Eine zweigleisige Strategie für die Friedensbewegung

von Joe Volk

Fast zehn Prozent der Bevölkerung von Port Townsend/Washington haben sich am 27. Oktober 2002 zu einem Friedensfoto auf dem örtlichen Fußballplatz versammelt. Die Aktion war Teil einer lokalen Kampagne, bestehend aus Demonstrationen, Mahnwachen und anderen Veranstaltungen, die durchgeführt wurde, um gegen den bevorstehenden Irakkrieg zu protestieren. Bob Schultz, ein Einwohner von Port Townsend und Philosophieprofessor a.D. konnte an diesem Nachmittag nicht zum Fußballplatz kommen, denn er nahm an einem Treffen des Friends Committee on National Legislation (FCNL) teil.

Aber als er nach Hause zurück kam, sagte Bob, war er erstaunt und erfreut über die aufkeimende Friedensbewegung von Port Townsend. Zur gleichen Zeit bemerkte er jedoch, dass sich die Arbeit der Friedensgruppe nicht mit dem Bereich der Legislative auseinandersetzte. Deshalb begann er seine Nachbarn und Freunde dazu anzuhalten, Dialog über den Krieg mit den für sie zuständigen Vertretern des Kongresses zu führen.

Mithilfe von Materialien und Richtlinien zur Einflussnahme auf Abgeordnete, die FCNL zusammengestellt hatte, organisierte Bob sechs aufeinanderfolgende Treffen, drei davon mit dem Bezirksleiter des Republikaners Norm Dicks, einem moderaten Politiker und Repräsentanten von Port Townsend im Kongress. Außerdem fanden drei Treffen mit Norm Dicks selber statt, einschließlich einem Stadttreffen an der örtlichen Highschool in Port Townsend, das über 250 Stadtbewohner anzog. Die Friedensgruppe führt weiterhin Nachfolgetreffen mit Dicks Mitarbeitern durch und unterstützt Workshops zu den Themen Lobbyarbeit der Bürger und Briefe-Schreiben. Dadurch sollen viele Menschen in die Friedensarbeit mit einbezogen werden. Zusätzlich hat die Gruppe begonnen, Seminare mit den für sie zuständigen US-Senatoren abzuhalten.

Schultz behauptet nicht, dass diese Treffen die grundlegende politische Betrachtungsweise Dicks verändert hätten, denn dieser ist ein vehementer Befürworter des Militärs und hat für das Inkrafttreten der Gewaltresolution gestimmt, die den Irakkrieg autorisierte. Jedoch hat Dicks nach dem Krieg auf einem Treffen im August 2003 mit einer Delegation in Port Townsend zugegeben, dass er "betreten" über die Fehler des Geheimdienstes gewesen sei. Er stimmte einer Anfrage der Friedensgruppe zu, nach der er eine Resolution unterstützen solle, die eine unabhängige Untersuchung dieser Fehler fordert. Dick hat sich außerdem deutlich gegen die Präventivkrieg-Doktrin des US-Präsidenten ausgesprochen.

Noch wichtiger aber ist, laut Bob, dass diese Treffen neue Möglichkeiten zur Kommunikation eröffnet haben. "Was wir nun sicher wissen", sagt er, "ist, dass Norm Dicks nun nicht mehr nur von den Vertretern der Fimen Boeing und Raytheon informiert wird und die Blasmusik der lokalen Militärbasen anhören muss. Er weiß nun, dass die Friedensgruppe ein aktiver Teil seiner Wählerschaft in unserer Stadt und im Bezirk ist, und er weiß, dass wir alles aufmerksam beobachten."

Als die Mitglieder der Friedensgruppe von Port Townsend sich gegen den Antrag Bushs wandten, eine neue Generation von sogenannten "bunkersprengenden" Atomwaffen ("Bunker Busters") zu fördern, spielte Dick eine wichtige Rolle. Er setzte sich im Haushaltsjahr 2004 stark für Kürzungen der Ausgaben von öffentlichen Geldern für diese Waffe ein. Er war außerdem einer der Abgeordneten, die die komplette Streichung der Ausgaben für den "Bunkersprenger" im Haushaltsjahr 2005 durchsetzten.

