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„Wir nehmen die Geschichte selbst in die Hand!“
Eine studentische Perspektive auf die Zivilklausel-Kämpfe von unten
vonMit der ausgerufenen militaristischen „Zeitenwende“ stehen Schulen und Hochschulen besonders im Fokus. Neben Rekrutierungswerbung und politischem Unterricht durch Jugendoffiziere der Bundeswehr an Schulen wird auch der Umbau der bislang überwiegend zivilen Hochschullandschaft vorangetrieben. Unter dem Primat der „Kriegsertüchtigung“ (Pistorius) soll auch eine „mentale Zeitenwende“ angestoßen werden. Für Hochschulen, also Forschung und Lehre an deutschen Universitäten, bedeutet dieses Programm eine Anpassung der Wissenschaft unter militärischen Vorgaben und eine Normalisierung von Krieg und Hochrüstungsinteressen. Dem stehen die friedenspolitischen Zivilklauseln an über 70 Hochschulen und Forschungseinrichtungen entgegen, die neben dem Ausschluss militärischer Zwecke für Forschung und Lehre auch eine positive Perspektive für Wissenschaft in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung in den Vordergrund stellen.
Welche Konsequenzen der Hochrüstungskurs der „Zeitenwende“ bereits hat, lässt sich am neuen „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern“ gut erkennen. An der Technischen Universität München wurden Ende Oktober 2024 Studierende und Lehrende plötzlich von Soldaten und Fahrzeugen der Bundeswehr auf dem Campus überrascht, die ein „antiterroristisches Manöver“ inszenierten. (1) Doch auch ohne groß angelegte Landesgesetze, die Schulen und Hochschulen zur Kooperation mit Militär und Rüstungsindustrie drängen sollen, dringen Krieg und das Primat des Militärischen mehr und mehr in den Campus-Alltag ein: Die Bundeswehr darf wieder ganz selbstbewusst auf Uni-Karrieremessen fürs Sterben werben, wie etwa in Kassel und Siegen – beides Universitäten, die eine Zivilklausel in ihren Grundordnungen verankert haben. Dagegen regt sich bundesweit zunehmend studentischer Protest, der über den rein antimilitaristischen Charakter hinausgeht. Die Zivilklausel bietet dabei eine positive Friedensorientierung. Denn die Frage „Wem nützt die Wissenschaft?“ stellt sich besonders angesichts der aktuellen Kriege und Krisen weltweit. Die enorme Repression gegen die breiten palästinasolidarischen Proteste an deutschen Hochschulen, die sowohl Studierende als auch Lehrende trifft, wirft immer drängender grundlegende Fragen zu Krieg und Frieden sowie zur Rolle der Hochschulen auf. Die Kämpfe um die Zivilklausel greifen dieses Bewusstsein auf.
So waren es gerade studentische Zivilklausel-Aktive, die sich seit dem Sommersemester 2022 – noch schwer belastet durch die Vereinzelung und Erschöpfung der digitalen Lehre während der Corona-Pandemie – mit der ausgerufenen „Zeitenwende“ und ihren politischen sowie sozialen Folgen auseinandersetzten und vehement darum rangen, die Gegenwart und die eigene Rolle darin richtig zu verstehen. Es folgten eigene studentische Ringvorlesungen an verschiedenen Hochschulen sowie immer wieder bundesweite Treffen und Aktionen. Mit den beiden Zivilklausel-Kongressen im Herbst 2023 in Kassel und im Frühjahr 2024 in Frankfurt am Main haben dutzende Zivilklausel-Aktive, darunter auch solidarische Gewerkschafter*innen, diesem kollektiven Ringen in der gemeinsamen „Frankfurter Erklärung“ Rechnung getragen, die bis heute grundlegend ist:
„Wir stehen jeder Zerstörung gesellschaftlicher Entwicklungsperspektiven entgegen. Wir haben Besseres vor: In unserem Interesse ist jene Wissenschaft, mit der wir für internationale Abrüstung, Verständigung und Kooperation sowie für die soziale und ökologische Erneuerung des Zusammenlebens als notwendige Voraussetzungen für eine lebenswerte Zukunft aller Menschen eintreten. (…) Wir nehmen die Geschichte selbst in die Hand!“ (2)
Als sich Ende 2023 im hessischen Landtagswahlkampf die CDU aufmachte, die Zivilklauseln zu streichen, waren es Studierende der Zivilklausel-Initiativen, zusammen mit der Landes-ASten-Konferenz (LAK) und dem Freien Zusammenschluss von Student*innenschaften (fzs), die landesweit innerhalb kürzester Zeit über 500 Unterschriften für ihren Aufruf „Hände weg von der Zivilklausel“ sammelten. (3) Bis heute ist keine der drei Zivilklauseln an den großen hessischen Universitäten gestrichen worden. In diesem Zuge haben sich zahlreiche studentische Hochschulgremien zur Zivilklausel bekannt. Auch in Hamburg sind es kritische Studierende, die zusammen mit Forschenden am Helmholtz-Zentrum DESY die etablierte Zivilklausel gegen die Bemühungen des Leiters verteidigen, das Zentrum für Wehrforschung zu öffnen. (4)
In den gesamten Auseinandersetzungen mit der militaristischen „Zeitenwende“ an Hochschulen bilden kritische Studierende die Basis, von der aus immer wieder die Bedeutung einer Wissenschaft für den Frieden gestellt wird: eine Zivilklausel von unten. Es geht um nichts weniger als die Frage, ob Hochschulen für geopolitische und wirtschaftliche Interessen zurechtgemacht werden sollen (5), oder ob Wissenschaft und Bildung, Studierende, Forschende und Lehrende in gesamtgesellschaftlicher und sozialer Verantwortung zur Lösung der globalen Probleme der Menschheit beitragen können – der historische Kern der grundgesetzlich verbrieften Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 GG). Dafür braucht es ebenso eine zivile und vor allem soziale Zeitenwende, auch in den Hochschulen.
Anmerkung
1 https://www.unsere-zeit.de/schuesse-an-der-uni-4797616/
2 http://zivilklausel.de/?view=article&id=150:kriegst%C3%BCchtig-friedensf...
3 http://zivilklausel.de/?view=article&id=145:zivilklausel-hessen-23&catid=8
4 https://www.change.org/p/opening-civil-research-facilities-to-military-p...
5 http://zivilklausel.de/image/Kommentar%20BMBF.pdf