Interview

Durchsetzungschancen des Atomwaffenverbots

von Otmar Steinbicker
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Das folgende Interview wurde mit VertreterInnen von ICAN geführt.

Otmar Steinbicker (OS): ICAN wurde mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet für die Initiative zum Atomwaffenverbotsvertrag, der von der UNO-Vollversammlung am 7. Juli 2017 mit 122 Stimmen angenommen wurde. Was wurde seither erreicht?
ICAN: Seit der Verabschiedung des Vertrages zum Verbot von Atomwaffen (TPNW) haben bereits 70 Staaten den Vertrag unterschrieben und 23 ratifiziert. Doch auch in Staaten, deren Regierungen einen Beitritt bisher ablehnen, tut sich einiges. Über 2.000 deutsche Abgeordnete auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene haben die ICAN-Abgeordnetenerklärung unterschrieben und unterstützen damit die Forderung nach der Ächtung von Atomwaffen. Viele Städte (Stand Deutschland am 24.04.2019: 13 Städte) unterzeichnen den ICAN-Städteappell und zeigen damit: Atomwaffen gehen uns alle an – auch die Städte und Kommunen.

Außerdem hat u.a. der norwegische Pensionsfonds, einer der größten Fonds weltweit, seine Investitionen in Atomwaffen beendet. Die Deutsche Bank hat ebenfalls ihre Richtlinien bezüglich Investitionen in Atomwaffen angepasst.

OS: Worin bestehen die wesentlichen Unterschiede zum Atomwaffensperrvertrag von 1968?
ICAN: Der Nichtverbreitungsvertrag (NVV) oder auch auch Atomwaffensperrvertrag, hat das Ziel, die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Er erkennt die Staaten, die damals bereits im Besitz von Atomwaffen waren, als legitime Atommächte an, mahnt aber zur Abrüstung. Gleichzeitig sollte verhindert werden, dass weitere Staaten Atomwaffen entwickeln. Der neue Atomwaffenverbotsvertrag verbietet diese Massenvernichtungswaffen grundsätzlich – aufgrund der katastrophalen Folgen eines Einsatzes verstoßen sie gegen das humanitäre Völkerrecht und sollten daher im Besitz keines Staates sein. Der TPNW greift die Forderung nach multilateralen Abrüstungsverhandlungen aus Artikel VI des NVV auf. Er verbietet erstmals umfassend im UN-Rahmen den Einsatz, den Besitz, die Herstellung, aber auch die Drohung mit und die Stationierung von Atomwaffen. Damit geht er über den NVV hinaus.

OS: Eine wesentliche Kritik am Atomwaffensperrvertrag weist darauf hin, dass dieser Vertrag den offiziellen Atommächten de facto den Besitz von Atomwaffen zugesteht, den nicht atomwaffenwaffenfreien Staaten jedoch den Besitz dieser Waffen verbietet. Die ursprüngliche Verpflichtung der Atommächte, diese Waffen abzurüsten, wird nicht umgesetzt. Der Atomwaffenverbotsvertrag wird von den Atommächten bisher schlicht ignoriert. Warum sollte der Atomwaffenverbotsvertrag erfolgreicher sein als der Atomwaffensperrvertrag?

ICAN: Es geht den Staaten, die den Atomwaffenverbotsvertrag vorangebracht haben und auch der Zivilgesellschaft nicht darum, einen Vertrag gegen den anderen auszuspielen. Das ist angesichts der polarisierten geostrategischen Situation auch nicht sinnvoll. Es geht vielmehr darum, die verheerendsten Massenvernichtungswaffen völkerrechtlich zu ächten und eine neue Norm zu schaffen. Ähnliche Prozesse haben u.a. schon Chemiewaffen oder Landminen durchlaufen. Nur wenn die Legitimität von Atomwaffen grundsätzlich in Frage gestellt wird, können Staaten es zu ihrem Selbstverständnis werden lassen, diese Waffen abzulehnen. Sonst wird sich das Szenario Nordkorea, das Atomwaffen als den ultimativen Gleichmacher auf dem internationalen Parkett betrachtet, wiederholen.

OS: ICAN ist eine Initiative aus der Zivilgesellschaft. Welchen Anteil hatte ICAN am Zustandekommen des Atomwaffenverbotsvertrages und wie kann die Zusammenarbeit mit den Regierungen weitergeführt und womöglich intensiviert werden?
ICAN: Verhandelt haben den Vertrag natürlich Regierungen und ihre VertreterInnen. Aber ICAN hat seit 2007 an den internationalen Konferenzen zu den humanitären Folgen von Atomwaffen mitgewirkt, hat Expertise bereitgestellt und ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Initiativen koordiniert. Mit diesen Aktivitäten hat ICAN immer wieder auf die Folgen eines Atomwaffeneinsatzes hingewiesen und die Öffentlichkeit, aber auch Diplomaten für das Anliegen sensibilisiert.

OS: Wie können sich Individuen und Organisationen aus der Zivilgesellschaft am effektivsten in die Arbeit von ICAN einbringen?
ICAN: Sie können unsere Petition an die Bundesregierung unterschreiben und sie damit auffordern,  dem Verbotsvertrag beizutreten. Außerdem können sie ihre Landes- Bundes- oder Europaparlamentsabgeordneten auffordern, die ICAN-Abgeordnetenerklärung zu unterschreiben oder mit dem ICAN-Städteappell ihre Stadt dazu bewegen, sich für das Verbot von Atomwaffen einzusetzen.

Mit der aktuellen Aktion „Atombomber – Nein, Danke“ können alle Interessierten eine Mail an ihren Abgeordneten im Bundestag schreiben, und fragen, wie er/sie zur Anschaffung neuer Kampfjets für die US-Atomwaffen in Büchel steht. Mit der Aktion wollen wir darauf hinweisen, dass die Bundesregierung sich wieder für den Abzug der US-Atomwaffen stark machen sollte, statt diese durch die Anschaffung neuer Technologien zu unterstützen. Auch für einen Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag ist ein Ende der Stationierung der US-Atomwaffen im rheinland-pfälzischen Büchel nötig.

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Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de