Die Konventionen zum Verbot von Landminen und Streumunition

Ein Erfolg der Zivilgesellschaft !?

von Thomas Küchenmeister

Blickt man auf die zurückliegenden 100 Jahre internationale Politik, stellt man fest, dass Nichtregierungsorganisationen (NROs) nachweislich an Einfluss gewonnen haben. Dies gilt z.B. für NROs, die sich gegen atomare Rüstung engagiert haben, genauso wie NROs, die im Rahmen der internationalen Umweltzusammenarbeit Einfluss auf zwei Umweltabkommen in den Bereichen Klimawandel und Biodiversität genommen haben. Abrüstung und Rüstungskontrolle unterliegen erst seit gut 20 Jahren einem allerdings stark zunehmenden Einfluss von NROs.

Der zunehmende Einfluss auf die heutige Politik, den internationale Kampagnen haben, liegt zum einen an zunehmend globalisierten Problemfeldern, wie z.B. dem Klimawandel oder dem Handel mit Waffen, und zeigt zugleich die zunehmende Bedeutungslosigkeit nationalstaatlicher Problemlösungsansätze.

Doch die Frage, ob ein NRO-Engagement letztlich als erfolgreich zu bewerten ist, lässt sich nicht mit dem bloßen Zustandekommen eines völkerrechtlich verbindlichen Vertrages beantworten, sondern muss sich natürlich zuvorderst daran orientieren, wie weitreichend und umfassend diese Verträge formuliert sind und ob mit ihnen auch die beabsichtigte bzw. eine messbare Wirkung in Bezug auf das fokussierte Problemfeld erzielt wurde. Ein Einfluss liegt aber nur dann vor, wenn eine deutliche politische Veränderung stattfindet, also ein Schwellenwert übersprungen wird. Wenn z.B. auch die Umweltbewegung nachweislich ein wichtiger politischer Faktor geworden ist und Einfluss auf die Politik genommen hat, so ist sie doch andererseits als erfolglos zu bezeichnen, da sich der Zustand der Umwelt nicht verbessert hat, wie es Dieter Rucht einmal auf einen einfachen Nenner brachte.

Gemessen daran können sowohl die Internationale Kampagne zum Verbot von Antipersonenminen (ICBL), als auch die Cluster Munition Coalition (CMC), also die int. Kampagne zum Verbot von Streumunition, zumindest als relativ erfolgreich gewertet werden.

Zunächst einmal war erstaunlich, dass die beiden NRO-Kampagnen jeweils nur fünf Jahre benötigt haben, um das Verbot für Anti-Personenminen (Ottawa Konvention) bzw. Streumunition (Oslo-Konvention) zu erwirken, wobei in beiden Fällen de facto weniger als zwei Jahre über das Verbot  verhandelt wurde. Dies bedeutet – im Vergleich zu klassischen Abrüstungs- und Rüstungskontrollprozessen (z.B. C-Waffen) - nahezu Lichtgeschwindigkeit.

Doch darüber hinaus ist mit der Ottawa- als auch der Oslo-Konvention weiteres Bemerkenswertes verbunden: In beiden Fällen wurde erstmals ein Verbot einer ganzen Waffenkategorie aufgrund öffentlichen Drucks beschlossen. Es wurde bzw. wird Völkerrecht unter Mitwirkung von Nichtregierungsorganisationen geschrieben. Und in beiden Fällen konnte ein Abrüstungsabkommen um humanitäre Verpflichtungen erweitert werden, was bislang einmalig ist.

Verbot von Anti-Personenminen
Positiv am Ottawa-Prozess ist erstens sein menschenrechtlich orientierter Ansatz, zweitens die größtenteils funktionierende Kooperation zwischen engagierten Regierungen und einer kritischen Öffentlichkeit und drittens die Reichweite der Ächtung von Minen, die selbst noch „Non-State-Actors“, also z.B. Rebellengruppen, einzubinden vermag und damit auf Gewaltverhältnisse reagiert, die sich von staatlichem Handeln abgelöst haben.

