Besonders die jungen Menschen brauchen eine Perspektive im Land

Eine Reise nach Kozarka Dubica im Norden von Bosnien-Herzegowina

von Reinhard Griep
Initiativen
Initiativen

Die Anreise mit dem Zug von Köln über Zagreb nach Kozarska Dubica (früher: Bosanska Dubica, Anm. der Red.), direkt am kroatisch-bosnischen Grenzfluss Una gelegen, war anstrengend, aber das Thema der deutsch-bosnischen Jugendbegegnung „back to nature“ sollte auch eine nachhaltige Anreise beinhalten. 12 Jugendliche aus NRW machten sich mit ihren beiden Teamer*innen auf, ihre bei der Begegnung in der Jugendakademie Walberberg neu gewonnenen Freund*innen in Dubica zu treffen und mit ihnen gemeinsam 10 Tage Land und Leute kennenzulernen.  Ich selber habe die Gruppe nur wenige Tage begleitet und ansonsten viele befreundete Menschen und Organisationen in Koz Dubica besucht.
Die Auswirkungen der Coronapandemie sind in Ländern, in denen ohnehin prekäre Lebensverhältnisse herrschen, besonders groß – so auch in Bosnien. Der Lockdown hat besonders die älteren Menschen sehr belastet. Die Menschen über 65 Jahren mussten zu Hause bleiben und versorgt werden. Cima, die Leiterin der NGO Putevi Mira (Friedenswege), dazu: „Ich fühlte mich an den Krieg erinnert, da mussten wir auch in unseren Häusern bleiben.“ Ohnehin von Einsamkeit und sozialer Isolation bedroht, hat „Corona“ die Situation der älteren Menschen – neben der gesundheitlichen Gefährdung – noch verschärft. Wenigstens im Sommer kommen ansonsten die Tourist*innen oder die Verwandten, die seit dem Krieg in aller Welt verstreut sind, nach Dubica und genießen die Ferien im Heimatland. In den Corona-Jahren ist das weitgehend ausgeblieben. Erst 2022 kamen im Sommer wieder mehr Menschen nach Dubica.

Auswirkungen der Energiekrise
Auch die weltweite Energiekrise betrifft die Menschen in Bosnien in besonderer Weise. Holz, der häufigste Energieträger, ist mehr als doppelt so teuer geworden. Ebenso sind die Lebensmittelpreise erheblich gestiegen - und das bei einem Renten- und Einkommensniveau, das am unteren Ende der europäischen Skala liegt.
Ich wohne bei Zulfo und Jasminka, die während des Krieges in Bosnien einige Zeit auch bei mir in Bonn gelebt haben. Zulfo, der nächstes Jahr 80 Jahre alt wird, hat gerade eine Gallenstein-OP hinter sich und muss Tabletten nehmen. Die Krankenkasse hat die Kosten der OP übernommen, nicht jedoch die Kosten der Tabletten. Als ich ankomme, wird Holz geliefert für den nahenden Winter – ein weiterer großer Kostenfaktor. Neben ihrer Rente können die beiden noch auf Unterstützung ihrer beiden Söhne, die in Deutschland leben, setzen, andere ältere Menschen haben da weniger Glück.

