6x jährlich informiert unsere Zeitschrift, das FriedensForum, über Aktionen und Kampagnen der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeexemplar zu.
Eine dramatische Wende im türkisch-kurdischen Konflikt
von
Den Friedenswillen der Kurden anerkennen und ermutigen!
In den frühen August-Tagen des Jahres 1999 hat sich eine spektakuläre und dramatische Veränderung in dem schon 15 Jahre dauernden bewaffneten Konflikt zwischen der kurdischen PKK-Guerilla und Ankara ergeben. Der zum Tode verurteilte Führer der PKK Abdullah Öcalan hat am 2. August in einer Stellungnahme aus dem Gefängnis auf Imrali seine Partei und die Guerilla aufgerufen, den bewaffneten Kampf einseitig zum 1.9.99 zu beenden. Alle bewaffneten Kräfte sollen sich auf Territorien außerhalb der türkischen Staatsgrenzen zurückziehen. Öcalan begründet seine Entscheidung so: Die Umstände des bewaffneten Konflikts und der Gewalt in der Türkei bedeuten ein Hindernis für die Menschenrechte und die demokratische Entwicklung.
Inzwischen haben der Präsidialrat der PKK wie auch die Kommandostrukturen der Guerilla dem Aufruf zugestimmt und wollen ihn befolgen. Der Ausweitung von Attentaten in der Türkei ist mit diesen Beschlüssen eine Absage erteilt worden.
Das Bedeutsame dieser Entscheidung liegt darin, dass eine Konfliktpartei, die kurdische, sich unilateral zur Beendigung des gewaltsamen Austrags entschlossen hat, ohne die Durchführung dieses Beschlusses an bestimmte Zugeständnisse, Versprechen oder Verhaltensweisen der türkischen Regierung zu knüpfen. Sie nimmt Ankara einfach den Krieg weg und entfesselt eine politische Diskussion in der Gesellschaft, die viele Tabus durchbricht. Dies ist ein gewaltiger Schritt in Richtung auf eine Transformation des Konflikts im Sinne ziviler, politischer Konfliktbearbeitung. Die kurdische Seite setzt zivile Konfliktbearbeitung auf die Tagesordnung.
Nicht beendet sind damit selbstverständlich die Probleme und Konfliktbereiche zwischen Ankara und der kurdischen Bevölkerung. Es stellt sich die Frage, wie wird die Konfliktbearbeitung weitergehen? Wird es einen Dialog geben oder wird sich Ankara als kompromissloser Sieger aufspielen und weiter davon sprechen, dass es keine Kurdenfrage gäbe? Die gegenwärtigen Signale sind unterschiedlich, womit sich möglicherweise ein internes Ringen in der Türkei um eine Neuorientierung der Politik in der Kurdenfrage anzeigt.
Da wird ein Amnestiegesetz eingebracht, dass im wesentlichen Kriminelle begünstigt, nicht aber diejenigen, die sich in der Öffentlichkeit für den Frieden im Lande eingesetzt haben und das auch der Guerilla keine Rückkehr in ihr Land gestattet. Allerdings ist Präsident Demirel, der immer wiederholt, es gäbe keine Kurdenfrage, bislang nicht bereit, es zu unterschreiben. Die Guerilla soll nur amnestiert werden, wenn sie nicht gegen die türkische Armee gekämpft habe. Absurd!
Gegen die sich aus der Türkei zurückziehende Guerilla richtet die türkische Armee weiter Attacken und betreibt sogar neue Invasionen in den Nordirak, so als wolle sie jede Provokationsmöglichkeit nutzen, damit der Krieg nicht aufhört. Es ist wie "Krieg dem Frieden".
Zur gleichen Zeit aber kritisiert der Präsident des türkischen Appellationsgerichts, Sami Secuk, in einer feierlichen Ansprache vor der politischen Elite des Landes das politische System der Türkei und argumentiert für eine Neugründung der Republik auf einer genuin demokratischen, pluralistischen und säkularen Basis. Die Rede findet in der Öffentlichkeit große Beachtung. Trotz aller nationalistischen Stimmung wird ein Lied, das um Frieden mit den Kurden wirbt, zum Hit in der Türkei. Es wird auf beiden Seiten der "Front" gesungen. In Diyarbakir unterzeichnen 223 NROs: Berufsverbände, politische Parteien, Menschenrechtsgruppen bis Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Handelskammern in den 19 Provinzen der kurdischen Gebiete eine Deklaration zu Demokratie und Frieden.
