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Eine Reform der UN ist nötig
Eckpunkte für eine UNO-Reform zu Zeiten des Ukraine-Krieges
vonDie großen weltpolitischen Krisen seit der Gründung der Vereinten Nationen 1945 (siehe Vietnam, Afghanistan, Indien/Pakistan, Israel/Palästina, Libyen, Irak, Syrien) haben eins gemeinsam: Die UNO konnte diese Konflikte nicht verhindern oder durch Friedensverhandlungen zu einem frühzeitigen Ende bringen. Das trifft auch zu auf den gegenwärtigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine.
Spuren des gescheiterten Völkerbunds lassen sich in den Strukturen der UNO wiederfinden. Daher die Schlüsselfrage: Warum ist die ‚politische‘ UNO, d.h. der Sicherheitsrat und die Generalversammlung, bisher nicht in der Lage gewesen, ihren völkerrechtsverpflichtenden Auftrag zu erfüllen?
Nach dem Treffen Stalins, Roosevelts und Churchills in Jalta im Frühjahr 1945 glaubte die Welt, dass die Großmächte der Zeit sich geeinigt hatten, gemeinsam den Frieden für alle zu fördern und zu schützen. Die drei Staatsmänner meinten Ähnliches. Jeder aber wusste, dass er die Unterstützung der beiden anderen brauchte, um der neuen Weltordnung die Führung zu geben, die ihre nationalen geopolitischen Interessen voll berücksichtigte.
Der Kommunist aus dem Osten war sich sicher, dass er durch seine sozialistischen Unterstützer und die nach Unabhängigkeit strebenden Kolonien viel Macht für seinen Anspruch auf eine multilaterale Führungsrolle hatte. Die beiden Demokraten aus dem Westen waren ebenso überzeugt, dass die Wirtschafts- und Finanzstärke der sogenannten freien Welt ihnen die geplante Vormachtstellung zuordnen würde.
Im Oktober 1945 schien das Ziel erreicht: In San Francisco wurde von 51 Staaten die UNO-Charta unterzeichnet, die bestätigte, dass die Sowjetunion, Großbritannien und die Vereinigten Staaten zusammen mit Frankreich und der Republik China in Taiwan, nicht das kommunistische China in Peking, als permanente Mitglieder des Sicherheitsrats die neue Organisation anführen würden. Anlässlich dieser Konferenz meinte der mexikanische Delegierte, die Teilnehmer hätten eine Organisation geschaffen, in der man „die Mäuse kontrollieren könne, aber die Tiger würden frei herumlaufen“.
Die zwei westlichen Tiger waren gut bestückt, gut genährt und gut vernetzt. Die Energie des östlichen Tigers wurde gebraucht für den Wiederaufbau des Landes nach dem ‚Großen Vaterländischen Krieg‘ und gegen eine unerwartete Hungersnot.
Es überrascht daher nicht, dass die Vereinten Nationen sich, sowohl ideologisch wie auch geographisch, schnell zu einer US-geführten west-zentrischen Organisation entwickelten. Multilaterale Politik wurde in New York gemacht und Wirtschafts- und Finanzpolitik in Washington, wo die Weltbank und der Währungsfonds, beide Einrichtungen der UN, ihre Zentralen aufgebaut hatten. Alle UN-Sonderorganisationen, Fonds und Programme, wie UNICEF, FAO, WHO, das Welternährungsprogramm, UNESCO, UNDP und andere hatten von Anfang an ihre Zentralen in Westeuropa und Nordamerika.
Von Bedeutung ist auch, dass drei der fünf permanenten Mitglieder des UNO Sicherheitsrats westlicher Provenance sind, dass Afrika und Lateinamerika keine solchen Sitze haben und Asien, wo gegenwärtig 4.8 Milliarden oder 59% der Weltbevölkerung leben, mit China nur einen ständigen Sitz innehat.
