Münchner Sicherheitskonferenz

„EISZEIT“ in München – kein Weg zurück vom Abgrund – oder doch?

von Heidi Meinzolt
Im Blickpunkt
Im Blickpunkt
( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Der Weg zurück (1) – oder besser nach vorne - geht nur, wenn wieder um ein friedliches Zusammenleben der Menschen gestritten wird. Wenn es um den politischen Willen geht, die Ursachen von Krieg und Gewalt zu analysieren und soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit, Waffen, geostrategische Machtgelüste (2) zu bekämpfen oder die UNO im Sinne ihrer Charta zu beleben (3).

Das ist aber nicht die Logik der Münchner Sicherheitskonferenz/MSC (Wehrkundetagung, wie sie bis 1994 hieß), obwohl Schlagzeilen über die diesjährige MSC wie „Welt nahe am Abgrund“, „Westen ohne politische Strategien“, „Eskalationsrhetorik statt Dialog“, „Bedrohliche, internationale Unsicherheit“ ein Umdenken geradezu fordern. Aus friedenspolitischer Sicht also ein Fehlschlag, denn ein Ende der Gewaltspirale schimmerte nur in Side Events durch und war auf der Friedenskonferenz der Zivilgesellschaft präsent. „Der Winter ist da“ - titelte der Spiegel, und das Schneetreiben illustrierte dies vor allem für die DemonstrantInnen auf der Straße.

Die MSC ist der traditionelle Treffpunkt wirtschaftlicher, politischer und militärischer Machteliten und ein medienwirksames Propaganda-Forum zur Rechtfertigung der NATO, ihrer Milliarden-Rüstungsausgaben und ihrer völkerrechtswidrigen Kriegseinsätze, die der Bevölkerung als „humanitäre Interventionen“ verkauft werden. 2018 „leuchten die Alarmlichter rot auf“, sagte Botschafter Wolfgang Ischinger schon in seiner Eröffnungsrede – aber das Wort Frieden fehlt als strategische Option, ja sogar als Vision: Cyber-Angriffe, Terrorismus, offene Drohungen, Massenvernichtungswaffen, Misstrauen, aggressive Rhetorik, Unversöhnlichkeit, die Besetzung taktischer Spielräume und Abgrenzungen - das rauschte medienwirksam durch die Plenardebatten und war omnipräsent in den Hintergrundgesprächen.

Aufrüstung ist das Gebot der Stunde – das 2% Ziel der „Wertegemeinschaft“ NATO (4) wird „klar gemacht“ und nur mit der Instrumentalisierung der UNO als Interventionskraft noch getoppt. „Europäische Einigung“ ist nun die ‚Permanente Strukturierte Zusammenarbeit‘/PESCO. „Wir wollen transatlantisch bleiben, aber europäischer werden“, so die Verteidigungsministerinnen Ursula von der Leyen in Übereinstimmung mit ihrer Amtskollegin Florence Parly aus Frankreich in der Auftaktkundgebung. Im anschließenden European Defence Roundtable lobten sie „die operative Zusammenarbeit mit Deutschland“ wie z.B. beim Stabilisierungseinsatz in Mali und bei Rüstungs- und Beschaffungsprojekten. „Emanzipationswillen der EU“ (als kleine Spitze gegen Trump?!) nennt das Kommissionspräsident Juncker – nicht zur ungeteilten Freude des österreichischen Kanzlers und des polnischen Premiers.

Vor 2 Jahren wurde der Prozess der „neuen (deutschen) Verantwortung“ in München mit den unisono vorgetragenen Appell von Gauck, Steinmeier und von der Leyen zur Stärkung der Interventionsfähigkeit – militärisch natürlich als „letztes Mittel“ deklariert - eingeläutet. Jetzt kommen die Vernetzung und die Instrumentalisierung der Entwicklungsarbeit für humanitäre und Sicherheitsaufgaben ganz offen mit ins Paket: Militär, Diplomatie und Entwicklungsarbeit für unsere eigene Sicherheit heißt das jetzt - der Hindukusch lässt grüßen, ist aber globaler geworden! Laut neuem Koalitionsvertrag sollen erhebliche zusätzliche Haushaltsmittel prioritär in zwei Bereiche fließen: den Verteidigungsbereich und die Entwicklungspolitik (als Annex quasi).

