Eine Woche vor Ostern rufen wir mit unserem Aufruf "Kriege stoppen - Frieden und Abrüstung jetzt! " in mehreren Zeitungen zur Teilnahme an den Ostermärschen 2025 auf. Hilf auch du mit bei der Mobiliserung!
Ein Augenschein in Mostar
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Im Sommer 1566 wurde die Brücke über die Neretva in Mostar vom türkischen Baumeister Hajrudin gebaut. Am 9. November 1993, nach tagelangem intensivem Artilleriebeschuss durch kroatische Artillerie, stürzte die Brücke in den Fluss. Inzwischen ist der Krieg vorbei, erste Stege über die Neretva wurden wieder gebaut, aber der Frieden ist noch in weiter Ferne.
Mostar liegt Tal der Neretva, das von der kroatischen Küste Richtung Norden nach Sarajevo führt. Die, Straße des Todes", über die ganz Bosnien-Herzegowina von der Küste her mit Lebensmitteln versorgt werden muss, führt durch diese Stadt aus dem 15. Jahrhundert, in der vor dem Krieg rund 100'000 Menschen lebten: 34,8 Prozent Muslime, 33,8 Prozent KroatInnen, 19 Prozent SerbInnen und 10 Prozent JugoslawInnen (Volkszählung 1991). Mostar war ein wichtiges wirtschaftliches und politisches Zentrum und galt als Hauptstadt der Herzegowina.
Im Strudel des Krieges
Als Bosnien-Herzegowina in den Abgrund des Krieges gerissen wurde, geriet auch Mostar ins Visier. Serbische Einheiten beschossen drei Monate lang die Stadt mit rund 40'000 Granaten und erst im Juni 1992 gelang es den kroatischen und muslimischen Verbänden gemeinsam, die serbischen Einheiten - und mit ihnen auch praktisch alle SerbInnen - aus Mostar zu vertreiben. Statt dass nun jedoch Friede einkehrte, kam es zum Krieg der bisher Verbündeten. Im Oktober 1992 kam es zu ersten Gefechten und Straßenkämpfen. Im Mai 1993 begann der Krieg zwischen der Armee Bosnien-Herzegowinas und der kroatischen HVO, dem, Verteidigungsrat der Kroaten". Die HVO-Einheiten überrannten am 9. Mai den Westteil Mostars und nahmen den Ostteil unter Artilleriebeschuss. Die Herzegowina-Kroaten wollten ihren eigenen, ethnisch gesäuberten Staat und verkündeten im August die Bildung von, Herceg Bosna". Dazu ermutigt fühlten sie sich direkt auch von den sogenannten Friedensverhandlungen in Genf und dem Vance-Owen-Plan, der die Aufteilung von Bosnien-Herzegowina in zehn weitgehend autonome, ethnisch definierte Provinzen - drei serbische, drei kroatische, drei bosnisch-muslimische und die ,gemeinsame" Hauptstadt Sarajevo - vorsah. Dieser, Friedensplan" akzeptierte das Prinzip der, ethnisch reinen Gebiete" und legitimierte damit die Logik des gewaltsamen Terraingewinnes. Obwohl in Mostar vor dem Krieg 1991 knapp mehr Muslime als KroatInnen wohnten, sollte Mostar zur Hauptstadt des kroatischen Staates in der Herzegowina werden - und mit dem Segen des UNO-Friedensplanes konnte man jetzt die Muslime loswerden.
