Eine Krise und ihre Lösung

von Gregor Witt

In einigen Tageszeitungen war's schon nachzulesen: Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (ASF) ist aus dem Koordinierungsausschuß (KA) ausge­treten. Manche erwarteten (erhofften oder befürchteten) daraufhin die Auflö­sung des Gremiums. Aber in der letzten Sitzung des Kreises wurde beschlossen, vorläufig weiterzumachen.

Nicht erst die geringe Beteiligung an der Kirchentags-Demo am 10. Juni in West-Berlin und der klägliche Verlauf der Veto-Kampagne machten für viele innerhalb und außerhalb des KA deut­lich, daß der früher hoch angesehene Ausschuß an politischer und organi­satorischer Schwindsucht leidet. Schon auf der Tübinger Strategiekonferenz im Mai 1988 war erkannt worden, daß die Friedensbewegung mit alten Re­zepten und Großaktionen nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Deshalb war zu einer umfassenden Debatte über die Alternativen der Friedensbewe­gung, über eine positive Friedensuto­pie, aufgerufen worden.

KA reformunfähig?
Aber schon in Tübingen wurde erneut versucht, alte und neue Herangehens­weisen kompromißhaft auf einen Nen­ner zu bringen. Die Konferenz be­schloß nämlich zugleich über Aktionen in Linnich, Eschborn, Böblingen und Hamburg sowie die Unterstützung der Weltbank/IWF-Kampagne. Wie sich dann erwies, führte dies zu einer tota­len Überforderung des KA's und zu einer minimalen Diskussion über poli­tische Grundlagen und Aktionsformen in der heutigen Zeit. Und dies in einer Situation, in der durch Abrüstungsvereinbarungen und -verhandlungen, durch Gorbatschows "neues Denken", sowie durch die Parteien mit ihren si­cherheitspolitischen Konzepten wie "gemeinsame Sicherheit", "strukturelle Nichtangriffsfähigkeit" und den durch Bevölkerungsentwicklung, finanziellen Engpässen und innen- und außenpoli­tischen Zwängen verursachten Be­schneidungen bundesdeutscher und NATO-Aufrüstungspolitik (z.B. Wehrpflichtverlängerung) das Wie gewaltfreier, entmilitarisierter inter­nationaler Beziehungen erkennbar in den Mittelpunkt der friedenspoliti­schen Auseinandersetzung rückt.

Dabei ist der Zustand der Bewegung nicht ganz so dramatisch wie der des KA. Denn zum einen haben sich viele berufsspezifische und örtliche Frie­densinitiativen stabilisiert und dauer­hafte eigene Arbeitsschwerpunkte ge­funden. Interessant ist in dem Zusam­menhang der konziliare Prozeß, der mit den Eckpunkten "Frieden", "Ge­rechtigkeit" (Demokratie, soziale Fragen, internationale Solidarität) und "Bewahrung der Schöpfung" (Natur und Umwelt) heutige Aufgabenberei­che von Friedensbewegung umreißt. Zum anderen beeinflußt mehr noch als die Existenz von Meinungsmehrheiten für Abrüstung das persönliche und di­rekte Eingreifen vieler Menschen in Abrüstungskontroversen - Leserbriefe, Diskussionen in Parteien, Kirchen, Gewerkschaften usw., Engagement im eigenen (beruflichen) Wirkungskreis, Kriegsdienstverweigerung... - die Re­gierungspolitik. Dem KA ist es jedoch nicht gelungen, diese Veränderungen politisch aufzugreifen, neue Kontroversen z.B. über "Bundesrepublik ohne Armee" oder Kriegsdienstverweige­rung zu entfachen und seine eigene Rolle neu zu definieren.