Von den Politiker*innen sind die Menschen enttäuscht
Am ersten Sonntag meines Aufenthaltes sind Parlamentswahlen in Bosnien-Herzegowina. Meine Frage, ob er wählen geht, verneint Zulfo. „Es ändert sich eh nichts“, resümiert er desillusioniert. Tatsächlich gewinnt in der Srpska, dem serbischen Teil Bosnien-Herzegowinas, die Kandidatin des Nationalisten Dodic, in den anderen Landesteilen jedoch sind es eher Befürworter*innen des Gesamtstaates und einer EU-Integration, die die Wahlen gewinnen. Ein Hoffnungsschimmer in einem Land, das durch die Folgen des Kriegs und einer nationalistisch-ethnischen Politik wirtschaftlich und politisch in einer Dauerkrise verhaftet ist. Die EU hat – vor allem durch den Ukraine-Krieg und den verstärkten Einfluss von Russland in dieser Region – erkannt, dass es eines erheblich größeren (finanziellen) Engagements bedarf, wenn dieser Teil Europas nicht erneut zu einem Kriegsgebiet werden soll.
Die EU hat Bosnien-Herzegowina (BiH) den EU-Beitrittsstatus verliehen, ein wichtiges Signal, das nun möglichst bald zu einer Vollmitgliedschaft führen muss, denn, wie in vielen anderen Balkanstaaten, gibt es auch in BiH viele junge Menschen, die das Land verlassen, um woanders Arbeit zu finden und sich ausbilden zu lassen. Besonders bei Jugendlichen ist die Arbeitslosigkeit sehr hoch. In manchen Gebieten sind von 100 Jugendlichen ca.  60 ohne Arbeit. Im Ausland erhoffen sich die Menschen bessere Aussichten. BiH kann ohne gut ausgebildete Menschen die wirtschaftliche Situation jedoch schwer verbessern.
Ich frage die bosnischen Jugendlichen, die an der Jugendbegegnung teilnehmen, ob sie in Bosnien bleiben wollen. Die meisten bejahen das, auch wenn einige in Serbien studieren wollen. Aber zwischen der Heimatliebe und dem realen Alltag nach der Schule gibt es eine große Spannung. Wahrscheinlich werden noch einige ihre Meinung ändern (müssen), wenn es keine Arbeit gibt und das Geld zum Überleben fehlt.

Alte Menschen bleiben zurück
Ich besuche die Altenbegegnungsstätte von Putevi Mira am Rande der Fußgängerzone. Einige ältere Menschen spielen Schach, unterhalten sich oder lesen in einer Zeitung. Cima spielt mit einem noch relativ jung aussehenden Mann „Mensch ärgere dich nicht“. Sie erklärt: „Er kommt jeden Tag zu uns, lebt allein und ist psychisch krank. Da ist die Begegnungsstätte der einzige Ort, wo er regelmäßig Kontakt und Unterstützung findet und vor allem bei der Tabletteneinnahme unterstützt wird.“ Amina ist Krankenschwester und arbeitet in der Begegnungsstätte. Sie kümmert sich hier um alles: Sie spricht mit den Menschen, hört sich ihre Sorgen an, misst den Blutdruck und verteilt Getränke. Außerdem organisiert sie regelmäßige Vorträge von Psycholog*innen oder Ärzt*innen zu Gesundheitsthemen oder verschiedenen sozialen Fragen. Im letzten Monat kamen erstmals Vertreter*innen der orthodoxen und muslimischen Gemeinden zusammen in das Zentrum – ein wichtiger Schritt zur weiteren Verständigung.  
Wie sie mit den steigenden Kosten umgeht, frage ich Amina. „Man findet immer noch etwas, worauf man verzichten kann“, antwortet sie.
Die Stadt unterstützt die Altenbegegnungsstätte, indem sie die Strom- und Heizungskosten übernimmt, der Rest muss über Spenden eingenommen werden, die immer schwieriger einzuwerben sind. Der Krieg in der Ukraine hat die Aufmerksamkeit längst auf andere Regionen der Welt gelenkt. Und die Bosnierinnen, die im Ausland leben, geben etwas, wenn es um Hunger geht, aber eine Altenbegegnungsstätte zu unterstützen erscheint ihnen wenig einsichtig, dabei lebt der Mensch nicht vom Brot allein, wie wir wissen.

Reinhard Griep ist Leiter der Jugendakademie Walberberg und organisiert seit 20 Jahren deutsch-bosnische Jugendbegegnungen. Er ist Mitglied von Pax Christi Bonn und engagiert in der Bonner Bosnien-Initiative. Weitere Infos zu Putevi Mira und zum Spendenkonto bei reinhardgriep [at] yahoo [dot] de

Ausgabe

Rubrik

Initiativen