Die Friedensinitiative Nottuln besuchte die polnische Partnerstadt Chodziez

„Eines Tages…“

von Robert Hülsbusch

„Wir hoffen, daß von diesen Gesprächen, die wir mit der Friedensinitiative Nottuln geführt haben, eine Mobilisierung ausgeht, da immer mehr Menschen auch in Polen Wege aus der Abschreckungslogik finden.“ Mit diesen Worten bedankte sich der stellvertretende Direktor der Berufsschule in Chodziez (in der Nähe von Poznan) bei den Mitgliedern der FI Nottuln. Diese hatten sich zu einem Gespräch über Friedenspolitik mit den Schülern dieser Schule getroffen. 4Tage hielten sich die Nottulner in der polnischen Partnerstadt auf, um über Friedens- und Sicherheitspolitik zu diskutieren und um sich über die polnische Verteidigungsstrategie zu informieren. An einer Gedenkstätte, die an die Ermordung von Bürgern aus Chodziez während der deutschen Besatzungszeit im 2. Weltkrieg erinnert, legten die Nottulner Blumen nieder.

Gleich am ersten Tag trafen die Mitglieder der Friedensinitiative Nottuln sich mit einer Schülergruppe der Berufsschule in Chodziez. Zusammen mit ihrer Geschichtslehrerin hatten sich die Schüler intensiv auf das Gespräch vorbereitet Daß das Thema "Verteidigung" allgemein auch einen großen Stellenwert im Stoffplan der Berufsschule, die ihre Schüler im Alter von 19 bis 20 Jahren entläßt, hat, hatte zuvor der Direktor der Berufsschule deutlich gemacht. Innerhalb des Faches Sozialkunde gibt es einen besonderen Unterricht "Verteidigungsvorbereitung". Unterrichtender Lehrer ist ein ehemaliger Offizier. Auch wenn sich die weltpolitische Lage in den letzten 4 Jahren - so der Berufsschuldirektor - verändert hat, so spielt diese Vorbereitung auf den Militärdienst in der Schule schon eine wichtige Rolle. Zwar hätten sich Inhalte verändert - so ginge es jetzt mehr um Katastrophenfälle und medizinische Hilfe -, aber die formalen Bildungsinhalte seien geblieben. Davon konnte sich die FI dann auch in dem eigens für "Verteidigungsvorbereitung" eingerichteten Fachraum überzeugen. Plakate zieren die Wände, auf denen die Armee wirbt: "Wir brauchen Dich!" Mit Gasmasken kann das Verhalten im Kriegsfall original geübt werden. Militärische Rangabzeichen und Symbole für die einzelnen Waffengattungen können zur Demonstration eingesetzt werden.

Selbst ein echtes Gewehr dient als Anschauungsobjekt. Eine Ausbildung in der Schule also, wie sie die Soldaten in der Bundeswehr in der Grundausbildung erfahren. So waren die Nottulner auch wenig überrascht, als der erste Jugendliche in der Gesprächsrunde dann seine Haltung zur Armee darlegte: Es sei seine Pflicht, dem Vaterland zu dienen. Der Patriotismus gebiete ihm, dem Ruf der Armee zu folgen. Schnell wurden dann jedoch auch differenzierte Töne laut: Die Polen müßten vorsichtig sein. Polen sei immer noch bedroht, aus Rußland, aber auch aus dem Westen. Ein Schüler bemühte die leidvolle Geschichte Polens, um deutlich zu machen, daß auf Rüstung und Militär nicht verzichtet werden könne. Gefragt; ob es auch unter den Jungen welche gäbe, die nicht zum Militär wollten, zeigten nach vorsichtigem Zögern doch einige Schüler auf.

Allerdings haben die jungen Polen kaum eine Chance, legal den Kriegsdienst zu verweigern. Nach Auskunft von Robert Idcak, Richter in Chodziez, kann zwar jeder einen Antrag auf Aufhebung der Einberufung zur Armee stellen, die Wahrscheinlichkeit, daß dieser von einer der regionalen Kommissionen genehmigt wird, ist jedoch gering. Die Kommissionen sind mit Soldaten und Beamten besetzt und vergleichbar in ihrer Funktion mit dem Prüfungsausschuß und der Prüfungskammer in der Bundesrepublik. Eigentlich kann nur mit der Aufhebung der Einberufung rechnen;

  • wer der alleinige Ernährer der Familie ist und
  • wer - nachweislich - einer religiösen Gruppe angehört, zu deren Programm es gehört, nicht zu töten oder sich für den Staat zu engagieren (z.B. die Zeugen Jehovas, die kath. Kirche in Polen gehört natürlich nicht dazu.).