Das Kernthema der ‚militärischen Sicherheit‘ist lt. Ischinger verbunden mit den spezifischen Erwartungen der Konferenzgäste, d.h. auch den Profitinteressen von Konzernen, Banken und der Rüstungsindustrie, deren VertreterInnen ca. ein Drittel der geladenen TeilnehmerInnen ausmachten. Gegenüber der Gruppe „MSC verändern“ fügte er noch tröstlich hinzu: Rüstungsreduzierung sei an eine OSZE-Expertengruppe delegiert – deren Bericht man abwarten müsse.

Das ist eine „Unsicherheitskonferenz!“ spitzte es Jürgen Grässlin bei der Demokundgebung (5) zu, und wer weiß es besser als er: Die Zahlen für den Anstieg des Rüstungsexports weltweit und gerade aus München, „der Hauptstadt des deutschen Waffenexports“, sind ein Bruch der Rüstungsexportrichtlinien, Waffenlieferungen an Warlords, Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen und zum Mord inklusive: „Profiteure von Kriegen gehören vors Gericht!“.

Abschließend: Die Formate der MSC sind vielseitiger geworden. Ischinger verspricht einen langsamen Prozess der Öffnung durch Beteiligung von „renommierten“ NGOs, Amnesty International, Human Rights Watch, Greenpeace, in diesem Jahr Misereor und Forum ZFD zum „Vorrang für zivile Friedensförderung“. Beatrice Fihn, als Repräsentantin des Friedensnobelpreises für ICAN eingeladen, redete gegen die Abschreckung mit Atomwaffen und appellierte an die menschliche Vernunft der politischen Entscheider appellieren, an Verhandlungen zum Verbotsvertrag  mitzuwirken – allerdings erst, nachdem sich der Saal der „wichtigen“ EntscheiderInnen fast geleert hatte. Die Women Peacemaker Conference (6) hat einer Beobachterin gut gefallen und ein Young European Leaders Meeting verjüngte das Bild.

Auf unabsehbare Zeit braucht es weiterhin das alternative Internationale Forum, das prominent wie jedes Jahr im Alten Rathaussaal zum Thema „Frieden und Gerechtigkeit“ (7) tagte: „Kommt endlich zur Vernunft“ (7)), „nachhaltiger Friede nur durch die Schaffung ökonomischer, politischer und sozialer Strukturen und die Beteiligung von Frauen an den Friedensprozessen“ (8), „trainiert Gewaltfreiheit!“ (9) waren die diesjährigen Schlüsselbegriffe der eingeladenen ReferentInnen unter großer Zustimmung des Publikums. Es braucht mehr als je zuvor die kritischen MahnerInnen der informierten Zivilgesellschaft – in diesem Jahr auch im Rahmen der Europadebatte zu Hintergründen des Ukrainekonflikts (10), zu europäischen Perspektiven (11) und zur Abschaffung von Atomwaffen (12). Es braucht die Anregungen zur praktischen Friedensarbeit, die Möglichkeiten zur Vernetzung und eine Bewegung, die mobilisiert, die sich vernetzt, und wieder stärker wird, weil sie mit Alternativen für den Frieden punktet.

Anmerkungen
1 Offizielles Motto der MSC „Kein Weg zum Abgrund und zurück“ „To the brink—and back?“

2  Beiträge auf der Friedenskonferenz, des Gesprächsforums zu Europa und der Weltlage, http://www.friedenskonferenz.info/

3 Von der WILPF Seite: http://bit.ly/2H2I1TB

4 Zitat von der Leyen.

5 https://www.redglobe.de/component/yendifvideoshare/video/545-anti-siko-2...

6 Organisiert mit dem Women Peacemaker Program, die wg. fehlender Unterstützung offiziell im Dezember schließen mussten, und die diesmal doch ein Forum bekamen, u.a. mit erfolgreichen Frauen aus Ruanda.

7 Zwei Beiträge, a.a.O, http://www.friedenskonferenz.info/

8 Franz Alt zu Friedensbotschafter Gorbachow, https://de.sputniknews.com/politik/20180220319629644-franz-alt-interview/

9 Nela Porobic Isakovic aus Friedens- und Frauenaktivistin aus Bosnien, www.womenorganizingforchange.org, https://wilpf.org/wilpf_publications/a-feminist-perspective-on-post-conf...

9 Tiffany Easthom von Nonviolent Peaceforce, http://de.nonviolent-peaceforce.de/

10 Reinhard Lauterbach, https://youtu.be/JA6KT373MBg

11 Einführung und Moderation Heidi Meinzolt

12 Marion Küpker, https://youtu.be/7FtjiPXXT74

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