Vorläufige Biographie der Münchner Friedensrunde

Ein Kroatisch-Serbisch-Deutsches Friedensdreieck

von Nelly Limmer

Als es "losging" in Jugoslawien 1 im letzten Sommer, waren wir fassungs- und hilflos wie alle Friedenswilligen. So begannen wir am Münchner Marienplatz mit einer Mahnwache "Solidarität mit den Frauen in Jugoslawien". Die jugoslawischen Frauen waren die ersten, die aufschrien. Diese zur "Institution" gewordene Mahnwache ist heute noch, einmal wöchentlich. Und sie ist wichtig! Ist sie doch vor allem Forum für - kontroverse - Diskussion, für das Aussprechen und das Anhören ganz realer und auch psychosozialer Nöte, vor allem "hiesiger" Jugoslawen (1), für Ratsuchende (Deserteure, Flüchtlinge ...), für den Austausch neuester Nachrichten und Entwicklungen per Mundfunk und Papier. Jede Woche ist eine andere Münchner Friedensgruppe verantwortlicher Veranstalter: das Münchner Friedensbündnis, die Internationale Frauenliga, die Truderinger Frauen, die DFG/VK ...

Und bei all den Engagierten wuchs unter dem schrecklichen Druck der eskalierenden Kriegsgewalt die Kraft, mehr dagegen zu setzen als "nur" eine Mahnwache. In München wurde ein runder Tisch aufgestellt: eine Kroatisch-Serbisch-Deutsche Friedensrunde tagt und arbeitet seit 28.11.1991 regelmäßig mit Unterstützung des Pfarrers in den Räumen der Evangelischen Studentengemeinde.

Zunächst lag für die deutschen Gruppenmitglieder der Akzent ihres friedenspolitischen Tuns auf dem Zuhören einerseits, dem Ausnutzen von Kontakten für die Organisation humanitärer Hilfe andererseits. Bei den serbischen und kroatischen FriedensfreundInnen, übrigens erstaunlich viele Männer darunter, stand das "Politisieren" im weitesten Sinne im Vordergrund. Die nationale und persönliche Betroffenheit, die zum Teil erschütternden Einzelerfahrungen dieser brutalen militärischen Auseinandersetzung waren häufig so heftig, daß sie, wenn sie nicht verbalisiert würden, nur Lähmung verursachen würden. Auch galt es zu bedenken, daß die kroatischen und serbischen Mitglieder der Friedensrunde keine Erfahrung in Gruppenarbeit hatten, ihre Beteiligung manchmal auf Mißverständnis bis Mißbilligung bei den eigenen Landsleuten, ja sogar Fa-milienmitgliedern stieß.

Gemeinsam und einstimmig haben wir für diese Zusammenkünfte Regeln an die Tafel geschrieben:
1.    Was ich zu sagen weiß, ist immer subjektiv und relativ.
2.    Ich rede nicht über andere, sondern spreche von mir selbst.
3.    Ich höre zu und unterbreche nicht.
4.    Akustische oder begriffliche Verständnisfragen sind nach einem Redebeitrag möglich. Diskussion -- ein eigener Tagesordnungspunkt.

Mit großer Geduld und Sensibilität aller schafften wir es dann, als erstes Ergebnis dieser Friedensarbeit, ein gemeinsames "SOS aus Schutt und Asche" zu senden. Dieser von uns verbreitete, von vielen Personen des öffentlichen Lebens unterzeichnete Spendenaufruf für medi-zinische Soforthilfe und Unterstützung der Friedensgruppen in Kroatien, Serbien und anderen Republiken konnte dann auch am 21./22.12.91 in die Süddeutsche Zeitung gesetzt werden und erbrachte immerhin 50.000 DM, die unabhängigen Hilfsorganisationen zur Verfügung gestellt wurden.

