Ein „symbolischer Einsatz für Frankreich“?

von Otmar Steinbicker
(c) uwe_hiksch

Deutschland ist in einem zweiten, voraussichtlich lange andauernden Krieg angekommen. Der Deutsche Bundestag hat allen Warnungen zum Trotz den Einstieg in den Krieg in Syrien beschlossen, ohne die geringste Vorstellung davon zu haben, wie sich dieser Krieg entwickeln wird, möglicherweise eskaliert und wann und wie enden soll.

Begründet wurde die Beteiligung an dem Krieg in Syrien mit den schrecklichen Attentaten von Paris, bei denen mehr als 130 Menschen getötet wurden. Die Ermittlungen der Polizei ergaben: Alle identifizierten Attentäter stammten aus Frankreich oder Belgien, aus den bekannten radikalisierten Milieus in den tristen Vorstädten von Paris und Brüssel. Verbindungen zum IS dürfen vermutet werden. Vom mutmaßlichen Drahtzieher der Attentate gibt es Fotos, die ihn bewaffnet in Syrien zeigen. Von einem anderen Attentäter weiß man, dass er das Schießen in einem französischen Polizeisportverein lernte. Dass es einen direkten Attentatsauftrag aus der syrischen IS-Hochburg Raqqa gab, bleibt im Bereich der Vermutung, ein handfester Beweis fehlt bislang.

Ein Kriegseinsatz der Bundeswehr bedarf einer eindeutigen Ermächtigung der UNO, die es nicht gibt. Auch andere völkerrechtliche Aspekte wie die Beistandspflicht im Bündnisfall greifen in diesem Fall nicht. Daniel-Erasmus Khan, 54, Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität der Bundeswehr in München, als Völkerrechtler mehrfach vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag tätig, erklärte einen Tag vor der Bundestagsabstimmung in „Spiegel online“: „Ich habe jedenfalls erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Einsatzes.“ Seine zentrale Argumentation: „Streng genommen wurde Frankreich ganz überwiegend von Franzosen angegriffen - also gerade aus dem Inneren heraus, nicht vom Ausland. Wenn man es sehr überspitzt formulieren würde, müsste man sich fragen, warum die Franzosen nicht mit militärischen Mitteln in manchen der Pariser Banlieues intervenieren. Wir haben hier eben keine eindeutige, einem militärischen Angriff gleichzusetzende Aktion vom Gebiet des Staates Syrien gegen Frankreich. Das ist ein Fall für die Polizei und internationale Rechtshilfe, möglicherweise auch internationale Strafgerichte - ... aber nicht für einen Militärschlag.“ (1)

Doch nicht nur aus völkerrechtlicher Sicht gibt es Bedenken. Auch in der Bundeswehr gibt es offensichtlich starke Einwände. André Wüstner, der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands, sprach als erster vom „Krieg“ und nicht beschönigend von einem „Einsatz“. Er rechnet mit einer Dauer von mehr als zehn Jahren. Aus militärischer Sicht bemängelt er das Fehlen realistischer politischer wie militärischer Ziele und zieht den Vergleich zum anderen, seit 14 Jahren unter deutscher Beteiligung geführten Krieg: „In Afghanistan hat die Politik das über Jahre hinweg versäumt. Wenn wir ziellos umherirren, ist dieser Einsatz auf Dauer mit Sicherheit nicht zu verantworten.“ (2)

Die politischen Bedenken betrafen vor allem die Zielstellung für eine politische Lösung des Syrien-Krieges angesichts einer schwierigen Gemengelage aus unterschiedlichen syrischen Konfliktparteien vom Assad-Regime über die politische Opposition und die „Freie Syrische Armee“, die Al Kaida-nahe Al Nusra-Front bis hin zum IS, die unterstützt werden von den Regionalmächten Türkei, Iran und Saudi-Arabien. Diese wollten damit völlig gegensätzliche Eigeninteressen durchzusetzen versuchen und werden wiederum wie einzelne syrische Konfliktparteien von den Großmächten USA und Russland mit einander widersprechenden Interessen unterstützt.

In einer solch schwierigen Situation braucht es geeignete Vermittler, die von verschiedenen Seiten akzeptiert werden, die zuhören, schlichten und realistische Kompromisse entwickeln können. Der deutschen Diplomatie wurde zugetraut, bei einer solchen Vermittlung gemeinsam mit anderen eine Rolle zu spielen. Indem Deutschland ohne Not als kämpfende Konfliktpartei in diesen Krieg gezogen ist, wurden wichtige Chancen dafür mutwillig verspielt.

Diejenigen Abgeordneten des Bundestages, die für den Eintritt in den zweiten chaotischen Krieg gestimmt hatten, waren diesen juristischen, militärischen und politischen Argumenten nicht zugänglich, Wie schon bei der Problematik des Afghanistan-Krieges zogen sich zumindest einige von ihnen in Traumwelten zurück. „Ich habe einige Kolleginnen und Kollegen sagen hören, dies sei in erster Linie ein symbolischer Einsatz für Frankreich“, erklärte SPD-MdB Johann Saathoff im Rahmen seiner längeren Begründung für die Nichtzustimmung zum nächsten Kriegseinsatz. (3)
 

Anmerkungen

(1) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-einsatz-in-syrien-klage-vor-dem-bvg-haette-gute-chancen-a-1065895.html

(2) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/anti-is-einsatz-in-syrien-bundeswehrverband-warnt-vor-ueberlastung-a-1065582.html

(3) http://johann-saathoff.de/aktuell/nachrichten/2015/470843.php

Ausgabe

Rubrik

Im Blickpunkt

Themen

Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de