Eine solche Ungleichheit auf allen Ebenen und mit westlicher Überlegenheit bedeutete, dass die Ost-West-Konfrontation und ein Kalter Krieg vorprogrammiert waren und sich bis heute geopolitisch auswirken.
Unterbrechung des Kalten Kriegs 1990
Eine kurze Unterbrechung des Kalten Kriegs ergab sich 1990. Die beiden deutschen Staaten, die 1973 Mitglieder der UNO geworden waren, hatten sich wiedervereinigt. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der alle west- und osteuropäischen Staaten und die USA und Kanada angehören, kam in Paris zusammen, um die Charta für ein Neues Europa zu unterzeichnen. Dies war eine Sternstunde für den Frieden in Europa und für die UNO als Weltfriedensorganisation.
Die Euphorie des Augenblicks war schnell verflogen, als deutlich wurde, dass Menschenrechte, Abrüstung, politischer Pluralismus und friedliche Beilegung von Streitigkeiten von allen Seiten nicht eingehalten bzw. nicht umgesetzt wurden. Der Kalte Krieg wurde kälter, das gegenseitige Misstrauen zwischen den westlichen und nicht-westlichen Mitgliedern des Sicherheitsrats tiefer und die multilaterale Zusammenarbeit für Frieden und Sicherheit bedeutend erschwerter.
UN-Reform ist überfällig
Die überfällige Reform der Vereinten Nationen muss diesen Kontext sorgfältig einbeziehen, wenn es das Ziel ist, die UNO für eine effektive Teilnahme am Weltfrieden und Weltwohlergehen im 21. Jahrhundert auszurüsten. Die UNO-Generalversammlung hatte bereits 1955 die Reformbedürfnisse gemäss Charta Artikel 109/3 debattieren sollen, es aber nicht getan. Diese Forderung darf nicht länger ignoriert werden.
Was ansteht, ist eine lange Liste von relativ unkomplizierten, aber notwendigen, möglichen und fast unmöglichen Anpassungen an eine Weltlage, die nach 78 UNO-Jahren vielfältiger, anspruchsvoller und gefährlicher ist, als sie es in den ersten Jahren nach der Gründung der UNO war. Heute sind es 193 Staaten, die ein Mitspracherecht haben. Die Zivilgesellschaft und die nicht-staatlichen Einrichtungen bestehen darauf, gehört zu werden. Und Bereiche wie Klimawandel, Abrüstung, besonders die nukleare Abrüstung, und Migration der Armen, deren Handhabung richtungsweisend für das Überleben von Morgen sind, sind weltweite Prioritäten. Dies ist fraglos ein Katalog von profunden Herausforderungen, aber auch von wertvollen Gemeinsamkeiten, weil es komplexe Bereiche sind, die für alle Nationen und Menschen von entscheidender Wichtigkeit sind.
Reformen stehen an, sowohl für die UN-Legislative (Sicherheitsrat und Generalversammlung), die UN-Judikative (Gerichtshof) und die UN-Exekutive (Operationale Einheiten). Vorrangig geht es darum, den Sicherheitsrat neu aufzubauen, damit er als UNO-Schlüsseleinheit seinen Friedens- und Sicherheitsauftrag erfüllen kann. Dazu gehört die geographische Anpassung, durch die alle Kontinente mit permanenten Vertretungen paritätisch vertreten sind. Hinzu kommt die Notwendigkeit, das Veto-Recht neu zu definieren, um den bisherigen Missbrauch aus nationalem Eigeninteresse zu verhindern.
