Syrien

Ein Trauerspiel in x Akten

von Christine Schweitzer

In dem Bürgerkrieg in Syrien sind bislang über 100.000 Menschen getötet und bis zu acht Millionen vertrieben worden; zwei Millionen dieser Vertriebenen halten sich als Flüchtlinge in völlig überlasteten Lagern in den Nachbarländern Syriens auf. Während über eine mögliche Militärintervention oder denVerzicht auf sie debattiert wird, geht dieser Krieg unverändert weiter.

Es waren weniger diese Zahlen, die die Bereitschaft einiger westlicher Staaten zu einem Militäreinsatz weckten, als der Einsatz von Giftgas in der Region Ghuta nahe Damaskus in der Nacht zum 21. August, bei dem zwischen 350 und 1.400 Menschen getötet und 3.600 verletzt wurden. (1) Was die Wahrheit bezüglich des Schuldigen für diesen Angriff ist, ist nicht bekannt. Man sollte sich genauso dafür hüten, den westlichen Indizienbeweisen blind Glauben zu schenken wie anzunehmen, dass die Rebellen für den Angriff verantwortlich zeichnen, denn dafür gibt es genauso wenige belastbare Beweise.

 

Akt 2: Erst schießen, dann fragen
Was danach folgte, hatte alle Elemente eines Politthrillers, der sich weiter fortsetzt, während dieses Friedensforum fertiggestellt wird. Zuerst sprach Obama zunächst lediglich von einer ‚gründlichen Prüfung der Vorwürfe und aller Optionen‘ (25.8.) (2), um dann einen Tag später durch seinen Außenminister mit martialischen Worten einen begrenzten Militärschlag ankündigen zu lassen.(3) Frankreich und Großbritannien schlossen sich an und erklärten sich bereit, mit den USA gemeinsam zu handeln, notfalls auch ohne eine Zustimmung des UN-Sicherheitsrates. (4)

 

Akt 3: Sich doch lieber absichern
Aber schnell wurden Zweifel laut – nicht nur die Friedensbewegungen in den USA und Europa - in den USA sind nach Meinungsumfragen 59% der Bevölkerung gegen einen Militärschlag (5) -, sondern auch Medien, Stimmen aus dem Militär selbst und politische BeobachterInnen fragten nach Sinn und Zweck eines solchen Eingreifens und sprachen von schlecht berechenbaren Konsequenzen. Selbst Think Tanks wie die International Crisis Group, die in der Vergangenheit durchaus auch militärische Optionen in verschiedenen Krisen empfahl, warnten vor einem Militärschlag. Er sei gefährlich und kaum im Interesse des syrischen Volkes. (6)

Die konzertierte Kritik zeigte Wirkung: Zuerst erklärte der britische Premier Cameron, dass er nur mit Zustimmung des Parlaments handeln wolle, und dann kündigte Obama an, dass er auch die Zustimmung der beiden Kammern seines Parlaments (Kongress und Senat) einholen wolle. Die Abstimmung im britischen Unterhaus ging für Cameron Ende August schlecht aus: die Mehrheit stimmte am 29.8. gegen einen Militäreinsatz. Eine verbale Unterstützung der amerikanischen Position durch die EU-Staaten auf dem G 20 Gipfel in St. Petersburg und dem nachfolgenden EU-Gipfel in Vilnius konnte nichts daran ändern, dass es schwierig wurde, ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates eine „Koalition der Willigen“ zu schmieden. Und auch Obamas Chancen, im Kongress eine Mehrheit zu gewinnen, standen nicht gut. Nach Meldungen vom 9. September hatte Obama dort nur 30 der 435 Abgeordneten hinter sich. (7)

 

Akt 4: Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann
Es war in dieser Situation, dass Präsident Putin eine Äußerung aufgriff, die Außenminister Kerry bei einer Pressekonferenz gemacht hatte. Er verkündete eine Initiative mit dem Ziel, die Chemiewaffen Syriens unter internationale Kontrolle der UN stellen und schließlich vernichten zu wollen. Aus den USA hieß es, dies sei angeblich mit Obama am Rande des G 20 Gipfels abgesprochen worden – ob das so stimmt, muss dahingestellt bleiben. Assad erklärte sich am nächsten Tag mit dem Vorschlag einverstanden, gab dabei erstmalig zu, Chemiewaffen zu besitzen, und beantragte zwei Tage später Syriens Beitritt zur internationalen Chemiewaffenkonvention. Plötzlich schien die Situation grundlegend verändert. Die bis dahin völlig auf das Nebengleis geschobene UNO (deren Bericht der Chemiewaffeninspektoren die USA nicht hatten abwarten wollen) trat plötzlich wieder in den Vordergrund. Eine UN-Sicherheitsratsresolution sollte den russischen Vorschlag aufgreifen und den Weg zu seiner Umsetzung freimachen. Allerdings stellte sich praktisch augenblicklich heraus, dass die unterschiedlichen Vorstellungen Russlands und der USA in Bezug auf die Androhung eines Militärschlages aber weiter bestehen blieben und eine französische Resolution, die vorsah, für den Fall der Nichtkooperation Syriens Kapitel VII der UN-Charta anzurufen, nicht konsensfähig war. Eine für den 10.9. vorgesehene Sitzung des UN-Sicherheitsrates wurde deshalb abgesagt.

