Israel - Palästina

Ein Besuch in Israel/Palästina im Frühsommer 2017

von Mechtild Eisfeld
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege
( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Fünfzig Jahre „kibúsch“ = Besatzung. So steht es auf den Postern, die sie an diesem Freitag Anfang Juni hochhalten. Die Frauen in Schwarz (die meisten israelische Jüdinnen) demonstrieren seit beinahe 30 Jahren auf dem Pariser Platz in West-Jerusalem. Jeden Freitag von 12 – 13 Uhr, geschützt von der Polizei, verkörpern sie den stillen Protest.  Sie halten als Schilder eine große schwarze Hand in die Höhe mit der Forderung „Stop the occupation“,  auch in Arabisch und Hebräisch . Heute, Beginn des Sechstage-Krieges 1967, kommen mehr Frauen als sonst, auch ein, zwei Männer, dazu eine Jugend-Trommelgruppe. Wie wohl öfter schon, versucht ein von außen kommender Israeli, mit den Frauen heftig zu diskutieren, politisch von der extrem-nationalistischen Rechten. Ein Polizist schaltet sich nach einer Weile ein, führt ihn von der Gruppe weg. Aufatmen bei den Frauen. Im Hintergrund schwenkt ein anderer Israeli eine große Fahne mit dem blauen David-Stern. Protest gegen den Protest.

Die israelische Friedensbewegung ist zwar geschrumpft, so bedauern es viele, aber es gibt sie doch. Zahlreiche Initiativen bestehen seit langem, und neue bilden sich, in denen sich Israelis, auch mit den palästinensischen FreundInnen gemeinsam, dafür einsetzen, dass die Unrechts-Situation öffentlich benannt und auf ein Ende der Besatzung hingearbeitet wird. Sie müssen oft großen Mut aufbringen, denn in der israelischen Mehrheitsgesellschaft werden sie von vielen als Nestbeschmutzer geächtet. Die SoldatInnen von „Breaking the Silence“ z.B. haben einen besonders schweren Stand, - die Armee ist mit die wichtigste Säule des israelischen Staates.

Für die Öffentlichkeit bei uns in Deutschland wirken diese Menschen und Gruppen, die NEIN sagen, eher im Verborgenen. Sie machen kaum Schlagzeilen.

Die Machsom-Watch-Frauen sind ein anderes lebendiges Beispiel des Protestes. Sie gehen als ältere israelische Frauen mehrmals in der Woche zu den verschiedenen Checkpoints, um die Vorgänge zu beobachten und zu dokumentieren, was ihnen an besonderen Härten auffällt. Die jungen SoldatInnen könnten ihre Enkel sein, das verschafft ihnen einigen Respekt, und sie können sich hier und da einmischen. Auch sie engagieren sich seit vielen Jahren.

Auch „ganz normale“ Israelis leisten Widerstand gegen manches, was die Netanjahu-Regierung durchsetzen möchte. „Das demokratische Lager lernt zu kämpfen“, lese ich in der Haaretz. Akademische Jugend und Lehrerschaft wehren sich gegen einen neuen „Ethik-Code“, den der rechts-nationale Erziehungsminister Naftali Bennett in Auftrag gegeben hat und der das freie, kontroverse Diskutieren in den Universitäten einschränken bzw. mit einer Zensur belegen soll. Ein ganzes Theaterfestival wurde von den Kuturschaffenden in Akko abgesagt – sie weigerten sich im Streit mit der Kulturministerin Miri Regev („the queen of populist politics“), sich einen Maulkorb anlegen zu lassen.

Checkpoints
Ich sitze in einem der Busse zwischen Westbank und Jerusalem. Am Checkpoint ist Stopp. Alle jungen Frauen und Männer steigen wie selbstverständlich aus, reihen sich in einer  Schlange draußen auf, um ihre Papiere kontrollieren zu lassen. Die Älteren und AusländerInnen (ich) dürfen sitzen bleiben, werden drinnen kontrolliert. Ich weiß, dies ist eine eher harmlose Prozedur im Vergleich  zu anderen Kontrollpunkten. Für mich ist es ein Schock, die beiden jungen SoldatInnen mit ihren schweren Maschinengewehren vor mir im Bus zu sehen, obgleich ich das von anderen Besuchen her kenne. Bedrohlich!

