Schwerpunkt: Hat die Friedensbewegung Perspektive(n)?

Einleitung

von Renate Wanie

Doch durch die Beteiligung von Menschen aus der umstrittenen Bewegung der Montagsmahnwachen an dem „Friedenswinter“ kam es schon bald zu heftigen kontroversen Auseinandersetzungen innerhalb der Friedensbewegung. Antisemitische und nach Rechts offene Äußerungen von namentlich bekannten Personen aus der Mahnwachenbewegung sowie diffuse politische Aussagen aus dieser Bewegung wurden zu Recht heftig kritisiert. Einzelne Äußerungen über einen zahlenmäßigen Hinzugewinn für die Friedensbewegung trugen das ihre bei. Die traditionelle Friedensbewegung geriet ins Kreuzfeuer der Medien, von links bis konservativ: Mit scharfer Kritik und falschen Informationen über „einen Schulterschluss“ bzw. ein „Bündnis der Friedensbewegung mit den Mahnwachen“ wurde zum Teil unredlich berichtet.

Wenig Gehör in den Medien fanden eindeutige Stellungsnahmen und Distanzierungen von Antisemitismus und Rechtsextremismus z.B. der Kooperation für den Frieden. Die eigentlichen politischen Zielsetzungen, der öffentliche Protest gegen die Konfrontationspolitik im Ukrainekonflikt und die Forderung für eine Zivile Konfliktbearbeitung, liefen bei wiederkehrenden Abgrenzungsversuchen wiederholt Gefahr unterzugehen. So fragt der FR-Autor Stephan Hebel in seinem Artikel: Übersteigt der „Schaden, den die Irritation in der öffentlichen Wahrnehmung auslöst, (…) den Nutzen einer gesteigerten DemonstrantInnen-Zahl“? 

Trotz alledem: Zahlreiche Autoren und Autorinnen haben sich zur Mitarbeit in diesem Heft bereiterklärt. Wir beginnen mit vier Beiträgen zur „Bestandsaufnahme“. Mit dem Hinweis auf Minsk II sieht Andreas Buro m.E. die „strategische Chance“ für die Friedensbewegung, in der Bevölkerung und bei der Politik für nicht-militärische Konfliktbearbeitung Unterstützung zu finden. Für Buro eine vorrangige Aufgabe. Monty Schädel fasst die wichtigsten Kampagnen und Aktivitätenfelder der Friedensbewegung 2015 zusammen, und Christine Schweitzer argumentiert, dass verschiedene Ansätze der Überwindung von Krieg nebeneinander bestehen müssen. Zu einem differenzierteren Verständnis des Konzeptes der Zivilen Konfliktbearbeitung (ZKB) trägt Susanne Luithlen bei und verweist auf die fundamental unterschiedlichen Annahmen und Zielsetzungen einer sicherheitslogischen und friedenslogischen Politik. Zur Verbreitung der ZKB zählen unbedingt auch konkrete Darstellungen von Beispielen ziviler Konfliktbearbeitung.

Unter der Rubrik „Streitfragen“ veröffentlichen wir in dieser Ausgabe unterschiedliche Einschätzungen und Sichtweisen zu den konfliktreichen Kontroversen in der friedenspolitischen Diskussion: den Mahnwachen, dem Friedenswinter und der Positionierung zu Aufstandsbewegungen wie der in der Ukraine. Dabei haben wir uns bemüht, BefürworterInnen wie KritikerInnen von Mahnwachen und Friedenswinter zu Wort kommen zu lassen.

Ist eine Neuausrichtung der Friedensbewegung notwendig? Dass es auf dem Hintergrund der verstärkten Lobbyarbeit der Waffenindustrie und des Militärs noch immer ausreichend Betätigungsfelder für die Antikriegs- und Friedensbewegung gibt, weist Monty Schädel in seiner einleitenden Aufstellung der verschiedenen Widerstandsaktivitäten nach. Dabei muss sich jede langjährige Organisation auch immer wieder die Frage stellen, „ob sie noch am Puls der Zeit ist“, so Christine Hoffmann von Pax Christi. Hingegen sieht Karl-Heinz Peil vom Kasseler Friedensratschlag die gewachsenen Strukturen der Friedensbewegung als maßgebend an und verfasst fünf Thesen zur Stärkung der deutschen Friedensbewegung. Ebenfalls wie Andreas Buro plädiert Peil für die stärkere Vernetzung mit anderen sozialen Bewegungen - die internationalen nicht zu vernachlässigen - und vor allem für die Entwicklung einer Medienkompetenz als zunehmende Herausforderung. Auch die bisherigen Aktionsformen und die Kampagnenfähigkeit der Friedensbewegung gehörten auf den Prüfstand. Dass Kampagnen nicht nur erfolgversprechend sind, sondern auch interessante Beteiligungsmöglichkeiten für viele Menschen bieten, das zeigen die Erfahrungen der Kampagne „Aufschrei“. Und dass insbesondere Druckkampagnen in Verbindung mit dem Aktionsplan für soziale Bewegungen (Bill Moyer) für AktivistInnen wie ein gut dosierter Brennstoff wirken, entwickelt Claudia Funke.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Lobby- und Advocacy-Arbeit mit Abgeordneten in den Blick zu nehmen, um Forderungen gegenüber der offiziellen Politik konkret zu vertreten. Zwei Abgeordnete, Ute Finckh-Krämer (SPD) und Kathrin Vogler (DIE LINKE), geben hilfreiche Anregungen für die Basisarbeit vor Ort. Eine Reaktivierung der lokalen Friedensgruppen sieht Andreas Buro als eine der wichtigen Hausaufgaben der Friedensbewegung.

Zu den Perspektiven der Friedensbewegung gehört schließlich die Vision einer friedlichen Welt. Doch auf dem Weg zum Ziel ist die Planung von konkreten Zwischenschritten für ein erfolgreiches politisches Handeln genauso wichtig wie eine Analyse als Ausgangspunkt für die strategischen Aktivitäten. „Nur so kann es uns gelingen, Auswege aufzuzeigen und Menschen für Alternativen zu mobilisieren.“ (Vogler)

Besonders erfreulich ist in diesem Schwerpunkt die Beteiligung von AutorInnen aus der jungen Generation. Als Problempunkte werden u.a. die unterschiedliche Sprache, die Mediennutzung wie auch das oftmals zu große Spektrum an Themen genannt, das bis zur Weltrevolution reiche. Neben nachprüfbaren und erreichbaren Zielen werden ein gut koordinierter Generationenwechsel sowie eigene Projekte für mehr Entfaltungsfreiheit eingefordert! Bemerkenswert ist auch die Frage von jungen AutorInnen, ob statt der „ollen Friedenstaube“ nicht doch neue frische Symbole her müssten?

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