Alle anderen werden in der Regel nicht anerkannt. Unter der Hand besteht jedoch die Möglichkeit und die Praxis - so der Richter - den Militärdienst mit Geld zu "erledigen". Legal? lautet die Frage. Der Richter: Nein, Bestechung. Das ist ein offenes Geheimnis. Und wie gehen jetzt junge Männer, die aus Gewissengründen nicht Soldat sein können, mit der fehlenden Möglichkeit um, den Kriegsdienst zu verweigern? Der Richter zuckt mit der Achsel. Bekannt ist dies wenig. Erst jetzt wird offen darüber diskutiert und berichtet. So ging vor wenigen Wochen ein Musterprozeß durch die Medien. Ein junger Pole war von der Kommission abgelehnt worden. Er leistet dennoch der Einberufung nicht Folge, wurde verhaftet, angeklagt und zu 1 1/2 Jahren Haft verurteilt. Die sitzt er jetzt ab. Abschreckung für alle, die meinen, daß sich mit der Wende in dieser Frage auch etwas tun würde. Ein schwacher Trost für alle Kriegsdienstunwilligen (zumindest in Polen):

Es wird diskutiert, ob in. der Armee ein Dienst ohne Waffe eingerichtet wird. Weiter wird die Abschaffung der Wehrpflicht und die Einführung der Berufsarmee diskutiert.

Interessant und noch präziser wurde es dann, als am zweiten Tag des Aufenthaltes die friedenspolitischen Gespräche mit Erwachsenen fortgesetzt wurden. Andrzej Skibinski (Mitinitiator der Städtepartnerschaft zwischen Nottuln und Chodziez auf polnischer Seite) hatte interessierte Bürger zu einem Informationsaustausch und zu einer Diskussion um Sicherheitspolitik in die Stadtbibliothek eingeladen. Tief berührt zeigte sich zu Beginn eine ältere Professorin, die sich sehr darüber freute, an einemTreffen mit einer Friedensgruppe aus Deutschland teilnehmen zu können. Jürgen Hilgers (Fi Nottuln) stellte zunächst die Arbeit der Friedensinitiative Nottuln vor und erläuterte die friedenspolitischen Visionen der deutschen Friedensbewegung. Diese stießen auf großes Interesse bei den polnischen Zuhörern, die sich jedoch von Ideen der Abrüstung oder gar des Verzichts auf Militär abgrenzten. Der Vorsitzende der Stadtrates Stefaniak begründete diese Haltung:

"Wir sind geprägt durch die Erfahrungen der Vergangenheit. Die Pakte, die wir schlossen, wurden nicht eingehalten. Wir wurden immer wieder betrogen, isoliert, unterdrückt. Polen ist nur auf sich selbst gestellt. Deshalb können wir auf eine Starke Armee nicht verzichten.“ Anhand eines Artikels der polnischen Wochenzeitung POLITYKA erfuhren die FI-Mitglieder, daß Polen mit 300.000 Soldaten, 2.850 Kampfpanzern, darunter 785 neuen Typs, und 461 Flugzeugen nicht nur die zweitstärkste Armee im ehemaligen Ostblock unterhält, sondern auch einer ganzen Reihe von Nato-Migliedern militärisch überlegen sei. Große Hoffnungen machten sich die Polen auch deshalb auf einen Beitritt zur Nato. Dies sei im Moment die einzige Garantie für Sicherheit, meinten die meisten polnischen Teilnehmer der Diskussion in der Stadtbibliothek. Gerade von dem instabilen Rußland ginge eine große Bedrohung aus. Der kath. Pfarrer Stanislawski brachte es auf den Punkt: "Hunger macht Mörder!" Aber auch der Westen sei für Polen nicht ohne Bedrohung. "Wann unterhält Deutschland noch eine so starke Armee? Was passiert, wenn die ökonomische Krise sich in Deutschland weiter zuspitzt? Was, wenn der Nationalismus noch mehr an Boden gewinnt? Warum sind, wo die Russen doch abgezogen sind, die amerikanischen Soldaten noch da?" Diese Fragen wurden gestellt, um die Sicherheitsfrage Polens zu verdeutlichen. Dennoch waren die Gastgeber aus Chodziez auch bereit, über alternative Möglichkeiten der Friedenssicherung für Polen nachzudenken. Die enormen Ressourcen, die das Militär in allen Ländern verschlingt, könnten in den wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung investiert werden. Stabilität könnte so gewonnen werden. Mit der Bedrohung könnte Militär weiter abgerüstet werden. Um weiter an diesem Thema zu arbeiten, überlegten einige Bürger aus Chodziez am Ende des Gespräches, ob es sinnvoll wäre, auch in Chodziez eine Friedensgruppe zu gründen. Die FI Nottuln bot für diesen Fall Unterstützung und Zusammenarbeit an.