Politk von USA und EU
Die USA verbinden zwar mit ihrem Verhalten gegenüber der Türkei weitreichende geopolitische, militärische und wirtschaftliche Interessen, die sich ganz wesentlich auf Energievorkommen im und um das Kaspische Meer beziehen. Trotzdem scheinen auch die USA an einer inneren Befriedung der Türkei mehr und mehr interessiert zu sein. Ein Beispiel unter mehreren: In einer Rede am 6. Mai 99 vor dem "American Turkish Council" nannte der US-Botschafter in der Türkei, Mark Parris, u.a. drei Aufgabenbereiche für die Zukunft der Türkei, die in vielem an die Forderungen erinnern, die auch von der EU unter dem Stichwort "Hausaufgaben" erhoben werden. Ich schließe nicht aus, dass Washington im Sinne der Förderung einer gesellschaftlichen Stabilisierung in der Türkei auf eine nun auch politische Lösung der Kurdenfrage drängen wird. - Die EU überdenkt ihre Haltung zum Türkei-Beitritt und wird voraussichtlich das Beitrittsverfahren mit einer Agenda für Demokratisierung und Frieden verbinden.
In der türkisch-kurdischen Auseinandersetzung stehen wir also vor einer ganz neuen Situation, in der der Vorwurf des Separatismus und des Terrorismus nicht mehr erhoben werden kann. Mit Spannung werden die Kurden und die internationale Öffentlichkeit die Reaktion und das Verhalten Ankaras in dieser neuen Situation analysieren. Ein wichtiges Indiz dürfte sein, wie Ankara mit dem zum Tode verurteilten Öcalan umgehen wird. Vollstreckt die Türkei das Urteil, so würde sie damit demonstrieren, dass sie nicht bereit ist, sich auf die Angebote der kurdischen Seite für eine friedliche politische Lösung einzulassen. Dies wäre auch eine Absage an alle internationalen Aufforderungen.
Weitere Prüfsteine für die zukünftige türkische Politik
gegenüber ihrer kurdischen Bevölkerung: Da ist zunächst die Notwendigkeit einer Amnestie, die auch die politischen Gefangenen mit einbezieht und der Guerilla Rückkehrmöglichkeiten eröffnen muss. Ferner muss das bisherige Tabu fallen, die Friedens- und Kurdenfrage öffentlich behandeln zu dürfen. Ein weiterer Indikator sind die Aufhebung des Ausnahmezustandes für alle Provinzen und die Auflösung des Dorfschützersystems als wichtige Voraussetzungen für eine Versöhnung der Bevölkerung und der zivilen Verantwortlichkeit für die Kommunen und Provinzen. Unabdingbar ist die Möglichkeit und Unterstützung der rückkehrbereiten Menschen, die ihre Dörfer während der Kämpfe verlassen mussten. Welche reale Förderung wird die kurdische Region der Türkei erhalten, die bislang volkswirtschaftlich viel zu der allgemeinen Entwicklung in der Türkei beigetragen, aber davon nicht viel für ihre eigene Entwicklung zurückerhalten hat? Der wichtigste Prüfstein wird aber sein, ob endlich die kurdische Identität mit allen Folgen anerkannt wird.
Ergeift doch endlich die Friedenshand der Kurden!
Von der rot-grünen Regierung wird die neue Situation bisher noch nicht in eine friedensfördernde Politik umgesetzt. Wir müssen deshalb mit aller Kraft die Politik bewegen, endlich den enormen Fortschritt und die große Friedenschance in der neuen Situation der Türkei zu begreifen. Ihr Beitrag müsste sein, die Kurden und Türken in Deutschland zum Dialog heranzuziehen und nicht länger "Terroristenbekämpfung" zu betreiben. Dabei gilt es, die kurdischen Organisationen einschließlich der PKK zu ermutigen, auf dem jetzt gewählten Weg des politisch-zivilen Konfliktaustrages weiter voranzuschreiten. In diesem Sinne bitte ich alle Gruppierungen - Gewerkschaften, Friedensbewegung, Kirchen, Wissenschaft und Parteien - förderlichen Druck auf die Bundesregierung und die EU-Staaten auszuüben. Die Kurden bieten Frieden und zivilen Konfliktaustrag an, wer ihre Friedenshand nicht ergreift oder gar ausschlägt, macht sich unglaubwürdig und schuldig.