Die wirtschaftlichen Kosten der deutschen Beteiligung am Krieg in Afghanistan

„Eine erste Schätzung“

von Prof. Dr. Tilman BrückDr. Olaf de Groot Prof. Dr. Dr. h.c.mult. Friedrich Schneider

Die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich seit 2001 an dem von den USA geführten Krieg in Afghanistan. Seit dem Zeitpunkt der Invasion wird eine lebhafte Debatte über den Nutzen des Krieges für Deutschland geführt. Die Kosten der Entscheidung für den Krieg finden jedoch kaum Eingang in die öffentliche Diskussion. Das Ziel des vorliegenden Berichts ist es, diese Lücke zu füllen. Zu diesem Zweck haben wir eine volkswirtschaftliche Gesamtkostenrechnung aufgestellt. In dieser werden in drei verschiedenen Szenarien sowohl die bisherigen als auch die zukünftigen Gesamtkosten der Beteiligung am Krieg in Afghanistan geschätzt. In einem realistischen Szenario schätzen wir die Gesamtkosten der deutschen Beteiligung auf 26 bis 47 Milliarden Euro. Sollte sich Deutschland dazu verpflichten, das Engagement in Afghanistan auszuweiten und mit stärkerem Widerstand konfrontiert werden, stiegen die Kosten erheblich an. Falls sich Deutschland hingegen 2011 aus Afghanistan zurückzieht, belaufen sich die Gesamtkosten der deutschen Beteiligung am Afghanistankrieg auf 18 bis 33 Milliarden Euro. Unseren Schätzungen zufolge kostet jedes weitere Jahr, in dem Deutschland am Einsatz in Afghanistan teilnimmt, zusätzliche 2,5 bis 3 Milliarden Euro. Dies steht im Widerspruch zum offiziellen Kriegsbudget, das für das Jahr 2010 1.059 Millionen Euro beträgt.

Eine aufgeklärte öffentliche Debatte darüber, ob der politische Nutzen des Krieges den hohen Preis rechtfertigt, kann nur dann entstehen, wenn die Kosten eines Krieges offengelegt werden. Wir wollen mit dieser Studie zumindest für Transparenz auf der einen Seite dieser Gleichung sorgen. Zu diesem Zweck haben wir die bisherigen sowie die zukünftigen Gesamtkosten der Beteiligung Deutschlands am Krieg in Afghanistan geschätzt.(1) Dabei haben wir verschiedene mögliche Szenarien bezüglich Dauer und Intensität der deutschen Beteiligung am Krieg in Afghanistan berücksichtigt. Es ist darauf hinzuweisen, dass wir nicht die für Deutschland anfallenden Kosten des Krieges an sich berechnen, zumal es wahrscheinlich ist, dass der Krieg auch ohne die Beteiligung Deutschlands stattgefunden hätte. Stattdessen ist es das Ziel dieser Studie, eine Schätzung der zusätzlichen Kosten für Deutschland aufgrund der Beteiligung am Krieg vorzunehmen. Vielmehr noch werden wir zeigen, dass die Gesamtkosten des Krieges noch immer weit über den offiziellen von der Bundesregierung herausgegebenen Zahlen zu den staatlichen Ausgaben liegen.

Die Ausgaben im Einzelnen
Die von uns einbezogenen Kosten werden im Rah­men von vier unterschiedlichen Kategorien behandelt. Zunächst sind dies alle Kosten, die auf das Verteidigungsministerium entfallen. Das sind zum einen die Kosten des Konflikts, welche im Rahmen des jährlichen Antrags der Bundesregierung bezüglich der im Haushalt eingeplanten Kriegsausgaben veröffentlicht werden. In diesem Punkt besteht jedoch eine Diskrepanz zwischen dem vom Ministerium geplanten und ausgewiesenen Budget und den tatsächlichen Ausgaben für den Krieg in Afghanistan. Für das Jahr 2009 wurde das Budget um ungefähr 25 Prozent überstiegen.(2) Mangels anderer Datenquellen gehen wir davon aus, dass die tatsächlichen Ausgaben in anderen Jahren ebenfalls ungefähr 25 Prozent über den vom Ministerium veröffentlichten Zahlen lagen.

