„Nicht sein kann, was nicht sein darf“?

Einfallstore des Rechtsextremismus in friedensbewegten Kreisen

von Christine Böckmann

Wenn ich – beruflich in der Bildungs- und Netzwerkarbeit gegen Rechtsextremismus tätig – in friedensbewegten Kreisen zum Thema Rechtsextremismus diskutiere, wird dieser oft als ein Problem weit weg von einem selbst definiert. Man sei ja antifaschistisch, und mit dem Engagement gegen Rüstungsexporte, für gewaltfreie Konfliktaustragung oder gegen soziale Spaltung würde man dem Rechtsextremismus entgegenwirken; Nazis oder Rassisten gebe es in den eigenen Reihen ja ohnehin nicht.

Mich erinnert diese Argumentation häufig an das Gedicht „Die unmögliche Tatsache“ von Christian Morgenstern: „Nicht sein kann, was nicht sein darf“.Warum das so ist, möchte ich in diesem Text aufzeigen. Dazu werde ich zuerst Entwicklungen und Strategien im Rechtsextremismus aufzeigen, die es uns schwer machen, ihn als solchen zu erkennen, und anschließend zeigen, dass wir dem Rechtsextremismus näher sind, als wir das gerne hätten.

Zu den Entwicklungen und Strategien im Rechtsextremismus:

Aussehen und Ausdifferenzierung
Während in der gesellschaftlichen Wahrnehmung häufig noch die alten Klischeebilder von Glatze und Springerstiefeln wirkmächtig sind, hat sich die rechte Szene längst ausdifferenziert und ist nicht mehr so einfach an Symbolen oder Kleidung zu erkennen. (1) Wenn bei einer Veranstaltung niemand eine Glatze hat oder Springerstiefel trägt, heißt dies also noch lange nicht, dass keine Rechtsextremisten anwesend sind.

Arbeit mit Begriffen und Bildern“ (Martin Sellner)
Auch inhaltlich und sprachlich sind sie differenzierter geworden und benutzen gerne eine verschleiernde Sprache. Auch sie reden von Widerstand, von nonkonformem Denken, lesen Gene Sharp und machen Straßentheateraktionen. Sprachlich arbeiten sie gerne mit Andeutungen und verschleiernden Formulierungen. Da redet man dann vom „großen Austausch“ oder von „Remigration“ von „Volksfremden“, nennt sich „Einwanderungskritiker“, bezeichnet sich z.B. als „0% rassistisch“ oder „besorgter Bürger“. Mit dieser Sprache werden nicht nur Ausgrenzung und Diskriminierung verschleiert, um in der Mitte der Gesellschaft anzukommen, sondern man will auch den Bereich des Sagbaren erweitern. Mit Erfolg: Im allgemeinen Sprachschatz angekommen sind ursprünglich aus der rechten Szene stammende Begriffe wie „Kinderschänder“ oder „Altparteien“.

Unterwanderung und Wortergreifung
Unterwanderung meint nicht nur das Anbiedern eines Jürgen Elsässer bei Mahnwachen für den Frieden, sondern v.a. auch das gezielte Engagement in Sportvereinen, Elternbeiräten oder anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten. Und wir haben es schon oft erlebt, dass in den Tagen vor rechten Demos und entsprechenden Protesten bei den OrganisatorInnen der Gegenproteste angerufen wird, um interne Informationen über Planungen oder persönliche Daten über Akteure herauszulocken.

Bei öffentlichen Veranstaltungen oder Diskussionsrunden (wie z.B. Bürgerversammlungen) nutzt die rechte Szene gerne die sog. „Wortergreifungsstrategie“ (2): Wenn sie sich dort zu Wort melden, geht es meist weniger um eine sachliche Diskussion als vor allem darum, sich Raum zu nehmen, die eigene Ideologie zu verbreiten und andere einzuschüchtern. Diese Strategie wird derzeit gerne in den Sozialen Netzwerken benutzt. Nur wenige Menschen reichen aus, um in einer Kommentarspalte zu einem aktuellen Ereignis Stimmung zu machen. Wenn es dann nicht genügend Menschen gibt, die dagegenhalten, sieht es schnell so aus, als wären die Rechten in der Mehrheit.

Geheimnisse behaupten und aufdecken, Lügen und Gerüchte verbreiten
Gerne werden von der rechten Szene Geheimnisse und Tabus behauptet, skandalisiert und aufgedeckt, die gar keine Geheimnisse sind. In das anschließende Skandalgeschrei stimmen dann oft auch viele andere mit ein. (3)

Lügen und Gerüchte in Umlauf zu bringen ist eine beliebte Strategie, um Stimmung zu machen, gerne in Kombination mit einer Wortergreifung bei Bürgerversammlungen zur Ansiedlung von Geflüchteten. (4)

 

Täter-Opfer-Umkehr
Angehörige der rechten Szene behaupten in der Öffentlichkeit gerne, man sei nicht rechts, man habe ja gar nichts gegen den Islam, sei für den Frieden und wolle die Sorgen und Ängste des Volkes aufnehmen… Inhaltlich logisch muss das dann nicht sein. Wichtig ist nur: Man selbst ist nicht schuld, sondern es sind immer die anderen, die einen bedrohen oder „dem eigenen Volk“ etwas Böses wollen.

Gerne wird dabei mit Behauptungen gearbeitet: Es gebe eine „Meinungsdiktatur“, man könne seine Meinung nicht mehr frei äußern oder jeder Kritik werde mit der sog. „Nazikeule“ begegnet. Diese Behauptungen dienen häufig nur dem Zweck, KritikerInnen zu beschäftigen und von rassistischen oder abwertenden Äußerungen abzulenken.