Politisches Gewicht -- auch pressewirksames -- bekam der Aufruf durch unsere dreitägige Friedenskonferenz mit Frauendelegationen aus Zagreb und Belgrad "Schutzwall der Liebe" und "Antikriegszentrum" (Dez. 91). Zusammen mit diesen mutigen Frauen, für die es zu dem Zeitpunkt gefahrvoll und verrückt war, gegen Militär zu sein, demonstrierten wir, hatten ein turbulentes Pressegespräch bei und mit der dritten Bürgermeisterin der Landeshauptstadt München, einen ökumenischen Gottesdienst, Gruppentreffen, vor allem auch freundschaftliche Einzelkontakte -- wir knüpften und knüpfen an dem Friedensnetz. Wir festigen das Friedensdreieck mit den Eckpunkten Zagreb-Belgrad-München; alle Mitglieder sehen sich als Träger und Multiplikatoren von Friedens- und Versöhnungsansätzen.

In München ist die Kroatisch-Serbisch-Deutsche Friedensrunde so ein Dreieck en miniature. Um es zu stabilisieren, d.h. um unsere Beziehungen untereinander historisch-politisch mehr zu klären und freundschaftlich zu festigen, trafen wir uns Anfang März 1992 zu einem Wochenendseminar "Bausteine" am Starnberger See. Ebenso in den März fiel die kurzfristig zu organisierende Reise einer Delegation unserer Runde nach Belgrad bzw. Sjenica/Sandsak. Die Einladung kam von Friedensfreunden des Antikriegszentrums Belgrad, die sich unsere Begleitung wünschten bei einer Fahrt in den Sandsak zur Unterstützung der ganz jungen Friedensbewegung dort.

Auch in Serbien bilden sich Parteien. Im politischen Leben des Sandsak sind es drei: die SPD (Sozialistische Partei Serbien, Milosevic), die SPO (Serbische Partei der Erneuerung, Vuk Draskovic) und die SDA (Partei der demokratischen Aktion, Moslempartei). Als Bürgerkriegsfolge ist die Tendenz der Parteien steigend nationalistisch.

Und doch fährt auch auf dieser Reise nach Sjenica mit das Bild vom Friedensnetz: Mit großer Unterstützung von heute in Belgrad lebenden Bürgern aus Sjenica wird im Oktober 1991 in dieser Stadt die "Bewegung für Frieden und Eintracht" gegründet. Welch eine Namensverpflichtung und Hoffnung für eine außerparlamentarische, überparteiliche Friedensgruppe! In einer Region, in der die gute Hälfte der Bevölkerung Moslems (2), 31 % Serben und 15 % Montenegriner sind, mit ihrer jeweils auch eigenen Geschichte, ihren Verletzungen, Demütigungen. In einer Region, in der das Gespenst der Gewalt umherschleicht, in der sich aus diffuser Angst heraus jeder Bauer bewaffnet.

Ja, "Bewegung für Frieden und Eintracht" -- inzwischen sind nach dem Vorbild Sjenicas in mehreren Orten des Sandsaks Friedensgruppen entstanden; auch ein internationales Friedenscamp dort würde das Netz kräftigen, würde Hoffnung und Mut und Solidarität befördern.

Eine Ermutigung war es für uns, zu hören, daß trotz zum Teil schwierigster Kriegsbedingungen eine Kommunikation zwischen den kroatischen Friedensfrauen und dem serbischen Antikriegszentrum stattfindet, nicht nur über inhaftierte Deserteure, Gefangene und nicht nur, weil wir (und vermutlich etliche andere deutsche Friedensgruppen) beiden Teams Bürogeräte (Fax, Schreibmaschine, schnurloses Telefon, Beantworter, Kopierer ...) besorgen konnten, sondern vor allem weil kriegs- und grenzüberschreitend der Funke vom Aushebeln der Gewaltspirale, von An-sätzen zu Frieden und Versöhnung zu kleinen jugoslawischen Schwelfeuern wurde. Der Zagreber "Schutzwall der Liebe" war es, der uns einen serbischen, in Belgrad inhaftierten Deserteur ans Herz legte. Wir konnten ihm mit Hilfe der Belgrader Freunde einen guten Anwalt verschaffen, ihn mit Päckchen und Post (über die Eltern) moralisch stützen -- heute ist er frei! Übrigens werden wir demnächst einer Einladung aus Zagreb folgen.

