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Eine Krise und ihre Lösung
vonIn einigen Tageszeitungen war's schon nachzulesen: Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (ASF) ist aus dem Koordinierungsausschuß (KA) ausgetreten. Manche erwarteten (erhofften oder befürchteten) daraufhin die Auflösung des Gremiums. Aber in der letzten Sitzung des Kreises wurde beschlossen, vorläufig weiterzumachen.
Nicht erst die geringe Beteiligung an der Kirchentags-Demo am 10. Juni in West-Berlin und der klägliche Verlauf der Veto-Kampagne machten für viele innerhalb und außerhalb des KA deutlich, daß der früher hoch angesehene Ausschuß an politischer und organisatorischer Schwindsucht leidet. Schon auf der Tübinger Strategiekonferenz im Mai 1988 war erkannt worden, daß die Friedensbewegung mit alten Rezepten und Großaktionen nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Deshalb war zu einer umfassenden Debatte über die Alternativen der Friedensbewegung, über eine positive Friedensutopie, aufgerufen worden.
KA reformunfähig?
Aber schon in Tübingen wurde erneut versucht, alte und neue Herangehensweisen kompromißhaft auf einen Nenner zu bringen. Die Konferenz beschloß nämlich zugleich über Aktionen in Linnich, Eschborn, Böblingen und Hamburg sowie die Unterstützung der Weltbank/IWF-Kampagne. Wie sich dann erwies, führte dies zu einer totalen Überforderung des KA's und zu einer minimalen Diskussion über politische Grundlagen und Aktionsformen in der heutigen Zeit. Und dies in einer Situation, in der durch Abrüstungsvereinbarungen und -verhandlungen, durch Gorbatschows "neues Denken", sowie durch die Parteien mit ihren sicherheitspolitischen Konzepten wie "gemeinsame Sicherheit", "strukturelle Nichtangriffsfähigkeit" und den durch Bevölkerungsentwicklung, finanziellen Engpässen und innen- und außenpolitischen Zwängen verursachten Beschneidungen bundesdeutscher und NATO-Aufrüstungspolitik (z.B. Wehrpflichtverlängerung) das Wie gewaltfreier, entmilitarisierter internationaler Beziehungen erkennbar in den Mittelpunkt der friedenspolitischen Auseinandersetzung rückt.
Dabei ist der Zustand der Bewegung nicht ganz so dramatisch wie der des KA. Denn zum einen haben sich viele berufsspezifische und örtliche Friedensinitiativen stabilisiert und dauerhafte eigene Arbeitsschwerpunkte gefunden. Interessant ist in dem Zusammenhang der konziliare Prozeß, der mit den Eckpunkten "Frieden", "Gerechtigkeit" (Demokratie, soziale Fragen, internationale Solidarität) und "Bewahrung der Schöpfung" (Natur und Umwelt) heutige Aufgabenbereiche von Friedensbewegung umreißt. Zum anderen beeinflußt mehr noch als die Existenz von Meinungsmehrheiten für Abrüstung das persönliche und direkte Eingreifen vieler Menschen in Abrüstungskontroversen - Leserbriefe, Diskussionen in Parteien, Kirchen, Gewerkschaften usw., Engagement im eigenen (beruflichen) Wirkungskreis, Kriegsdienstverweigerung... - die Regierungspolitik. Dem KA ist es jedoch nicht gelungen, diese Veränderungen politisch aufzugreifen, neue Kontroversen z.B. über "Bundesrepublik ohne Armee" oder Kriegsdienstverweigerung zu entfachen und seine eigene Rolle neu zu definieren.