Mit der Behauptung, man dürfe gar nicht sagen, was man denke, haben sich z.B. Thilo Sarrazin und Pegida breite Medienpräsenz verschafft und öffentliche Diskussionen geprägt. Dass es aber auch eine politische Strategie ist, sich als „besorgte Bürger“ oder „Stimme des Volkes“ zu inszenieren, erkennen nur wenige.

Soziale Netzwerke
In den Sozialen Netzwerken sind RechtsextremistInnen und RechtspopulistInnen wesentlich besser aufgestellt als andere. Sie nutzen jedes Medium und jede Kommentarspalte, um ihre Inhalte zu verbreiten und Stimmung zu machen. Ihre Stärke dort beruht auch auf der Schwäche der Gegenseite. Menschen und Seiten, die Demokratie und Gleichwertigkeit verteidigen, sind dort immer noch schlecht aufgestellt und in der Minderheit.
Insgesamt gilt: Rechtsextremismus und Rechtspopulismus sind dort stark, wo Demokratie und die Verteidigung von Menschenrechten schwach sind. Sie nutzen den Raum, den wir ihnen überlassen. Daher sollten wir auch schauen, welche Einfallstore eine demokratische Zivilgesellschaft dem Rechtsextremismus bietet.

Das Problem ist wesentlich größer als die rechte Szene
Die unterschiedlichen Studien zur Einstellungsforschung zeigen es seit Jahren: Abwertende und ausgrenzende Einstellungen wie z.B. rassistische Einstellungen (die sog. „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“) (5) sind in allen Gesellschaftsschichten anzutreffen – und damit auch in unserem Umfeld und auch in friedensbewegten Gruppen und Organisationen. Nur darauf zu schauen, was die rechte Szene tut und ob sie uns unterwandert, ist daher der falsche Ansatz. Die Frage, ob jemand Nazi oder Rassist ist, greift zu kurz. Es ist vielmehr zu fragen, wo Grenzen überschritten werden, wo Menschen stereotypisiert, abgewertet oder ungleich behandelt werden.

Gibt es eine „Querfront“ zwischen rechts und links?
Der Begriff der „Querfront“ ist ein historischer Begriff, der die Vorgänge, wie wir sie derzeit beobachten, nur unzureichend beschreibt. Was wir derzeit erleben:

  • Es gibt eine politische Strategie der rechten Szene, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen und zu neuen Zielgruppen vorzudringen.
  • Es gibt Gruppen, die für ihr Ziel mit allen zusammenarbeiten würden.
  • Es gibt Gruppen, die die Thematisierung von oder Beschäftigung mit Rechtsextremismus, Rassismus und andere Formen von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ablehnen.

Das ergibt gemeinsam mit den anstehenden politischen Herausforderungen eine schwierige Gemengelage, die es der rechten Szene einfach macht, in anderen Kreisen anzudocken und den politischen Diskurs nach rechts zu verschieben.

Was ist zu tun?
Um dem Problem gerecht zu werden und angemessen auf die aktuellen Herausforderungen zu reagieren, ist aus meiner Sicht für Gruppen in der Friedensbewegung folgendes nötig:

  • Information und fachkundige Unterstützung suchen: Zur Hilfe bei der „Unterscheidung der Geister“, zur Information über die lokale rechte Szene vor Ort und aktuelle Entwicklungen. (6)
  • Kontakte auf- bzw. ausbauen zu antirassistischen Initiativen, Willkommensinitiativen, Bürgerbündnissen gegen Rechtsextremismus. Diese werden z.T. massiv bedroht und brauchen Unterstützung und Solidarität.
  • Selbstkritik: Wo neigen wir zu Pauschalisierungen? Wo sind unsere blinden Flecken und menschenfeindlichen Einstellungen?
  • Neue Strategien entwickeln: Die üblichen Aktionsformen von Demonstrationen oder öffentliche Erklärungen werden den aktuellen Strategien der rechten Szene und der Entwicklung des Rechtspopulismus nicht gerecht.
  • Eigene Grenzen erkennen: Nicht jedes Problem lässt sich mit Dialog lösen. Bei grundlegenden Wertekonflikten stoßen Aushandlungsprozesse an ihre Grenzen.

Fazit
Was Rechte oder Neonazis tun und welche politischen Strategien sie nutzen, ist weniger entscheidend als das, was wir tun oder lassen. Eine Zivilgesellschaft, die Frieden fördern und Menschenrechte verteidigen will, sollte der Ausdifferenzierung der rechten Szene und der Ausbreitung abwertender Einstellungen in allen Teilen der Gesellschaft ebenfalls mit einer Ausdifferenzierung von Inhalten, Aktionsformen und Strategien begegnen.

Entscheidend ist, dass wir Menschenrechte und Gleichwertigkeit verteidigen – immer, überall, jeder und jedem gegenüber.

Anmerkungen
1 Vgl. https:// www.versteckspiel.de
2 Vgl. http://www.netz-gegen-nazis.de/lexikontext/mit-gewalt-zur-diskussion-die...
3 Vgl. z.B. Diskussionen zur Bilderbergkonferenz 2016 in Dresden: Man behauptete, die Gästeliste wäre geheim, und man habe sie „geleakt“, während sie die ganze Zeit über auf der Internetseite der Konferenz einsehbar war. Der Protest gegen diese behauptete Geheimniskrämerei vereinte dann sehr unterschiedliche Gruppierungen.
4 Vgl. http://hoaxmap.org/
5 Vgl. http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/214192/gruppenbe...
6 Kontaktadressen zur sog. Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus: http://www.demokratie-leben.de/programmpartner/demokratiezentren.html

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Christine Böckmann, Magdeburg