Ein Augenschein in Mostar

von Vesna TerselicRoland Brunner
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Im Sommer 1566 wurde die Brücke über die Neretva in Mostar vom türkischen Baumeister Hajrudin gebaut. Am 9. November 1993, nach tagelangem intensivem Artilleriebeschuss durch kroatische Artillerie, stürzte die Brücke in den Fluss. Inzwischen ist der Krieg vorbei, erste Stege über die Neretva wurden wieder gebaut, aber der Frieden ist noch in weiter Ferne.

Mostar liegt Tal der Neretva, das von der kroatischen Küste Richtung Nor­den nach Sarajevo führt. Die, Straße des Todes", über die ganz Bosnien-Herzegowina von der Küste her mit Lebensmitteln versorgt werden muss, führt durch diese Stadt aus dem 15. Jahrhundert, in der vor dem Krieg rund 100'000 Menschen lebten: 34,8 Prozent Muslime, 33,8 Prozent KroatInnen, 19 Prozent SerbInnen und 10 Prozent Jugo­slawInnen (Volkszählung 1991). Mo­star war ein wichtiges wirtschaftliches und politisches Zentrum und galt als Hauptstadt der Herzegowina.

Im Strudel des Krieges

Als Bosnien-Herzegowina in den Ab­grund des Krieges gerissen wurde, ge­riet auch Mostar ins Visier. Serbische Einheiten beschossen drei Monate lang die Stadt mit rund 40'000 Granaten und erst im Juni 1992 gelang es den kroati­schen und muslimischen Verbänden gemeinsam, die serbischen Einheiten - und mit ihnen auch praktisch alle Ser­bInnen - aus Mostar zu vertreiben. Statt dass nun jedoch Friede einkehrte, kam es zum Krieg der bisher Verbündeten. Im Oktober 1992 kam es zu ersten Ge­fechten und Straßenkämpfen. Im Mai 1993 begann der Krieg zwischen der Armee Bosnien-Herzegowinas und der kroatischen HVO, dem, Verteidigungs­rat der Kroaten". Die HVO-Einheiten überrannten am 9. Mai den Westteil Mostars und nahmen den Ostteil unter Artilleriebeschuss. Die Herzegowina-Kroaten wollten ihren eigenen, ethnisch gesäuberten Staat und verkündeten im August die Bildung von, Herceg Bosna". Dazu ermutigt fühlten sie sich direkt auch von den sogenannten Frie­densverhandlungen in Genf und dem Vance-Owen-Plan, der die Aufteilung von Bosnien-Herzegowina in zehn weit­gehend autonome, ethnisch definierte Provinzen - drei serbische, drei kroati­sche, drei bosnisch-muslimische und die ,gemeinsame" Hauptstadt Sarajevo - vorsah. Dieser, Friedensplan" akzep­tierte das Prinzip der, ethnisch reinen Gebiete" und legitimierte damit die Lo­gik des gewaltsamen Terraingewinnes. Obwohl in Mostar vor dem Krieg 1991 knapp mehr Muslime als KroatInnen wohnten, sollte Mostar zur Hauptstadt des kroatischen Staates in der Herzego­wina werden - und mit dem Segen des UNO-Friedensplanes konnte man jetzt die Muslime loswerden.