Zusätzlich zu diesen vom Verteidigungsministerium ausgewiesenen Kosten für den Krieg in Afghanistan fallen auch Kosten unterschiedlicher Art an, die das Ministerium nicht mit einbezieht, die aber dennoch Teil der Kriegskosten sind. Dies sind unter anderem der Sold der Soldaten, die Ausgaben für einen zukünftigen Rückzug aus Afghanistan, die stärkere Wertminderung der eingesetzten Ausrüstungsgüter, die Kosten aufgrund von Verletzungen und Behinderungen der Soldaten und schlussendlich die Entschädigungszahlungen für gefallene Soldaten an deren Familien.

Während die direkten Kosten des Krieges vom Verteidigungsministerium getragen werden, gibt es viele andere Ressorts, die aufgrund der Beteiligung Deutschlands am Krieg in Afghanistan ebenfalls gestiegene Kosten haben. Hierbei erachten wir die folgenden Bereiche als die wichtigsten: Sicherheit, Außenpolitik, Entwicklungsprogramme und die Kosten der deutschen Beteiligung an der europäischen Polizeimission.

Einen weiteren bedeutenden Kostenfaktor stellt die Finanzierung der staatlichen Ausgaben für den Afghanistan-Krieg dar. Der vierte und letzte in unserer Schätzung berücksichtigte Kostenpunkt sind die nicht aus Haushaltsmitteln bestrittenen Kosten. Dies sind Kosten, die nicht vom Staat getragen werden, die aber dennoch wirtschaftliche Kosten für die Gesellschaft darstellen. Diese Kosten, die unserer Schätzung hinzugefügt werden müssen, umfassen nicht vom Staat übernommene medizinische Kosten, den Verlust von Soldatenleben sowie Produktivitätseinbußen bei verletzten Soldaten.

Die Szenarien und ihre Kosten
Für unsere Schätzung der Kosten der deutschen Be­teiligung am Konflikt in Afghanistan haben wir drei verschiedene Szenarien berücksichtigt. Die geschätzten Kosten werden im Folgenden beschrieben.(3)

Im ersten Szenario wird davon ausgegangen, dass alle deutschen Truppen bis Ende 2011 aus Afghanistan abgezogen werden. Dies ist allerdings kein sehr realistisches Szenario. In diesem Fall belaufen sich die dem Staatshaushalt entstehenden Kosten auf 12 bis 22 Milliarden Euro. In unserer Betrachtung hingegen stützen wir uns auf ein realistischeres Szenario, bei dem die Truppen bis zum Jahr 2016 in Afghanistan stationiert bleiben. In diesem Szenario belaufen sich die Kosten zwischen 18 und 31 Milliarden Euro, wobei im Mittel Kosten von rund 24,5 Milliarden Euro erwartet werden. Das letzte Szenario ist das eines umfassenden Engagements, bei dem die Zahl deutscher Soldaten im Rahmen des ISAF-Einsatzes im Jahr 2011 verdoppelt wird und dann bis 2020 auf dem gleichen Niveau bleibt. Die in diesem Szenario geschätzten Gesamtkosten belaufen sich auf 36 bis 62 Milliarden Euro.

Neben diesen Belastungen des Staatshaushaltes entstehen jedoch auch andere Kosten. Hierbei handelt es sich sowohl um wirtschaftliche Kosten als auch um die Kosten der Finanzierung von Staatsausgaben. Unter Berücksichtigung dieser Zusatzkosten sind bei einem fast sofortigen Rückzug Gesamtkosten von 18 bis 33 Milliarden Euro bei einer Punktschätzung von gut 25,5 Milliarden Euro anzunehmen. Für das realistischere Szenario liegen die Schätzungen bei 26 bis 47 Milliarden Euro,

wobei der zu erwartende Wert gut 36,5 Milliarden Euro beträgt. Im Szenario des umfassenden Engagements werden die Kosten auf 53 bis 92 Milliarden Euro geschätzt, wobei als Punktschätzung fast 73 Milliarden Euro ermittelt wurden.

