden zu bemühen. Diejenigen, die eine friedliche politische Lösung im Rahmen des Nationalstaates fordern, werden nach wie vor verfolgt und riskieren Folter, Gefängnis und ihr Leben, was europäische Institutionen mittlerweile ausführlich dokumentiert haben. Anfang Mai dieses Jahres wurde sogar eine von türkischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen, unter ihnen France Liberté, Fondation Danielle Mitterand und die Olaf-Palme-Stiftung, von deutscher Seite war der Dialog-Kreis dabei, nach Ankara einberufene Konferenz für eine friedliche Lösung im türkisch-kurdischen Kriege verboten und mit massiver Polizeipräsenz verhindert.
Die "neue NATO", die mittlerweile jenseits ihrer vertraglichen Grundlagen beansprucht, als "Ordnungsmacht" zu wirken, läßt sich hiermit auf eine nationale Willkür grenzüberschreitender Aggression ihrer Mitglieder ein. Der Aufbau von schnellen Eingreiftruppen in den NATO-Ländern wurde bisher mit der Notwendigkeit friedensstiftender Militäreinsätze legitimiert. Hier jedoch stellt sich die NATO als ein Machtkartell dar, das seine Interessen militärisch durchsetzt. Schon seit einiger Zeit bahnt sich in der Nahost-Region eine bedeutsame Verschärfung der Militarisierung der Politik an. Israel hatte zunächst mit der Türkei gemeinsame Militärübungen vereinbart. Später ist es zum Abschluß einer Vereinbarung über Militärkooperation gekommen. Neuerdings entwickelt sich eine trilaterale Militärkooperation zwischen der Türkei, Israel und den USA. Anscheinend werden die Voraussetzungen für eine gemeinsame Durchsetzung von Interessen mit militärischen Mitteln in dieser Region geschaffen. Daß Syrien, Irak und Iran sich von einer solchen Allianz bedroht fühlen, liegt auf der Hand und wird deren Rüstungsanstrengungen verstärken. Militärpolitisch pikant ist an dieser Entwicklung, daß sie die europäischen NATO-Partner in dieser Region überflüssig machen und damit ausgrenzen würde, während sich die militärische Dominanz der USA in diesem Gebiet weiter verstärkte.
Wenn sie nur wollten, könnten die europäischen NATO-Staaten und selbstverständlich auch die USA einen sehr bedeutsamen Beitrag für die Befriedung der Region leisten, zumal - ich schreibe dies mit aller Vorsicht - in den Eliten der Türkei sich die Erkenntnis allmählich auszubreiten beginnt, man müsse nun zunehmend politische Mittel zur Lösung des Konfliktes einsetzen. Der "Kopf der wahren Regierung der Türkei", nämlich des Nationalen Sicherheitsrates, Stabschef I. Hakki Karadayi, sagte bei einem Besuch in Israel (!): "Das Militär hat seine Aufgabe erledigt und den Terror auf den niedrigsten Stand wie vor 1984 gebracht. Nun sind die Politiker dran, ihren Teil zu erledigen." Der Industrieverband TÜSIAD hat in einer umfangreichen Stellungnahme eine Demokratisierung des Landes, die Herstellung von Rechtssicherheit und Meinungsfreiheit gefordert, wie auch die Beendigung des Krieges gegen die Kurden mit politischen Mitteln. Er hat seine Stellungnahme gegen den Druck des Militärs aufrechterhalten und weiter verbreitet. Freilich gibt es auch ganz andere Stimmen. Etwa die des türkischen Staatspräsidenten Demirel, der auf die Frage eines Journalisten antwortete: "Es gibt Menschen, die sich als Kurden bezeichnen. Sie sind gute Staatsbürger. Es gibt (aber) keine Kurdenfrage in der Türkei, sondern Terror." Wer so spricht, will keine politische Lösung.
In dieser Situation könnte internationale Vermittlungshilfe bei der Suche und der Durchsetzung einer politischen Lösung von großer Bedeutung sein. Dazu bedarf es nicht einmal einer pazifistischen Motivation bei den Bündnispartnern der Türkei, sondern nur der schlichten Einsicht, daß der türkisch-kurdische Krieg die sozialen, wirtschaftlichen und demokratischen Grundlagen der Gesellschaft zerstört. Schon jetzt sagt der zweitmächtigste General Cevik Bir: "Die gegen den Laizismus gerichtete Drohung ist schlimmer geworden als die seit 12 Jahren andauernde Drohung der PKK." Es ist offensichtlich, die Neuorientierung großer Teile der Gesellschaft in einem islamistischen Sinne hat etwas mit dem Zerfall der Gesellschaft und der rasanten Ausbreitung von Korruption in den gesellschaftlichen Eliten zu tun. Eine kluge, vorausschauende internationale Politik muß deshalb der Türkei beistehen, ihre Probleme mit friedlichen Mitteln zu lösen. Sie muß dazu beitragen, daß Menschen- und Rechte für nationale Minderheiten auch in der Türkei und auch gegenüber Kurden gelten. Wenn der Krieg in der Türkei über eine in diesem Sinne gerechte Lösung beendet werden kann, wäre eine wichtige Voraussetzung geschaffen, um den Zerfall der Gesellschaftsordnung, die ständige Verletzung der Menschenrechte und das Aufbrechen von rechtsradikalen und religiös fundamentalistischen Tendenzen zu überwinden.
Sicher wäre dies auch eine wichtige, wenn auch nicht ausreichende Vorbedingung der sich anbahnenden verstärkten Militarisierung der Region entgegenzuwirken. 1)
1) Der Dialog-Kreis "Krieg in der Türkei - Die Zeit ist reif für eine politische Lösung", den der Autor dieses Beitrages koordiniert, hat gerade eine Broschüre über die Kurdenfrage - eine Antwort an die türkische Gemeinde - herausgegeben. Ihr Titel "Türkei: Ausweg aus der Sackgasse. Zur friedlichen Lösung der Kurdenfrage". Ihr Autor ist Mehmet Sahin, Andreas Buro hat das Editorial geschrieben. Sie ist erschienen im KOMZI-Verlag, Idstein 1997, 74 S. Die kritische und konstruktive Schrift kann für 8,00 DM + 2,50 DM Versandkosten beim Dialog-Kreis, Postfach 900265 in 51112 Köln, Fax 02203/12677 bestellt werden.