"Ich denke nicht, dass es uns zusteht zu behaupten, wir alleine hätten Dicks überzeugt, gegen diese Waffen zu stimmen", sagt Bob. Aber er ist sich sicher, dass die Friedensaktivisten in Washingtons sechstem Kongresswahlbezirk ein besonders großes Gehör erlangen, weil sie andauernden Kontakt zu ihrem Kongressabgeordneten halten.

Port Townsend ist in einiger Hinsicht eine ungewöhnliche Gemeinde - eine Kommune, in der sich zehn Prozent der Bevölkerung zu einem Friedensfoto versammeln. Aber die Friedensarbeit, die unter anderem durch die Mithilfe von Schultz hier so intensiv geleistet wird, ist ein gutes Beispiel für die Vorstellungen des FCNL von einer effektiven politischen Arbeit, die aus einer Mischung von Protesten und dem Dialog mit Washington besteht. Die Bürger von Port Townsend führen auf der einen Seite weiterhin Proteste und Mahnwachen durch, auf der anderen Seite bauen sie aber trotzdem Bindungen zu den von ihnen gewählten Vertretern auf. Dabei erwarten sie nicht, dass sich militärische Fehlkonzeptionen von nationaler Sicherheit über Nacht ändern lassen. Sie möchten einfach nur die Möglichkeit zu andauernden Dialogen aufrechterhalten.

Dies wird bestimmt nicht überall funktionieren, aber es funktioniert an mehr Orten als die meisten Anhänger der Friedensbewegung glauben.

Die Frage lautet: Widerstand auf der Straße oder Dialog mit Vertretern und Abgeordneten?

Ist denn überhaupt Platz für Bemühungen, den Kongress und die wohl konservativste US-Regierung seit vielen Jahrzehnten unter Druck zu setzen, und dann auch noch in Zeiten wie diesen? Viele meiner Freunde im ganzen Land meinen, dass diese Strategie gerade jetzt reine Zeitverschwendung sei. Sie argumentieren, dass der US-Kongress zur Zeit so stark von konservativen Vertretern geprägt sei, dass es keinen Raum für wirkliche Debatten gäbe. Aus diesem Grunde sei es an der Zeit sich auf den langen alten Weg zu besinnen, der den Schwerpunkt auf die Stärkung der Leute an der Basis legt, um die Machtstrukturen in Washington zu verändern.

Da ich in der Quäkerlobby in Washington arbeite, habe ich meine Wahl bereits getroffen. Ich entschied mich für den Weg, der darauf zielt, den Graben zwischen den Protestbewegungen und den politischen Entscheidungsträgern zu überwinden. Wir glauben daran, dass eine Kombination aus verschiedenen Strategien nötig ist, um gegen den wachsenden Militarismus in Washington und gegen die scheinbar endlos andauernde Suche nach neuen Feinden anzugehen.

Die Frage ist: "Wie können wir den Kongress auf unsere Seite holen?" Die großen Demonstrationen im ganzen Land vor dem Beginn des Irakkriegs und die 765 lokalen Demonstrationen und Mahnwachen am zweiten Jahrestag der US-Invasion im diesjährigen März haben deutlich gezeigt, dass ein sehr großer Anteil der US-Bevölkerung sich gegen die zunehmende Militarisierung Washingtons ausspricht.

Diese zweigleisige Strategie wurde nicht vom FCNL erfunden. Bereits die Stärke der Anti-Apartheid-Bewegung in den Vereinigten Staaten lag in der Kombination von mehreren Strategien. Zunächst in den Sit-Ins auf Collegegeländen. Außerdem in der Bewegung, die auf die Städte und Staaten Druck ausübte, sich von Verträgen mit Firmen, die in Südafrika involviert waren, loszusagen. Schließlich in nationalen Anstrengungen mit dem Ziel, den Kongress zu drängen, Sanktionen gegen Südafrika auch gegen den Willen von Ronald Reagan durchzusetzen.

Auch damals gab es viele, die behaupteten, es sei reine Zeitverschwendung, den Kongress unter Druck zu setzten, während Reagan Präsident sei. Andere meinten, es wäre sinnlos, die Städte und Staaten dazu zu drängen, Resolutionen zum Rückzug der Firmen aus Südafrika zu verabschieden. Aber letztendlich war es genau die Kombination von verschiedenen Druckmechanismen, die dazu führte, dass sich einige Dutzend amerikanische Unternehmen aus Südafrika zurückzogen. Diese Kombination war außerdem entscheidend für den Aufbau des Drucks von unten, der dazu führen sollte, den Kongress zu überzeugen, Präsident Reagans Veto im UN-Sicherheitsrat aufzuheben und so limitierte Sanktionen gegen Südafrika durchzusetzen.