Im Verlauf eines Jahres, bis zum Fru­ehjahr 1994, fielen rund 100'000 Gra­naten aus kroatischen Geschützen auf Ostmostar. Die Stadt wurde geteilt in den von der bosnischen Armee kontrol­lierten kleineren Teil links (östlich) der Neretva mit dem alten Handwerker­viertel, der Carcija, plus einem Teil des Stadtzentrums auf der rechten Seite des Flusses und in ein von der kroatischen HVO kontrolliertes, größeres, besser entwickeltes Gebiet am rechten Flus­sufer. Die zwei Quellen der Wasserver­sorgung Mostars liegen auf der kroa­tisch kontrollierten Westseite. Während des Krieges wurde die gesamte Wasserzufuhr nach Ostmostar blockiert und während mehrerer Monate mus­sten die 55'000 Menschen hier ihr Was­ser aus zwei Zisternen der Neretva be­ziehen. Viele verloren ihr Leben, als sie unter kroatisches Feuer gerieten. Erst als es unter Druck seitens der USA im Frühjahr 1994 gelang, die kroatische und die bosnisch (muslimische) Seite zu ei­nem Waffenstillstand und schließlich zur Bildung einer gemeinsamen Föderation zu bewegen, entspannte sich die Lage. Der Krieg forderte allein in Mostar Hunderte von Opfern (1500 Tote und 6000 Verwundete auf der Ost­seite nach offiziellen Angaben) und nach dem monatelangen Beschuss sehen die Gebiete der Stadt, die von der Ar­mee Bosnien- Herzegowinas kontrolliert werden, aus wie man es kennt von Bil­dern Berlins nach dem Zweiten Welt­krieg. Im historischen Stadtkern blieb kein Haus unbeschädigt und über die Hälfe aller Gebäude ist vollständig zerbombt. Safet Orucevic, Bürgermeister Ostmostars, betont immer noch, sie wollten keine geteilte Stadt, sondern hielten am Projekt einer multiethnischen Gemeinschaft fest, aber heute verläuft zwischen der bosnisch und der kroatisch kontrollierten Zone ein Streifen Nie­mandsland, der von den Armeen beider Seiten bewacht wird und der die Stadt teilt. Zwar leben wieder rund 100'000 Menschen in Mostar, von denen über die Hälfe nicht aus der Stadt stammt, sondern hier in den Ruinen als Vertrie­bene aus anderen Gebieten Bosniens und der Herzegowina haust, aber nur 250 Menschen pro Tag ist es erlaubt, den von der UNO überwachten Übergang auf die jeweils andere Seite für einen Tagesbesuch zu benutzen. 50 Menschen dürfen für drei Tage blei­ben. Vor allem auf der kroatischen Seite hat die neue kroatisch-bosnische Föderation nicht nur Freunde gefun­den. Die bosnischen Muslime im Ostteil der Stadt sind froh sind um jeden klei­nen Schritt und sehen die einzige Chance für ihr Überleben in der Fortführung des Friedens. Die Verbesse­rungen des Alltagslebens sind hier of­fensichtlich. Inzwischen gibt es wieder in den meisten Haushalten Strom. Iro­nisch werden diese Verbesserungen als, zweite Elektrifizierung" bezeichnet.

Im kroatischen Westteil Mostars behielt das Leben auch während des Krieges ein Stück seiner Normalität. Eine Vielzahl von Straßencafés bezeugt, dass Überleben hier bedeutend einfa­cher war. Heute leben noch etwa 9000 Muslime und rund 2500 SerbInnen in diesem Teil der Stadt. Bei den KroatIn­nen aber sitzen die Frustrationen tief: Wozu hat man denn um die Stadt als Hauptstadt von Herceg Bosna gekämpft, wenn man sie jetzt doch wieder aufgeben muss? Zu normal war hier das Leben auch während des Krieges, zu stark ist das Gefühl, zu Kroatien zu gehören und zu klein die Verbesserun­gen, die der Frieden mit sich brachte.

Wiederaufbau im ICE-Tempo?

Die Europäische Union stellte Mostar unter ihre Verwaltung und bestimmte den ehemaligen Bürgermeister von Bremen/BRD zum Administrator der Stadt. Mit einem Heer von Polizisten aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, den Niederlande usw., einem zi­vilen Beraterstab und in Zusammenar­beit mit den allen Uno-Organisationen - von Unprofor-Soldaten bis Unhcr-Hel­ferInnen, die auch hier tätig sind, soll in einem auf zwei Jahre befristeten Mandat die Stadt wiederaufgebaut, die Wirtschaft wiederbelebt, die Gesell­schaft wiederhergestellt werden. Allein für das EC Department for Recon­struction arbeiten 40 Leute. Drehscheibe dieses Euro-Engagements ist das luxu­rioese Hotel Ero, nur einige Schritte von der Demarkationslinie auf der kroatisch kontrollierten Seite gelegen. Dutzende von Männern in den verschiedensten Uniformen, europäisches Sprachbaby­lon mit einigen weiblichen, bosnischen Einsprengseln, wenn die Übersetzerinnen mit dabei sind, bevölkern das Re­staurant im Erdgeschoss. Hektik herrscht. Es scheint viel zu gehen. Im Unterschied zur Uno-Politik in Sarajevo scheint Mostar noch Aufbruchsstimmung zu vermitteln. Der Erwartungsdruck ist groß, das eingeschlagene Tempo be­achtlich.