 

Auflösungserscheinungen
In einem Brief vom 16.6.89 teilte die ASF dem KA mit, sie habe beschlos­sen, mit sofortiger Wirkung aus dem KA auszutreten. In der Begründung kritisiert die Organisation u.a., der KA habe die politisch notwendige politi­sche Erweiterung um neuentstandene Gruppen nicht geleistet, sondern sich in "spektralen", parteipolitisch moti­vierten Organisations- und Diskus­sionsstrukturen verfestigt. Die Versu­che, "den KA von seinem politischen Mandat zu befreien und in ein Bera­tungs- und Koordinationsgremium zu verwandeln", seien erfolglos geblieben. Sowohl die "bundesweite KA-Demo" in Linnich 1988 als auch die Kirchen­tagsdemo 1989 ".. sind Ausdruck der Handlungs- und Denkblockade, die das Festhalten an alten, einstmals sinnvollen Strukturen produziert." Die ASF halte es für falsch, weiterhin Energien binden lassen, "die konstruk­tiver in der Friedensbewegung einge­setzt werden können und derer die Friedensbewegung dringend bedarf".

Tatsächlich ist der Zustand des KA für viele unerträglich geworden. Schon länger ist der Verlust an Glaubwürdig­keit, Demokratiedefizite und Pragmatismus unübersehbar. Es droht eine schleichende Auflösung. Der ASF-Austritt war deshalb für Martin Bött­ger, Jungdemokrat, und Gregor Witt, DFG-VK, Anlaß, in der KA-Sitzung am 30. Juni zu beantragen, daß nach einer gründlichen Diskussion von allen KA-Organisationen und anderen am KA Interessierten klar entschieden wird: entweder echter Neuanfang oder Eingeständnis der Nichtreformierbar­keit und Auflösung des KA. Da Dr. Horst Meyer von der Sportlerinitiative in einem kritischen Brief ebenfalls wichtige Fragen an die KA-Arbeit ge­stellt hatte, beschloß der KA auf An­trag von Böttger und Witt:

 

Beschluß
Für den 29. September 89 von 14-19 Uhr wird langfristig zu einer KA-Sitzung eingeladen, auf der vor allem fol­gende Fragen behandelt werden, um eine Entscheidung über die Fortexi­stenz des KA treffen zu können:

I. Welchen politischen Anforderungen kann/soll sich ein Kreis wie der KA stellen und wie kann er demgemäß handlungsfähig werden?

II. Was erwarten die KA-Organisatio­nen vom KA? D.h. unter welchen politischen und strukturellen Vor­aussetzungen und mit welchen Zie­len wollen sie aktiv im KA mitar­beiten? Was wollen sie selbst dazu beitragen?

III. Wie kann eine demokratische Auf­tragserteilung für diesen Kreis durch die Friedensgruppen im Lande erfolgen?

sowie die Fragen aus einem Brief von Dr. Horst Meyer (Sportlerinitiative) an den KA:

1. Für welche Basis der Friedensbewe­gung nimmt der Koordinierungs­ausschuß verbindliche Aufgaben wahr?

2. Kann sich der Koordinierungsaus­schuß aufgrund noch bestehender Strukturen noch glaubwürdig zu weitgreifenden Fragen der Friedenssicherung äußern und sie glaubwürdig vertreten?

3. Welche Verbindungen gibt es zu ört­lichen, regionalen und den berufsbezogenen Friedensinitiativen und wie finden sie Berücksichtigung in der Meinungsbildung des KA?

4. Sind die Aufgabenschwerpunkte im Hinblick auf eine sich ändernde Einstellung der Bürgerinitiativen zu Abrüstungsfragen noch zeitgemäß?

5. Welche Fachkompetenzen sind beim KA angesiedelt, um die Zukunftsthemen:

  • Umweltschutzmaßnahmen statt Rü­stungskosten
  • Vertrauensbildung statt Feindbilder im Sinne des "Neuen Denken"
  • Maßnahmen der Völkerverständi­gung im "Gemeinsamen Haus Eu­ropa"
  • Zukunftsplanung für nationale und europäische Sicherheitspolitik?

6. Wer nimmt innerhalb des KA die Verantwortung für die Aktualisie­rung friedenspolitischer Aufrufe und Stellungnahmen wahr?

Die Diskussion wird voraussichtlich mit der Sitzung am 29.9. zwar nicht abgeschlossen sein können. Dennoch wäre es wichtig, wenn bis dahin, besser noch bis zum 16.9. für eine rechtzeitige Verschickung an die KA-Organisatio­nen, viele Stellungnahmen, Ideen und Vorschläge von außerhalb des KA kommen würden.

 

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