Im Verlauf eines Jahres, bis zum Fruehjahr 1994, fielen rund 100'000 Granaten aus kroatischen Geschützen auf Ostmostar. Die Stadt wurde geteilt in den von der bosnischen Armee kontrollierten kleineren Teil links (östlich) der Neretva mit dem alten Handwerkerviertel, der Carcija, plus einem Teil des Stadtzentrums auf der rechten Seite des Flusses und in ein von der kroatischen HVO kontrolliertes, größeres, besser entwickeltes Gebiet am rechten Flussufer. Die zwei Quellen der Wasserversorgung Mostars liegen auf der kroatisch kontrollierten Westseite. Während des Krieges wurde die gesamte Wasserzufuhr nach Ostmostar blockiert und während mehrerer Monate mussten die 55'000 Menschen hier ihr Wasser aus zwei Zisternen der Neretva beziehen. Viele verloren ihr Leben, als sie unter kroatisches Feuer gerieten. Erst als es unter Druck seitens der USA im Frühjahr 1994 gelang, die kroatische und die bosnisch (muslimische) Seite zu einem Waffenstillstand und schließlich zur Bildung einer gemeinsamen Föderation zu bewegen, entspannte sich die Lage. Der Krieg forderte allein in Mostar Hunderte von Opfern (1500 Tote und 6000 Verwundete auf der Ostseite nach offiziellen Angaben) und nach dem monatelangen Beschuss sehen die Gebiete der Stadt, die von der Armee Bosnien- Herzegowinas kontrolliert werden, aus wie man es kennt von Bildern Berlins nach dem Zweiten Weltkrieg. Im historischen Stadtkern blieb kein Haus unbeschädigt und über die Hälfe aller Gebäude ist vollständig zerbombt. Safet Orucevic, Bürgermeister Ostmostars, betont immer noch, sie wollten keine geteilte Stadt, sondern hielten am Projekt einer multiethnischen Gemeinschaft fest, aber heute verläuft zwischen der bosnisch und der kroatisch kontrollierten Zone ein Streifen Niemandsland, der von den Armeen beider Seiten bewacht wird und der die Stadt teilt. Zwar leben wieder rund 100'000 Menschen in Mostar, von denen über die Hälfe nicht aus der Stadt stammt, sondern hier in den Ruinen als Vertriebene aus anderen Gebieten Bosniens und der Herzegowina haust, aber nur 250 Menschen pro Tag ist es erlaubt, den von der UNO überwachten Übergang auf die jeweils andere Seite für einen Tagesbesuch zu benutzen. 50 Menschen dürfen für drei Tage bleiben. Vor allem auf der kroatischen Seite hat die neue kroatisch-bosnische Föderation nicht nur Freunde gefunden. Die bosnischen Muslime im Ostteil der Stadt sind froh sind um jeden kleinen Schritt und sehen die einzige Chance für ihr Überleben in der Fortführung des Friedens. Die Verbesserungen des Alltagslebens sind hier offensichtlich. Inzwischen gibt es wieder in den meisten Haushalten Strom. Ironisch werden diese Verbesserungen als, zweite Elektrifizierung" bezeichnet.
Im kroatischen Westteil Mostars behielt das Leben auch während des Krieges ein Stück seiner Normalität. Eine Vielzahl von Straßencafés bezeugt, dass Überleben hier bedeutend einfacher war. Heute leben noch etwa 9000 Muslime und rund 2500 SerbInnen in diesem Teil der Stadt. Bei den KroatInnen aber sitzen die Frustrationen tief: Wozu hat man denn um die Stadt als Hauptstadt von Herceg Bosna gekämpft, wenn man sie jetzt doch wieder aufgeben muss? Zu normal war hier das Leben auch während des Krieges, zu stark ist das Gefühl, zu Kroatien zu gehören und zu klein die Verbesserungen, die der Frieden mit sich brachte.
Wiederaufbau im ICE-Tempo?
