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Rückkehr nach Bosnien und Herzegowina
Ein Zwischenbericht - sechs Monate nach Dayton
vonIm Juni 96 werden noch immer Menschen in Bosnien und Herzegowina gewaltsam vertrieben oder zur Flucht gezwungen. So vertreiben etwa bosnische Serben in Teslic beinahe täglich mehrere muslimische Familien aus ihren Häusern und Wohnungen über die nahe gelegene Linie, die die "Serbische Republik" von der muslimisch-kroatischen Föderation trennt. "Den Krieg überleben" (DKÜ) wird nach wie vor von im Gebiet der "serbischen Republik" verbliebenen bosnischen Muslimen oder Kroaten um Fluchthilfe gebeten. Flucht und Vertreibung haben in Bosnien nicht aufgehört, seit aus der ehemaligen Front eine innerbosnische Grenze wurde. Doch immerhin sind die Zahlen seit Dayton deutlich zurückgegangen: DKÜ hat zwischen Januar und Juni 96 gerade noch 137 Menschen zur Flucht nach Schweden, Kanada, USA, Norwegen, Finnland und Dänemark verholfen, während des Krieges waren es im selben Zeitraum etwa 1.000 bis 1.500 Flüchtlinge.
Seit August 95 hilft unsere kleine Organisation auch Flüchtlingen bei ihrer Rückkehr nach Bosnien. Als Reaktion auf die kroatische Rückeroberung der Krajina die bosnischen Serben die letzte Massenvertreibung vor dem Waffenstillstand organisierten, wurden wir von in unserem Transitzentrum "Dom Lonja" in Ivanic Grad (Kroatien) eintreffenden Flüchtlingen gebeten, sie so schnell wie irgend möglich in das Gebiet der muslimisch-kroatischen Föderation zu bringen. Immerhin 90 Flüchtlinge kehrten noch vor Dayton aus Kroatien nach Bosnien zurück. Nicht in das eigene Haus, das eigene Dorf, aber immerhin in das eigene Land, zurück zu Angehörigen und Nachbarn, die vor ihnen vertrieben worden waren.
Mittlerweile sind mit unserer Hilfe mehr als 500 Flüchtlinge nach Bosnien zurückgekehrt, und Hunderte warten darauf, endlich in einen unserer drei Kleinbusse steigen zu dürfen, die ein- bis zweimal wöchentlich in das Gebiet der muslimisch-kroatischen Föderation fahren. "Unsere" Rückkehrer kommen allerdings (noch) nicht aus Deutschland (bislang gerade mal 22 Personen) sondern aus Ungarn, wo durch den Wegfall der temporären Schutzgewährung in den westlichen Nachbarländern (vor allem Deutschland, Osterreich, Schweiz), der bescheidenen Hilfe durch den Staat und der beschämenden Bezahlung auf dem schwarzen ungarischen Arbeitsmarkt (10 DM für 14-stündigen Arbeitstag) die Entscheidung, nach Bosnien zurückzukehren, viel leichter fällt als hierzulande.
Weil DKÜ seit September 95 Woche für Woche Flüchtlinge aus Kroatien nach Bosnien brachte, wurden wir im Januar 96 von vielen älteren Menschen in Bosanski Petrovac (ehemals serbisches Städtchen, aus dem nach der Einnahme durch die bosnische Regierungsarmee nur sechs (!) Serb(inn)en nicht flohen und in das innerhalb von wenigen Tagen im September 96 mehr als 2.000 muslimische Vertriebene aus Prnjavor gebracht worden waren) gebeten, ihren nach Ungarn geflohenen Töchtern und Söhnen zu helfen, zu ihnen nach Petrovac zu kommen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und IOM hatten bereits im November 95 in den ungarischen Flüchthlingslagern Rückkehrwillige registriert und zudem baldige Rückkehr in Aussicht gestellt. Die bosnische Regierung in Sarajevo verzögerte die Erteilung der notwendigen Genehmigungen und beschuldigte im selben Atemzug die kroatische Regierung in Zagreb, die Transitgenehmigung nicht zu erteilen. Nach mehr als fünf Monaten genehmigte Sarajevo die Rückkehr der ersten und bislang einzigen Gruppe von 56 Flüchtlingen.
DKÜ verzichtete von Anfang an auf den Umweg Sarajevo, stattdessen "sanfte Rückkehr", kleine Gruppen, Kooperation mit bosnischen Behörden nur auf lokaler Ebene.
Grundlage für die Rückkehr nach Bosnien-Herzegowina über DKÜ sind zwei (!) Dokumente:
1. Eine Bestätigung der Aufnahme,. ausgestellt von der zuständigen Stelle im "Opcina" (das Gegenstück zur deutschen "Vorabzustimmung")
2. Eine Erklärung der/des Rückkehrer/in/s über die Freiwilligkeit der Rückkehr, auf der zudem die lokale Ausländerbehörde des Gastlandes die Identität bestätigt.
Die "Bestätigung der Aufnahme" besorgen in der Regel Angehörige oder Freunde in Bosnien, die auch die Unterkunft (zumindest für die erste Zeit) bereitstellen oder anmieten. Bei "Problemen" mit den lokalen Behörden (tatsächliche Überbelegung oder schlichte bürokratische Ignoranz) springt DKÜ ein (fast jeder Behördenvertreter in Bosnien hat selbst Flüchtlinge in der Familie, die heute oder morgen zurück wollen oder müssen). Die Verpflegung und Versorgung der Rückkehrer erfolgt über die kommunalen Verteilungsstellen der humanitären Hilfe (eine vierköpfige Familie braucht allerdings zum Überleben noch zusätzlich etwa 400 DM monatlich!).
