Einspruch gegen das neue Asylbewerberleistungsgesetz

von Ingrid Röseler
Hintergrund
Hintergrund

Unter dem bezeichnenden Namen "Ausländerleistungsgesetz" (wer lei­stet was für wen?) hat Bundesminister Seehofer im Februar 1995 einen tief in die Rechte der Flüchtlinge einschneiden Novellierungsvorschlag zum seit Oktober 1993 geltenden Asylbewerberleistungsgesetz vorgelegt. Einschneidend deshalb, weil das bisherige Gesetz schon Sozialleistun­gen für zahlreiche Flüchtlinge bis zur Hälfte unter das nach dem Bun­dessozialhilfegesetz in Deutschland allgemein verbindliche geltende Existenzminimum absenkte.

Der neue Entwurf (nach neuestem Stand bezeichnet als Entwurf eines ersten Ge­setzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetz / Bundestagsdruck­sache 13/3475) die grundsätzlich nicht mehr zeitlich befristete Absenkung für alle Asylsuchenden sowie für alle Aus­länder mit Duldung. ... nach negativ be­schiedene abgeschlossenen Asylverfah­ren als "Auswertung der Abschiebung" erteilt. Sie ist kein Aufenthaltsstatus im eigentlichen Sinne wird aber auch er­teilt, wenn Abschiebungshindernisse nach _53 AuslG (Gefahr für Leib und Leben/Schutz vor Folter) vorliegen.

Ebenso soll das Sachleistungsprinzip (Paketversorgung zur Ernährung oder Fertigessen/evtl. Gutscheine zum Ein­kauf in speziellen Magazinen im Heim) auf o.g. Personenkreise übertragen wer­den. Die bisher nur für das 1. Aufent­haltsjahr reduzierte medizinische Min­destversorgung soll für den gesamten Aufenthalt gelten. Einzig bosnische Kriegsflüchtlinge sind ausgenommen. Bisher gesetzlich im Einzelfall mögliche Unterbringung bei Verwandten oder bei einem Arbeitsverhältnis in eigener Mietwohnung wird es nicht mehr geben können.

Warum dies alles? - Mit der verlocken­den Ankündigung, daß die Bundesregie­rung jährlich 1004,5 Mio. und die Län­der und Kommunen 123 Mio bei Durch­setzung des Gesetzes einsparen würden, sollten wohl auch die hartnäckigsten Oppositionspolitiker zur Zustimmung gebracht werden. Noch geschah dies nicht. Aus den Innenministerien NRW/Saarland und Sachsen-Anhalt gab es ablehnende Worte, hoffentlich bleibt es nicht nur bei diesen. Ein Rechtsgut­achten im Auftrag des Diakonischen Werkes der EKD läßt verfassungsrecht­liche Bedenken laut werden, Wohl­fahrtsverbände legen mit Erfahrungsbe­richten Veto ein. Aber wird mit den all­gemein üblichen populistischen Phrase "denen geht es viel zu gut bei uns" oder, "am Abbau des Szialstaates sind nur die vielen Ausländer schuld" nicht geradezu der zustimmende Stempel erteilt?-

Hat doch gerade in diesem Sinne zu ei­ner CDU-Aschermittwochsversamm­lung in Sachen der Polizeieinsatzleiter vom Regierungspräsidium Chemnitz öf­fentlich vermeldet, daß die meisten der zu uns kommenden Flüchtlinge Wirt­schaftsflüchtlinge seien, und bei uns nichts zu suchen hätten!

Was eine seit den 80er Jahren durchge­setzte systematische Ausgrenzung in den deutschen Köpfen eines Teils der Be­völkerung per Bundesgesetz bewirkt steht dann logischerweise als "Untat der rechten Szene" fast täglich in der Presse.

Diese Gesetzesänderung darf auch des­halb nicht zustandekommen weil hier, wie 1993 bei der Änderung von Artikel 16 GG entscheidende Grundrechte für Menschen in unserem Land verstüm­melt, bzw. beseitigt wurden.

In einer Stellungnahme des Diakoni­schen Werkes heißt es: Die z.Zt. ver­folgte Politik die Bedarfsdeckung in Frage zu stellen, kündigt eine gewach­sene gesellschaftliche Übereinstimmung auf und verletzt das Sozialprinzip, ebenso sei das Grundrecht auf körperli­che Unversehrtheit den Ermessensent­scheidungen der örtlichen Behörden zur medizinischen Versorgung ausgesetzt.