Offizielles Kriegsbudget unterschätzt Gesamtkosten
Von den unverzinslichen staatlichen Ausgaben lassen sich ungefähr 91 Prozent dem Verteidigungsministerium zuordnen, während die restlichen neun Prozent von anderen Ressorts getragen werden. Gemäß unserer Schätzungen werden nur 40 Prozent der staatlichen Ausgaben (ohne Zinsen) offiziell als Kosten des Afghanistankonflikts ausgewiesen und sogar von den Kosten, die dem Verteidigungsminis­terium entstehen, werden lediglich rund 44 Prozent als derartige Ausgaben deklariert. Von den gesamten Kriegskosten einschließlich wirtschaftlicher Kosten fallen nur etwa 27 Prozent unter das offizielle staatliche Kriegsbudget.

Jedes Jahr in Afghanistan kostet fast drei Milliarden Euro
Eine interessante Zahl ist der finanzielle Aufwand eines Verbleibens in Afghanistan für ein weiteres Jahr. Da die Kosten hier als Kapitalwert ausgedrückt werden, sind zukünftige Jahre zu gegenwärtigen Preisen günstiger als das gegenwärtige Jahr. Aus diesem Grund können wir die Kosten eines Abzugs im aktuellen Kalenderjahr (was praktisch gesehen gar nicht möglich ist) und die Kosten eines Abzugs im nächsten Jahr (Szenario Rückzug 2011) miteinander vergleichen. Die zu erwartenden Grenzkosten des Verbleibens der deutschen Truppen in Afghanistan für ein weiteres Jahr betragen für die deutsche Wirtschaft insgesamt 2.970 Millionen Euro.

Fazit
Mit diesem Beitrag legen wir die erste umfassende Schätzung der wirtschaftlichen Kosten für die Beteiligung Deutschlands am Krieg in Afghanistan vor.

Wir kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Staatsausgaben der deutschen Beteiligung am Krieg in Afghanistan in einem realistischen Sicherheitsszenario auf 18 bis 31 Milliarden Euro belaufen, wobei die jährlichen Kosten (ohne Einbeziehung der beachtlichen Zinskosten) fast zwei Milliarden Euro betragen. Dies liegt weit über dem, was die in der Vergangenheit von der Regierung veröffentlichten Zahlen aufzeigen. Außerdem belaufen sich die sonstigen wirtschaftlichen Kosten des realistischen Szenarios auf 6 bis 15 Milliarden Euro. Dieser Betrag umfasst die Kosten für die Finanzierung des Einsatzes sowie allgemeine gesellschaftliche Kosten. Kosten, die nicht im Haushalt enthalten sind, stellen somit einen weiteren wichtigen Aspekt bei der Beurteilung der Gesamtkosten für die deutsche Beteiligung am Krieg in Afghanistan dar.

Wir können feststellen, dass eine große Diskrepanz zwischen den Schätzungen des Verteidigungsministeriums und unseren eigenen Schätzungen zu den Gesamtkosten des Einsatzes besteht.

 

Anmerkungen
1) Die von uns gewählte Methode wurde in der Ver­gangenheit vom Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und seiner Ko-Autorin Linda Bilmes in deren Buch „Der Drei-Billionen-Dollar-Krieg” (2008) eingesetzt, in dem die Gesamtkosten des Einsatzes der Vereinigten Staaten im Irak analysiert werden. J.Stiglitz und L. Bilmes (2008): Die wahren Kosten des Krieges: wirtschaftliche und politische Folgen des Irak-Konflikts. Pantheon Verlag, München.

2) Gemäß Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung zu den Ausgaben für Maßnahmen der Bundeswehr im Zusammenhang mit internationalen Einsätzen im Jahr 2009.

3) Eine detaillierte Ausführung zu unseren Schätzungen erhalten Sie im Wochenbericht des DIW Berlin. T. Brück, O. de Groot und F. Schneider (2010): Eine erste Schätzung der wirtschaftlichen Kosten der deutschen Beteiligung am Krieg in Afghanistan. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin, Wochenbericht Nr. 21/2010.

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund

Themen

Prof. Dr. Tilman Brück ist Leiter der Abteilung Weltwirtschaft am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Entwicklungsökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Dr. Olaf de Groot ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Weltwirtschaft am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).
Prof. Dr. Dr. h.c.mult. Friedrich Schneider ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Johannes Kepler Universität Linz in Österreich und seit Oktober 2010 Forschungsprofessor am DIW Berlin.