Die diffizilste Reform wird sein, dass die permanenten Mitglieder ein Team formen, das multilateral denkt und entscheidet und das kompromissbereit ist. Die bereits erwähnten großen Weltprobleme stellen die beste Gelegenheit dar für die Entwicklung eines solchen Teamgeistes. Die gegenwärtige geopolitische Dynamik, die Kluft zwischen den Mächten und der Hegemoniewettkampf zwischen den USA und China werden aber einen Teamgeist im Sicherheitsrat solange nicht erlauben, bis alle Großmächte realisieren, dass sie im Alleingang keine Lösungen globaler Krisen erzielen können. Und dass sie sich auch nicht länger auf die routinemäßige Unterstützung der nicht-westlichen oder der nicht-östlichen Regierungen und Zivilgesellschaften verlassen können. Diese Wirklichkeit gibt Grund für die Annahme, dass sich ein neuer Multilateralismus im Sicherheitsrat, wenn auch sehr langsam, entwickeln wird. Dies wird auch deshalb geschehen, weil Zivilgesellschaften sich weltweit immer mehr in die Entscheidungsprozesse einbringen. Die offene Frage bleibt, ob diese Entwicklung friedlich verhandelt oder durch Proteste auf der Straße entschieden wird. Die Klimawandel-Konferenzen in Paris, Kopenhagen, Glasgow und Sharm el-Sheikh sind gute Beispiele für den mitentscheidenden Einfluss der nicht-staatlichen Organisationen und auch der jüngeren Generationen.
Reform der UN-Gremien
Zu anstehenden Reformen der Generalversammlung gehört die Befugnis, den Sicherheitsrat in Krisensituationen überstimmen zu können. Für Konflikte, die die Weltsicherheit akut gefährden, gibt es bereits eine solche durch die Anwendung der wichtigen UNO Resolution A/377 von 1950. Diese sollte erheblich erweitert werden.
Auch der Internationale Gerichtshof ist reformbedürftig, weil er bis heute nur Empfehlungen aussprechen kann, die rechtlich nicht verpflichtend sind.
Gleichzeitig ist die operationale UNO, das Exekutivorgan, einen guten Weg gegangen, der dazu geführt hat, dass ihre entwicklungs- und humanitären Programme immer mehr mit sicherheitspolitischen Initiativen des Sicherheitsrats verknüpft sind und dem UNO-Generalsekretär mehr Möglichkeiten bieten, sich an friedensbildenden Maßnahmen zu beteiligen. Die humanitären Korridore für landwirtschaftliche Exporte aus den russisch-ukrainischen Kriegsgebieten, Gefangenenaustausch und die Rückführung von ukrainischen Kindern aus Russland sind erfolgreiche Beispiele. Trotzdem ist die Unabhängigkeit der operationalen UNO im Sinne der UNO-Charta (Artikel 100 & 101) durch einzelne Mitgliedsstaaten immer wieder in Frage gestellt worden. Reformen müssen dies zukünftig verhindern.
Ebenso braucht die operationale UNO finanzielle Sicherheit, um den Erwartungen der Mitgliedsstaaten für die Durchführung von UNO-Programmen Genüge zu tun. OECD-Länder können und sollten erheblich höhere Beiträge bezahlen, und ihrer Verpflichtung, 0,7% des Bruttonationaleinkommens (BNE) für internationale Entwicklungshilfe bereitzustellen, nachkommen. Tatsache ist, dass dieOECD-Länder 2022 nur 0,36% des BNE bezahlt haben und dass ein armes Land wie der kleine Himalaya-Staat Bhutan pro Kopf der Bevölkerung zu dem jährlichen regulären Budget der UNO 2018 mehr beitrug als unser Land.
Zusammenfassend ist zu sagen: Das Recht der Macht muss durch die Macht des Rechts ersetzt werden; politische Rechenschaftsverpflichtung hat ein integraler Teil der UNO-Mitgliedschaft der Staaten zu sein; UNO-Reformen müssen auch dazu führen, dass die Zivilgesellschaft, als regulärer Partner des Sicherheitsrats und der Generalversammlung, an dem multilateralen Diskurs über die Weltordnung teilnehmen kann.
Hart ausgedrückt: Hätte es vor 2022 eine Umsetzung der vorgeschlagenen und machbaren Reformen der Vereinten Nationen gegeben, hätte die völkerrechtswidrige russische Invasion in die Ukraine nicht stattgefunden.