Am gleichen Tag verkündete Obama in einer mit Spannung erwarteten nur viertelstündigen Ansprache an die Nation, dass er vorerst von einem Militärschlag gegen den Irak absehen werde, und bat den Kongress, eine Abstimmung aufzuschieben. Seine Drohung mit einem Schlag hob er aber nicht auf. Aber es werde ‚“keine Aktion mit offenem Ende wie in Irak oder Afghanistan, noch ein längerer Luftkrieg wie in Libyen oder Kosovo sein. Dies würde ein gezielter Schlag werden, um ein klares Ziel zu erreichen: von dem Einsatz chemischer Waffen abzuschrecken und Assads Fähigkeiten zu reduzieren“. (8) Mit anderen Worten: von dem 60-tägigen Angriff aus der Luft, für den der Auswärtige Ausschuss des Senats sich zwischenzeitlich ausgesprochen hatte (9), war nicht mehr die Rede.

Am Donnerstag, den 12.9., flog Außenminister Kerry nach Genf, um seinen Amtskollegen Lawrow zu treffen. Während dieses Friedensforum in den Druck geht, wird noch verhandelt. Bei den Vereinten Nationen ist inzwischen ein Antrag Syriens auf Beitritt zur internationalen Chemiewaffenkonvention eingegangen. Nach der Aufnahme hätte Syrien 30 Tage Zeit, um seine Bestände an Chemiewaffen offenzulegen.

 

Bewertung
Beinahe unabhängig davon, was weiter passiert: Es hat schon lange keinen Plan einer Militärintervention gegeben, der auf so viel Widerstand gestoßen wäre, dass er zumindest aufgeschoben, vielleicht sogar aufgehoben wurde. Es war der Widerstand quer durch alle Lager, von Friedensbewegung bis zum Militär, von Linken bis zu Rechten, der Wirkung entfaltet hat.

Allerdings lagen dem Zögern der westlichen Alliierten keine pazifistischen Motivationen zugrunde – es war kein grundsätzliches „Vorrang für zivil“. Sondern hinter der Ablehnung des Militärschlages auf westlicher Seite stand eher das Fehlen einer klaren Strategie einerseits und die Sorge, dass ein Eingreifen in den Bürgerkrieg auf Seiten der bewaffneten Opposition ein Eingreifen zugunsten derer sein könnte, die man im von den USA ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“ bekämpft, andererseits.

Der Kampf um die Deutungshoheit dessen, was geschehen ist, hat schon begonnen. Es zeichnet sich schon jetzt ab, wie das, was gerade geschah, einmal im Mainstream der Medien und Politikwissenschaft beschrieben werden wird, sofern es Erfolg hat: Nämlich als ein neuer Sieg der „sticks and carrots“- Politik, einer Politik, die durch die glaubhafte Drohung mit Gewalt einen unwilligen Diktator zum Einlenken bewegt. Noch wissen wir, dass es kein durchdachter Plan war, der zu dem sich abzeichnenden Durchbruch geführt hat, sondern diplomatischen Lavieren und fehlende Unterstützung auf Seiten der Bevölkerung und der Eliten.

Noch sind sich die meinungsbildenden Medien in dieser Hinsicht nicht einig. Viele greifen Obama für dessen „Führungsschwäche“ an und werfen ihm Planungslosigkeit vor. Aber wieso ist es „Schwäche“, wenn ein Präsident auf seine BeraterInnen hört, wenn er das Parlament befragt? Sind das nicht Kernelemente einer Demokratie, nämlich dass die Politik auf ihr Volk hört? Insofern gilt es, bei aller Kritik an dem Vorgehen der Supermacht, doch auch froh zu sein, dass letztlich nicht der Logik des „Erst schießen, dann reden“ gefolgt worden ist.