Ein anderes Mal muss ich in einer Schlange durch eines dieser schweren Drehkreuze, suche nach meinem Pass tief unten im Rucksack, werde immer nervöser. Die beiden Militärs, auch wieder kaum zwanzig, sitzen hinter einer zerkratzten Glasscheibe, lässig. Welche Macht sie haben! Auch ich unterliege dieser Macht. Die Frauen und Männer, die auch passieren wollen, nicken mir freundlich zu, merken, dass ich ein Neuling bin. Sie sind „alte Hasen“, kennen das alles seit Jahrzehnten. Es ist ihnen zur Routine geworden. Sich jedes Mal aufzuregen, würde sie krank machen.

Und doch gibt es Situationen, in denen Menschen sich bei einer Kontrolle existentiell bedroht fühlen. Latifeh erzählte, dass sie gezittert hätte, als sie und ihre Freundin im Taxi einmal in eine improvisierte Kontrolle geraten seien. Eigentlich konnte nichts schief gehen. Sie waren das gewohnt. Doch die Situation verwirrte und verknotete sich. Mit Schrecken fiel ihr plötzlich ein, dass sie das kleine Schweizer Taschenmesser unten in der Handtasche hatte. „Sie hätten uns einfach töten können“, sagte sie, wenn der Soldat das entdeckt und sich „bedroht“ gefühlt hätte.

Die Menschen sind müde
Die Menschen sind müde geworden, sich zu wehren. Auch in Deheische, der Flüchtlingssiedlung in Bethlehem, die seit fast 70 Jahren besteht und völlig überfüllt ist, sehnen sie sich – ohne sichtbares Aufbegehren - nach einem Leben in Würde. Hier und da machen Jugendliche dann aber doch ihrer Wut Luft. An die Hauswände sind großformatige Porträts von den „Märtyrerngemalt, die von israelischen SoldatInnen getötet wurden. Vorne am Eingang hängt eine lange Liste all der Namen.

Aufbegehren gegen die eigene palästinensische Autonomiebehörde (PA)? Ja, sagen viele Menschen im Land, das wäre der erste und nächste dringend fällige Schritt. Ich habe mir erzählen lassen, wie sehr sich Korruption bei den Regierenden eingenistet hat, wie viel sie von den Hilfsgeldern, die reichlich ins Land fließen, für sich selbst abzweigen. Das ist ein offenes Geheimnis. Viele gigantische Neubauten stehen leer, es heißt, Immobilien seien ein üblicher Weg, um Geld zu waschen. Warum gibt es keinen Aufruhr in der Bevölkerung?

Latifeh, die Freundin, die in Freiburg studiert hat und nun in ihrer Heimat, in Ramallah, im Goethe-Institut Deutsch unterrichtet, meinte, sie alle hätten Angst! Angst vor schweren Verletzungen, Angst zu sterben. Die PA würde bei Demonstrationen mit ihren Sicherheitskräften hart zuschlagen. Auch „nur“ ein Absitzen in palästinensischen Gefängnissen sei sehr abschreckend.

Die PA regiert autoritär, hat ihre Basis in der Bevölkerung längst verloren. Sie sind überdies immer wieder Handlanger der israelischen Besatzer. Die eigene Polizei führte kürzlich Leute ab, die in einem kleinen Supermarkt in Ramallah die internationale Boykott-Aktion israelischer Waren unterstützten. Heißt das, Abbas und seine Fatah schützen Israels Interessen?

Die Mauer
Ich merke, die Mauer ist gar nicht mehr mein Thema. Ich sehe sie überall, wie sie die Landschaften durchschneidet, habe mich daran gewöhnt. Und die Menschen im Westjordanland?  Nein, sie gewöhnen sich NIE! Faten Mukarker, die als Reiseführerin viele Gruppen im Land herumführt und unermüdlich für die Versöhnung zwischen den Religionen wirbt, wird die Mauer, die vor Jahren quer durch ihren Garten gezogen wurde, nie akzeptieren. Das Land wurde konfisziert für die neue israelische Siedlung über ihnen, oben auf dem Berg.