Messbare Erfolge sind sicher, dass bislang bereits 156 Länder der Ottawa-Konvention beigetreten sind. Nur noch wenige Länder produzieren und verwenden gegenwärtig Antipersonenminen; der aktuelle Fall des Einsatzes durch die türkische Armee ist da eher als Ausnahme zu bezeichnen. Auch der Handel ist nahezu zum Erliegen gekommen. Seit 1999 wurden weit über 40 Mio. Antipersonenminen zerstört, und es konnten weltweit über 2.000 km² mit Landminen und Blindgängern kontaminiertes Gelände geräumt werden. Die Zahl schließlich der registrierten Minenunfälle pro Jahr ging zuletzt deutlich zurück. Millionen Kinder und Jugendliche sind weltweit über die Gefahren durch explosive Kriegshinterlassenschaften informiert worden, was zur Vermeidung von vielen Unfällen beigetragen hat.

Doch viele Staaten - Minenhersteller wie Minenanwender, wie die USA, Russland, China, Pakistan, Indien oder Myanmar - haben das Abkommen noch nicht unterzeichnet. Bestimmte Typen von Minen, die auch von Personen ausgelöst werden können, sind nicht verboten bzw. bleibt deren Verbot umstritten. Immer noch sind mehr als 90 Länder mehr oder weniger durch explosive Kriegshinterlassenschaften belastet, wobei 56 Länder Probleme mit Antifahrzeugminen aufweisen. Schließlich hat das Abkommen neue militärische Forschung zur Umgehung seiner Vorschriften stimuliert.

Außerdem spezifiziert der Vertrag (wie auch der über Streumunition) die Anzahl derjenigen Waffensysteme, die weiter für Forschungs- und Ausbildungszwecke genutzt werden können, nicht näher, was im Falle der Minen dazu geführt hat, dass heute noch mindestens 250.000 Antipersonenminen in den Vertragsstaaten gelagert werden.

Verbot von Streumunition
Ähnlich wie beim Minenverbot setzt auch der Verbotsvertrag für Streumunition, der am 1. August 2010 in Kraft tritt, neue humanitäre Standards, lässt aber auch Raum für neue Waffengenerationen und den gemeinsamen Einsatz von Streumunition mit Nichtvertragsstaaten, was ihn eindeutig vom Minenverbotsvertrag unterscheidet und seine größte Schwachstelle darstellt.

Auch beim Verbot von Streumunition haben sich zunächst die großen Anwender-, Lager- und Herstellerstaaten (darunter die USA, Russland, China, Pakistan, Indien und Israel) ferngehalten. Selbst einige europäische Staaten wie Polen oder die Slowakei sind noch unentschlossen.

Es ist natürlich ein messbarer Fortschritt gegenüber dem Stillstand der klassischen Rüstungskontrolle, dass sich mittlerweile 106 Staaten dem Verbot von Streumunition angeschlossen haben. Die Oslo-Konvention schreibt ein umfassendes Verbot derjenigen Munitionstypen fest, die bislang zum Einsatz gekommen sind und dabei große humanitäre Probleme verursacht haben. Die Bundeswehr z.B. wird zukünftig 95 Prozent ihrer Streumunitionsbestände aufgeben müssen. Positiv ist auch, dass der Vertragstext neue humanitäre Standards setzt in Bezug auf Opferhilfe, Räumverpflichtungen und Unterstützung der betroffenen Länder.

Nachhaltigkeit der Verträge entscheidet
Eine abschließende, messbare Bewertung, ob beide Abrüstungsverträge als (relativ) erfolgreich gelten können, wird davon abhängen, wie und mit welcher Wirkung ihre Inhalte auch weiterhin umgesetzt werden. Entscheidend wird sein, ob es gelingt deren humanitäre Standards nachhaltig mit Leben zu füllen, also genügend Mittel für die Implementierung bereitzustellen. Hier ist allerdings Skepsis angebracht, allein ob der Tatsache, dass z.B. die Opferhilfe laut UN gegenwärtig weltweit mit nur 30-40 Mio. Dollar jährlich unterstützt wird, was nur ca. 7 % der Mittel für Minenaktionsprogramme ausmacht. Sollte die Bereitschaft zur Hilfeleistung der internationalen Staatengemeinschaft sinken und auch NROs diesem Trend folgen, was zu befürchten steht, könnte zumindest nicht mehr von einem nachhaltigen Erfolg der Konventionen gesprochen werden.