Auch die Schweiz engagiert sich im europäischen Verbund am Wiederaufbau: Das Schweizer Katastrophenhilfekorps ist mit einem Mann vor Ort tätig und plant den Wiederaufbau von vier Schu­len - gut eidgenössisch zwei auf jeder Seite - und einem Kindergarten. Zudem wurde der Schweizer Hans Birchler zum juristischen Berater von Hans Koschnik und im Moment ist man noch auf der Suche nach einem Schweizer Städte­planer, der sich beim Wiederaufbau pro­filieren darf. Einen Schweizer einzuset­zen sei das einfachste, weil man damit dem langwierigen politischen Aushan­deln zwischen den Länder- und Par­teieninteressen innerhalb der Europäischen Union entgehen könne, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Der, Angriff auf Koschnik" Anfang September geriet Mostar in die interna­tionalen Schlagzeilen, als beim Hotel Ero eine Granate einschlug. Die Presse sprach von einem Attentat auf Hans Koschnik von kroatischer Seite und schilderte den Beschuss in den drama­tischsten Tönen. Die kroatische Seite wies jede Verantwortung für den An­schlag in einer Erklärung vom 13. September von sich, indem sie ihn, entlassenen Mitgliedern der Militärpolizei, die unter Alkoholeinfluss stan­den" zuschoben. Die internationalen Medien andererseits spielten den Be­schuss zum großen politischen Attentat hoch. Koschnik selbst saß im Garten und trank ein Bier, als die Granate ein­schlug - mehrere Wohnungen von sei­nem Zimmer entfernt. Und geladen war die Granate auch nicht. Koschnik nahm den Einschlag nicht einmal wahr. Ein Unprofor-Sprecher redete aber Klartext: Wenn Kroaten und Muslime wieder ge­geneinander in den Krieg ziehen woll­ten, würden EU und die UNO abziehen und die Konfliktparteien sich selber überlassen. Sieger könne es dabei keine geben, denn schließlich würden die Serben sowieso die übriggebliebenen Trümmer aufräumen...

Eine schwere Zukunft Mostar liegt im­mer noch in Reichweite der serbischen Artillerie, die östlich der Stadt nur we­nige Kilometer hinter dem Hügelzug liegt. Im September während unserer Anwesenheit wurden zwei Flugzeugab­wehr-Raketen abgeschossen, die in der Luft über Mostar explodierten. Ziel war nicht die Zerstörung, sondern die Einschuechterung der Bevölkerung. Vor allem nördlich und südlich der Stadt fanden im Oktober wieder heftige Gefechte statt. Die serbischen Einheiten versuchen, noch vor dem Winteranfang an dieser schwächsten Stelle die Ver­sorgungsroute zwischen der Küste und Sarajevo durchzubrechen und damit ganz Zentralbosnien von der UN-Ver­sorgung abzuschneiden. Neben seiner militärisch ungewissen Zukunft leidet Mostar vor allem unter einem Mangel an Baumaterialien und an einem verhee­renden Mangel an qualifizierten Men­schen. Tausende von LehrerInnen, Aerztinnen und Schreinern, Verwal­tungs- und Spitalpersonal haben die Stadt verlassen. Viele Junge planen zu­dem, dem Land den Rücken zu kehren, sobald der Krieg zuende ist. Zu tief sit­zen die Frustrationen, zu klein sind die Perspektiven, hier eine Zukunft zu fin­den. Die Regierungen beider Seiten können dafür kein Verständnis aufbrin­gen und diffamieren Auswanderungs­willige als Verräter. Weiterhin ist auch die politische Lage in Mostar unsicher. Immer wieder kommt es zu Schießereien, auch wenn die kroatische Seite ihre Hardliner inzwischen besser kon­trolliert. Zwar gibt es immer noch Rambo-Polizisten, aber insgesamt ist die Zahl der Waffenstillstandsverletzungen zurückgegangen, seit die kroatische Polizei mit der bosnisch-muslimischen zusammenarbeitet und gegen die orga­nisierten Banden vorgeht. Während un­seres Aufenthaltes wurden aber immer wieder tags wie nachts in unmittelbarer Nähe Salven aus automatischen Waf­fen abgefeuert. Einmal mussten wir an der Demarkationslinie in Deckung springen. Ein bosnischer Mann wurde - wie wir am Tag danach erfahren - bei dieser Schießerei schwer verletzt. Offi­ziell existieren diese Probleme aller­dings gar nicht. Wer nachfragt, stößt man höchstens auf verständnisloses Schulterzucken. Laut einer Untersu­chung leiden 90 Prozent der Kinder un­ter Kriegstraumata. 60 Prozent werden bleibende Schäden davontragen.