Unser derzeitiges Ziel, so wie es von unserem Vorstandsausschuss verabschiedet wurde, liegt darin, den Kongress zu überzeugen "alle US-Soldaten und Stützpunkte aus dem Irak zurückzuziehen und die moralischen und rechtlichen Verpflichtungen der USA zu erfüllen, die den Wiederaufbau des Irak mithilfe von dafür geeigneten multinationalen, nationalen und irakischen Institutionen beinhalten".

Um diesem Ziel näherzurücken, ist FCNL der Meinung, dass parallel zueinander verschiedene Ansätze verfolgt werden müssen: Eine langfristig ausgerichtete Strategie muss den kompletten Rückzug der US-Truppen und den Abbau der Stützpunkte zum Ziel haben. Dadurch soll eine positive Alternative zum Krieg und der Militarisierung aufgezeigt werden. Außerdem muss in diesem Land eine Friedensbewegung an der Basis aufgebaut werden, die überzeugende Anforderungen an ihre gewählten Vertreter stellen kann. Es ist möglich, diese Strategie zu verfolgen, während man gleichzeitig versucht, einen politischen Impuls zu geben, der die Debatte in Washington in eine andere Richtung lenkt.

Der FCNL hat begonnen, den Kongress zur Verabschiedung eines einfachen, nichtbindenden Beschlusses mit folgendem Wortlaut zu drängen: "Der Grundsatz der US-amerikanischen Politik ist es, alle militärischen Truppen und Stützpunkte aus dem Irak abzuziehen."

Einige meiner Freunde haben mich gefragt, warum eine nationale Quäkerlobby den Kongress zu einer Resolution drängt, die noch nicht einmal den sofortigen Rückzug der US-Truppen fordert. "Ich dachte, dass es keinen Sinn macht, meinem Kongressabgeordneten mit einer Forderung nach sofortigem Rückzug gegenüberzutreten", erzählte mir eine wichtige Kontaktperson des FCNL vor kurzem. "Aber mit dieser Botschaft war es zumindest möglich, eine Konversation zu starten." Solche Geschichten hören wir von vielen.

Wir wissen nicht, ob wir den Kongress überzeugen können, die Resolution des FCNL zu verabschieden. Aber zumindest bewirkt der Druck durch Tausende von Leuten im ganzen Land eine Debatte in den Räumen des Kongresses. Viele Kongressabgeordnete haben FCNL-Delegationen gedankt, weil sie folgende Frage gestellt haben: Wenn es nicht der Grundsatz der US-Politik ist, sich aus dem Irak zurückzuziehen, was ist es dann? Zu bleiben?" Ein persönlicher Berater eines moderaten Republikaners sagte zu einem unserer Mitarbeiter: "Das ist unheimlich erfrischend, um nicht zu sagen entwaffnend!"

An vielen Tagen denke ich, dass die Regierung von Präsident George W. Bush konservativer ist als die von Ronald Reagan. Aber trotzdem glaube ich, dass die Friedensbewegung mit einer Kombination von Strategien arbeiten muss, um eine effektive Bewegung aufzubauen. Deshalb werde ich weiterhin an Mahnwachen und Demonstrationen gegen den Krieg und gegen die Besatzung des Iraks teilnehmen. Ich werde mich weiterhin dagegen wehren, freiwillig meine Kriegssteuern zu bezahlen. Ich werde (manchmal) mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, um weniger Öl aus dem Mittleren Osten zu verbrauchen. Aber ich werde auch damit fortfahren, Flugblätter zu verteilen, um meine Freunde und Nachbarn zu ermutigen, den Kongress zu Mut und Überzeugung zu verpflichten.

Der Text wurde leicht gekürzt. Seine volle Version kann gelesen werden unter http://www.afsc.org/pwork/0505/050506.htm.

Übersetzung: Sandra Busch

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Joe Volk ist Geschäftsführer des Friends Committee on National Legislation.