Rückkehrer aus Kroatien und Ungarn erhalten von DKÜ eine "Reisehilfe", die von UNHCR refundiert wird (300 kroatischen Kuna für Erwachsene, 150 für Minderjährige, bzw. 80 DM für Erwachsene, 40 DM für Minderjährige aus Ungarn - die ungarische Regierung beteiligt sich mit dem Gegenwert von 70 DM/35 DM in ungarischen Forint. Von den ungarischen Maltesern erhalten "unsere" Rückkehrer pro Kopf ein durchaus brauchbares Lebensmittelpaket.
Besondere Probleme bei der "Rückreise" bestehen nicht oder hat es zumindest bislang nicht gegeben: Das kroatische Flüchtlingsbüro erteilt innerhalb von 24 Stunden die Transitgenehmigung, Die ansonsten übliche Unterscheidung nach im Pass eingetragenen Wohnort im Gebiet der Föderation bzw. im Gebiet der "serbischen Republik" ist bei unserem "Verfahren" nichtig. Als "organisierte Rückkehr" durchfahren unsere Gruppen Kroatien mit Polizeieskorte (die Regierungen in Sarajevo und Zagreb haben sich darüber verständigt, ohne Untergrenzen festzulegen, auch nur drei Rückkehrer bekommen ihre eigene Eskorte, - kostenlos und zeitraubend, weil die Polizeifahrzeuge an den Grenzen der Verwaltungsbezirke gewechselt werden).
Und: Die zu benutzenden Grenzübergänge wurden von den kroatischen Behörden rigid festgelegt, unter Hinweis auf anstehenden Tourismus. Rückkehrer aus Deutschland und Österreich haben bei Jurovski Brod (auf der slowenischen Seite:Metlika) einzureisen und bei Licko Petrovo Selo (auf der bosnischen Seite: Izacic bei Bihac) wieder auszureisen, unabhängig davon, in welchen Teil Bosniens die Reise geht. Rückkehrer aus Ungarn müssen bei Donji Miholjac (auf der ungarischen Seite: Dravaszabolcs) einreisen und bei Zupanja (auf der bosnischen Seite: Orasje) wieder ausreisen.
Riesige Umwege auf schlechten, zum Teil völlig überlasteten Straßen. Seit die Spannungen zwischen "serbischer Republik" und Föderation und innerhalb der Föderation selbst wieder zugenommen haben, gibt es wieder zahlreiche "Verkehrskontrollen" (Anfang Juni zwischen Bihac und Sarajevo mehr als 20 Kontrollstellen lokaler Uniformierter, die mit Vorliebe die Insassen von Fahrzeugen der jeweils anderen "Seite" schikanieren). Genau dort, wo vor Dayton muslimische, kroatische oder serbische Soldaten mit Maschinenpistolen standen, - an Ortsein- und -ausfahrten und an der Frontlinie, stehen sechs Monate nach Dayton muslimische, kroatische oder serbische Polizisten mit Maschinenpistolen. Sogenannte "Zwischenfälle" häufen sich und führen zu weiteren "Zwischenfällen". So geriet Anfang Juni ein Fahrzeug mit bosnischem Kennzeichen auf dem Weg von Zavidovici nach Zenica in Zepce in eine Verkehrskontrolle, der Fahrer landete mit Kopfschuß in der Intensivstation. Sein Vergehen: Er konnte keine kroatischen Fahrzeugpapiere vorweisen! Unsere Konvois (ausschließlich Fahrzeuge mit UNHCR Kennzeichen) werden - noch - von allen drei Parteien durchgewunken.
Die meisten unserer bisherigen Rückkehrer sind bosnische Muslime aus dem Gebiet der "serbischen Republik" und hoffen über den "Umweg Föderation" doch noch nach Hause zu kommen. Die wenigen, die in das eigene Dorf zurück kehren können, enden zunächst ebenfalls in ehemaligen "serbischen" Häusern., weil das eigene Haus zerstört oder zumindest unbewohnbar ist. Zur "ethnischen Durchmischung" in Richtung Vorkriegsbosniens kann DKÜ mit der Rückkehrhilfe fast nichts beitragen: Bislang ein paar Serben und Kroaten in muslimische Gemeinden in Zentralbosnien, eine einzige muslimische Familie in eine kroatische Gemeinde, eine einzige muslimische Familie - über Umwege - zurück in das eigene Haus im Gebiet der bosnischen Serben.
Rückkehrer nach Bosnien stehen unter großem Zeitdruck. Schon heute wird innerhalb der eigenen Gemeinde zwischen Ortsansässigen, Vertriebenen und zurückgekehrten Flüchtlingen rigoros unterschieden. Unterkünfte und Arbeitsplätze sind rar und können von den Angehörigen nur eine begrenzte Zeit lang frei gehalten werden.
Das Leben im Nachkriegsbosnien (Vorkriegsbosnien?) ist hart. Besonders hart auch deshalb, weil der Krieg die Menschen und die Gesellschaft verändert hat. Krasse soziale Unterschiede in räumlicher Enge, maximal 10 bis 30% haben Arbeit, Löhne beginnen bei 50 DM. Dennoch sind die große Mehrheit "unserer" Rückkehrer auch noch Monate nach ihrer Rückkehr der Meinung, die richtige Wahl getroffen zu haben.
Doch für eine massenweise Rückkehr fehlt es in Bosnien und Herzegowina an jeglichen Voraussetzungen.