Entscheidend wird auch sein, ob die mit den Verboten verbundene Stigmatisierung hilft, den Einsatz und die Herstellung dieser Waffen durch Nichtsvertragsstaaten zumindest einzudämmen und ob sich andere Waffenkategorien in ähnlicher Weise stigmatisieren lassen. 

Das ist zumindest nicht gänzlich ausgeschlossen. So lässt sich feststellen, dass in den zurückliegenden fünf Jahren die Anzahl und Intensität der Verwendung von Streumunition durch die USA und Russland zumindest deutlich nachgelassen hat.

Die USA, die ja bekanntlich weder die Ottawa- noch die Oslo-Konvention unterzeichnet haben, verzichten seit 1999 auf die Produktion von Antipersonenminen. Allerdings verfügt man mittlerweile über „Alternativ-Waffen“, deren Kompatibilität mit der Ottawa Konvention jedoch umstritten ist. Der letzte nachgewiesene Einsatz durch die USA liegt aber fast 20 Jahre zurück. Darüber hinaus haben die USA zumindest ein Exportverbot für Streumunition verkündet.

Auch Russland setzt weit weniger Antipersonenminen als noch im Krieg in Afghanistan ein und nach eigenen Aussagen nur noch zum Schutz von militärischen Objekten. China schließlich gibt an, keine Antipersonenminen mehr zu exportieren und auch keine neuen Minenfelder mehr anzulegen. Aussagen, die sicherlich mit großer Vorsicht zu genießen sind, die aber deutlich machen, dass die Ottawa-Konvention auch in den großen Anwenderländern zumindest indirekt Wirkung zeigt. Mehr Wirkung jedenfalls, als die VN-Waffenkonvention bislang erzielen konnte.

Fazit: Rolle der NROs
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass beide Verbotsverträge ohne das Engagement der Nichtorganisationen und die Kooperation mit gleichgesinnten Regierungen und den Medien sicher nicht zustande gekommen wären. Die grausamen Bilder, die die NROs von den „killing fields“ in die Öffentlichkeit transportierten, führten dazu, dass im Grunde niemand mehr ernsthaft für Antipersonenminen und Streumunition Partei ergreifen wollte.

Die große öffentliche Zustimmung und Anerkennung, die NROs beim Zustandekommen der beiden Prozesse erhalten haben und die damit verbundene hohe Glaubwürdigkeit kann als Ausdruck eines weit verbreiteten Unbehagens der Menschen über den Stillstand des institutionalisierten, internationalen Prozesses der Rüstungskontrolle gedeutet werden.

Der Ottawa-Prozess wurde vom damaligen norwegischen Nobelpreiskomitee sogar als modellhaft für eine „neue und aktive Friedenspolitik“ beschrieben, was in weiten Teilen auch für den Oslo-Prozess gilt. Vielleicht deshalb wurde die Kampagne gegen Anti-Personenminen einmal von Kofi Annan als „erfolgreichste Bürgerbewegung der Welt“ bezeichnet, die ja bekanntlich 1997 für ihre Verdienste auch mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde. Und auch der Deutsche Bundestag würdigte in seiner Debatte über das Verbot von Streumunition mehrfach die außerordentlichen Verdienste der (deutschen) Zivilgesellschaft beim Zustandekommen des in Dublin ausgehandelten Verbotes für Streumunition. Die Cluster Munition Coalition (CMC) wurde zudem mit dem „Tipperary Peace Award“ ausgezeichnet, dem Aktionsbündnis Landmine.de wurde 2009 der „Wilhelm Dröscher-Preis“ verliehen. Der Oslo- und der Ottawa-Prozess zeigen schließlich, dass Rüstungskontrolle auch weiterhin realistische Chancen besitzt, sofern genügend Unterstützung in der politischen Öffentlichkeit mobilisiert wird.

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Thomas Küchenmeister (52) ist Diplom-Politologe, Journalist und Autor und seit 1998 Leiter des Aktionsbündnisses Landmine.de. Er lebt in Berlin.