Die Europäische Union stellte Mostar unter ihre Verwaltung und bestimmte den ehemaligen Bürgermeister von Bremen/BRD zum Administrator der Stadt. Mit einem Heer von Polizisten aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, den Niederlande usw., einem zivilen Beraterstab und in Zusammenarbeit mit den allen Uno-Organisationen - von Unprofor-Soldaten bis Unhcr-HelferInnen, die auch hier tätig sind, soll in einem auf zwei Jahre befristeten Mandat die Stadt wiederaufgebaut, die Wirtschaft wiederbelebt, die Gesellschaft wiederhergestellt werden. Allein für das EC Department for Reconstruction arbeiten 40 Leute. Drehscheibe dieses Euro-Engagements ist das luxurioese Hotel Ero, nur einige Schritte von der Demarkationslinie auf der kroatisch kontrollierten Seite gelegen. Dutzende von Männern in den verschiedensten Uniformen, europäisches Sprachbabylon mit einigen weiblichen, bosnischen Einsprengseln, wenn die Übersetzerinnen mit dabei sind, bevölkern das Restaurant im Erdgeschoss. Hektik herrscht. Es scheint viel zu gehen. Im Unterschied zur Uno-Politik in Sarajevo scheint Mostar noch Aufbruchsstimmung zu vermitteln. Der Erwartungsdruck ist groß, das eingeschlagene Tempo beachtlich.
Auch die Schweiz engagiert sich im europäischen Verbund am Wiederaufbau: Das Schweizer Katastrophenhilfekorps ist mit einem Mann vor Ort tätig und plant den Wiederaufbau von vier Schulen - gut eidgenössisch zwei auf jeder Seite - und einem Kindergarten. Zudem wurde der Schweizer Hans Birchler zum juristischen Berater von Hans Koschnik und im Moment ist man noch auf der Suche nach einem Schweizer Städteplaner, der sich beim Wiederaufbau profilieren darf. Einen Schweizer einzusetzen sei das einfachste, weil man damit dem langwierigen politischen Aushandeln zwischen den Länder- und Parteieninteressen innerhalb der Europäischen Union entgehen könne, heißt es hinter vorgehaltener Hand.
Der, Angriff auf Koschnik" Anfang September geriet Mostar in die internationalen Schlagzeilen, als beim Hotel Ero eine Granate einschlug. Die Presse sprach von einem Attentat auf Hans Koschnik von kroatischer Seite und schilderte den Beschuss in den dramatischsten Tönen. Die kroatische Seite wies jede Verantwortung für den Anschlag in einer Erklärung vom 13. September von sich, indem sie ihn, entlassenen Mitgliedern der Militärpolizei, die unter Alkoholeinfluss standen" zuschoben. Die internationalen Medien andererseits spielten den Beschuss zum großen politischen Attentat hoch. Koschnik selbst saß im Garten und trank ein Bier, als die Granate einschlug - mehrere Wohnungen von seinem Zimmer entfernt. Und geladen war die Granate auch nicht. Koschnik nahm den Einschlag nicht einmal wahr. Ein Unprofor-Sprecher redete aber Klartext: Wenn Kroaten und Muslime wieder gegeneinander in den Krieg ziehen wollten, würden EU und die UNO abziehen und die Konfliktparteien sich selber überlassen. Sieger könne es dabei keine geben, denn schließlich würden die Serben sowieso die übriggebliebenen Trümmer aufräumen...