Auflösungserscheinungen
In einem Brief vom 16.6.89 teilte die ASF dem KA mit, sie habe beschlossen, mit sofortiger Wirkung aus dem KA auszutreten. In der Begründung kritisiert die Organisation u.a., der KA habe die politisch notwendige politische Erweiterung um neuentstandene Gruppen nicht geleistet, sondern sich in "spektralen", parteipolitisch motivierten Organisations- und Diskussionsstrukturen verfestigt. Die Versuche, "den KA von seinem politischen Mandat zu befreien und in ein Beratungs- und Koordinationsgremium zu verwandeln", seien erfolglos geblieben. Sowohl die "bundesweite KA-Demo" in Linnich 1988 als auch die Kirchentagsdemo 1989 ".. sind Ausdruck der Handlungs- und Denkblockade, die das Festhalten an alten, einstmals sinnvollen Strukturen produziert." Die ASF halte es für falsch, weiterhin Energien binden lassen, "die konstruktiver in der Friedensbewegung eingesetzt werden können und derer die Friedensbewegung dringend bedarf".
Tatsächlich ist der Zustand des KA für viele unerträglich geworden. Schon länger ist der Verlust an Glaubwürdigkeit, Demokratiedefizite und Pragmatismus unübersehbar. Es droht eine schleichende Auflösung. Der ASF-Austritt war deshalb für Martin Böttger, Jungdemokrat, und Gregor Witt, DFG-VK, Anlaß, in der KA-Sitzung am 30. Juni zu beantragen, daß nach einer gründlichen Diskussion von allen KA-Organisationen und anderen am KA Interessierten klar entschieden wird: entweder echter Neuanfang oder Eingeständnis der Nichtreformierbarkeit und Auflösung des KA. Da Dr. Horst Meyer von der Sportlerinitiative in einem kritischen Brief ebenfalls wichtige Fragen an die KA-Arbeit gestellt hatte, beschloß der KA auf Antrag von Böttger und Witt:
Beschluß
Für den 29. September 89 von 14-19 Uhr wird langfristig zu einer KA-Sitzung eingeladen, auf der vor allem folgende Fragen behandelt werden, um eine Entscheidung über die Fortexistenz des KA treffen zu können:
I. Welchen politischen Anforderungen kann/soll sich ein Kreis wie der KA stellen und wie kann er demgemäß handlungsfähig werden?
II. Was erwarten die KA-Organisationen vom KA? D.h. unter welchen politischen und strukturellen Voraussetzungen und mit welchen Zielen wollen sie aktiv im KA mitarbeiten? Was wollen sie selbst dazu beitragen?
III. Wie kann eine demokratische Auftragserteilung für diesen Kreis durch die Friedensgruppen im Lande erfolgen?
sowie die Fragen aus einem Brief von Dr. Horst Meyer (Sportlerinitiative) an den KA:
1. Für welche Basis der Friedensbewegung nimmt der Koordinierungsausschuß verbindliche Aufgaben wahr?
2. Kann sich der Koordinierungsausschuß aufgrund noch bestehender Strukturen noch glaubwürdig zu weitgreifenden Fragen der Friedenssicherung äußern und sie glaubwürdig vertreten?
3. Welche Verbindungen gibt es zu örtlichen, regionalen und den berufsbezogenen Friedensinitiativen und wie finden sie Berücksichtigung in der Meinungsbildung des KA?
4. Sind die Aufgabenschwerpunkte im Hinblick auf eine sich ändernde Einstellung der Bürgerinitiativen zu Abrüstungsfragen noch zeitgemäß?
5. Welche Fachkompetenzen sind beim KA angesiedelt, um die Zukunftsthemen:
- Umweltschutzmaßnahmen statt Rüstungskosten
- Vertrauensbildung statt Feindbilder im Sinne des "Neuen Denken"
- Maßnahmen der Völkerverständigung im "Gemeinsamen Haus Europa"
- Zukunftsplanung für nationale und europäische Sicherheitspolitik?
6. Wer nimmt innerhalb des KA die Verantwortung für die Aktualisierung friedenspolitischer Aufrufe und Stellungnahmen wahr?
Die Diskussion wird voraussichtlich mit der Sitzung am 29.9. zwar nicht abgeschlossen sein können. Dennoch wäre es wichtig, wenn bis dahin, besser noch bis zum 16.9. für eine rechtzeitige Verschickung an die KA-Organisationen, viele Stellungnahmen, Ideen und Vorschläge von außerhalb des KA kommen würden.