Die Belgrader Frauen wiederum waren es, die unsere Friedens um Hilfe baten für die "vergessenen" Bergdörfer rund um Dubrovnik. 'Zwei Fahnen sind auf den Bergen über dieser Stadt gehißt, eine kroatische mit dem rotweißen Schachbrettmuster auf der einen, die alte jugoslawische mit dem roten Stern auf der anderen Seite'. In diesen kroatischen Dörfern mit auch ansässigen ser-bischen Kleinbauern herrscht die serbische Volksarmee. In Orten wie Srebeno, Mlini und Jupa sind mehr als die Kälfte der Einwohner Serben, sie leben noch heute mit Kroaten und Muslimen in Eintracht, aber diese Eintracht verhungert fast - es gibt kaum Lebensmittel, die Hilfe des Internationalen Roten Kreuz reicht keineswegs, kommt oft nicht., Manchmal gab die Armee Brot und Schokolade. Die Bewohner sagen 'Ohne die JNA hätte wir nicht überlebt; - absurde Welt-Krieg eben!' Soviel Hunger, soviel Verzweiflung, Mutlosigkeit, soviel sinnlose Zerstörung, Plünderung, soviel wechselseitiger Haß, soviel Angst vor Rache, doch auch überraschende individuelle Freundlichkeit, auch von einzelnen Soldaten - 'absurder Welt-Krieg eben` erlebte Heidi Hecht, eine der engagiertesten und mutigsten Frauen unserer Münchner Friedensrunde. Sie begleitete am 8. April einen von uns gepackten Lastwagen voll kostbarer Güter (haltbare Lebensmittel, Kerzen, Hygieneartikel, für 20.000 DM Saatgut -- Spende einer Firma ...) auf abenteuerliche Fahrt. Über den Landweg geht nichts, zuviele Militärsperren, Unwägbarkeiten, Gefahren, Durchfahrt verboten; umgeladen aufs Schiff mit der Rotkreuzfahne wird mit der Fracht Cavtat auf der Halbinsel an-gesteuert, Kontrollstation aller An- und Abreisenden. Unter Bewachung und Herzklopfen marschiert Heidi Hecht zum Kommandanten der JNA. Zum Gespräch mit ihm über den Passierschein in die kroatischen Dörfer zündet sie eine Osterkerze -- eine Friedenskerze an. Am Ende -- freie Fahrt überall hin! Auch zu den "Kollaborateuren", so werden die jetzt noch intakten serbisch-kroatisch-muslimischen Dorfgemeinschaften genannt. Es wundert wenig angesichts der Zerstörung, der Plünderung, der persönlichen und nationalen Verluste: wechselseitigen barbarischen Haß abzufackeln, den verstellten Blick zu klären, Not zu lindern, Lichter anzuzünden .. es wird noch vieler Fahrten und Begegnungen bedürfen.
"Das Elend und Grauen von Bomben und Tod jetzt in Bosnien-Herzegowina raubt mir vollends den Schlaf", sagte gestern jemand zu mir. Der Wahnsinn der Verwüstung und des Leid dieses Bruderkrieges sind maßlos. Die Münchner Friedensrunde wird nur sehr punktuell humanitäre Hilfe leisten können; vielleicht am besten in der Region, in der sie schon Hoffnungszeichen setzte. Wichtigste Aufgabe wird es weiterhin sein, mit Engagement und Solidarität dabei mitzuwirken, daß die Sendemasten des Friedensdreiecks Zagreb-Belgrad-München fester verankert werden. Sie werden Anschubkraft ausstrahlen für die Idee gewaltfreier Konfliktlösungen, Basis eines demokratisch-friedlichen Miteinanders aller Volksgruppen.

Nelly Limmer ist Mitinitiatorin des Kroatisch-Serbisch-Deutschen-Gesprächskreises

1.    Wo es nicht um einzelne Volksgruppen/Republiken geht, sage ich immer noch Jugoslawien / Jugoslawen, verstanden als Bewohner des ganzen Landes.
2.    Mit "..." gekennzeichnete Wörter sind zitiert aus Heide Hechts persönlichem Reisebericht, der am Wochenende 16./17.5. in der Beilage der Süddeutschen Zeitung erscheint. -- Heidi Hecht wird im Juni privat nach Trebinje fahren und Hilfsgüter dorthin bringen. Spenden erbeten auf Konto 834176 BLZ 702 501 50 Kreissparkasse München.

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