Schon jetzt, in der Praxis des geltenden Gesetzes sind Entmündigung und psy­chische Verelendung vorprogrammiert. Die Flüchtlinge werden depressiv, pas­siv, untereinander aggressiv und apa­thisch. Mensch, die z.B. seit 5 Jahren aus Paketen essen, leiden an Mangeler­scheinungen. Diese wiederum gelten nicht als behandlungsbedürftig, weil es kein akutes leiden ist. Überteuerte Ma­gazinversorgung bietet wenig Möglich­keit zu individuellerer Küche, Müllberge von Paketen, Dosen, Gläsern und einge­schweißtem Fleisch beweisen "den lie­derlichen" Ausländer.

Daß die in Aussicht gestellten Einspa­rungen in Millionhöhe ohnehin nicht re­alistisch sind, beweisen die bisherigen Erfahrungen: Für Verpackung, Trans­port, Verteilpersonal und evtl. bei Groß­küchenversorgung ach Küchenpersonal und Betreiben der Magazine ist der zu­sätzliche Finanzierungsbedarf erheblich höher, als wenn den Asylsuchenden das Geld bar ausgezahlt würde. Hunger­streiks, Besetzungen von Sozialämtern oder andere Protestaktionen gab es schon oft genug, die Häufung derselben ist wohl schon eingeplant, das Feindbild Ausländer würde stabilisiert, im Ne­beneffekt auch noch durch die Steige­rung von Schwarzarbeit, Diebstählen und "Untertauchen". Gerade die Men­schen die aufgrund langer Bearbei­tungszeit des Asylverfahrens oder rechtlicher Unmöglichkeit einer Ab­schiebung über Jahre hier relativ inte­griert (Schul- und Hortbesuch der Kin­der) kulturelle Kontakte haben sind am meisten diskriminiert, da sogar in der bisherigen Regelungen (wenn auch nur meist auf dem Papier) ein Mehrbedarf nach langjährigem Aufenthalt zugestan­den wurde.

Die bisherige und mit der neuen Geset­zesregelung verschärfte Ausgrenzung aller Flüchtlinge ohne Daueraufenthalt kann nur noch als rassistisch geprägte Reduzierung - Flüchtlinge als Objekte sozialer Sparmaßnahmen - gewertet werden. Dies dürfen wir nicht zulassen.

MitarbeiterInnen in der Flüchtlingssozi­alarbeit haben es satt sich vor den Rat­suchenden für deutsche (Un)-Gesetz­lichkeiten zu entschuldigen bzw. zu schämen. Wir wollen nicht "Schadensbegrenzung" sondern Hilfe bieten. Das können wir evtl. noch durch Einklagen der Grundrechte, aber nicht mit dem bisherigen Asylbewerberlei­stungsgesetzt und noch weniger mit ei­nem novellierten das den Flüchtlingen als ein Eishauch von Unerwünschtheit entgegenschlagen würde.

Am 1.3.96 wurde der neue Gesetzent­wurf der Regierung zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, der be­reits Ende letzten Jahres im Parlament verabschiedet worden war, erneut dis­kutiert und mehrheitlich abgelehnt.

Er geht nun in den Vermittlungsaus­schuß, dann erneut durch Bundestag und Bundesrat. Allerdings haben die SPD-regierten Länder bereits signalisiert, daß sie im Prinzip dem neuen Gesetz zu­stimmen wollen, lediglich geringe Kor­rekturen, etwa im Hinblick auf die me­dizinische Versorgung verlangen. also ist Widerstand geboten! Machen Sie den Skandal dieses neuen Gesetzentwurfes deutlich! Organisieren Sie vor Ort Pro­test gegen dieses Gesetz! Gehen Sie auf Ihre Bundestags- und Landtagsabgeord­neten zu! Bereiten Sie Tauschaktionen, Bargeld gegen Esspakete, vor.

Nähere Informationen zu dem Ge­setzentwurf können gegen DM 3,- Rückporto angefordert werden beim Komitee für Grundrechte und Demo­kratie, Bismarckstr. 40, 50672 Köln.

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Ingrid Röseler ist in der Flüchtlingsarbeit in Sachsen und im Vorstand des Komitees für Grundrechte und Demokratie aktiv.