Eine kritische Bilanz des Golfkriegs

von Friedhelm Hengsbach
Schwerpunkt
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Der Frankfurter Sozialwissenschaftler und Theologe Friedhelm Hengsbach zieht folgende „Sieben-Punkte-Bilanz“ des Golfkriegs:

1) Das Feindbild in der Zeit des Vorkriegs bleibt das Weltbild in der Zeit des Nachkriegs: Auf der eigenen Seite ein aggressiver, skrupeloser Tyrann, der ein gewaltiges Schreckenspotenzial von ABC-Waffen mobilisieren und Umweltterror entfesseln konnte, um einen friedlichen Nachbarstaat zu erobern, andere Nachbarn mit Invasion zu bedrohen und unbedingte Dritte mit Scud-Raketen zu beschießen, auf der anderen Seite der Alliierten, die unter dem Mandat der Vereinten Nationen militärisch effizient, präzise und politisch höchst diszipliniert dafür gesorgt hatten, daß die Verletzung des Völkerrechts nicht ungestraft bleibt.

2) Es sieht so aus, als sei ein Krieg wieder hoffähig geworden. Im Gegensatz zu der unbeirrten Position Papst Woljtylas und ganz weniger deutscher Bischöfe ist in der Gesellschaft die Meinung wieder zustimmungsfähig geworden, daß der Krieg  als Mittel der Politik nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden könne. Seltsamerweise ist diese Einstellung aus einer Haltung der Kriegsverweigerung vor dem Krieg über eine notgedrungene Duldung während des Luftkriegs umgeschlagen. Sie wurde nachträglich gestützt durch die Kalkulation, daß dank der technisch präzisen und strategisch eindrucksvollen Kriegsführung die Zahl der Toten im Vergleich zum äthiopischen und iranisch-irakischen Krieg gering gehalten und die Zivilbevölkerung relativ geschont worden sei. Welche Kriegsschäden auf irakischer Seite entstanden sind, ob die Verhältnismäßigkeit der Kriegsführung gegen Ende der Bodenoffensive eingehalten wurde, wird vermutlich nicht mehr ernsthaft bilanziert werden.

3) Die Frage nach Recht und Unrecht des Krieges oder der Kriegsführung ist durch die Faszination angeblich technischer Leistungen und militärischer Erfolge in den Hintergrund gedrängt worden. Wer technisch so perfekt optimiert und wer dermaßen übermächtig ist, muß wohl recht haben. Dabei sind die Probleme, die den Krieg mit hervorgebracht haben, einer Lösung nicht nähergekommen: Die wackelnde Legitimation feudaler Herrschaftsstrukturen, die Durchsetzung der UNO-Resolutionen gegen Israel (Westjordanland, Golanhölen) die syrischen Interessen im Libanon, die Autonomie der Kurden, die schiitische Minderheit im Irak, der soziale Ausgleich zwischen den ölreichen und sozial schwachen arabischen Staaten.

4) Die USA konnten relativ unbestritten das eigene Hegemonialinteresse in den Mantel eines UNO-Mandats kleiden. Die Vereinten Nationen haben ihren Auftrag einspruchslos an die noch zur Zeit einzige Supermacht ohne Gegenmacht weitergereicht.

5) Der Nord-Süd-Konflikt hat sich verschärft. Die USA und die Industrieländer sind dabei, eine Weltordnung für den Golf nach der eigenen Interessenlage zu stricken. Osteuropahilfe und Golfhilfe werden gigantische Finanzströme bei steigenden Zinsen für kaufkräftige Nachfrager mobilisieren, allerdings an den elementaren Bedürfnissen der Bevölkerungsmehrheit auf der südlichen Hemisphäre vorbei. Die Rüstungsproduktion wird nicht eingeschränkt, der Waffenexport nicht unterbunden: Die alliierten Koalitionspartner des Golfkriegs werden die Folgekunden deutscher Kriegswaffen sein, Südkorea ist als Abnehmer von Tornados und U-Booten mit der deutschen Rüstungsindustrie im Gespräch.

6) Während des Krieges ist die Öffentlichkeit, ein Wesensmerkmal der Demokratie als Lebensform, verlorengegangen. Informationen und Kommunikation wurden weltweit zu einem Instrument der Kriegsführung degradiert. Wer die Wahrheiten der Information und Kommunikation derart verbiegen muß, kann nicht überzeugend nachweisen, er führe einen gerechten Krieg. Es ist überhaupt nicht zu sehen, wie die öffentlichen und privaten Medien, denen westliche Gesellschaften wiederholt die Aufdeckung politischer Skandale verdankten, den Verdacht, jederzeit und willkürlich wieder dem Würgegriff militärischer und politischer Propaganda zu erliegen, entkommen und in einen Zustand der Unabhängigkeit und Freiheit zurückversetzt werden können.

7) Die Religion ist anachronistisch für den Krieg und die Kriegsführung mißbraucht worden. Der US-amerikanische Präsident wie der irakische Präsident haben denselben Gott zur Kriegspartei gemacht, ohne daß gläubige Juden, Christen und Muslime sich öffentlich dagegen haben wehren können, und ohne daß die Vertreter der religiösen Institutionen entschieden protestiert haben. Vermutlich sind durch diese beschämende Begleitmusik des Golfkriegs an der Wiege dreier großer Religionen sowohl der theologischen Dialog als auch die theopraktische Kooperation für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zurückgeworfen worfen.

Publik-Forum 7, 5.4.91

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Friedhelm Hengsbach ist Jesuit und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Philisophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt/ Main