Die größte Gefahr droht Mostar aller­dings seitens des internationalen Enga­gements. Das eingeschlagene Schnell­zugstempo und die aufgeblähten Er­wartungen Europas, aber auch der vor Ort engagierten Wiederaufbau-Fach­leute schlagen sich auch auf die Men­schen in Mostar nieder. Mostar er­scheint als eine Stadt der zwei Ge­schwindigkeiten. Die europäische Ad­ministration lässt mit ihrem Tempo die Menschen weit hinter sich. Der Wille, eine gute und effiziente Arbeit zu lei­sten, ist zwar allerseits offensichtlich. Aber das Engagement scheint zu sehr politisch motiviert aus den Eigeninteres­sen Europas: Man will zeigen, dass man diesen Konflikt in den Griff bekommen kann. Europa will in Mostar ihr Gesicht wiederfinden. Als die sich Türkei an­erbot, die alte Brücke im Stadtzentrum wieder aufzubauen, wies Koschnik das Angebot zurück: ,Es gibt wichtigere Dinge, die wieder aufgebaut werden müssen, und die Brücke muss war­ten." Zoran, ein junger Mann auf der kroatischen Seite, warnt denn auch: ,Die Stadt braucht mindestens fünf Jahre, um wieder zusammenzuwachsen. Dann kann es gutgehen. Schneller ist gefährlich!" Jelka, eine dynamische Katho­likin, die auf der bosnischen (muslimischen) Seite Mostars lebt, will aber nicht fünf Jahre warten, sondern daran arbeiten. Sie hat ein Haus direkt an der bosnischen Demarkationslinie ausgesucht, das mit Hilfe internationaler Organisationen und Freiwilliger zum Jugendtreff ausgebaut werden soll. Heute ist das Gebäude noch eine aus­gebrannte Ruine, aber mit der Zeit sol­len hier Jugendliche aus beiden Teilen der Stadt zusammenkommen können und wieder eine gemeinsame Zukunft erarbeiten. Sie ist sich bewusst, wie schwierig ein solches Projekt ist und wie weit entfernt die gemeinsame Zu­kunft liegt, aber ,wer einen Weg zurücklegen will, muss erst lernen, Schritte zu machen". Europa muss ler­nen, dass man in Mostar nicht einen Job erledigen kann und Frieden verordnet, sondern dass man mit den Menschen zusammen Frieden und Vertrauen von unten her neu aufbauen muss. Schließlich entscheiden die Fundamente über die Stabilität der wiederaufgebauten Häuser.

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Vesna Terselic ist Mitarbeiterin des Zentrum für Friedensstudien Zagreb und eine der Gründerinnen der Antikriegskampagne Kroatien.
Roland Brunner, arbeitet seit Anfang der 90er-Jahre in der Region des ehemaligen Jugoslawien. Neben seiner journalistischen Arbeit engagiert er sich dabei in der Unterstützung für Friedensinitiativen und unabhängige Medien. Seit Frühjahr 2000 ist er auch Geschäftsführer der Medienhilfe (http://www.medienhilfe.ch).