Großes Interesse zeigten die Polen, als Hermann Kohaus (Mitglied der FI Nottuln und Leiter des kath. Jugendheimes in der Münsterland-Gemeinde) über seine Arbeit mit rechten, gewaltbereiten Jugendlichen berichtete. Zuvor war in Gesprächen immer wieder die Sorge über die Entwicklung des Rechtsradikalismus in Deutschland geäußert worden. Jeder der polnischen Gastgeber kannte die Bilder von grölenden Skins und brennenden Asylheimen aus dem Fernsehen. Nach dem Bericht des Nottulner Jugendheimleiters, der immer wieder durch interessierte Fragen unterbrochen wurde, war eine große Nachdenklichkeit zu spüren. Plötzlich war selbst der, Gedanke, die Nottulner Jugendlichen aus dem Jugendheim mal nach Chodziez einzuladen oder als polnisches Partnerschaftskomitee das Jugendheim in Nottuln zu besuchen, nicht mehr ausgeschlossen. In weiteren Gesprächen soll darüber nachgedacht werden.

Begonnen hatte der Aufenthalt der Nottulner Friedensinitiative mit dem Besuch der Gedenkstätte Morzewo, die ganz in der Nähe von Chodziez liegt. Dort wurden nach dem Einmarsch der deutschen Armee 1939 45 Bürger aus der Region um Chodziez - die politische und geistige Elite -  von den Deutschen erschossen. Gemeinsam mit den Gastgebern legten die FI-Mitglieder Blumen nieder. Norbert Wienke (ebenfalls FI Nottuln) erinnerte in einer kurzen Ansprache an den Überfall der Deutschen auf Polen. „Es ist nun unsere Aufgabe, die Aufgabe der Söhne und Töchter der damaligen Generation, die tötete und getötet wurde, Versöhnung zu stiften.“ so Norbert Wienke. Um in diesem Sinne den Weg nach vorne in die Zukunft zu zeigen, pflanzten die Mitglieder der Friedensinitiative zum Schluß ihres Besuches einen Eichenbaum, den sie aus Nottuln mitgebracht hatten. Inmitten einer kleinen Gedenkstätte, die am Rande des Friedhofes an die Vernichtungs- und Konzentrationslager auf polnischen Boden erinnern, steht dieser Baum nun, davor ein kleines Schild: "Frieden wachsen lassen!"

Das Resümee ihrer Reise hatte der Sprecher der H, Robert Hülsbusch, schon am Ende des Gespräches mit den Berufsschülern in das Gästebuch der Berufsschule geschrieben: „Der Aufenthalt in Chodziez hat uns Mut gemacht. Wir sind fest davon überzeugt, eines Tages können Deutsche und Polen sich nicht mehr vorstellen, aufeinander zu schießen. Dann brauchen wir keine Soldaten mehr, keine Armee!". Der stellvertretende Direktor, der in dem Gespräch zuvor noch die Notwendigkeit einer starken Streitmacht betonte, las den Text - und unterschrieb ihn spontan.

Robert Hülsbusch ist Friedensaktivist im münsterländischen Nottuln.

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Robert Hülsbusch, Friedensinitiative Nottuln.