Eine schwere Zukunft Mostar liegt immer noch in Reichweite der serbischen Artillerie, die östlich der Stadt nur wenige Kilometer hinter dem Hügelzug liegt. Im September während unserer Anwesenheit wurden zwei Flugzeugabwehr-Raketen abgeschossen, die in der Luft über Mostar explodierten. Ziel war nicht die Zerstörung, sondern die Einschuechterung der Bevölkerung. Vor allem nördlich und südlich der Stadt fanden im Oktober wieder heftige Gefechte statt. Die serbischen Einheiten versuchen, noch vor dem Winteranfang an dieser schwächsten Stelle die Versorgungsroute zwischen der Küste und Sarajevo durchzubrechen und damit ganz Zentralbosnien von der UN-Versorgung abzuschneiden. Neben seiner militärisch ungewissen Zukunft leidet Mostar vor allem unter einem Mangel an Baumaterialien und an einem verheerenden Mangel an qualifizierten Menschen. Tausende von LehrerInnen, Aerztinnen und Schreinern, Verwaltungs- und Spitalpersonal haben die Stadt verlassen. Viele Junge planen zudem, dem Land den Rücken zu kehren, sobald der Krieg zuende ist. Zu tief sitzen die Frustrationen, zu klein sind die Perspektiven, hier eine Zukunft zu finden. Die Regierungen beider Seiten können dafür kein Verständnis aufbringen und diffamieren Auswanderungswillige als Verräter. Weiterhin ist auch die politische Lage in Mostar unsicher. Immer wieder kommt es zu Schießereien, auch wenn die kroatische Seite ihre Hardliner inzwischen besser kontrolliert. Zwar gibt es immer noch Rambo-Polizisten, aber insgesamt ist die Zahl der Waffenstillstandsverletzungen zurückgegangen, seit die kroatische Polizei mit der bosnisch-muslimischen zusammenarbeitet und gegen die organisierten Banden vorgeht. Während unseres Aufenthaltes wurden aber immer wieder tags wie nachts in unmittelbarer Nähe Salven aus automatischen Waffen abgefeuert. Einmal mussten wir an der Demarkationslinie in Deckung springen. Ein bosnischer Mann wurde - wie wir am Tag danach erfahren - bei dieser Schießerei schwer verletzt. Offiziell existieren diese Probleme allerdings gar nicht. Wer nachfragt, stößt man höchstens auf verständnisloses Schulterzucken. Laut einer Untersuchung leiden 90 Prozent der Kinder unter Kriegstraumata. 60 Prozent werden bleibende Schäden davontragen.
Die größte Gefahr droht Mostar allerdings seitens des internationalen Engagements. Das eingeschlagene Schnellzugstempo und die aufgeblähten Erwartungen Europas, aber auch der vor Ort engagierten Wiederaufbau-Fachleute schlagen sich auch auf die Menschen in Mostar nieder. Mostar erscheint als eine Stadt der zwei Geschwindigkeiten. Die europäische Administration lässt mit ihrem Tempo die Menschen weit hinter sich. Der Wille, eine gute und effiziente Arbeit zu leisten, ist zwar allerseits offensichtlich. Aber das Engagement scheint zu sehr politisch motiviert aus den Eigeninteressen Europas: Man will zeigen, dass man diesen Konflikt in den Griff bekommen kann. Europa will in Mostar ihr Gesicht wiederfinden. Als die sich Türkei anerbot, die alte Brücke im Stadtzentrum wieder aufzubauen, wies Koschnik das Angebot zurück: ,Es gibt wichtigere Dinge, die wieder aufgebaut werden müssen, und die Brücke muss warten." Zoran, ein junger Mann auf der kroatischen Seite, warnt denn auch: ,Die Stadt braucht mindestens fünf Jahre, um wieder zusammenzuwachsen. Dann kann es gutgehen. Schneller ist gefährlich!" Jelka, eine dynamische Katholikin, die auf der bosnischen (muslimischen) Seite Mostars lebt, will aber nicht fünf Jahre warten, sondern daran arbeiten. Sie hat ein Haus direkt an der bosnischen Demarkationslinie ausgesucht, das mit Hilfe internationaler Organisationen und Freiwilliger zum Jugendtreff ausgebaut werden soll. Heute ist das Gebäude noch eine ausgebrannte Ruine, aber mit der Zeit sollen hier Jugendliche aus beiden Teilen der Stadt zusammenkommen können und wieder eine gemeinsame Zukunft erarbeiten. Sie ist sich bewusst, wie schwierig ein solches Projekt ist und wie weit entfernt die gemeinsame Zukunft liegt, aber ,wer einen Weg zurücklegen will, muss erst lernen, Schritte zu machen". Europa muss lernen, dass man in Mostar nicht einen Job erledigen kann und Frieden verordnet, sondern dass man mit den Menschen zusammen Frieden und Vertrauen von unten her neu aufbauen muss. Schließlich entscheiden die Fundamente über die Stabilität der wiederaufgebauten Häuser.