 

Die Gefahr eines Militärschlags ist nicht vorbei
Es ist im Moment noch nicht absehbar, was am Ende passieren wird. Sofern die russische Initiative Erfolg hat, sie dürfte sie ein „Fenster der Möglichkeit“ öffnen, das vielleicht auch die Chance für Verhandlungen über die Beendigung des Krieges bietet. Es ist aber auch möglich, dass dieses Fenster sich wieder schließt, ohne genutzt worden zu sein. Jede der Parteien hat dabei einen Schwarzen Peter in der Hand – wenn die Opposition weiterhin nicht bereit ist, mit VertreterInnen des Regimes zu verhandeln, wäre sie genauso für die Fortsetzung des Krieges verantwortlich als wenn Assad sich als nicht gesprächsbereit zeigen sollte.

Und es ist auch möglich, dass alles scheitert und es doch zu einem Militärschlag der USA und einer neu zu schmiedenden Koalition der Willigen kommt, obwohl dieser nur noch mehr Tote und Vertriebene verursachen würde, und aller Warnungen zum Trotz vor der Gefahren, die ein solches Vorgehen in sich birgt. Deshalb gilt es, auch als Friedensbewegung weiter wachsam zu sein und die weiteren Entwicklungen aufmerksam zu beobachten. In vielen Orten rufen Friedensgruppen bei Beginn von Bombardements zu spontanen Demonstrationen in den Innenstädten aufrufen (meist um 17 oder 18 Uhr).

Wir sollten dabei eines auch nicht vergessen: Der Krieg in Syrien hat 2011 begonnen, nicht mit der Drohung einer westlichen Militärintervention. Es ist verständlich, wenn SyrerInnen bittere Kommentare darüber abgeben, dass die internationale Aufmerksamkeit erst geweckt wurde, als es zu dem Giftgaseinsatz kam. (10)

Die Friedensbewegung ist sich einig in ihrer Ablehnung einer Militärintervention und in der Forderung nach einem Ende des Krieges in Syrien. Die schon lange geplante Syrienkonferenz, die VertreterInnen des Regimes und der Opposition zusammenbringen würde, ein Waffenstillstand, die Unterstützung der Flüchtlinge und Vertriebenen, die Gleichbehandlung von AsylbewerberInnen aus Syrien mit den in Deutschland aufgenommenen „Kontingentflüchtlingen“, ein komplettes Waffenembargo und die Verweigerung jeder auch indirekten Unterstützung des Krieges durch Deutschland gehören zu den vielfach formulierten Forderungen. (11)

 

Anmerkungen
1 Die Zahlen sind unklar. So sprach Großbritannien von „mindestens 360 ZivilistInnen“ und nur die USA behaupten, jedes einzelne Opfer gezählt zu haben: Exakt 1.429 Tote, davon „mindestens 426 Kinder“ (http://www.whitehouse.gov/the-press-office/2013/08/30/government-assessment-syrian-government-s-use-chemical-weapons-august-21). Zur Zahl der Verletzten: http://www.msf.org/article/syria-thousands-suffering-neurotoxic-symptoms-treated-hospitals-supported-msf. Das Weiße Haus nennt dieselbe Zahl.

2 Tagesschau, 25.8.2013.

3 http://www.washingtonpost.com/world/national-security/kerry-obama-determined-to-hold-syria-accountable-for-using-chemical-weapons/2013/08/26/599450c2-0e70-11e3-8cdd-bcdc09410972_print.html

4 http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-23795088?print=true

5 International Herald Tribune 5.9.2013, S. 5 (President says the world set a ‘red line’)

6 INTERNATIONAL CRISIS GROUP - Syria Statement. 2.9.13

7 Ebner, Karoline (2013) Präsident in der Zwickmühle, tagesschau 9.9.2013, http://www.tagesschau.de/ausland/syrien3108.html

8 Die Rede kann nachgelesen werden unter:  http://www.washingtonpost.com/politics/running-transcript-president-obamas-sept-10-speech-on-syria/2013/09/10/a8826aa6-1a2e-11e3-8685-5021e0c41964_story.html. Übersetzung: CS

9 International Herald Tribune  5.9.13 a.a.O.

10 Siehe verschiedene Kommentare, Blogs und Artikel auf Al Jazeera, zum Beispiel: http://www.aljazeera.com/programmes/insidestory/2013/09/20139105. Auch: http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-24037091?print=true vom 10.9.13

11 Eine Zusammenstellung verschiedener Aufrufe findet sich auf www.friedenskooperative.de.

Ausgabe

Rubrik

Im Blickpunkt

Themen

Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.