Gewöhnen wird sich auch Daoud Nassar nicht daran, dass er sein „Tent of Nations“ und seinen Weinberg – trotz verbürgtem Besitztitel - seit mehr als einem Vierteljahrhundert immer wieder gegen die israelischen Räumungsdrohungen verteidigen muss. Auch das Entwurzeln von Hunderten von Obstbäumen hat ihn nicht vertreiben können. Er, sein Bruder, seine Familie, viele junge Freiwillige haben wieder neue Bäume angepflanzt. Alles blüht und grünt dort oben auf dem Hügel, dem einzigen in der Gegend, auf dem keine israelische Siedlung gebaut wurde. Die israelische Militärverwaltung will ihn loswerden, weil es die Zone ist, die Israel in der Westbank ganz für sich beansprucht. Daouds Weinberg ist zu einem internationalen Treffpunkt und Friedenszentrum geworden, mitten im besetzten Westjordanland. Am Eingang liest die Besucherin auf einem Stein: „Wir weigern uns, Feinde zu sein!

Die „Ruhe vor dem Sturm“?
Der Gedanke kommt mir: Ist die Ruhe im Land „die Ruhe vor dem Sturm“? In Gaza, heißt es, sammele sich Explosionsstoff. Tatsächlich lässt Israel z. B. kaum Baumaterial die Kontrollpunkte passieren, so dass nach dem letzten schlimmen Krieg im Jahre 2014 viele Häuser noch in Trümmern liegen, Infrastruktur nicht wieder aufgebaut werden kann. Armut und Arbeitslosigkeit sind ein riesengroßes Problem in diesem schmalen Küstenstreifen, wo sich an die zwei Millionen Menschen auf engstem Raum zusammendrängen. Nach außen sind sie auch zu Ägypten hin weitgehend abgeschnitten. Trinkwasser gibt es kaum mehr, die Wasserressourcen im Boden sind erschöpft oder verschmutzt/versalzen. Dazu kommt ganz aktuell der sich zuspitzende Streit zwischen Fatah und Hamas, den feindlichen Brüdern. Mahmud Abbas will Druck auf seine Antipoden in Gaza ausüben, er sitzt finanziell am längeren Hebel. Gerade hat er 6.000 Angestellte in Gaza in den Ruhestand geschickt, d.h. sie nicht mehr bezahlt. So fehlt Personal an vielen Stellen. Vor allem fehlt Elektrizität. Bisher gab es manchmal acht, manchmal auch nur vier Stunden Strom für die EinwohnerInnen. Nun ist diese Ration noch einmal stark verknappt worden. Die PA bezahlt weniger an Israel, und Israel liefert entsprechend weniger Elektrizität.

Es ist ein Knäuel von politischen Einstellungen und Entscheidungen, die sich verhängnisvoll auswirken für diejenigen, die davon betroffen sind. Schon jetzt sterben Menschen allein deswegen, weil es nicht genug Strom gibt. Wir müssen nur an die Kliniken denken, die Dialyse-Patienten zum Beispiel, die Kleinen in den Frühgeborenen-Stationen.

In der Altstadt von Jerusalem
Zum Schluss noch eine Geschichte  für uns alle, die immer noch an das Gute glauben. Stefan Wahl nannte es am 5.5.17 im Wort zum Tag „Auferstehung“.

Ein muslimischer Taxifahrer breitet neben seinem Taxi einen kleinen Teppich aus, kniet nieder, betet. Es fängt an zu regnen. Ein orthodoxer Jude, der vorbeikommt, stellt sich neben ihn, öffnet seinen Regenschirm und hält ihn über den Betenden. Als der fertig ist und aufsteht, umarmen sich beide, gehen ihrer Wege.

Ich empfehle bei Spiegel-online (26.6.2017) das Interview, in dem Faten Mukarker und Familienmitglieder  mit einer israelischen Familie diskutieren: „Ich verstehe, dass Sie uns hassen ...“ 

Wer sich direkt aus dem Land informieren möchte, der kann Infos von der israelischen Menschenrechtsorganisation B’tselem erbitten (mail [at] btselem [dot] org.) Sehr interessant ist auch die Website über die israelische Besatzungs-Industrie: https://whoprofits.org/reports. Eine Liste von palästinensischen und israelischen Friedensgruppen gibt es hier: http://www.soziale-verteidigung.de/fileadmin/dokumente/is-pa-ir/Liste_NGO__s/NGO__s_israel-palaes.-Stand_Okt_2016.pdf

Ausgabe

Rubrik

Krisen und Kriege
Mechtild Eisfeld ist Mediationstrainerin. Sie lebt in Freiburg.